Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.09.2010, Az. 4 StR 245/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 2934

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Gegenstand

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Wertgrenze von 750 Euro für den drohenden bedeutenden Schaden


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 3. Dezember 2009 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in sieben Fällen, wegen Sachbeschädigung in 14 Fällen, wegen Betruges in 26 Fällen und wegen versuchten Betruges in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt; außerdem hat es eine Maßregel nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist - wie der [X.] in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat - unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Der Erörterung bedarf nur die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in den Fällen [X.], II. 19, II. 50 und II. 60 der Urteilsgründe.

3

1. Nach den hierzu rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte im Zeitraum von September 2007 bis September 2008 vier Verkehrsunfälle jeweils absichtlich herbeigeführt (§ 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB) und die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, dass er einen "ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff" im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorgenommen hat. Dabei sind an den Fahrzeugen der Unfallgegner Schäden in Höhe von 1.062,11 €, 792,30 €, 800 € bzw. 885,84 € verursacht worden; dass ein darüber hinausgehender Sachschaden oder sogar ein Personenschaden konkret gedroht haben, ist in keinem dieser Fälle festgestellt.

4

2. Zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass eine Gefährdung für fremde Sachen von bedeutendem Wert im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB zur Tatbestandserfüllung nur ausreicht, wenn auch der konkret drohende Schaden bedeutenden Umfangs war (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 27. September 2007 - 4 StR 1/07, [X.], 83 m.w.N.), und hat diese Voraussetzung in den fraglichen vier Fällen als erfüllt angesehen. Dabei hat es sich an der Rechtsprechung des Senats ausgerichtet, wonach die Wertgrenze für die Annahme der Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert bei mindestens 750 € liegt (vgl. [X.], Urteil vom 4. Dezember 2002 - 4 [X.], [X.]St 48, 119, 121; Beschlüsse vom 27. September 2007 - 4 StR 1/07; vom 29. April 2008 - 4 [X.], [X.], 289; vom 20. Oktober 2009  - 4 StR 408/09, [X.], 261). Gegenstand der letztgenannten Entscheidung war unter anderem ein Unfallgeschehen vom Januar 2008.

5

3. Für eine Anhebung dieser Wertgrenze sieht der Senat keinen Anlass.

6

a) Allerdings wird in der Literatur teilweise eine höhere Wertgrenze von bis zu 1.300 € angenommen, die der Grenze des bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB angeglichen ist (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., [X.]. zu §§ 306 ff. Rn. 15; [X.], StGB, 57. Aufl., § 315 Rn. 16a; Burmann in Burmann/[X.]/[X.]/Janker, [X.], 21. Aufl., § 315c StGB Rn. 7; [X.]/Barnickel § 315 Rn. 69: ca. 850 € für Januar 2006; wie die Senatsrechtsprechung dagegen: [X.] in: [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315 Rn. 95; [X.]/[X.] § 315c Rn. 25; [X.]/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 315c Rn. 24).

7

Vereinzelt haben auch Oberlandesgerichte eine Wertgrenze von 1.300 € für die konkrete Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert angenommen. Das [X.] hat dies mit der Angleichung an die Grenze zum bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB begründet (Beschluss vom 17. September 2008 - 1 Ss 167/08, OLGSt StGB § 315c Nr. 16); das [X.] hat ohne weitere Begründung lediglich auf die Kommentierung von [X.], StGB, 55. Aufl., § 315 Rn. 16a verwiesen (Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 4 Ss 466/08, [X.], 185, 186).

8

b) Eine Angleichung an die Wertgrenze des bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nicht angezeigt, weil die Vorschriften unterschiedliche Schutzzwecke verfolgen.

9

Der Schadensbegriff des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nach dem Normzweck des § 142 StGB zu bestimmen, der dem Interesse der Unfallbeteiligten an der Aufklärung der Unfallursachen zur Klarstellung der privatrechtlichen Verantwortlichkeit und damit an der Sicherung bzw. Abwehr zivilrechtlicher Ersatzansprüche dient (vgl. [X.] in: [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 69 Rn. 84, § 142 Rn. 1; [X.], in: [X.]/[X.] aaO § 142 Rn. 1a m.w.N.). Maßgeblich ist daher nicht der reine Sachschaden, sondern der Geldbetrag, der erforderlich ist, den Geschädigten so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten (vgl. [X.]/Athing § 69 Rn. 70 m.w.N.). Deswegen sind neben den Reparaturkosten auch Bergungs- und Abschleppkosten einzubeziehen.

Bei §§ 315b, 315c StGB ist demgegenüber allein auf den (drohenden) Schaden an der Sache selbst abzustellen, wobei der Wert der Sache nach deren Verkehrswert, die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 29. April 2008 - 4 [X.], [X.], 289 m.w.N.; vgl. auch [X.] aaO § 315 Rn. 82a, 90). Die Vorschriften bezwecken den Schutz des Allgemeininteresses an der Sicherheit des Straßenverkehrs, der in ihnen verwirklichte Schutz auch des Einzelnen ist nur eine Nebenwirkung (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 1976 - 4 [X.], [X.]St 27, 40; Beschluss vom 15. Dezember 1998 - 4 StR 576/98, [X.], 120). Das Schwergewicht der [X.] liegt dementsprechend - ungeachtet der Ausgestaltung der Straftatbestände als Erfolgsdelikte (vgl. [X.], Urteil vom 4. Dezember 2002 - 4 [X.], [X.]St 48, 119) - in der besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung für die Allgemeinheit und damit im Handlungsunrecht; der Erfolgsunwert - der Niederschlag der abstrakten Gefährdung in einer konkreten Gefahr für Individualrechtsgüter - hat lediglich strafbarkeitsbegrenzende Funktion (vgl. [X.] aaO § 315 Rn. 5), der auch die weitere Einschränkung des bedeutenden Wertes dient (vgl. Barnickel aaO § 315 Rn. 69). Insofern rechtfertigt der Schutzzweck der §§ 315b, 315c StGB die Bestimmung eines niedrigeren Grenzwertes als bei § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB auch losgelöst von der unterschiedlichen Berechnungsgrundlage (zur Abhängigkeit verschiedener Wertgrenzen vom jeweiligen Normzweck vgl. [X.], Urteil vom 12. September 2002 - 4 [X.], [X.]St 48, 14).

c) Schließlich gebietet auch die in den letzten Jahren eingetretene wirtschaftliche Entwicklung eine Anhebung des Grenzwertes für Sachwert und Schadenshöhe nicht. Bei der Wertgrenze handelt es sich zwar um eine veränderliche Größe, die maßgeblich von der Entwicklung der Preise und Einkommen abhängig ist (vgl. [X.] aaO § 315 Rn. 94). Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere im Hinblick auf die Tatbestandsbestimmtheit, kommt eine Anhebung der Wertgrenze aber nur bei einer grundlegenden Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Betracht. Eine derartige Veränderung vermag der Senat nicht zu erkennen.

                              [X.]Bender

Meta

4 StR 245/10

28.09.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 3. Dezember 2009, Az: 35 KLs 22/09, Urteil

§ 315b StGB, § 315c StGB, § 69 Abs 2 Nr 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.09.2010, Az. 4 StR 245/10 (REWIS RS 2010, 2934)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2934

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