Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.03.2015, Az. 5 AZR 602/13

5. Senat | REWIS RS 2015, 13494

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Gegenstand

Umfang der Arbeitszeit - "Überstundenschätzung"


Leitsatz

1. Fehlt es an einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Bestimmung des Umfangs der Arbeitszeit, darf der durchschnittliche Arbeitnehmer die Klausel, er werde "in Vollzeit" beschäftigt, so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit 40 Wochenstunden nicht übersteigt.

2. Steht fest (§ 286 ZPO), dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht den Mindestumfang geleisteter Überstunden nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen.

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. April 2013 - 8 Sa 1649/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Vergütung von Überstunden.

2

Die Beklagte betreibt ein Unternehmen des privaten [X.]. Der 1956 geborene Kläger absolvierte nach vorangegangener Arbeitslosigkeit bei ihr im April 2011 eine Maßnahme zur beruflichen Eingliederung und war anschließend vom 1. Mai 2011 bis zum 31. März 2012 als Busfahrer im Linienverkehr gegen ein Bruttomonatsgehalt von 1.800,00 Euro beschäftigt.

3

Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der Arbeitsvertrag vom 29. April 2011, in dem es ua. heißt:

        

„§ 1   

        

Inhalt, Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses

        

Der [X.] wird ab 01.05.2011 bis 01.05.2012 im Rahmen eines gewerblichen befristeten Arbeitsverhältnisses als Busfahrer in Vollzeit beschäftigt.

        

…       

        

§ 3     

        

Arbeitsentgelt

        

Der Arbeitnehmer erhält monatlich 1.800,00 [X.] brutto [X.] 6,00 [X.] (>8 Std.) bzw. 12,00 [X.] (>14 Std.) Spesen pro Arbeitstag. Auf das Gehalt wird am 1. eines jeden Monats ein Abschlag gezahlt in Höhe von 600,00 [X.] netto und das Restgehalt wird zum 15. eines Monats ausgezahlt. Zu diesem Termin werden auch die Spesen abgerechnet.

                 
        

§ 4     

        

Arbeitszeit

        

Die Arbeitszeit ist dem Arbeitnehmer bekannt. Er hat im Monat 2 Samstage und jeden Sonntag frei. Dies kann durch die Geschäftsleitung, kurzfristig geändert werden, z.B. Samstag und Sonntag arbeiten, dafür freie Tage in der Woche. Der Arbeitnehmer kann auch zu anderen Arbeiten herangezogen werden z.B. [X.], Bürohilfe, Hausmeister, Gartenpflege etc..

        

…       

        

§ 8     

        

Aufgaben des Arbeitnehmers / Betrieblicher Ablauf

        

…       

        

7.    

Vor Antritt einer jeden Fahrt ist eine Abfahrtskontrolle am Fahrzeug durchzuführen. Falls Fahrzeuge Mängel aufweisen, so ist ein Mängelzettel auszufüllen und dieser ist am [X.] auszuhängen. Bei schwerwiegenden Mängeln ist zusätzlich entweder das Büro oder die Werkstatt zu informieren.

        

8.    

Die [X.] müssen von jedem Fahrer ausgefüllt werden. Hierbei handelt es sich um eine Kartei, die belegt, dass eine Abfahrtskontrolle durchgeführt wurde und evtl. Mängel und Schäden am zu führenden Fahrzeug gemeldet wurden. Diese Karteikarte ist von jedem Fahrer vor Dienstantritt auszufüllen! Die Karteikarte stellt einen wichtigen Beitrag zum reibungslosen sowie sicheren Betriebsablauf dar. Die zweite Karteikarte dient als Nachweis der gefahrenen km und des getankten Treibstoffes.

        

…       

        
        

10.     

Die eingesetzten Busse sind nach jedem Dienst zu betanken, zu waschen, der [X.] ist besenrein zu hinterlassen. Bei Zuwiderhandlungen müssen Sie mit Lohnkürzung (15,- € pro Vergehen) rechnen.(…)“

4

Der Kläger wurde auf 14 verschiedenen Bustouren im Linienverkehr eingesetzt, deren Beginn und Ende sich einschließlich der Wartezeiten wie folgt darstellen: [X.] von 5:50 bis 16:19 Uhr, [X.] von 6:54 bis 19:19 Uhr, [X.] von 6:40 bis 17:01 Uhr, [X.] von 6:35 bis 18:33 Uhr, [X.] Ferien von 4:20 bis 15:15 Uhr, [X.] Ferien von 15:15 bis 21:00 Uhr, [X.] Ferien von 5:45 bis 19:09 Uhr, [X.] Ferien von 6:20 bis 15:09 Uhr, [X.] 5 Ferien von 9:00 bis 19:59 Uhr, [X.] samstags von 8:03 bis 20:09 Uhr, [X.] samstags von 6:49 bis 15:28 Uhr, [X.] samstags von 10:00 bis 19:45 Uhr, [X.] samstags von 7:00 bis 16:24 Uhr und [X.] 5 samstags von 16:25 bis 0:38 Uhr. Ferner musste der Kläger vor Antritt und nach Beendigung der Fahrten die arbeitsvertraglich festgehaltenen Kontrollmaßnahmen und [X.] ausführen, deren Dauer zwischen den Parteien streitig geblieben ist. Gleiches gilt für die Fahrten vom Betrieb zur ersten Haltestellte und von der letzten Haltestelle zum Betrieb.

5

Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger mit der am 15. Mai 2012 eingereichten Klage für den [X.], ausgehend von einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden, die Vergütung von 649,65 Überstunden verlangt. Er hat dazu für jeden Arbeitstag des [X.]raums Juni 2011 bis März 2012 unter Angabe des benutzten Fahrzeugs und der gefahrenen Linie Anfang und Ende der Arbeit dargelegt und bei seiner Berechnung arbeitstäglich eine Stunde Pause berücksichtigt. Darüber hinausgehende Wartezeiten seien keine Pausen im Rechtssinne gewesen. Für jede Überstunde hat der Kläger einen mit dem Divisor 176 von dem vereinbarten Monatsentgelt heruntergerechneten [X.] von 10,22 Euro angesetzt.

6

Der Kläger hat in den Vorinstanzen beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.644,14 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. April 2012 zu zahlen.

7

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, Überstunden könnten nicht angefallen sein, weil der Kläger als Arbeitszeit die [X.] geschuldet habe, die er für die Erledigung der ihm zugewiesenen Arbeiten benötigte. Dies sei dem Kläger aufgrund der dem Arbeitsverhältnis vorangegangenen Fördermaßnahme bekannt gewesen. Im Übrigen seien bei einer überschlägigen Berechnung im Durchschnitt allenfalls rund 8,5 Stunden pro Arbeitstag angefallen. Hinzu komme eine Rüstzeit von zehn Minuten arbeitstäglich. Die im Linienverkehr anfallenden Wartezeiten seien sämtlich als Pausen zu werten.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung des Klägers der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger unter Anwendung von § 287 ZPO für 108 geleistete Überstunden 1.103,76 Euro brutto nebst Zinsen zugesprochen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Sie rügt, das [X.] sei zu Unrecht von einer Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden ausgegangen und die vorgenommene Schätzung von § 287 Abs. 2 ZPO „nicht gedeckt“. Der Kläger, der die Klageabweisung im Übrigen hat rechtskräftig werden lassen, beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand. Die Klage ist in dem noch in der Revisionsinstanz anhängigen Umfang begründet. Die Beklagte schuldet dem Kläger für 108 im [X.]raum Juni 2011 bis März 2012 geleistete Überstunden weitere Vergütung in Höhe von 1.103,76 Euro brutto nebst Zinsen, § 612 Abs. 1 BGB.

I. Die Vergütung von Überstunden ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil solche im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht hätten anfallen können. Der Kläger musste für die vereinbarte Vergütung nicht solange arbeiten, wie er zur Erledigung der zugewiesenen Arbeiten brauchte. Vielmehr haben die Parteien eine regelmäßige Arbeitszeit von 40 Wochenstunden vereinbart. Das ergibt die Auslegung der §§ 1, 4 Arbeitsvertrag.

1. Die Bestimmungen des Arbeitsvertrags zu Tätigkeit und Arbeitszeit sind wie Allgemeine Geschäftsbedingungen anhand von § 305c Abs. 2, §§ 306, 307 bis 309 BGB zu beurteilen. Die Beklagte hat schon nach dem äußeren Erscheinungsbild den Arbeitsvertrag vom 29. April 2011 vorformuliert, dem Kläger unstreitig in dieser Form angeboten und damit im Rechtssinne gestellt. Ob es sich dabei um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelte (§ 305 Abs. 1 BGB), bedarf keiner weiteren Aufklärung, denn der Arbeitsvertrag ist ein Verbrauchervertrag iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB (vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 20 ff.; 27. Juni 2012 - 5 [X.] - Rn. 14). Auf die vorformulierten Regelungen konnte der Kläger nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.] keinen Einfluss nehmen.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die [X.] des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Dabei unterliegt die Auslegung der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht ([X.] Rspr., vgl. zB [X.] 13. Februar 2013 - 5 [X.] - Rn. 15 mwN).

2. Nach diesen Grundsätzen ist § 4 Satz 1 Arbeitsvertrag, wonach dem Arbeitnehmer die Arbeitszeit bekannt sei, keine Vereinbarung, sondern setzt eine solche voraus. Dieser Hinweis auf den Kenntnisstand des Arbeitnehmers kann wahr oder unwahr sein, aber nicht - wie das [X.] angenommen hat - unwirksam. Dass und in welcher Weise die Parteien durch übereinstimmende Willenserklärung eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit vereinbart hätten, hat die Beklagte nicht dargelegt. Ihr Vorbringen, dem Kläger sei durch die vorherige, knapp einmonatige Tätigkeit im Rahmen einer Fördermaßnahme der Arbeitsverwaltung die Dauer der Arbeitszeit bekannt gewesen, lässt nicht erkennen, dass die Parteien sich über die Modalitäten der Arbeitszeit ausdrücklich rechtsgeschäftlich geeinigt hätten.

3. Die für das Arbeitsverhältnis gelten sollende Arbeitszeit, die den für die vereinbarte Vergütung geschuldeten zeitlichen Umfang der iSv. § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Dienste“ bestimmt, ist deshalb durch Auslegung zu ermitteln. Anknüpfungspunkt hierfür ist § 1 Arbeitsvertrag, in dem es heißt, der Kläger werde als Busfahrer „in Vollzeit“ beschäftigt. Der durchschnittliche Arbeitnehmer darf „in Vollzeit“ so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit - unter Zugrundelegung einer Fünf-Tage-Woche und der in § 3 Satz 1 [X.] vorgesehenen acht Stunden arbeitstäglich - 40 Wochenstunden nicht übersteigt. Soll hingegen mit der Formulierung „in Vollzeit“ die nach geltendem Recht zulässige Höchstgrenze der Arbeitszeit ganz oder teilweise ausgeschöpft werden, müsste dies durch eine konkrete Stundenangabe oder zumindest eine hinreichend bestimmte Bezugnahme auf den [X.] eröffneten Arbeitszeitrahmen klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Allein der Hinweis in § 4 Satz 2 Arbeitsvertrag, der Kläger habe „im Monat zwei Samstage und jeden Sonntag frei“, sorgt nicht für die nötige Klarheit. Denn für die Beschäftigung an Sonntagen sieht § 11 Abs. 3 Satz 1 [X.] einen Ersatzruhetag vor. Die Nennung des Samstags als möglichen Arbeitstag besagt nicht, dass eine [X.] vereinbart sei, sondern erlaubt lediglich eine flexible Verteilung der Wochenarbeitszeit.

4. Weil die für das Arbeitsverhältnis der Parteien maßgebende Arbeitszeit durch Auslegung des § 1 Arbeitsvertrag ermittelt werden kann, kommt es auf die Existenz einer [X.]n Arbeitszeit (vgl. [X.] 15. Mai 2013 - 10 [X.] - Rn. 21; 25. Februar 2015 - 5 [X.] - Rn. 25) nicht an. Zudem lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen, dass sie - vom Kläger abgesehen - mit ihren Beschäftigten eine konkret bestimmte Dauer der Arbeitszeit vereinbart hätte. Allein durch einseitige Anordnung des Arbeitgebers kann eine [X.] Arbeitszeit nicht rechtsverbindlich begründet werden.

II. Die Vergütung von Überstunden setzt - bei Fehlen einer anwendbaren tarifvertraglichen Regelung - entweder eine entsprechende arbeitsvertragliche Vereinbarung oder eine Vergütungspflicht nach § 612 Abs. 1 BGB voraus.

[X.] haben die Parteien die Vergütung von Überstunden weder vereinbart noch ausgeschlossen. Anspruchsgrundlage für das Begehren des [X.] kann deshalb nur § 612 Abs. 1 BGB sein. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Arbeitsleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten i[X.] § 612 Abs. 1 BGB bildet nicht nur in den Fällen, in denen überhaupt keine Vergütungsvereinbarung getroffen wurde, sondern auch dann die Rechtsgrundlage für den Anspruch auf die Vergütung, wenn der Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers quantitativ mehr arbeitet als von der Vergütungsabrede erfasst (vgl. [X.] 18. Mai 2011 - 5 [X.] - Rn. 17 mwN). Die nach § 612 Abs. 1 BGB erforderliche - objektive - Vergütungserwartung (vgl. [X.] 17. August 2011 - 5 [X.] - Rn. 20, [X.]E 139, 44; 27. Juni 2012 - 5 [X.] - Rn. 19 mwN) ergibt sich jedenfalls daraus, dass im betreffenden Wirtschaftszweig die Vergütung von Überstunden - sogar mit einem Mehrarbeitszuschlag von 25 % - tariflich vorgesehen ist, § 13 Abs. 2 [X.] für die Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes [X.] vom 8. Juli 2009.

III. Die Vergütung von Überstunden setzt weiter voraus, dass der Arbeitnehmer solche tatsächlich geleistet hat und die Überstundenleistung vom Arbeitgeber veranlasst war oder ihm zuzurechnen ist ([X.] 10. April 2013 - 5 [X.] 122/12 - Rn. 14 mwN). Für beide Voraussetzungen - einschließlich der Anzahl geleisteter Überstunden - trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast (vgl. [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 25 ff., [X.]E 141, 330 zur Leistung von Überstunden und [X.] 10. April 2013 - 5 [X.] - Rn. 15 ff. zur arbeitgeberseitigen Veranlassung von Überstunden). Steht fest (§ 286 ZPO), dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitsgebers geleistet worden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht den Umfang geleisteter Überstunden nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen ([X.] 21. Mai 1980 - 5 [X.] - zu 4 a der Gründe).

1. Nach § 287 Abs. 1 ZPO entscheidet der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach seiner Überzeugung, ob ein Schaden entstanden und wie hoch er i[X.] Das Gesetz nimmt dabei in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt; allerdings soll die Schätzung möglichst nahe an diese heranführen ([X.] 12. Dezember 2007 - 10 [X.] - Rn. 49, [X.]E 125, 147; 20. September 2006 - 10 [X.] - Rn. 37, [X.]E 119, 294). Der Tatrichter muss nach pflichtgemäßem Ermessen auch beurteilen, ob nach § 287 Abs. 1 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich i[X.] Eine Schätzung darf nur dann unterbleiben, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre ([X.] 26. September 2012 - 10 [X.] - Rn. 19, [X.]E 143, 165; [X.] 17. Dezember 2014 - [X.]/13 - Rn. 46 mwN zur [X.] Rspr. des [X.]). Die für eine Schätzung unabdingbaren Anknüpfungstatsachen muss der Geschädigte im Regelfall darlegen und beweisen ([X.] 26. September 2012 - 10 [X.] - Rn. 20 mwN, aaO).

Nach § 287 Abs. 2 ZPO gelten die Vorschriften des § 287 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten entsprechend. Die Vorschrift erlaubt damit unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen auch die Schätzung des Umfangs von [X.] ([X.] 21. Mai 1980 - 5 [X.] - zu 4 a der Gründe - zum Umfang einer Überstundenleistung; 11. März 1981 - 5 [X.] 878/78 - zu III der Gründe - zur Höhe einer [X.]; 17. Dezember 2014 - 5 [X.] 663/13 - Rn. 29 - zur Höhe der üblichen Vergütung; [X.] 17. Dezember 2014 - VIII ZR 88/13 - Rn. 45 f. - zur Schätzung bei einem Mieterhöhungsverlangen nach Modernisierungsmaßnahmen).

2. Nach diesen Grundsätzen kommt eine „Überstundenschätzung“ in Betracht, wenn aufgrund unstreitigen Parteivorbringens, eigenem Sachvortrag des Arbeitgebers oder dem vom Tatrichter nach § 286 Abs. 1 ZPO für wahr erachteten Sachvortrag des Arbeitnehmers feststeht, dass Überstunden geleistet wurden, weil die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewiesene Arbeit generell oder zumindest im Streitzeitraum nicht ohne die Leistung von Überstunden zu erbringen war. Kann in einem solchen Falle der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde belegen (etwa weil zeitnahe Arbeitszeitaufschriebe fehlen, überhaupt der Arbeitgeber das zeitliche Maß der Arbeit nicht kontrolliert hat oder Zeugen nicht zur Verfügung stehen), kann und muss der Tatrichter nach pflichtgemäßen Ermessen das Mindestmaß geleisteter Überstunden schätzen, sofern dafür ausreichende Anknüpfungstatsachen vorliegen. Jedenfalls ist es nicht gerechtfertigt, dem aufgrund des vom Arbeitgeber zugewiesenen Umfangs der Arbeit im Grundsatz berechtigten Arbeitnehmer jede Überstundenvergütung zu versagen (vgl. [X.] 21. Mai 1980 - 5 [X.] - zu 4 a der Gründe; [X.] 17. Dezember 2014 - [X.]/13 - Rn. 46).

3. Die Voraussetzungen für die vom [X.] vorgenommene Schätzung des [X.] geleisteter Überstunden sind im Streitfall erfüllt. Ob auch eine weitergehende Schätzung gerechtfertigt gewesen wäre, braucht der Senat mangels Revision des [X.] nicht zu entscheiden.

a) Dass der Kläger - bei Zugrundelegung einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden - im Streitzeitraum zur Erledigung der ihm von der Beklagten zugewiesenen Arbeiten Überstunden geleistet hat, ist unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte weicht lediglich in der Bewertung ab, wenn sie von der unzutreffenden Annahme ausgeht, als Arbeitszeit sei die [X.] geschuldet gewesen, die der Kläger für die Erledigung der ihm zugewiesenen Arbeiten benötigte. Auf die substantiierte Darlegung des [X.] von Beginn und Ende der Arbeit in den Monaten Juni 2011 bis März 2012 hat die Beklagte für keinen einzigen Arbeitstag und keine einzige Buslinie dargelegt, dass unter normalen Verhältnissen die zugewiesene Arbeit innerhalb von acht Stunden zu erledigen gewesen wäre. Sie hat zur Entkräftung des Sachvortrags des [X.] weder die teilweise noch bei ihr vorhandenen Tachoscheiben ausgewertet, noch sich auf Aufzeichnungen nach § 16 Abs. 2 [X.] berufen. Schließlich hat sie schriftsätzlich vorgebracht, „bei überschlägiger Berechnung“ sei von einem zeitlichen Umfang der Arbeit von „rund 8,5 Stunden pro Arbeitstag“ zuzüglich zehn Minuten Rüstzeit auszugehen. Dabei hat die Beklagte schon alle Wartezeiten herausgerechnet und als Pausen gewertet, ohne darzulegen, dass der Kläger dabei frei über die Nutzung des [X.]raums bestimmen konnte und sich nicht etwa im oder am Bus zur Arbeit bereithalten musste (zum Rechtsbegriff der Pause [X.] 25. Februar 2015 - 5 [X.] 886/12 - Rn. 21 mwN).

b) Ob das [X.] das Mindestmaß geleisteter Überstunden „richtig“ geschätzt hat, unterliegt nur der eingeschränkten Nachprüfung durch das [X.] ([X.] 21. Mai 1980 - 5 [X.] - zu 4 b der Gründe) dahingehend, ob der Tatrichter wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige oder unbewiesene Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hat (vgl. [X.] 26. September 2012 - 10 [X.] - Rn. 25 mwN, [X.]E 143, 165) und damit die Schätzung mangels konkreter Anhaltspunkte völlig „in der Luft“ hängt, also willkürlich ist (vgl. [X.] 17. Dezember 2014 - [X.]/13 - Rn. 46 mwN).

c) Diesem Überprüfungsmaßstab hält die vom [X.] vorgenommene Schätzung stand. Die Revision zeigt keine Umstände auf, die die Schätzung des Mindestmaßes von geleisteten Überstunden auf eine halbe Stunde je Arbeitstag als - zu Lasten der Beklagten - willkürlich gegriffen erscheinen ließe. Das [X.] orientiert sich an der eigenen Schätzung der Beklagten. Daran wollte diese zwar in der Berufungsverhandlung „nicht weiter festhalten“. Aus welchen Gründen ihre Schätzung fehlerhaft sein sollte, hat die Beklagte dem [X.] allerdings nicht erläutert. Ohne revisiblen Rechtsfehler durfte deshalb das [X.] an die Schätzung der Beklagten anknüpfen.

4. Gegen die Anzahl der nach Feststellung des [X.] im Streitzeitraum vom Kläger geleisteten 216 Arbeitstage und den vom [X.] zugrunde gelegten, vom Monatsentgelt „heruntergerechneten“ [X.] iHv. 10,22 Euro hat die Revision Angriffe nicht erhoben.

IV. Verzugszinsen stehen dem Kläger in dem vom [X.] ausgeurteilten Umfang nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB zu.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Müller-Glöge    

        

    Biebl    

        

    Weber    

        

        

        

    Buschmann    

        

    [X.]    

                 

Meta

5 AZR 602/13

25.03.2015

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Dortmund, 23. Oktober 2012, Az: 5 Ca 2205/12, Urteil

§ 286 Abs 1 ZPO, § 287 Abs 1 S 1 ZPO, § 287 Abs 1 S 2 ZPO, § 287 Abs 2 ZPO, § 3 S 1 ArbZG, § 611 Abs 1 BGB, § 612 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.03.2015, Az. 5 AZR 602/13 (REWIS RS 2015, 13494)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 3054 REWIS RS 2015, 13494


Verfahrensgang

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Az. 5 AZR 602/13

Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 602/13, 25.03.2015.


Az. 5 Ca 2205/12

Arbeitsgericht Dortmund, 5 Ca 2205/12, 23.10.2012.


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