Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2023, Az. X ZR 15/20

10. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 3247

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) FLUGGASTRECHTE URLAUB REISE

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Gegenstand

Anspruch auf Ausgleichszahlung bei Verspätung eines Fluges; Begriff des direkten Anschlussfluges


Leitsatz

Der Begriff "direkte Anschlussflüge" im Sinne von Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO kann auch einen Beförderungsvorgang erfassen, der aus mehreren Flügen besteht, die von unterschiedlichen, nicht durch eine besondere rechtliche Beziehung miteinander verbundenen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden. Ausreichend dafür ist, dass die Flüge von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurden, das einen einheitlichen Flugschein im Sinne von Art. 2 Buchst. f FluggastrechteVO ausgegeben hat (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 - C-436/21, NJW 2022, 3343 Rn. 25-31).

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] vom 17. Oktober 2019 aufgehoben und das Urteil des [X.] vom 14. März 2019 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28. August 2018 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Leistung einer Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch.

2

Die Zedentin buchte über ein Reisebüro für den 25. Juli 2018 einen Flug mit der Fluggesellschaft [X.] von [X.] nach [X.] und Flüge mit der Beklagten von [X.] nach [X.] und von [X.] nach [X.]. Der erste und der zweite Flug wurden planmäßig durchgeführt. Auf der letzten Teilstrecke startete der Flug verspätet. Die Zedentin erreichte [X.] mit einer Verspätung von mehr als vier Stunden. Mit ihrer Klage hat die Klägerin eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 Euro begehrt.

3

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

4

Der Senat hat mit Beschluss vom 21. Juni 2021 ([X.], 224) das Verfahren ausgesetzt und dem [X.] Fragen zur Auslegung von Art. 2 Buchst. h [X.] vorgelegt. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 6. Oktober 2022 ([X.]/21, NJW 2022, 3343) über die Vorlage entschieden.

Entscheidungsgründe

5

Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung.

6

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nicht zur Leistung einer Ausgleichszahlung verpflichtet.

7

Die Fluggastrechteverordnung sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] anwendbar, wenn ein Fluggast einen Flug auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats antrete. Ausweislich der vorgelegten Rechnung des Reisebüros seien im Streitfall einzelne Flüge unterschiedlicher Luftfahrtunternehmen zusammengestellt worden, um das gewünschte Endziel zu erreichen. Aus der Sicht des Fluggasts handele es sich um eine einheitliche Buchung. Es könne keinen Unterschied machen, ob er seine Flugreise zu dem von ihm gewählten Endziel direkt bei einem Luftfahrtunternehmen oder über ein Reisebüro buche.

8

Die Beklagte sei jedoch nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen eines Flugs, der vom Gebiet eines Mitgliedstaats gestartet sei. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte sich gegenüber der Zedentin vertraglich verpflichtet habe, die Beförderung von [X.] nach [X.] durchzuführen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Beförderung im Rahmen einer [X.] übernommen habe. Die einzelnen Luftfahrtunternehmen hätten die Teilflüge jeweils in eigener Verantwortung durchgeführt. Die Beklagte habe daher lediglich die Beförderung auf den beiden Teilstrecken von [X.] über [X.] nach [X.] geschuldet.

9

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 [X.] in Verbindung mit § 398 BGB.

a) Die Fluggastrechteverordnung ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a anwendbar für Fluggäste, die ihren Flug im Gebiet eines Mitgliedstaats antreten. Aus Art. 2 Buchst. h [X.] folgt, dass die Verordnung auch anzuwenden ist, wenn der Fluggast seinen endgültigen Zielort über direkte Anschlussflüge erreicht.

b) Beide Voraussetzungen sind im Streitfall nach den getroffenen Feststellungen erfüllt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen unter Berücksichtigung des ersten [X.] und des Endziels zu beurteilen, wenn der Flug als eine Gesamtheit anzusehen ist ([X.], Urteil vom 31. Mai 2018 - [X.]/17, NJW 2018, 2032 Rn. 25 f. - [X.]/[X.]; Urteil vom 11. Juli 2019 - [X.]/18, NJW 2019, 2595 = [X.] 2019, 222 Rn. 16 - [X.] aerolinie; Beschluss vom 12. November 2020 - [X.], [X.] 2021, 125 Rn. 19 - KLM).

Der Begriff "direkte Anschlussflüge" im Sinne von Art. 2 Buchst. h [X.] ist dahin zu verstehen, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung geregelten Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn zwei oder mehrere Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren ([X.], NJW 2022, 3343 Rn. 20; NJW 2018, 2032 Rn. 18 f. - [X.]/[X.]). Die von der Revisionserwiderung angesprochene Frage, wie das Gepäck befördert wird, ist hierbei grundsätzlich unerheblich.

Wie der Gerichtshof auf das im Streitfall ergangene Vorlageersuchen entschieden hat, kann der Begriff "direkte Anschlussflüge" auch einen Beförderungsvorgang erfassen, der aus mehreren Flügen besteht, die von unterschiedlichen, nicht durch eine besondere rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Ausreichend dafür ist, dass die Flüge von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurden, das einen einheitlichen Flugschein im Sinne von Art. 2 Buchst. f [X.] ausgegeben hat ([X.], NJW 2022, 3343 Rn. 25-31). Auch in diesem Zusammenhang sind Einzelheiten der [X.] grundsätzlich nicht von Bedeutung.

bb) Im Streitfall ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, dass das Reisebüro einen einheitlichen Flugschein für alle Teilsegmente ausgegeben hat.

Das Reisebüro hat eine Rechnung zu einem "Vermittlungsauftrag" erteilt, die für die hier interessierenden Flüge sowie für den Rückflug von [X.] über [X.] und [X.] nach [X.] einen einheitlichen "Teilnehmerpreis" ausweist. Aus der Rechnung ergibt sich ferner, dass das Reisebüro für die Flüge ein einheitliches elektronisches Ticket ausgegeben hat, dessen Nummer - zum Teil ergänzt durch zusätzliche Ziffern - auch auf den Bordkarten für die drei hier interessierenden Flüge wiedergegeben ist.

Vor diesem Hintergrund sind die drei von der Zedentin gebuchten Flüge als einheitlicher Flug anzusehen.

cc) Dies hat zur Folge, dass der Abflugort [X.] ist und damit auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a [X.] liegt.

2. Die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch wegen großer Ankunftsverspätung sind erfüllt, weil die Zedentin mehr als drei Stunden später als vorgesehen in [X.] angekommen ist.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ist für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs maßgeblich, ob ein Zeitverlust von drei Stunden oder mehr am Endziel eingetreten ist ([X.], Urteil vom 19. November 2009 - [X.]/07, NJW 2010, 43 = [X.] 2009, 282 Rn. 57 - Sturgeon; Urteil vom 23. Oktober 2012 - [X.]/10, [X.], 671 = [X.] 2012, 272 Rn. 40 - Nelson).

Endziel ist gemäß der auch in diesem Zusammenhang maßgeblichen Definition in Art. 2 Buchst. h [X.] der Zielort auf dem am [X.] vorgelegten Flugschein, bei direkten Anschlussflügen der Zielort des letzten Fluges ([X.], Urteil vom 26. Februar 2013 - [X.]/11, [X.], 1291 = [X.] 2013, 78 Rn. 37 - Folkerts).

b) Im Streitfall ist danach [X.] das Endziel der Flugreise, die in [X.] begonnen hat.

Die drei Teilflüge sind auch in diesem Zusammenhang als Gesamtheit zu betrachten, weil der Klägerin eine einheitliche bestätigte Buchung erteilt worden ist.

3. Der Entschädigungsanspruch richtet sich gegen die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen.

a) Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass jedes ausführende Luftfahrtunternehmen, das an der Durchführung mindestens eines Teilflugs eines als Gesamtheit anzusehenden Flugs beteiligt ist, die Ausgleichszahlung unabhängig davon schuldet, ob der von ihm durchgeführte Flug die große Verspätung des Fluggastes bei der Ankunft an seinem Endziel verursacht hat oder nicht ([X.], Urteil vom 11. Juli 2019 - [X.]/18, NJW 2019, 2595 = [X.] 2019, 222 Rn. 20-26 - [X.] aerolinie; Beschluss vom 12. November 2020 - [X.], [X.] 2021, 125 Rn. 28 f. - KLM).

b) Der Anspruch ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte nicht unmittelbar an der Buchung des Fluges beteiligt war.

Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen haftet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch dann, wenn der Beförderungsvertrag über einen Dritten geschlossen wurde, zum Beispiel über eine elektronische Plattform ([X.], Urteil vom 21. Dezember 2021 - [X.]/20, [X.] 2022, 86 Rn. 52 f. - Laudamotion; Urteil vom 11. Mai 2017 - [X.], [X.] 2017, 172 Rn. 26 - Krijgsman).

In der im Streitfall ergangenen Entscheidung hat der Gerichtshof bestätigt, dass dies auch für den Fall einer Buchung durch ein Reisebüro gilt. Das ausführende Luftfahrtunternehmen, das die von der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung hat leisten müssen, ist nach der Verordnung nicht gehindert, sich zwecks Ausgleich dieser finanziellen Belastung namentlich an die Person zu halten, über die die Flugscheine ausgegeben wurden, wenn diese Person gegen ihre Verpflichtungen verstoßen hat ([X.], NJW 2022, 3343 Rn. 30).

III. [X.] ist zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

1. Wie bereits oben dargelegt wurde, ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass die Beklagte dem Grunde nach zur Zahlung einer Ausgleichsleistung verpflichtet ist.

2. Die Höhe des Anspruchs steht nicht in Streit.

3. Der Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO

[X.]     

      

Hoffmann     

      

Kober-Dehm

      

Rombach     

      

Rensen     

      

Meta

X ZR 15/20

09.05.2023

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend EuGH, 6. Oktober 2022, Az: C-436/21, Urteil

Art 2 Buchst f EGV 261/2004, Art 2 Buchst h EGV 261/2004, Art 5 Abs 1 Buchst c EGV 261/2004, Art 7 EGV 261/2004

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2023, Az. X ZR 15/20 (REWIS RS 2023, 3247)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3247

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X ZR 138/15

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