Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.04.2017, Az. 2 B 69/16

2. Senat | REWIS RS 2017, 12286

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Gegenstand

Disziplinarrechtliche Ahndung der Teilnahme an einer "Gang-Bang-Party"; Verbreitung von Nacktfotos im Internet und Prostitution


Gründe

1

1. Die [X.]eklagte steht als Justizoberwachtmeisterin ([X.]esoldungsgruppe [X.]) im Dienst des [X.]. Sie ist zwischen Dezember 2010 und März 2014 dreimal durch strafrichterliches Urteil zu Geldstrafen verurteilt worden, und zwar wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, [X.]eleidigung und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis. Im März 2015 wurde sie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur [X.]ewährung ausgesetzt wurde. Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens im Jahre 2009 gegen die [X.]eklagte - die zuvor gegen einen Dritten Strafanzeige wegen Vergewaltigung erstattet, dann aber wieder fallen gelassen hatte - wurde der Vorwurf erhoben, dass sie der Prostitution nachgehe.

2

Nach den Feststellungen des [X.]erufungsgerichts nahm die [X.]eklagte im Mai 2009 an einer sogenannten "[X.]" teil. Mit der Anfertigung von Fotos war sie dabei einverstanden. Diese Fotos wurden später im [X.] auf einer kostenpflichtigen Website veröffentlicht. Sie zeigten die [X.]eklagte nackt und halbnackt sowie beim Geschlechtsverkehr. Außerdem ging sie zwischen Juni und Dezember 2011 gewerbsmäßig in [X.] und [X.] der Prostitution nach, ohne dass sie dies ihrem Dienstherrn als Nebentätigkeit angezeigt hatte.

3

Das Verwaltungsgericht hat die [X.]eklagte auf die im Jahre 2011 erhobene und später erweiterte [X.] aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt, die [X.]erufung der [X.] ist erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat zur [X.]egründung insbesondere ausgeführt, dass die [X.]eklagte durch die bei ihrer Teilnahme an der sogenannten "[X.]" gefertigten und im [X.] veröffentlichten [X.]ilder sowie durch ihre Prostitutionstätigkeit gegen ihre beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht verstoßen habe. Zwar müsse der [X.]eamte sich außerdienstlich nicht vorbildlich verhalten, aber trotz der Liberalisierung im [X.]ereich der Prostitution werde diese von weiten Teilen der [X.]evölkerung als anstößig betrachtet. Denn sie könne wegen des Gesichtspunkts der Käuflichkeit zu der Vorstellung führen, dass die [X.]eamtin auch im Dienst bereit sein könne, Amtshandlungen gegen [X.]ezahlung zu erbringen bzw. zu unterlassen. Auch [X.] sich Prostitution häufig in einem kriminellen Milieu ab. An dieser [X.]etrachtungsweise ändere auch nichts, dass die von der [X.] ausgeübte Prostitution offenbar nicht strafbar oder ordnungswidrig gewesen sei. Außerdem habe die [X.]eklagte auch innerdienstliche Pflichten verletzt, indem sie eine Nebentätigkeit ohne die erforderliche Nebentätigkeitserlaubnis ausgeübt habe.

4

[X.]ei einer Gesamtwürdigung aller Umstände sei die [X.]eklagte aus dem [X.]eamtenverhältnis zu entfernen. Die [X.] wögen schwer, weil die [X.]eklagte diese über einen längeren [X.]raum von mehreren Monaten wiederholt begangen habe. Auch die Anzahl der einzelnen [X.] sei erheblich. Hinzu kämen die im Rahmen der diversen Strafverfahren, strafrechtlichen Verurteilungen und im Disziplinarverfahren zu Tage getretenen [X.] der [X.]. Dies gelte für die Falschbezichtigung wegen Vergewaltigung und Diebstahls im Rahmen einer Strafanzeige, was den Tatbestand einer falschen Verdächtigung im Sinne von § 164 StG[X.] verwirkliche. Die drei rechtskräftigen Verurteilungen wegen vorsätzlicher Straftaten vorwiegend wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, aber auch wegen [X.]eleidigung, zeigten ebenfalls [X.] der [X.]. Auch dass die [X.]eklagte Drogenkonsumentin sei, zeige, dass sie sich von einem rechtstreuen Leben bereits so weit entfernt habe, dass sie als [X.]eamtin untragbar erscheine, erst recht als [X.]eamtin im Justizdienst. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass sie selbst nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils noch als Prostituierte tätig geworden sei.

5

2. Die [X.]eschwerde hat keinen Verfahrensmangel aufgezeigt, auf dem die angegriffene Entscheidung des [X.]erufungsgerichts beruhen kann (§ 3 Abs. 1 [X.] NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

6

a) In der Ablehnung des [X.] und des damit in Zusammenhang stehenden Antrags auf [X.]eauftragung einer amtsärztlichen Untersuchung der [X.] liegt kein Gehörsverstoß.

7

Nach § 227 ZPO, der gemäß § 173 Satz 1 VwGO auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gilt, kann eine mündliche Verhandlung "aus erheblichen Gründen" verlegt oder vertagt werden. [X.]ei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "erheblichen Gründe" ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der [X.]eschleunigung des Verfahrens (vgl. etwa § 87b VwGO) und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen (Konzentrationsgebot, vgl. § 87 Abs. 1 VwGO), andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) Rechnung zu tragen. Letzteres verlangt, dem an einem gerichtlichen Verfahren [X.]eteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und tatsächliche und rechtliche Argumente im Prozess vortragen zu können ([X.], Urteil vom 11. April 1989 - 9 [X.] 55.88 - [X.] 310 § 104 VwGO Nr. 23 S. 4 m.w.[X.]). Allerdings ist der [X.]eteiligte gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, sodass letztlich nur eine ihm trotz zumutbaren eigenen [X.]emühens um die Erlangung rechtlichen Gehörs versagte Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind eine Vertagung rechtfertigende "erhebliche" Gründe im Sinne des § 227 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des [X.]eschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (stRspr, vgl. [X.], [X.]eschluss vom 29. April 2004 - 3 [X.] 119.03 - juris Rn. 3).

8

§ 102 Abs. 2 VwGO gestattet die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Entscheidung des Gerichts trotz Abwesenheit eines [X.]eteiligten, wenn in der Ladung - wie im vorliegenden Fall geschehen - auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Gleichwohl kann die Ablehnung eines Vertagungsantrages den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen, wenn die Terminverlegung aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 227 Abs. 1 ZPO, vgl. [X.], Urteile vom 26. Januar 1989 - 6 [X.] 66.86 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 212 S. 46 <49 f.>, vom 3. Juli 1987 - 8 [X.] 39.85 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 186 S. 12 <13 f.> und vom 27. März 1985 - 4 [X.] 79.84 - [X.] 303 § 227 ZPO Nr. 3 S. 2 sowie [X.]eschluss vom 28. August 1992 - 5 [X.] 159.91 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 252 S. 103 <104>). Allerdings erfordert die prozessuale Mitwirkungspflicht jedes [X.]eteiligten, dass ein Antrag auf Terminverlegung unverzüglich gestellt wird, nachdem die Verhinderung bekannt wird (stRspr, vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 29. April 2004 - 3 [X.] 119.03 - juris Rn. 4 m.w.[X.] und - 1 [X.] - [X.] 303 § 227 ZPO Nr. 32 = juris Rn. 4).

9

Ein erheblicher Grund für eine [X.] ist beispielsweise das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vertretung in der mündlichen Verhandlung, insbesondere wegen vorübergehender Verhandlungsunfähigkeit infolge einer Erkrankung ([X.], [X.]eschluss vom 25. Januar 2016 - 2 [X.] - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 75 Rn. 21). Das Ermessen des Gerichts verdichtet sich in diesem Fall angesichts des hohen Rangs des Anspruchs auf rechtliches Gehör regelmäßig auf eine Verpflichtung zur [X.]. Allerdings ist für eine wegen Verhinderung des Rechtsanwalts beantragte [X.] zu verlangen, dass die Abwesenheit des Rechtsanwalts nicht verschuldet ist. Ferner besteht keine Verpflichtung zur Terminverlegung, wenn der Antrag durch die Absicht der Prozessverschleppung getragen wird oder ansonsten gegen die prozessuale Mitwirkungspflicht eines [X.]eteiligten verstößt. Im Übrigen muss die Erkrankung oder sonstige Verhinderung des Prozessbevollmächtigten schlüssig aus dem beim Verwaltungsgericht vorgelegten Attest hervorgehen; die [X.]escheinigung muss so substantiiert sein, dass das Gericht auf ihrer Grundlage in der Lage ist, die Frage der behaupteten Verhandlungsunfähigkeit selbst zu beurteilen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 22. Mai 2001 - 8 [X.] - [X.] 303 § 227 ZPO Nr. 30 S. 6).

Es kann dahinstehen, ob dies in gleicher Weise für den [X.]eamten als [X.] im gerichtlichen Disziplinarverfahren gilt, wenn - wie hier - sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet ist. Denn die [X.]eschwerde legt nicht dar, dass die [X.]eklagte alles Erforderliche getan hat, um ihre Verhandlungsunfähigkeit dem [X.]erufungsgericht nachzuweisen.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2016 ist die [X.]eklagte zur mündlichen Verhandlung am 13. Juli 2016 geladen worden; die Ladung ist ihren Prozessbevollmächtigten und ihr persönlich zugestellt worden. Die Ladung enthielt die Hinweise, dass beim Ausbleiben eines [X.]eteiligten auch ohne ihn verhandelt werden könne und dass eine etwaige Verhandlungsunfähigkeit der [X.] durch Vorlage eines amtsärztlichen Attestes glaubhaft zu machen sei. Am Vortag der mündlichen Verhandlung, am 12. Juli 2016, teilte der Prozessbevollmächtigte dem [X.]erufungsgericht gegen 15:50 Uhr telefonisch mit, dass die [X.]eklagte kein amtsärztliches Attest beibringen könne. Mit per Telefax um 18:01 Uhr beim [X.]erufungsgericht eingegangenem Schreiben beantragte er, den Verhandlungstermin am Folgetag aufzuheben und einen Auftrag zur Überprüfung der Verhandlungsfähigkeit der [X.] zu erteilen. Die beigefügte [X.] vom 28. Juni 2016 eines Praktischen Arztes bescheinigte der [X.] eine Arbeitsunfähigkeit seit dem 7. April 2016 bis zum 31. Juli 2016 wegen einer "somatoformen Störung". Die [X.]eklagte habe versucht, die Krankheit amtsärztlich bestätigen zu lassen. Dies sei jedoch nicht möglich gewesen, weil das Gesundheitsamt sich nicht in der Lage gesehen habe, ohne Auftrag des Gerichts tätig zu werden. Nach der zur Glaubhaftmachung übermittelten "eidesstattlichen Versicherung", die weder ein Datum noch einen Adressaten enthielt, versicherte die [X.]eklagte, dass sie mit dem Gesundheitsamt telefonisch Kontakt aufgenommen habe, um die aus ihrer Sicht vorliegende Verhandlungsunfähigkeit bescheinigen zulassen, aber dort die Information erhalten habe, dass das Gesundheitsamt nur auf Antrag des Gerichts hin tätig werden könne. In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht am 13. Juli 2016 hat der Prozessbevollmächtigte angegeben, in einem Telefonat am Ende der Vorwoche, wohl am 7. Juli 2016, von der [X.] erfahren zu haben, dass sie krank sei. Er habe sie auf die mit der Ladung bekannt gegebenen Anforderungen aufmerksam gemacht. Das Telefonat der [X.] mit dem Gesundheitsamt müsse zwischen dem 7. und dem 12. Juli gewesen sein.

Damit hat die [X.]eschwerde nicht dargelegt, dass sie dem [X.]erufungsgericht einen erheblichen Grund für eine Vertagung unterbreitet hat. Die [X.]eklagte hat nach dem [X.]eschwerdevortrag nicht alles Erforderliche getan, um sich im [X.]erufungsverfahren rechtliches Gehör zu verschaffen. Unabhängig davon, dass auch die Glaubhaftmachung defizitär ist, hätte die [X.]eklagte, die bereits in der 1. Instanz krankheitsbedingt nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte und auch vor der [X.]erufungsverhandlung schon seit Monaten arbeitsunfähig war, sich rechtzeitig Kenntnis über die Modalitäten einer amtsärztlichen Untersuchung zur Feststellung einer Verhandlungsunfähigkeit verschaffen müssen und ggf. rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin beim [X.]erufungsgericht um einen entsprechenden Auftrag an das Gesundheitsamt bitten müssen. Dass sie hierzu gesundheitlich nicht in der Lage gewesen wäre, ggf. mit Hilfe ihres Prozessbevollmächtigten, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

b) Die Einbeziehung der Teilnahme der [X.] an der sogenannten "[X.]" in die Prüfung des Dienstvergehens durch das [X.]erufungsgericht ist nicht verfahrensfehlerhaft.

aa) Hierin liegt entgegen der Ansicht der [X.]eschwerde kein Verstoß gegen die [X.] nach § 20 Abs. 1 Satz 2 [X.] NRW. Nach dieser [X.]estimmung ist der [X.]eamte nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens darauf hinzuweisen, dass es ihm freisteht, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sich jederzeit eines [X.]evollmächtigten oder [X.]eistands zu bedienen. Wie das [X.]erufungsgericht ([X.]) zutreffend ausführt, hat der Verstoß gegen die [X.] nach § 20 Abs. 3 [X.] NRW nur die Unverwertbarkeit einer ohne solche [X.]elehrung gemachten Aussage des [X.]eamten, nicht aber das Entfallen des disziplinarrechtlichen Vorwurfs zur Folge. Ebenfalls zutreffend hat das [X.]erufungsgericht angenommen, dass die [X.]eklagte durch den entsprechenden Vorhalt über den disziplinarrechtlichen Vorwurf unterrichtet worden ist und dieser Vorwurf der [X.] von Anfang an bekannt war.

bb) Die Einbeziehung der Teilnahme der [X.] an der sogenannten "[X.]" verstößt auch nicht gegen die [X.]egrenzung der Urteilsfindung auf die in der Klage oder Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegten Handlungen.

Nach § 59 Abs. 2 Satz 1 [X.] NRW dürfen bei einer [X.] nur diejenigen Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem [X.]eamten in der Klage oder der Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden. Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 [X.] NRW muss die Klageschrift - und ggf. die Nachtragsdisziplinarklageschrift - die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und [X.]eweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen (ebenso § 52 Abs. 1 Satz 2 [X.] und die entsprechenden [X.]estimmungen der anderen Landesdisziplinargesetze). Die Vorschrift knüpft an die weitgehend wortgleiche Vorgängerregelung des § 65 Halbs. 2 [X.] an. Sie überträgt die Anforderungen, die § 65 Halbs. 2 [X.] für die Anschuldigungsschrift festgelegt hat, inhaltlich unverändert auf die Klageschrift. Daher kann die Rechtsprechung des Disziplinarsenats des [X.] zum [X.]edeutungsgehalt des § 65 Halbs. 2 [X.] für die Auslegung des § 52 Abs. 1 Satz 2 [X.] herangezogen werden. Ebenso wie früher die Anschuldigungsschrift muss die Klageschrift die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich darstellen ([X.], Urteil vom 25. Januar 2007 - 2 A 3.05 - [X.] 235.1 § 52 [X.] Nr. 4 Rn. 27 m.w.[X.]).

Die Klageschrift muss Ort und [X.] der einzelnen Handlungen möglichst genau angeben und die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschreiben. Dadurch wird sichergestellt, dass sich der [X.]eamte gegen die disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Außerdem tragen die gesetzlichen Anforderungen an die Klageschrift dem Umstand Rechnung, dass sie Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festlegt. Denn gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 [X.] NRW dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem [X.]eamten in der Klage oder der Nachtragsklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind. Aus der Klageschrift muss bei verständiger Lektüre deshalb eindeutig hervorgehen, welche konkreten Handlungen dem [X.]eamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden ([X.], Urteil vom 25. Januar 2007 - 2 A 3.05 - [X.] 235.1 § 52 [X.] Nr. 4 Rn. 27 f., [X.]eschlüsse vom 20. Dezember 2011 - 2 [X.] 59.11 - juris Rn. 5 m.w.[X.], vom 17. Juli 2013 - 2 [X.] 27.12 - juris Rn. 14 und vom 9. Oktober 2014 - 2 [X.] 60.14 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 26 Rn. 17).

In der im Oktober 2011 erhobenen [X.] wurde der [X.] neben der Ausübung der Prostitution zu bestimmten [X.]en und an bestimmten Orten sowie der Ausübung dieser Tätigkeiten als ungenehmigte Nebentätigkeiten u.a. zur Last gelegt, in der [X.] vor September 2009, wahrscheinlich am 21. Mai 2009, im Rahmen einer "[X.]" in [X.] an der Erstellung von Fotoreihen mit eindeutig pornographischen Szenen mitgewirkt und ermöglicht zu haben, dass diese auf kostenpflichtigen [X.]seiten veröffentlicht und somit für jedermann einsehbar geworden seien. Dies kann nur so verstanden werden - und wurde von der [X.] im Verfahren auch so verstanden -, dass sich der disziplinarrechtliche Vorwurf bezüglich des Geschehens bei der "[X.]" in [X.] sowohl auf die Teilnahme als solche als auch darauf erstreckte, dass die [X.]eklagte an der Erstellung der bei dieser Gelegenheit angefertigten Fotoreihen mitgewirkt und deren spätere Veröffentlichung ermöglicht hat. Denn es handelt sich um einen einheitlichen Lebenssachverhalt, bei dem das Ermöglichen der Fotos und ihrer Veröffentlichung notwendigerweise das fotografierte Geschehen - und damit die Teilnahme an der sogenannten "[X.]" - einschloss.

c) Ein Verstoß gegen die Gebote des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und der Unmittelbarkeit der [X.]eweisaufnahme (§ 57 Abs. 1 [X.] NRW) dadurch, dass das [X.]erufungsgericht die Angaben der [X.] im Strafverfahren zur Freiwilligkeit der Ausübung der Prostitution in einem bestimmten [X.]raum - zudem ohne persönliche Anhörung der [X.] - für glaubhaft und ihre dem widersprechenden Angaben im Disziplinarverfahren für unglaubhaft gehalten hat, liegt nicht vor.

Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der [X.]eurteilung des [X.] nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. [X.] ist damit nicht das Ergebnis der [X.]eweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also beispielsweise entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert (stRspr, vgl. etwa [X.], [X.]eschluss vom 20. Dezember 2016 - 2 [X.] 110.15 - juris Rn. 8 m.w.[X.]). Die Einhaltung der verfahrensmäßigen Verpflichtungen des [X.]s ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein [X.]eteiligter ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Die [X.]eweiswürdigung des [X.]s darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen (stRspr, vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 12. Januar 1995 - 4 [X.] 197.94 - [X.] 406.12 § 22 [X.]auNVO Nr. 4 S. 4, vom 2. November 1995 - 9 [X.] 710.94 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f. und vom 8. April 2008 - 9 [X.] 13.08 - [X.] 451.29 Schornsteinfeger Nr. 44 Rn. 10). Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz hat jedoch dann den [X.]harakter eines Verfahrensfehlers, wenn das [X.] allgemeine Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigungsgrundsätze verletzt (stRspr, vgl. [X.], [X.]eschluss vom 8. Februar 2017 - 2 [X.] 2.16 - juris Rn. 15).

Die Frage, wie sich widersprechende Äußerungen zu bewerten sind, insbesondere ob eine davon für glaubhaft gehalten wird, gehört zu der dem [X.] zukommenden [X.]eweiswürdigung. Die Ausführungen des [X.]erufungsgerichts ([X.]) lassen Rechtsfehler, insbesondere eine Verletzung allgemeiner Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigungsgrundsätze, nicht erkennen.

d) Ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO), das Schuldprinzip im Disziplinarrecht und die [X.]egrenzung der Urteilsfindung im [X.]verfahren auf die dem [X.]eamten in der [X.] als Dienstvergehen zur Last gelegten Handlungen (§ 59 Abs. 2 [X.] NRW) durch die Heranziehung von nicht zum Gegenstand der [X.] gemachten Straftaten der [X.] im Rahmen der Erörterung ihrer Persönlichkeit liegt nicht vor.

Zwar dürfen gemäß § 59 Abs. 2 [X.] NRW bei einer [X.] nur diejenigen Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem [X.]eamten in der Klage oder in der Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden. Allerdings ist bei der [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 2 [X.] NRW nicht nur die Schwere des Dienstvergehens, sondern auch das Persönlichkeitsbild des [X.]eamten und der Umfang der [X.] beim Dienstherr oder der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Somit ist die Schwere des Dienstvergehens maßgebendes [X.]emessungskriterium für die [X.]estimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die [X.]estimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des [X.]eamten und zum Umfang der [X.] im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist. Deshalb dürfen die nach der Schwere des Dienstvergehens angezeigten Regeleinstufungen nicht schematisch angewandt werden. Je schwerwiegender das Dienstvergehen oder die mit ihm einhergehende [X.] ist, umso gewichtiger müssen die sich aus dem Persönlichkeitsbild ergebenden mildernden Umstände sein, um gleichwohl eine andere Maßnahme zu rechtfertigen. Umgekehrt können Gesichtspunkte des Persönlichkeitsbildes oder eine besondere [X.] auch die Maßnahmeschärfung rechtfertigen. Maßstab ist hierbei, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem [X.]eamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen könnte, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde (stRspr, vgl. nur [X.], Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 [X.] 63.11 - [X.]E 147, 229 Rn. 13 ff. <19> m.w.[X.]).

Entgegen der Ansicht der [X.]eschwerde können damit auch Umstände, die nicht Gegenstand des [X.] sind, aber zum Persönlichkeitsbild des [X.]eamten gehören, für die [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme herangezogen werden. Im vorliegenden Fall hat das [X.]erufungsgericht im Hinblick auf die Schwere der [X.] die [X.] für geboten gehalten und diese Einschätzung im Hinblick auf die Persönlichkeit der [X.] bestätigt gesehen. Dies ist nicht verfahrensfehlerhaft und insbesondere auch deshalb kein Gehörsverstoß, weil ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht "auch die strafrechtlichen Auffälligkeiten der [X.] während des Disziplinarverfahrens u.a. mit [X.]lick auf ihr Persönlichkeitsbild thematisiert" worden sind (S. 5 der Niederschrift).

d) Schließlich liegt in der [X.] zur Schuldfähigkeit der [X.] im [X.]raum von Juni bis Dezember 2011 auch kein Verstoß gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht nach § 57 Abs. 1 [X.] NRW.

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 57 Abs. 1 [X.] NRW, § 58 Abs. 1 [X.] und § 86 Abs. 1 VwGO nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des [X.]erufungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in [X.]etracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des [X.]s zu einer für den [X.]eschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Die Aufklärungsrüge stellt zudem kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es unterlassen hat, einen [X.]eweisantrag zu stellen. Deshalb muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem [X.], insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. etwa [X.], Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 [X.] 52.65 - [X.]E 31, 212 <217 f.>; [X.]eschlüsse vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 und zuletzt vom 27. Dezember 2016 - 2 [X.] 126.15 - juris Rn. 22).

Die [X.]eschwerde legt nicht in einer den beschriebenen Anforderungen genügenden Weise dar, warum sich dem [X.]erufungsgericht die nunmehr für erforderlich gehaltene [X.]eweiserhebung hätte aufdrängen müssen, zumal der Prozessbevollmächtigte der [X.] in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht einen entsprechenden [X.]eweisantrag nicht gestellt hat.

3. Einer Festsetzung des Streitwerts für das [X.]eschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 [X.] NRW erhoben werden.

Meta

2 B 69/16

20.04.2017

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 13. Juli 2016, Az: 3d A 1112/13.O, Urteil

§ 52 Abs 1 S 2 BDG, § 13 Abs 3 DG NW 2004, § 20 Abs 1 S 2 DG NW 2004, § 3 Abs 1 DG NW 2004, § 52 Abs 2 S 1 DG NW 2004, § 57 Abs 1 DG NW 2004, § 59 Abs 2 S 1 DG NW 2004, § 102 Abs 2 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 227 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.04.2017, Az. 2 B 69/16 (REWIS RS 2017, 12286)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12286

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 M 235/16

B 9 V 66/17 B

11 ZB 17.30559

5 UF 137/18

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