Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.11.2016, Az. V ZB 73/16

V. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 2225

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:171116BVZB73.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]
vom

17. November 2016

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 43 Nr. 1
Wird ein Wohnungseigentümer von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. auf Widerruf von Äußerungen in Anspruch genommen, die er in der Wohnungseigentümerversammlung getätigt hat, liegt eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] vor, es sei denn, ein Zusammenhang mit dem [X.] der Wohnungseigentümer ist offensichtlich nicht ge-geben.
[X.], Beschluss vom 17. November 2016 -
V [X.] -
LG [X.]

[X.]

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 17. November 2016
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterinnen Prof.
Dr.
[X.]t-Räntsch und Dr.
Brückner, [X.]
Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 2.
Zivilkammer
des Landgerichts [X.] vom 3. Mai 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die [X.]en sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Unterlassung und Widerruf von [X.] in Anspruch, die dieser im Rahmen einer Versammlung der Wohnungsei-gentümer
getätigt hat. Das Amtsgericht
hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des [X.] hat das [X.] als unzulässig [X.]. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Kläger
die Aufhebung des [X.]
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fochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das [X.], hilfsweise an das [X.] erreichen.

II.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil sie nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen [X.] einge-legt worden ist. Es handele sich um eine
Streitsache
im Sinne des § 43 Nr. 1 [X.]. Die Voraussetzungen für eine Verweisung des Rechtsstreits an das zu-ständige [X.] lägen nicht vor.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ein Zulassungsgrund ist gegeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO eine Entscheidung des [X.] erfordert. Das Berufungsgericht hat dem Kläger den Zugang zu dem von der Zivilpro-zessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert
(siehe 2.b). Dies verletzt seinen Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. [X.] 77, 275, 284) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (Senat, Beschluss vom 20.
Februar 2014 -
V [X.], [X.] 2014, 441
Rn. 4; Beschluss vom 23.
Oktober 2003 -
V [X.], [X.], 367, 368 mwN).
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2. Das Rechtsmittel ist auch in der Sache begründet.

a) Allerdings verneint das Berufungsgericht seine Zuständigkeit zu Recht. Zuständig für die Entscheidung über die Berufung ist gemäß § 72 Abs. 2 GVG das [X.], weil der Streit der [X.]en eine Wohnungsei-gentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] ist.

aa) Zu den [X.] gehören gemäß § 43 Nr. 1 [X.] unter anderem Streitigkeiten über die sich aus der [X.] der [X.] ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander; diese Bestimmung ist weit auszulegen (Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014 -
V [X.], [X.] 2014, 441 Rn. 7;
Beschluss vom 10.
Dezember 2009 -
V [X.], [X.] 2010, 187 Rn. 7). Ausschlaggebend für die Zuständigkeit des Gerichts ist nicht die jeweilige Rechtsgrundlage, aus der die Ansprüche hergeleitet werden, sondern allein der Umstand, ob das von ei-nem Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn tref-fende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem [X.] der Wohnungseigentümer erwachsen ist (Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014 -
V [X.], [X.] 2014, 441 Rn. 7; Beschluss vom 26. September 2002 -
V [X.], [X.]Z 152, 136, 142; Urteil vom 30. Juni 1995 -
V [X.], [X.]Z 130, 159, 165).

bb) Daran
gemessen ist der Rechtsstreit als Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] einzuordnen.

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(1) Ob Streitigkeiten wegen unwahrer Tatsachenbehauptungen bzw.
ehr-verletzender Meinungsäußerungen [X.] sind, wird [X.] unterschiedlich beurteilt.

Teilweise wird angenommen, die nach § 43 [X.] für [X.] zuständigen
Gerichte
seien funktionell zuständig für Ansprüche unter Wohnungseigentümern wegen
ehrverletzender
Äußerungen, die in sol-chen Gerichtsverfahren
(vgl. [X.],
NJW-RR 2007, 162; [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 43 Rn.
138) oder im Rahmen einer Eigentümerversammlung ([X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 43 Rn. 73) getätigt worden sind. Nach ande-rer Ansicht fallen Streitigkeiten über ehrverletzende Äußerungen eines [X.]s nicht unter § 43 [X.] ([X.]/[X.], BGB [2005], § 43 [X.] Rn. 22; Sauren, [X.], 6. Aufl., § 43 Rn. 7).

Ein ähnliches Meinungsbild ergibt sich bei der vergleichbaren Frage da-nach, ob Streitigkeiten zwischen einem Wohnungseigentümer und dem [X.] [X.] nach § 43 Nr. 3 [X.] sind, wenn das Unterlas-sungs-
bzw. [X.] sich auf unwahre oder
ehrverletzende Äuße-rungen im Zusammenhang mit der Verwaltertätigkeit bezieht (bejahend BayObLG, [X.] 2001, 319; [X.], NJW-RR 2008, 1545;
Riecke/[X.]/Abramenko, [X.], 4. Aufl., § 43 Rn. 17; [X.], [X.] 2001, 312, 313; ablehnend [X.] 1989, 67; vgl. auch [X.]/[X.], BGB [2005], § 43 [X.] Rn. 32).

(2) Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass eine Streitigkeit im [X.] von § 43 Nr. 1 [X.] vorliegt, wenn ein Wohnungseigentümer von einem an-deren Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. auf Widerruf von [X.]
in Anspruch genommen wird, die er in einer Wohnungseigentümerver-9
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sammlung getätigt hat, es sei denn, ein Zusammenhang mit dem Gemein-schaftsverhältnis der Wohnungseigentümer ist offensichtlich nicht gegeben.

Äußerungen eines Wohnungseigentümers
in der
Eigentümerversamm-lung stehen in aller Regel in einem
Zusammenhang
mit den sich aus der [X.] der Wohnungseigentümer und
den sich
aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten
der [X.].
Der
Zusammenhang ergibt sich daraus, dass die Eigentü-merversammlung das Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemein-schaft
ist. Sie dient der Erörterung und Beschlussfassung. Äußerungen in der Versammlung der Wohnungseigentümer tragen zur
Meinungsbildung innerhalb der [X.] bei.
Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass eine Äußerung eines Wohnungseigentümers in keinem Zusammenhang mit dem Gemein-schaftsverhältnis steht.
Davon kann aber nur ausnahmsweise dann ausgegan-gen werden, wenn
die Äußerung nur gelegentlich
der Eigentümerversammlung getätigt
wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

b) Die angefochtene Entscheidung verletzt
jedoch deshalb den Anspruch des [X.] auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, weil
die Berufung als unzulässig verworfen worden ist. Zwar kann eine Berufung bei Vorliegen einer Streitigkeit nach § 43 Nr. 1 [X.] fristwahrend nur bei dem nach § 72 Abs.
2 GVG
zuständigen Berufungsgericht eingelegt werden. Eine bei dem [X.] Berufungsgericht eingelegte Berufung, die nicht rechtzeitig in die Verfü-gungsgewalt des richtigen Berufungsgerichts gelangt, kann grundsätzlich nicht in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an dieses Gericht verwiesen werden. Sie ist vielmehr als unzulässig zu verwerfen (vgl. Senat, Beschluss vom 10.
Dezember 2009 -
V [X.], [X.] 2010, 197 Rn. 9 mwN).

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Das gilt aber
nicht ausnahmslos. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Berufungsfrist in Ausnahmefällen auch durch Anrufung des funktionell
unzuständigen Berufungsgerichts
gewahrt und der Rechtsstreit entsprechend §
281 ZPO an das zuständige Gericht verwiesen
werden. So verhält es sich, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr.
6 [X.] vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung -
wie hier -
mit guten Gründen unterschiedli-cher Auffassung sein kann. Einer [X.] kann in einer solchen Konstellation nicht angesonnen werden, zur Meidung der Verwerfung ihres Rechtsmittels als unzulässig Berufung sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht
einzulegen als auch bei
dem des § 72 Abs. 2 GVG (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014 -
V [X.], [X.] 2014, 441 Rn. 15; Beschluss vom 10.
Dezember 2009 -
V [X.], [X.] 2010, 187 Rn. 9 ff.). Aus diesem Grund hätte das Berufungsgericht gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO darauf hinwirken müssen, dass der Kläger einen Antrag auf Verweisung an das zuständige [X.] in entsprechender Anwendung von §
281 ZPO stellt
(Senat, Beschluss vom 20. Februar 2014, aaO Rn. 15).

c) Da die Rechtsbeschwerde hilfsweise die ([X.] an das zuletzt genannte Gericht beantragt hat und ein solcher Antrag in Fällen der vor-liegenden Art zulässigerweise auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren ge-stellt werden kann (Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 -
V [X.], [X.] 2010, 187 Rn. 11; vgl. auch [X.],
Beschluss vom 4. Oktober 1978

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IV [X.], [X.]Z 72, 182, 198;
Urteil vom 9. November 1967 -
KZR 19/66, [X.]Z 49, 33, 39), ist die Sache unmittelbar an das nach § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG zuständige [X.] zu verweisen.

Stresemann [X.]t-Räntsch Brückner

Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:

[X.], Entscheidung vom 10.02.2016 -
31 C 629/15 -

LG [X.], Entscheidung vom 03.05.2016 -
2 [X.] -

Meta

V ZB 73/16

17.11.2016

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.11.2016, Az. V ZB 73/16 (REWIS RS 2016, 2225)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2225

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