Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.03.2010, Az. 4 StR 82/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 8467

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Gegenstand

Tatbestandsvoraussetzungen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr


Tenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 14. September 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt; außerdem hat es eine [X.] nach §§ 69, 69 a StGB getroffen. Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Revision beanstandet der Beschuldigte das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es einer Erörterung der Verfahrensrüge nicht bedarf.

2

1. Zu den [X.] hat das [X.] im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

3

In den frühen Morgenstunden des 2. Februar 2008 entwendete der Beschuldigte im Verkaufsraum einer Tankstelle 10 Packungen Zigaretten vor den Augen der Kassiererin und legte sie auf den Beifahrersitz seines Autos. Um sich den Besitz der Beute zu erhalten, fuhr der Beschuldigte sehr schnell an, so dass die Kassiererin, die ihm nachgeeilt und die Zigaretten bereits ergriffen hatte, vom [X.] des Fahrzeugs getroffen wurde, wodurch sie Prellungen erlitt ([X.] 1).

4

Unmittelbar danach fuhr der Beschuldigten zu einer anderen Tankstelle und kaufte dort unter Vorlage seiner Kreditkarte Zigaretten. Ein zufällig anwesender Polizeibeamter bemerkte, dass der Beschuldigte die Kreditkarte im Verkaufsraum zurückgelassen hatte und wollte sie dem bereits wieder im Fahrzeug sitzenden Beschuldigten übergeben. Noch bevor er ihn ansprechen konnte, fuhr der Beschuldigte mit Vollgas ruckartig an, wobei der Außenspiegel des PKW die Lederjacke des Polizeibeamten streifte. Der Beamte setzte daraufhin den Streifenwagen, in dem eine weitere Beamtin saß, vor den PKW des Beschuldigten, um ihn an der Weiterfahrt zu hindern. Der Beschuldigte fuhr nunmehr in "gleichmäßigem gemäßigtem Tempo gezielt auf den Streifenwagen zu" [UA 5] und rammte diesen an der hinteren rechten Beifahrertür, um sich einen Fluchtweg zu eröffnen. Unmittelbar danach wurde er festgenommen ([X.] 2).

5

Als ihm wenig später in der Gewahrsamszelle vor dem Weitertransport Handschellen angelegt werden sollten, wehrte er sich dagegen und schlug dem diensthabenden Polizeibeamten unvermittelt ins Gesicht, wodurch dieser eine blutende Verletzung erlitt ([X.] 3).

6

Bei Begehung dieser Taten war die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten auf Grund einer akuten Episode einer paranoiden Schizophrenie aufgehoben.

7

2. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

8

Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine solche Anordnung neben der positiven Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet, auch die Feststellung voraus, dass der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist (vgl. nur [X.]St 34, 22, 27).

9

Soweit das [X.] im [X.] 1 einen räuberischen Diebstahl in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und im [X.] 3 eine vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angenommen hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dagegen belegen die Urteilsfeststellungen nicht, dass der Beschuldigte in den Fällen [X.] und 2 jeweils einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB), im [X.] 2 tateinheitlich damit auch eine Sachbeschädigung begangen hat.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfasst § 315 b StGB ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines Fahrzeugführers nur dann, wenn dieser das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in [X.] Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den [X.] zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu "pervertieren" und dabei mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt (vgl. [X.]St 41, 231, 234; 48, 233, 236 f. m.w.N.). Den Urteilsfeststellungen ist nicht zu entnehmen, dass der Beschuldigte in dieser Absicht handelte.

b) Im [X.] 2 ist der Beschuldigte zwar absichtlich mit seinem Fahrzeug gegen den Streifenwagen, der ihm den Weg versperrte, gefahren. Angesichts der vom Beschuldigten eingehaltenen mäßigen Geschwindigkeit ist der Schluss des [X.]s, der Beschuldigte habe dadurch "Leib oder Leben der Polizeibeamten gefährdet" ([X.], aber nicht nachvollziehbar.

Ebenso wenig belegen die bisherigen Feststellungen die konkrete Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert. Hierfür reicht es nicht aus, dass eine Sache von bedeutendem Wert, wie hier der Streifenwagen, nur in wirtschaftlich unbedeutendem Maße gefährdet wird; vielmehr muss der konkret drohende Schaden bedeutenden Umfangs sein (vgl. [X.], Beschluss vom 27. September 2007 - 4 StR 1/07 = NStZ-RR 2008, 83 m.w.N.; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 315 b Rdn. 18 m.w.N.; zur Wertgrenze vgl. [X.]St 48, 119, 121; [X.] 315 Rdn. 16 a; Barnickel in [X.] § 315 Rdn. 69).

Die tateinheitliche Verurteilung wegen Sachbeschädigung hat ebenfalls keinen Bestand, weil das Urteil nicht mitteilt, ob und gegebenenfalls in welcher Weise der Streifenwagen durch das Anfahren beschädigt worden ist.

3. Auch hinsichtlich der [X.] nach §§ 69, 69 a StGB bedarf die Sache damit neuer Entscheidung.

[X.]                                       Solin-Stojanović                                      Ernemann

                               Franke                                                  Mutzbauer

Meta

4 StR 82/10

16.03.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 14. September 2009, Az: 1372 Js 26910/08 - 96 KLs 8/09, Urteil

§ 315b StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.03.2010, Az. 4 StR 82/10 (REWIS RS 2010, 8467)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8467

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Frontales Zufahren als schwerer gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr


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