Bundessozialgericht, Urteil vom 23.06.2016, Az. B 14 AS 46/15 R

14. Senat | REWIS RS 2016, 9422

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - vorrangige Leistungen - Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente - abschließende Regelung der UnbilligkeitsV - Überprüfung der Ermessensentscheidung - Nichtvorliegen eines atypischen Falls - Verfassungsmäßigkeit


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 29. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.

2

Die am 12.1.1951 geborene, alleinlebende Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] Für die Zeit vom [X.] bis zum [X.] wurden monatlich vorläufig 662,99 Euro bewilligt (Regelbedarf für Alleinstehende: 382 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 309,79 Euro, Berücksichtigung eines Erwerbseinkommens als Reinigungskraft von 136 Euro).

3

Nachdem dem Beklagten bekannt geworden war, dass die Klägerin von der [X.] ([X.]) eine abschlagsfreie Altersrente ab dem 1.2.2016 und eine Altersrente mit Abschlägen seit dem 1.2.2011 beziehen könne, forderte er sie zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres unter Fristsetzung bis zum [X.] auf (Bescheid vom [X.]). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, weil sie auf "ergänzenden [X.]" angewiesen sei, wenn sie eine Altersrente mit Abschlägen beziehen müsse. Auch gegen den Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, in dem sie erneut zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente unter Fristsetzung bis zum 14.11.2013 aufgefordert wurde, legte die Klägerin Widerspruch ein und bezog sich auf Auskünfte der [X.], wonach bei Rentenbeginn am [X.] eine vorzeitige Altersrente in Höhe von monatlich 609,42 Euro netto und bei einem Rentenbeginn ab 1.2.2016 eine abschlagsfreie Altersrente von monatlich 655,53 Euro zu erwarten seien. Die Widersprüche der Klägerin wurden zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom [X.]): Weder sei die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig im Sinne der Unbilligkeitsverordnung ([X.]), noch ergebe eine Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Allgemeinheit im Hinblick auf das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel, dass von der Aufforderung zur Rentenantragstellung abgesehen werden könne. Voraussichtlich reiche auch die abschlagsfreie Altersrente zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs von 691,79 Euro nicht aus, es sei somit kein mit dem Bezug einer vorzeitigen Altersrente verbundener unzumutbarer Nachteil erkennbar. Mit Schreiben vom [X.] beantragte der Beklagte bei der [X.] für die Klägerin eine Altersrente und meldete zugleich einen Erstattungsanspruch an.

4

Das angerufene [X.] hat die Bescheide vom [X.] und 21.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] "aufgehoben, soweit die Klägerin zur Beantragung einer Altersrente mit Rentenbeginn vor dem [X.] aufgefordert" werde; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.5.2014). Die nur von der Klägerin eingelegte Berufung hat das L[X.] zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Die Klägerin sei zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Für einen atypischen Fall im Sinne der [X.] sei nichts ersichtlich, auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bestünden nicht. Das bereits bei der Aufforderung zur Antragstellung erforderliche Ermessen habe der Beklagte jedenfalls im Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß ausgeübt.

5

In ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 12a iVm § 5 Abs 3 [X.]B II. Der Beklagte habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er nicht berücksichtigt habe, dass sie bei einer Rente mit Abschlägen ergänzend Sozialleistungen in Anspruch nehmen müsse, was bei einer Rente ohne Abschläge zuzüglich Wohngeld und einer weiteren Beschäftigung nicht der Fall wäre. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es insbesondere in den neuen Bundesländern erhebliche Rentenerhöhungen geben werde, an denen sie aufgrund der dauernden Abschläge nicht angemessen teilhaben könne. Bei der Beurteilung eines Härtefalls sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass in "nächster Zukunft" eine Altersrente abschlagsfrei hätte in Anspruch genommen werden können. Schließlich sei die vorliegende Regelung zur Zwangsverrentung auch verfassungswidrig.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 29. April 2015 aufzuheben, den Gerichtsbescheid des [X.] vom 13. Mai 2014 zu ändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2013 insgesamt aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Im Revisionsverfahren hat die Klägerin einen Bescheid der [X.] vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem [X.] und einem monatlichen Auszahlbetrag von 663,91 Euro ab 1.12.2015 vorgelegt. Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt und gegen dessen Zurückweisung mit Widerspruchsbescheid vom [X.] Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass die Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin zur Rentenantragstellung ab [X.] rechtmäßig ist. Aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 [X.]G).

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind das Urteil des [X.] und der Gerichtsbescheid des [X.], soweit für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Rentenbeginns ab dem [X.] die Klage abgewiesen worden ist, sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], durch den die Klägerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 14.11.2013 aufgefordert worden ist. Der Bescheid vom [X.] mit der Aufforderung zur Antragstellung bis 22.8.2013 hat sich durch den Bescheid vom 21.10.2013 und die dortige Fristsetzung erledigt (§ 39 Abs 2 [X.]B X). Soweit das [X.] die Aufforderung des Beklagten dahingehend ausgelegt hat, dass die Klägerin schon einen Rentenantrag für die Zeit vor dem [X.] stellen sollte, und es der Klage insofern stattgegeben hat, bedarf es keiner Entscheidung, weil der Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat.

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Klägerin hat zu Recht eine Anfechtungsklage erhoben (§ 54 Abs 1 Satz 1 [X.]G), weil es sich bei der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis [X.] um einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 [X.]B X handelt (B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], Rd[X.]2).

Die Aufforderung vom 21.10.2013 ist nicht iS des § 39 Abs 2 [X.]B X erledigt und die Anfechtungsklage nach wie vor zulässig. Gegen den auf den Antrag des Beklagten hin ergangenen Rentenbescheid der [X.] vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem [X.] hat die Klägerin Widerspruch eingelegt und nach dessen Zurückweisung Klage erhoben, sodass das [X.] nicht bestandskräftig abgeschlossen ist (vgl B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], Rd[X.]3).

Einer echten notwendigen Beiladung der [X.] nach § 75 Abs 2 Alt 1 [X.]G bedurfte es nicht (B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], Rd[X.]4).

3. Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente sind § 12a iVm § 5 Abs 3 Satz 1 [X.]B II (diese und alle weiteren Vorschriften des [X.]B II in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, [X.]). Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der [X.]keit erforderlich ist, wobei nach § 12a Satz 2 [X.] [X.]B II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Die [X.]B II-Leistungsträger werden ermächtigt, Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorzeitigen Rente aufzufordern, und, sofern diese der Aufforderung nicht nachkommen, selbst den Antrag zu stellen.

Die sich aus dem [X.] der genannten Vorschriften ergebenden Voraussetzungen (B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], Rd[X.]7) erfüllt die Klägerin, denn aus den Feststellungen des [X.] ergibt sich, dass sie hilfebedürftig iS der § 7 Abs 1 Satz 1 [X.], § 9 Abs 1 [X.]B II ist. [X.] ist danach derjenige, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hieran knüpft die Regelung in § 12a [X.]B II über vorrangige Leistungen an (siehe dazu ausführlich B[X.] aaO). Nach Vollendung des 63. Lebensjahres gehört zu den vorrangigen Leistungen grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme (vgl § 77 [X.]B VI).

4. [X.] vom 21.10.2013, mit dem die Klägerin zur Rentenantragstellung aufgefordert wurde, ist formell rechtmäßig, insbesondere liegt kein zu beachtender Verstoß gegen die [X.] nach § 24 [X.]B X vor. Schon vor der nur noch streitbefangenen Aufforderung vom 21.10.2013 hatte die Klägerin in ihrem Widerspruch gegen die erste Aufforderung ausreichend Gelegenheit, ihre Einwände vorzutragen, und hat diese im Widerspruchsverfahren gegen die Aufforderung vom 21.10.2013 vertieft. Im Übrigen ist ein möglicher Anhörungsmangel durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs 1 [X.]B X).

5. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin ist nach § 12a [X.]B II verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Die Voraussetzungen der sogenannten 58er-Regelung (§ 65 Abs 4 Satz 2 [X.]B II), insbesondere die Vollendung des 58. Lebensjahres vor dem 1.1.2008, erfüllte die am 12.1.1951 geborene Klägerin nicht.

a) Die Klägerin ist zur Inanspruchnahme der Rente verpflichtet, denn diese ist iS des § 12a Satz 1 [X.]B II zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung ihrer [X.]keit erforderlich. Erforderlich in diesem Sinne ist nicht nur jede Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die [X.]keit nicht eintreten oder eine bestehende [X.]keit wegfallen lassen, vielmehr genügt es, wenn die Dauer einer [X.]keit verkürzt bzw begrenzt oder der Höhe nach verringert wird (B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], RdNr 21).

Vorliegend führt die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zur Beseitigung der [X.]keit der Klägerin nach dem [X.]B II, denn diese wird unabhängig von der Höhe der Rente beseitigt, was aus § 7 Abs 4 Satz 1 [X.]B II folgt, wonach Leistungen nach dem [X.]B II nicht erhält, wer Rente wegen Alters bezieht (vgl B[X.] Urteil vom 16.5.2012 - B 4 [X.]05/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]0 Rd[X.]5 ff; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] [X.]/12 B - Juris RdNr 5). Dass abhängig von der Höhe der Rente die Klägerin ihren notwendigen Lebensunterhalt ggf nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten und ihr deshalb insoweit nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 [X.]B XII Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.]B XII zu leisten sein könnte, ändert nichts daran, dass die Klägerin mit dem Bezug der vorzeitigen Altersrente ihre [X.]keit nach dem [X.]B II beseitigt und aus diesem Leistungssystem ausscheidet.

b) Neben der festgestellten Verpflichtung der Klägerin zur Antragstellung ist diese iS des § 12a Satz 1 [X.]B II auch erforderlich, weil Renten aus eigener Versicherung nur auf Antrag geleistet werden (§ 99 Abs 1 [X.]B VI). Die angefochtene Aufforderung der Klägerin zur Antragstellung ist hinreichend bestimmt, denn sie bezieht sich darauf, bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf eine Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres zu stellen. Dass die Antragstellung nach dem Text des Bescheids "umgehend" erfolgen soll, bezieht sich erkennbar auf die zuvor genannte Verpflichtung zur Antragstellung und der Berechtigung zum Bezug der geminderten Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Die hierzu gesetzte Frist von circa 3 Wochen ist nicht zu beanstanden.

6. Der Verpflichtung der Klägerin zur Rentenantragstellung und Inanspruchnahme steht die auf § 13 Abs 2 [X.]B II beruhende [X.] nicht entgegen, weil keiner der in ihr abschließend geregelten Ausnahmetatbestände (B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], RdNr 23 mwN) vorliegt.

Weder würde die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zum Verlust eines Anspruchs auf [X.] führen (§ 2 [X.]), weil die Klägerin keinen Anspruch auf [X.] nach dem [X.]B III hat, noch ist die Beantragung der vorgezogenen Altersrente deshalb unbillig, weil die Klägerin in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann (§ 3 [X.]). [X.] in Anspruch nehmen könnte sie eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 237 Abs 2 [X.]B VI iVm Anl 19 zum [X.]B VI) und eine Altersrente für langjährig Versicherte erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (Anhebung der Altersgrenze um fünf Monate nach § 236 Abs 2 Satz 2 [X.]B VI). Ein Zeitraum - wie hier - von mehr als zwei Jahren zwischen dem Beginn der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Abschlägen nach Vollendung des 63. Lebensjahres bis zur abschlagsfreien Inanspruchnahme ist nicht eine bevorstehende abschlagsfreie Altersrente "in nächster Zukunft" bzw "alsbald" (vgl § 5 Abs 2 iVm Abs 1 [X.]; siehe auch Begründung des [X.] zur [X.], [X.], abrufbar unter [X.]: längstens drei Monate).

Schließlich greifen auch die Ausnahmebestimmungen in §§ 4 und 5 [X.] nicht. Weder ist die Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder erzielt sie aus einer sonstigen Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen (§ 4 [X.]), noch steht eine solche Erwerbstätigkeit in nächster Zukunft bevor (§ 5 [X.]). Dies ergibt sich aus den Feststellungen des [X.] und der Revisionsbegründung der Klägerin, wonach sie zwar einer geringfügigen Beschäftigung nachgehe, ihr eine Vollzeittätigkeit oder Teilzeittätigkeit aber nicht habe vermittelt werden können. Dass die Klägerin mit einem monatlichen Einkommen von 136 Euro keine sozialversicherungspflichtige, sondern eine nur geringfügige Beschäftigung ausübte, folgt aus § 8 Abs 1 [X.]B IV. Dass auf diese Grenze abzustellen ist, wird durch die Begründung des [X.] zu dem maßgeblichen § 4 [X.] bestätigt (siehe [X.] des [X.]).

7. Das aufgrund der Verpflichtung der Klägerin, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, eröffnete Ermessen des Beklagten hinsichtlich des "Ob" einer Aufforderung hat dieser erkannt und im Ergebnis fehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs 1 [X.]B I, § 54 Abs 2 Satz 2 [X.]G), ob Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"; vgl B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], RdNr 27 f).

a) Zwar sind der angefochtenen Aufforderung vom 21.10.2013 allenfalls Ansätze einer Ermessensausübung zu entnehmen, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist jedoch der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 [X.]G), sodass Fehler in der Ermessensbetätigung im Ausgangsbescheid durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden können, zumal in diesem auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Ausgangsbescheids nachzuprüfen ist (vgl Schütze in von [X.]/Schütze, [X.]B X, 8. Aufl 2014, § 41 Rd[X.]1).

b) Eine solche Prüfung ist im Widerspruchsbescheid vom [X.] ausreichend erfolgt. Die Erwägungen des Beklagten lassen Ermessensfehler nicht erkennen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können ohnehin nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen und auf besonderen Härten im Einzelfall beruhen, die keinen Unbilligkeitstatbestand im Sinne der [X.] begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen. Soweit sich Anhaltspunkte für solche Härten nicht aufdrängen, ist der Leistungsberechtigte gehalten, atypische Umstände seines Einzelfalls vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], RdNr 27 ff).

Vorliegend sind solche Umstände von der Klägerin nicht vorgebracht worden. Insbesondere liegt ein atypischer Fall nicht deshalb vor, weil die vorzeitige Altersrente des Leistungsberechtigten uU nicht bedarfsdeckend ist und Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.]B XII in Anspruch genommen werden müssten (B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], RdNr 41 mwN). Die durch die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente folgenden dauerhaften Rentenabschläge und die damit einhergehenden geringeren Rentenerhöhungen waren dem Gesetzgeber bekannt und können nicht zur Annahme einer außergewöhnlichen Härte führen.

Eine solche Härte ergibt sich vorliegend auch nicht aus den strengeren Regelungen über die Berücksichtigung von Vermögen nach dem [X.]B XII (vgl dessen § 90) gegenüber dem [X.]B II (vgl dessen § 12), weil das Urteil des [X.] keine Feststellungen enthält, die auf derartiges Vermögen der Klägerin nur hindeuten, und die Klägerin im Revisionsverfahren keine entsprechenden [X.] erhoben hat (vgl zur Berücksichtigung solcher Konstellationen im Rahmen der Ermessensausübung schon B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], RdNr 47).

Der Beklagte hat dem Vorbringen der Klägerin in seinem Widerspruchsbescheid ausreichend Rechnung getragen, indem er zunächst geprüft hat, ob das Interesse der Klägerin, die Rente nicht zu beantragen, dem Interesse der Allgemeinheit, welche die Leistungen aus Steuermitteln erbringt, überwiegt. Einen außergewöhnlichen Fall, der nicht in der [X.] geregelt ist, hat der Beklagte nicht erkennen können. Er hat weiterhin ausgeführt, dass der Bedarf der Klägerin nach dem [X.]B II bei 691,79 Euro liege und dass dieser auch mit einer abschlagsfreien Rente von 655,53 Euro nicht gedeckt werden könne, sodass die Klägerin ohnehin auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen wäre und die Rentenantragstellung daher nicht mit unzumutbaren Nachteilen für sie verbunden sei. Darüber hinaus sind auch für den Senat weder aus den Feststellungen des [X.] noch aus dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren Umstände erkennbar, die einen unzumutbaren Nachteil begründen könnten.

8. Schließlich verstößt dieses Ergebnis nicht gegen Grundrechte der Klägerin. Die der Sicherung des Nachrangs durch Verweis auf vorrangige Leistungen dienenden § 12a iVm § 5 Abs 3 [X.]B II sind verfassungsgemäß (siehe ausführlich B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 12a [X.], RdNr 44 ff).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 14 AS 46/15 R

23.06.2016

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Leipzig, 13. Mai 2014, Az: S 17 AS 4284/13, Gerichtsbescheid

§ 5 Abs 3 S 1 SGB 2, § 12a S 1 SGB 2, § 12a S 2 Nr 1 SGB 2, § 3 UnbilligkeitsV, § 4 UnbilligkeitsV, GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.06.2016, Az. B 14 AS 46/15 R (REWIS RS 2016, 9422)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9422

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