Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.05.2015, Az. 4 StR 164/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 10711

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Gegenstand

Vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung durch Vorfahrtverletzung und falsches Fahren am Fußgängerüberweg: Anforderungen an die Urteilsfeststellungen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Dezember 2014 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den Fällen [X.] und 5 der Urteilsgründe verurteilt ist;

b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen, vorsätzlicher Körperverletzung, unerlaubten Führens einer Schusswaffe, Diebstahls in drei Fällen, Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, davon in einem Fall in (weiterer) Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und in einem anderen Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von vier Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Annahme eines jeweils tateinheitlich begangenen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in den Fällen [X.] und 5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3

a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen brachte der Angeklagte in der [X.] zwischen dem 12. und 19. Dezember 2013 an einem nicht zugelassenen Pkw der Marke [X.], Modell [X.], für ein anderes Fahrzeug ausgegebene amtliche Kennzeichen an, die er zuvor zu diesem Zweck entwendet hatte. Dabei verfolgte er die Absicht, das so präparierte Fahrzeug anschließend im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen. Am 19. Dezember 2013 befuhr er mit dem Pkw [X.] [X.] ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein und ohne Bestehen eines Haftpflichtversicherungsvertrages die H.        –Straße in [X.]   . Von dort aus bog er gleichgültig gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern mit derart überhöhter Geschwindigkeit in die [X.] ein, dass er über die beiden Fahrspuren für den Geradeausverkehr und die rechte der beiden Linksabbiegerspuren fuhr. Dabei nahm er der Zeugin [X.], die die linke der beiden Linksabbiegerspuren befuhr, die Vorfahrt, „sodass es nur dem Zufall geschuldet war, dass er nicht mit ihr kollidierte" (Fall [X.] der Urteilsgründe). Am 26. Dezember 2013 fuhr er mit dem Pkw [X.] [X.] aufgrund eines neuen Tatentschlusses in der [X.] in [X.]    gleichgültig gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern mit derart überhöhter Geschwindigkeit, dass er von der Fahrbahn abkam, auf den in gleicher Fahrtrichtung eingerichteten Fahrradschutzstreifen geriet und einen mit einer Lichtzeichenanlage versehenen „Fußgängerüberweg" überfuhr. Dort kollidierte er mit der rechten Front seines Fahrzeugs mit dem Vorderrad des Fahrrads des am „Fußgängerüberweg" wartenden Zeugen [X.]. Dies hatte zur Folge, dass der Fahrradlenker gegen das Knie des Zeugen schlug, der dadurch Schmerzen erlitt. Dass der Zeuge nicht unmittelbar angefahren und erheblich verletzt wurde, ist lediglich dem Zufall zu verdanken. Nach einer entschuldigenden Geste setzte der Angeklagte seine Fahrt fort und entfernte sich durch die angrenzende Fußgängerzone ([X.] 5 der Urteilsgründe).

4

b) Die im Fall [X.] der Urteilsgründe auf § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a StGB gestützte Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs hat keinen Bestand, weil nicht belegt ist, dass durch die dem Angeklagten angelastete Nichtbeachtung der Vorfahrt (zum Vorsatz siehe [X.]in: [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. [X.] Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert (konkret) gefährdet worden sind.

5

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache von bedeutendem Wert so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. [X.], Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.], 384; Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f.; Urteil vom 4. September 1995 - 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315b StGB; [X.]/[X.], 2. Aufl., § 315c Rn. 22 ff.).

6

bb) [X.]oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert durch das Fahrverhalten des Angeklagten tatsächlich in diesem Maße gefährdet waren, lässt sich auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen. Zwar teilt das [X.] mit, dass das Ausbleiben einer Kollision zwischen den Fahrzeugen des Angeklagten und der Zeugin „nur dem Zufall geschuldet" war. Offen bleibt aber, inwieweit im Fall einer Kollision auch Leib und Leben der Zeugin bedroht gewesen wären. Hierzu wären nähere Angaben zu den gefahrenen Geschwindigkeiten und zu der Beschaffenheit des Fahrzeugs der Zeugin B.    erforderlich gewesen (vgl. [X.], Beschluss vom 29. April 2008 - 4 [X.], [X.], 289). Um eine konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert bejahen zu können, hätte es - da insoweit das vom Angeklagten geführte Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Januar 1999 - 4 [X.], [X.], 350, 351; Urteil vom 28. Oktober 1976 - 4 [X.], [X.]St 27, 40) - bestimmter Angaben zum Wert des Fahrzeugs der Zeugin und zur Höhe des drohenden Schadens bedurft (vgl. [X.], Beschluss vom 28. September 2010 - 4 StR 245/10, [X.], 215, 216; Beschluss vom 29. April 2008 - 4 [X.], [X.], 289; zur maßgeblichen Wertgrenze siehe [X.], Beschluss vom 28. September 2010 - 4 StR 245/10, [X.], 215; zu den Prüfungsschritten siehe [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2009 - 4 StR 408/09, [X.], 216, 217).

7

c) Im [X.] 5 der Urteilsgründe belegen die Feststellungen nicht, dass der Angeklagte gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe [X.] an einem Fußgängerüberweg falsch gefahren ist.

8

§ 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe [X.] erfasst nur das [X.] an Fußgängerüberwegen im Sinne des § 26 [X.]. Das sind allein die durch Zeichen 293 (Zebrastreifen) markierten Fahrbahnflächen (vgl. [X.], Urteil vom 15. April 2008 - 4 [X.], [X.], 528, 529; [X.] in: [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 102; [X.]/[X.], 2. Aufl., § 315c Rn. 17 mwN), an denen zu Fuß Gehende und ihnen gleichgestellte Verkehrsteilnehmer nach § 26 Abs. 1 Satz 1 [X.] vor Fahrzeugen uneingeschränkt Vorrang haben und Fahrzeug Fahrende gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 [X.] sowie § 41 Abs. 1 StVG i.V.m. Anlage 2 und Zeichen 293 besonderen Pflichten unterliegen (Einzelheiten bei [X.] in: [X.]/[X.]/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., [X.], § 26 Rn. 18-21, 23-25 mwN). Dass es sich bei der Unfallstelle um eine mit „Zebrastreifen“ markierte Fahrbahnfläche und damit um einen Fußgängerüberweg im Sinne der § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe [X.], § 26 [X.] gehandelt hat, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Die Verwendung des Rechtsbegriffes „Fußgängerüberweg“ vermag die Angabe der zu dessen Ausfüllung erforderlichen Tatsachen nicht zu ersetzen (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO). Schließlich bleibt auch offen, ob die angeführte Lichtzeichenanlage in Betrieb war und deshalb ihre Lichtzeichen nach § 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 [X.] einer etwa bestehenden Vorrangregel oder Vorrang regelnden Verkehrszeichen vorgingen (vgl. dazu [X.] in: [X.]/[X.]/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., [X.], § 26 Rn. 11 mwN; zum persönlichen Schutzbereich des § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe [X.] siehe [X.] in: [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 103 mwN).

9

2. Auch die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Fälle [X.] und 5 der Urteilsgründe (Tatmehrheit) begegnet rechtlichen Bedenken.

Das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Fall [X.] der Urkundenfälschung in der Variante des Herstellens einer unechten (zusammengesetzten) Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 1. Alt. StGB schuldig ist, weil er für ein anderes Fahrzeug ausgegebene amtliche Kennzeichen an dem von ihm genutzten nicht zugelassenen Pkw anbrachte (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Januar 2014 - 4 [X.], [X.], 214; Urteil vom 7. September 1962 - 4 StR 266/62, [X.]St 18, 66, 70). Auch trifft es zu, dass der Angeklagte den Tatbestand des Gebrauchmachens von einer unechten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 3. Alt. StGB verwirklicht hat, indem er in den Fällen [X.] und II. 5 das mit falschen amtlichen Kennzeichen versehene Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr nutzte und dadurch den anderen Verkehrsteilnehmern die unmittelbare Kenntnisnahme der am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen ermöglichte ([X.], Beschluss vom 29. Januar 2014 - 4 [X.], [X.], 214; vgl. Urteil vom 14. Dezember 1988 - 2 StR 613/88, [X.]St 36, 64, 65). Die [X.] hat jedoch nicht ausreichend bedacht, dass nur eine Urkundenfälschung vorliegt, wenn eine gefälschte Urkunde mehrfach gebraucht wird und dieser mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des [X.] entspricht ([X.], Beschluss vom 30. Oktober 2008 - 3 [X.], [X.]R StGB § 267 Abs. 1 Konkurrenzen 3; insoweit in [X.]St 53, 34 nicht abgedruckt; vgl. auch Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 [X.], [X.], 349; Beschluss vom 29. Januar 2014 - 4 [X.], [X.], 214). Danach hätte die [X.] prüfen müssen, ob neben der Nutzung des Fahrzeugs am 19. Dezember 2013 (Fall [X.] der Urteilsgründe) auch die Fahrt am 26. Dezember 2013 ([X.] 5) dem schon bei dem Anbringen der Kennzeichen bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Angeklagten entsprach. Dies hätte zur Folge, dass auch der mit der Fahrt am 26. Dezember 2013 verwirklichte Gebrauch einer unechten Urkunde und deren Herstellung als tatbestandliche Handlungseinheit eine Tat der Urkundenfälschung bildeten und damit auch die weiteren während der Fahrt am 26. Dezember 2013 begangenen Delikte hierzu in Tateinheit stünden. Dass die Fahrt vom 26. Dezember 2013 nach den Feststellungen „aufgrund eines neuen Tatentschlusses" erfolgte, steht dem nicht zwingend entgegen.

3. Die Sache bedarf daher hinsichtlich der Fälle [X.] und 5 der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der Schuldsprüche wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen Urkundenfälschung, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz im Fall [X.] der Urteilsgründe und Urkundenfälschung, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz, fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort im [X.] 5 der Urteilsgründe (vgl. [X.], Beschluss vom 9. April 2015 - 2 [X.], Rn. 17 juris). Sie entzieht neben der Gesamtstrafe auch dem [X.] die Grundlage, da sowohl die Anordnung nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB, als auch die auf § 64 StGB gestützte Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an die Verurteilung in den Fällen [X.] und 5 der Urteilsgründe anknüpfen.

[X.][X.]

                         Mutzbauer                                 [X.]

Meta

4 StR 164/15

21.05.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 22. Dezember 2014, Az: 65 KLs 8/14

§ 315c Abs 1 Nr 2 Buchst a StGB, § 315c Abs 1 Nr 2 Buchst c StGB, § 267 Abs 1 S 1 StPO, § 26 StVO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.05.2015, Az. 4 StR 164/15 (REWIS RS 2015, 10711)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10711

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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