Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.03.2023, Az. 1 StR 266/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1587

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Gegenstand

Berufsverbot wegen unzulässiger Cannabis-Verschreibung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Februar 2022 wird

a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte hinsichtlich Ziffer [X.] der Urteilsgründe in den Fällen 23, 24, 149, 150, 171 bis 175, 245 bis 248, 299 bis 302, 336 bis 345, 358, 359, 390, 392, 421 bis 424, 430, 431 und 433 bis 436 verurteilt worden ist;

b) das Verfahren gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte hinsichtlich Ziffer [X.] der Urteilsgründe in den Fällen 363, 364, 366 bis 370, 391 und 488 bis 522 verurteilt worden ist;

c) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in 455 Fällen, des vorsätzlichen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe und des Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig ist;

d) der Strafausspruch dahin geändert, dass der Tagessatz der im Fall III.3. der Urteilsgründe verhängten Einzelgeldstrafe auf 10 Euro festgesetzt wird;

e) der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin geändert, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 43.110 Euro angeordnet ist; die darüber hinaus gehende Einziehungsanordnung entfällt;

f) der Ausspruch über das Berufsverbot aufgehoben; diese Maßregel entfällt.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers jeweils der Staatskasse zur Last. Die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels hat der Beschwerdeführer zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen des Verschreibens von Betäubungsmitteln entgegen § 13 Abs. 1 BtMG in 539 Fällen, hiervon in 24 Fällen in Tateinheit mit „Zuwiderhandlung einer Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtmG“ sowie des vorsätzlichen „unerlaubten“ Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe und des „vorsätzlichen unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 47.740 Euro angeordnet sowie für die Dauer von drei Jahren ein beschränktes Berufsverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Das [X.] hat – soweit für die Revision von Relevanz – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

a) Der Angeklagte ist praktischer Arzt. Nachdem mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 eine ärztliche Verordnung von Cannabisblüten und Extrakten aus Cannabis mittels eines Betäubungsmittelrezeptes ermöglicht worden war, beschloss er, unter dem Deckmantel seiner ärztlichen Zulassung Handel mit Marihuana zu betreiben. Er mietete hierzu Praxisräume an und verschrieb in der [X.] von März 2017 bis Juli 2018 in mehreren hundert Fällen Cannabis an eine Vielzahl von "Patienten" ohne medizinische Indikation und ohne diese vorher körperlich untersucht zu haben. Seine Leistungen rechnete er nicht nach der Gebührenordnung für Ärzte ab, sondern verlangte Barzahlungen in Höhe von 120 Euro (im Jahr 2017) beziehungsweise 150 Euro (ab 2018) für eine Erstverschreibung und in Höhe von 60 Euro für eine Folgeverordnung. Er vereinnahmte insgesamt mindestens 48.300 Euro.

4

b) Das [X.] hat diese Taten jeweils als – gewerbsmäßiges – Verschreiben von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6a BtMG gewertet und gegen den Angeklagten, ausgehend von dem Strafrahmen des § 29 Abs. 3 Satz 1 BtMG, grundsätzlich [X.] von je einem Jahr und zwei Monaten verhängt. [X.] von je einem Jahr und sechs Monaten hat es u.a. in den Fällen verhängt, in denen sich die jeweilige Verschreibung auf eine nicht geringe Menge von Betäubungsmitteln bezog.

5

2. Auf Antrag des [X.] stellt der [X.] das Verfahren hinsichtlich Ziffer [X.] der Urteilsgründe in den Fällen 23, 24, 149, 150, 171 bis 175, 245 bis 248, 299 bis 302, 336 bis 345, 358, 359, 390, 392, 421 bis 424, 430, 431 und 433 bis 436 aus prozessökonomischen Erwägungen gemäß § 154 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO ein.

6

3. Die Revision führt zudem zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO, soweit der Angeklagte in den Fällen 363, 364, 366 bis 370, 391, 488 bis 522 der Ziffer [X.] der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Insoweit steht seiner Verurteilung die bereits vom [X.] vorgenommene Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO entgegen. Mit der wirksamen Einstellung durch Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO entsteht ein Verfahrenshindernis, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist ([X.], Beschluss vom 8. Juni 2021 – 2 [X.] Rn. 2 mwN).

7

4. Die vorgenannten [X.]en des Verfahrens ziehen die Änderung des Schuldspruchs nach sich, den der [X.] neu fasst. Zugleich lässt der [X.] die Kennzeichnung der Taten als „unerlaubt“ im Hinblick auf den Besitz von Betäubungsmitteln und einer halbautomatischen Kurzwaffe im Tenor des angefochtenen Urteils entfallen; sie ist entbehrlich (vgl. [X.], Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 [X.] Rn. 35 und Beschluss vom 14. Dezember 2022 – 3 [X.] Rn. 6 mwN). Hinsichtlich des Betäubungsmitteldelikts gilt dies auch für die Schuldform.

8

5. Die Verfahrenseinstellungen haben den Wegfall der jeweiligen Einzelstrafe zur Folge. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat hingegen Bestand. Der [X.] kann ausschließen, dass das [X.] aus den verbleibenden 175 [X.] von einem Jahr und sechs Monaten, 280 [X.] von einem Jahr und zwei Monaten, einer Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten sowie einer Einzelgeldstrafe von 120 Tagessätzen auf eine geringere als die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt hätte.

9

Soweit das [X.] unter Ziffer [X.] (1. Spiegelstrich) der Urteilsgründe [X.] von je einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt hat für alle Taten, bei denen die ärztlich nicht indizierte Verschreibung den Grenzwert für die nicht geringe Menge von 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol überschritt (vgl. die tabellarische Darstellung unter Ziffer [X.] der Urteilsgründe, dort die Spalten 6 und 7), hat es versehentlich die Fälle 7, 92, 237, 321 und 325 als zu dem Kreis der betroffenen Taten gehörend kenntlich gemacht; zugleich hat es eine entsprechende Kenntlichmachung der Fälle 6, 236, 240 und 393 unterlassen. Der [X.] stellt klar, dass das [X.] wegen Überschreitens des vorgenannten Grenzwertes (auch) in den [X.], 236, 240 und 393 [X.] von jeweils einem Jahr und sechs Monaten verhängt hat, in den [X.], 92, 237, 321 und 325 hingegen [X.] von je einem Jahr und zwei Monaten gemäß Ziffer [X.] (4. Spiegelstrich) der Urteilsgründe.

6. Im Fall III.3. der Urteilsgründe hat das [X.] den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt und dafür eine Einzelgeldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt. Die Höhe des Tagessatzes hat es rechtsfehlerhaft nicht bestimmt. Dieser Festsetzung bedarf es jedoch auch dann, wenn – wie hier – aus Geld- und Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 2021 – 4 [X.] mwN). Ausgehend von den Feststellungen der [X.] zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten setzt der [X.], dem Antrag des [X.] folgend, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 3 [X.]) die [X.] auf 10 Euro fest (§ 40 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 StGB).

7. [X.] (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.

a) Angesichts der Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den von der [X.] betroffenen Fällen (vorstehend unter 2.) musste zunächst die daran anknüpfende Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.030 Euro entfallen.

b) Darüber hinaus tragen die Feststellungen auch nicht die vom [X.] angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB in vollem Umfang. Danach stellte der Angeklagte in den dem geänderten Schuldspruch zugrunde liegenden Fällen 142 Erstverschreibungen im Jahr 2017, 81 Erstverschreibungen im Jahr 2018 und insgesamt 232 Folgeverschreibungen aus. Hierzu hat der [X.] berücksichtigt, dass die Fälle 138, 371 und 372, die in der Tabelle unter Ziffer [X.] der Urteilsgründe als Erstverschreibungen erscheinen, tatsächlich Folgeverschreibungen betreffen, welche auf anderweitige Erstverschreibungen folgten, hinsichtlich derer das [X.] das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Der Angeklagte hat danach einen Gesamtbetrag von 43.110 Euro erlangt.

Der [X.] setzt daher die Anordnung der Einziehung entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf einen Betrag von 43.110 Euro herab.

8. Auch das Berufsverbot als Arzt für den Bereich der Verschreibung von Betäubungsmitteln hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Hierzu hat der [X.] in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Die [X.] lässt bereits nicht erkennen, dass sie sich des ihr durch die Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB auf der Rechtsfolgenseite eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist ([X.]; vgl. [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2019 - 4 StR 538/18 -, Rn. 7 m.w.N.). Es erschließt sich zudem nicht, weshalb allein die Anzahl der abgeurteilten Taten die Gefahr begründen soll, dass der Angeklagte weitere derartige Taten begeht (vgl. [X.]). So hat der 69-jährige Angeklagte seine [X.] als Arzt zurückgegeben. Laut den Strafzumessungserwägungen der [X.] soll eine Wiederholungsgefahr gerade nicht gegeben sein ([X.]5, 59).“

Dem schließt sich der [X.] an.

9. Abschließend weist der [X.] darauf hin, dass die Tat 426 der Anklageschrift vom 21. Januar 2020, anders als von dem [X.] angenommen, zum Gegenstand des Urteils geworden (Ziffer [X.] Fall 411) und daher nicht bei dem [X.] anhängig geblieben ist.

Jäger     

  

Wimmer     

  

Leplow

  

Allgayer     

  

Munk     

  

Meta

1 StR 266/22

20.03.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 9. Februar 2022, Az: 19 KLs 370 Js 130932/18

§ 13 Abs 1 BtMG, § 13 Abs 3 S 2 Nr 1 BtMG, § 29 Abs 1 S 1 Nr 6a BtMG, § 29 Abs 3 S 1 BtMG, § 70 Abs 1 S 1 StGB, § 73 Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 154 Abs 2 StPO, § 206a Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.03.2023, Az. 1 StR 266/22 (REWIS RS 2023, 1587)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1587

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