Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.08.2016, Az. VI ZB 17/16

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 6721

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:160816BVIZB17.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

VI [X.]

vom

16. August 2016

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

ZPO § 574 Abs. 2; § 522; § 3; GKG § 48 Abs. 2

1.
Weist das Berufungsgericht die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück, ob-wohl es die Berufung wegen Nichterreichens des [X.] des §
511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für unzulässig erachtet hat, ist die Rechtsbeschwerde gemäß §
522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft.
2.
Für die Bemessung des [X.] eines Berufungsantrags auf Unterlas-sung eines Eintrags in [X.], in dem ein minderjähriges Kind beleidigt wird, kommt es nicht nur auf die Breitenwirkung des Eintrags an, sondern auch auf die Wirkung der beleidigenden Äußerungen auf das Kind selbst. Dabei ist auch zu be-rücksichtigen, dass das Kind ein Recht auf ungehinderte Entfaltung seiner Persön-lichkeit und ungestörte kindgemäße Entwicklung hat (vgl. Senatsurteile vom 15.
September 2015 -
VI [X.], [X.], 347 Rn. 18; vom 5. November 2013 -
VI [X.], [X.], 346 Rn. 17, jeweils mwN).
3.
Der Antrag auf [X.] von Rubrum und [X.] auf Face-book ist auf Folgenbeseitigung gerichtet, die als selbständige Rechtsfolge neben die Verpflichtung zur Unterlassung hinzutritt. Ihm kommt daher ein eigener Wert zu, der mit dem Wert des [X.] gemäß § 5 ZPO zusammenzu-rechnen ist.

[X.], Beschluss vom 16. August 2016 -
VI [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am 16. August 2016
durch den Vorsitzenden [X.], die
Richter Wellner
und Stöhr und
die Richterinnen
von Pentz und Müller

beschlossen:
Auf die
Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss
der
6. Zivilkammer
des [X.] vom 18. März 2016 auf-gehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
2.5.

Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung ehrverletzender [X.] und auf [X.] des begehrten Unterlassungsausspruchs auf dem [X.]-Profil der Beklagten in Anspruch.
Die Beklagte, Mutter eines
damals zehnjährigen Mädchens, das
Mitschü-lerin des damals zehnjährigen [X.] war, veröffentlichte im März 2015 auf ihrem [X.]-Profil einen Beitrag, in welchem sie schrieb, dass ihre Tochter 1
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von einem "a[X.] Abschaum", an anderer Stelle des Beitrags als "Ab-schaum
Blag"
bezeichnet,
in der Schule "vermöbelt"
worden sei.
Der Kläger behauptet, Hintergrund sei eine leichte körperliche Auseinandersetzung zwi-schen ihm und der Tochter der Beklagten
im Sportunterricht
gewesen, mit der die Tochter der Beklagten begonnen habe. Die Lehrerin habe beide Kinder da-zu angehalten, sich gegenseitig zu entschuldigen,
und
den Vorfall als harmlos angesehen. Auch wenn der Kläger in dem Beitrag nicht namentlich benannt sei, ergebe sich aus dem
Kontext
für diejenigen, die von dem Vorfall wüssten, dass der Kläger gemeint sei. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Äußerungen zu unterlassen, der Kläger habe die Tochter der Beklagten in der Schule "vermöbelt" und er sei "Abschaum", "asozial" und ein "Blag". Ferner hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Rubrum und [X.] der Entscheidung so auf ihrem [X.]-Profil zu veröffentlichen, dass sie
für den gesamten [X.]-Freundeskreis der Beklagten einsehbar sei. Den Streitwert hat er auf

beziffert.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und den Streitwert auf bis zu der dieser sein erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiterverfolgt hat, hat das Berufungsgericht den Kläger mit Beschluss vom 22. Februar 2016 darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sei, da der Streitwert nicht über

Es handele sich bei dem Unterlassungsanspruch um einen vermö-gensrechtlichen Anspruch, wobei die aufgrund der
beanstandeten Äußerungen verständiger
Weise zu besorgende Beeinträchtigung gemäß § 3 ZPO zu schät-zen sei. Die Äußerungen seien keinesfalls eindeutig als auf
den Kläger bezogen zu erkennen. Damit sei das Integritätsinteresse für den Unterlassungsanspruch und dessen [X.] auf [X.] lediglich geringer Natur.

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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. März 2016 hat das [X.]sgericht
sodann die Berufung des [X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zu-rückgewiesen und den Streitwert hat es auf den Hinweis vom 22. Februar 2016 Bezug genommen und [X.] ausgeführt, es
sei bereits nicht geklärt, ob der Kläger den [X.]ein-trag selbst bemerkt habe oder
erst durch seine Eltern auf ihn aufmerksam ge-macht worden sei. Es sei außerdem nicht vorgetragen und nicht im Ansatz er-kennbar, dass sich der Kläger selbst angesprochen gefühlt habe. Er sei -
außer allenfalls für einen kleinen Mitschülerkreis -
nicht identifizierbar. Wirtschaftliche oder persönliche Nachteile seien für den Kläger nicht gegeben.
Gegen diesen Beschluss
wendet sich der Kläger mit der
Rechtsbe-schwerde.

II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Zwar hat das Berufungsgericht die Berufung des [X.] gemäß §
522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Es hätte aber durch Beschluss ge-mäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO entscheiden müssen, weil es die Berufung we-gen Nichterreichens des [X.] des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für [X.] erachtet hat. Der Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO war nicht zulässig, weil die Zurückweisung der Berufung nach dieser Vorschrift die Zulässigkeit der Berufung voraussetzt (Ball in Musielak/[X.], ZPO, 13. Auflage, § 522 Rn. 20).
Durch den
Fehler des Berufungsgerichts dürfen dem Kläger keine Nachteile entstehen.
Vielmehr darf er
das Rechtsmittel einlegen, das bei richtiger Ent-scheidung durch
Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO statthaft wäre (Grundsatz der Meistbegünstigung, vgl. [X.], Urteil vom 17. Oktober 1986 4
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V
ZR 169/85, [X.]Z 98, 362, 364 f. mwN); dies ist vorliegend die Rechtsbe-schwerde gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

2.
Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, weil die
Siche-rung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert
(§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).
Das Berufungsge-richt hat dem Kläger den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumut-bar erschwert, indem es -
wie im Folgenden näher ausgeführt -
bei der [X.] die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht umfassend berücksichtigt und sein Ermessen somit fehlerhaft ausgeübt hat (vgl. [X.] vom 12. April 2016 -
VI [X.], [X.], 866 Rn. 5; vom 13. Ja-nuar 2015 -
VI ZB 29/14, VersR
2015, 471
Rn. 7,
jeweils
mwN).
3. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil die [X.] nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung als unzulässig verworfen werden kann.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts
handelt es sich bei den gel-tend gemachten Ansprüchen auf Unterlassung ehrverletzender Äußerungen und auf [X.] des begehrten Unterlassungsausspruchs um nicht-vermögensrechtliche Ansprüche, zumal der Kläger wirtschaftliche Nachteile nicht geltend macht (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Februar
1993 -
VI ZR
127/92, [X.], 614, 615; Senatsurteil vom 17. Oktober 1995 -
VI [X.], [X.], 999,
1000). Für die Bemessung der Beschwer nach freiem Ermessen
sind
alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang und Be-deutung der Sache zu berücksichtigen
(vgl. § 3 ZPO, § 48 Abs. 2 GKG).
a) Was die Bedeutung der Sache
-
bezogen auf die Unterlassungsanträ-ge
-
angeht, die sich nach dem Interesse des Berufungsklägers an der Unter-lassung richtet, hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Rechtsbe-7
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schwerde anders als das Amtsgericht nicht auf einen -
nicht streitgegenständli-chen
-
Schmerzensgeldanspruch, sondern im Ausgangspunkt
rechtsfehlerfrei
auf die verständiger
Weise zu besorgende Beeinträchtigung abgestellt, die von den beanstandeten Äußerungen ausgeht
und sich auf den [X.] [X.] des [X.] auswirken
kann. In diesem Zusammenhang hat es, was ebenfalls nicht zu beanstanden ist, berücksichtigt, dass der Kläger in dem [X.] nicht namentlich genannt und allenfalls für einen kleinen Kreis
von Personen
identifizierbar ist, die von der vom Kläger geschilderten Ausei-nandersetzung zwischen dem Kläger und der Tochter Kenntnis haben.
Die Bedeutung der Sache für den Kläger richtet sich allerdings nicht [X.] nach der Breitenwirkung
des [X.]eintrags,
sondern auch nach der verständiger
Weise anzunehmenden Wirkung des aus Sicht des [X.] unzu-treffenden Vorwurfs einer Gewalttat ("Vermöbeln") und der beleidigenden [X.] ("asozialer Abschaum" etc.) auf den Kläger
selbst. Die Begründung des
angefochtenen Beschlusses, es sei weder vorgetragen noch im Ansatz
erkenn-bar, dass sich der Kläger angesprochen gefühlt habe, ist angesichts des Vor-trags des [X.], der [X.]eintrag beziehe sich auf ihn,
er fasse die [X.] als ehrverletzend auf
und er sei "auf das Übelste beleidigt worden", nicht nachvollziehbar. Dabei ist
für sein Interesse an der Unterlassung der [X.] nicht entscheidend, wie er Kenntnis von dem [X.]eintrag [X.] hat.
Das Berufungsgericht hat ferner in seine Ermessensentscheidung [X.] nicht einbezogen, dass der Kläger als minderjähriges Kind ein Recht auf ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit und ungestörte kindgemäße Ent-wicklung hat (vgl. Senatsurteile vom 15. September 2015 -
VI [X.], [X.], 347 Rn. 18; vom 5. November 2013 -
VI [X.], [X.], 346 Rn.
17, jeweils
mwN). Das Recht jedes Kindes auf ungehinderte Entwicklung 11
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zur Persönlichkeit -
auf "Person werden" -
umfasst dabei sowohl die Privatsphä-re als auch die
kindgemäße Entwicklung und Entfaltung in der Öffentlichkeit (vgl. Senatsurteile vom 15. September 2015 -
VI [X.], aaO; [X.], [X.], 2191, 2192). Der [X.]eintrag ist geeignet, dieses Schutzgut zu [X.].
b) Zu den zu berücksichtigenden
Umständen des Einzelfalls gehört auch die Frage, unter welchen Umständen und aus welchem Anlass die beanstande-ten Äußerungen nach dem insoweit maßgeblichen Vortrag des [X.] getätigt
wurden
(vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl.,
Rn.
1831). Vorliegend soll
Auslöser eine vergleichsweise harmlose Auseinan-dersetzung unter zehnjährigen Schülern gewesen sein.
Daran gemessen [X.] sich die Äußerungen der Beklagten als eine unangemessene und unver-hältnismäßige
Reaktion
einer Erwachsenen
auf den Vorfall darstellen. Auch dies ist bei der Bemessung der Beschwer zu berücksichtigen.
c) Damit ergibt sich ein Beschwerdewert von deutlich

für den Unterlassungsantrag. Hinzu kommt der [X.], der in der Sache über den Inhalt des Unterlassungsanspruchs hinausgeht
und einen eigenen Streitgegenstand darstellt. Die [X.] ist Teil der [X.] und soll
als selbständige Rechtsfolge neben die Verpflichtung zur Un-terlassung hinzutreten. Ihr kommt daher ein eigener Wert zu, der mit dem Wert des [X.] gemäß § 5 ZPO
zusammenzurechnen ist
([X.], [X.] 1977, 142; [X.], [X.] 1972, 706; GRUR 1955, 450; [X.] in [X.]/[X.],
[X.],
14. Aufl.,
Rn.
5306, 5738; [X.] in [X.], ZPO, 31. Aufl., § 3 Rn. 16 "[X.]sbefugnis"; [X.] in [X.], ZPO, 37. Aufl., § 3 Rn. 158;
a.A. [X.], NJW 1959, 890; [X.], [X.], 190).
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4. Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Galke
Wellner
Stöhr

von Pentz
Müller

Vorinstanzen:
[X.],
Entscheidung vom 26.11.2015 -
65 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 18.03.2016 -
6 S 22/16 -

15

Meta

VI ZB 17/16

16.08.2016

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.08.2016, Az. VI ZB 17/16 (REWIS RS 2016, 6721)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6721

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VI ZB 17/16

VI ZR 175/14

VI ZR 304/12

VI ZB 48/14

VI ZB 29/14

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