Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.04.2017, Az. I ZB 91/16

I. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 11823

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:270417BIZB91.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I
ZB
91/16
vom
27. April 2017
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 568 Satz 2 Nr. 2, § 802f; [X.] § 10; LVwVG [X.] § 15a Abs. 3; [X.] §
41 Abs. 2 Satz 1; [X.] § 1 Abs. 4
a)
Im Verfahren der Beitreibung von Rundfunkbeiträgen im Wege der [X.] findet die Überprüfung der wirksamen Zustellung eines Beitragsbe-scheids durch den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht nicht statt. Grundlage der beantragten Zwangsvollstreckungsmaßnahme gemäß §
15a Abs.
3 Satz 2 LVwVG [X.] ist nicht der Beitragsbescheid, sondern das schriftliche [X.] der Vollstreckungsbehörde.
b)
Die zuständige [X.] ist Vollstreckungsbehörde im Sinne von §
15a LVwVG [X.].
[X.], Beschluss vom 27. April 2017 -
I [X.]/16 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der [X.]
Zivilsenat des [X.] hat am 27.
April
2017
durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Büscher,
die
Richter
Prof. Dr.
Schaffert,
Prof. Dr.
[X.], Dr.
Löffler und Feddersen

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des [X.] -
5.
Zivilkammer (Einzelrichter)
-
vom 20.
September 2016
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Ein-zelrichter) zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Gegenstandswert: 215,76

Gründe:
A. Der Gläubiger, eine Anstalt des öffentlichen Rechts,
ist die
unter der Bezeichnung "[X.]"
tätige
[X.]
in den Ländern [X.] und [X.]. Er
betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung
wegen rückständiger Rundfunkbeiträge.

1

-
3
-
Der Gläubiger richtete an das Amtsgericht [X.]

Gerichtsvoll-zieherverteilerstelle

ein
[X.], in dem er
die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen -
unter anderem der Bestimmung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft gemäß § 802f Abs. 1 ZPO
-
ge-gen den Schuldner beantragte.
Die letzte Seite des [X.]s
enthielt eine "Aufstellung der rückständigen Forderungen"
und den vorange-stellten Hinweis: "Dem Beitragsschuldner sind bereits
Festsetzungsbescheide und Mahnungen
mit folgenden Daten
unter der [X.] ... zugesandt worden".
Mit Schreiben vom 29. Juni 2016 forderte die Gerichtsvollzieherin den Schuldner zur Zahlung binnen zwei Wochen auf und lud ihn zur Abgabe der Vermögensauskunft.
Mit Beschluss vom 14.
Juli 2016
hat das Vollstreckungsgericht
die
gegen die Ladung gerichtete
Erinnerung
des Schuldners vom 8.
Juli 2016
zurückge-wiesen. Auf die -
nach Annahme
des [X.] -
dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht
(Einzelrich-ter)
den Beschluss des Vollstreckungsgerichts
aufgehoben und die [X.] aus dem [X.] des Gläubigers für unzulässig er-klärt. Mit der vom Beschwerdegericht
(Einzelrichter)
zugelassenen Rechtsbe-schwerde verfolgt der Gläubiger
seinen
Antrag auf Zurückweisung der soforti-gen Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des [X.]s vom 14. Juli 2016
weiter.
B. Das Beschwerdegericht
(Einzelrichter)
ist von der Zulässigkeit und Be-gründetheit der Beschwerde des Schuldners ausgegangen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beschwerde sei bereits wegen fehlender Zustellung des Vollstre-ckungstitels
begründet. Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung sei eine 2
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4
5

-
4
-
Zustellung der [X.]. Der Schuldner habe den Zugang
bestritten. Das Vollstreckungsgericht habe sich zu Unrecht auf die Zugangsvermutung
gemäß §§ 41, 43
Verwaltungsverfahrensgesetz für [X.] ([X.]) gestützt. Diese Vorschriften seien gemäß § 2 [X.] nicht anwendbar. Die Zustellung richte sich vielmehr nach den allgemeinen Vorschriften gemäß §§ 130, 132 BGB. Für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze der [X.] durch Aufgabe bei der Post gemäß § 41 [X.] sei ange-sichts
dieser Vorschriften kein Raum.
Die Beschwerde des Schuldners sei zudem begründet, weil es an der
ma-teriellen
[X.] des Gläubigers fehle. Diese sei ebenfalls als Vollstreckungsvoraussetzung vom Vollstreckungsgericht zu prüfen.
C. Die vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) zugelassene Rechtsbe-schwerde
hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[X.] Die Rechtsbeschwerde
ist statthaft (§
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Abs.
3 Satz
2 ZPO) und auch sonst zulässig (§
575 ZPO). Ihre Zulassung
ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat
([X.], Beschluss vom 13. März 2003

IX ZB 134/02, [X.]Z 154, 200,
201).
I[X.] Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Einzelrichters ist aufzuheben, weil er unter Verletzung des [X.] des gesetzlichen Richters ergangen ist (Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG).
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5
-

1.
Der Einzelrichter durfte über die Beschwerde nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer übertragen müssen. Dem originären Einzelrichter nach § 568 ZPO ist die Entscheidung von Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung schlechthin versagt (st. Rspr.;
vgl. [X.]Z 154, 200,
202; [X.], Beschluss vom 16. Mai 2012 -
I [X.], [X.], 3518 Rn. 4; Beschluss vom 7. Januar 2016
-
I [X.], [X.], 645 Rn. 10; Beschluss vom 21. Juli 2016

I
ZB
121/15, juris Rn. 5). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung ist im wei-testen Sinne zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegi-um auch dann entscheiden muss,
wenn zur Fortbildung des Rechts oder -
wie vorliegend vom Einzelrichter angenommen -
zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist (st. Rspr.;
vgl. [X.]Z 154, 200,
202; Beschluss vom 24. November 2011
-
V[X.] ZB 33/11, NJW-RR 2012, 441 Rn. 9; Beschluss vom 7. Januar 2016

I [X.], [X.], 645 Rn. 10).
Damit hat der Einzelrichter das Gebot des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Die Nichtübertragung des [X.] auf die voll besetzte Kammer erfüllte die Voraussetzungen der objekti-ven Willkür. Sie war offensichtlich unvertretbar und lag außerhalb der [X.], so dass Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG verletzt ist (vgl.
[X.]Z 154, 200,
203).
2.
Die Rechtsbeschwerde hat den Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters gerügt. Im Übrigen war der Verstoß vom [X.] wegen zu berücksichtigen ([X.]Z 154, 200,
203). Der Berücksichtigung der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
steht § 568 Satz 3 ZPO nicht entgegen ([X.]Z 154, 200, 204).

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-
[X.][X.]
Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den [X.], der den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Mög-lichkeit des § 21 GKG Gebrauch. Diese Kosten wären bei richtiger Behandlung der Sache durch den Einzelrichter nicht entstanden.
D.
Für die neue Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
[X.] Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass der Schuldner gegen den Beschluss des Vollstreckungsgerichts vom 14. Juli 2016 form-
und fristgerecht Beschwerde eingelegt hat. Diese Annahme
ist aktenwidrig. Der Ge-richtsakte lässt sich eine entsprechende Beschwerdeschrift
des Schuldners
nicht entnehmen. Bestandteil
der Akte ist lediglich ein als "Sofortige Beschwer-de
nach § 793 ZPO" bezeichnetes und am 9. Mai 2016, also vor Erlass des [X.] (14. Juli 2016)
eingegangenes
Schreiben des Schuldners vom 7. Mai 2016.
Ein ebenfalls bei der Akte befindliches Schreiben vom 2. März 2016 betrifft eine "Beschwerde gegen den Beschluss vom 23. Februar 2016" und ist für das vorliegende Verfahren ebenfalls ohne Belang.
I[X.] Die Annahme des [X.], die Beschwerde des [X.] sei
begründet, weil eine
wirksame Zustellung nicht nachgewiesen
sei und damit eine Grundvoraussetzung der Zwangsvollstreckung
fehle, hält der rechtli-chen Nachprüfung nicht stand.
1.
Dem Beschluss des [X.] lässt sich bereits nicht hinrei-chend klar entnehmen, worauf sich das von ihm angenommene Zustellungser-fordernis beziehen soll. Das Beschwerdegericht spricht insoweit zum einen von 12
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einem Fehlen der Zustellung
der "[X.]", zum anderen von einer fehlen-den "Titelzustellung".
2.
Die Zustellung eines "Titels" ist ebenso wenig
Voraussetzung
der [X.] Rundfunkbeiträgen
wie die Zustellung des Vollstreckungsersu-chens
der Gläubigerin.
a) Rückständige Rundfunkbeiträge werden gemäß § 10 Abs. 5 des [X.] vom 17. Dezember 2010 ([X.])
durch die zustän-dige [X.] festgesetzt und
im Verwaltungsvollstreckungsver-fahren vollstreckt (§ 10 Abs. 6 [X.]). Die Vollstreckung erfolgt im [X.] gemäß §
13 Abs. 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für [X.] (LVwVG [X.]) durch Beitreibung.
b) Für die Beitreibung durch den Gerichtsvollzieher auf Ersuchen der [X.] gelten die in § 15a Abs. 3 LVwVG [X.] geregelten Vollstre-ckungsvoraussetzungen ([X.], Beschluss vom 11. Juni 2015 -
I [X.], [X.], 48 Rn. 27; Beschluss vom
8. Oktober 2015 -
V[X.] ZB 11/15, NJW-RR 2016, 378 Rn. 14; Beschluss vom 21. Oktober 2015 -
I [X.], NVwZ-RR 2016, 117 Rn. 20). Danach finden die Vorschriften des [X.] der [X.] mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle der voll-streckbaren Ausfertigung des Schuldtitels das schriftliche Vollstreckungsersu-chen der Vollstreckungsbehörde tritt
und es keiner Zustellung des [X.] bedarf (§ 15a Abs. 3 Satz 2 [X.]). Diese Vorausset-zungen sind
auch
im Streitfall maßgeblich. Die Gerichtsvollzieherin ist aufgrund des schriftlichen [X.]s des Gläubigers vom 1. Mai 2015 tätig geworden.
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3.
Entgegen der Annahme des [X.] ist auch die wirksame Zustellung eines Beitragsbescheids
keine Vollstreckungsvoraussetzung.
a) Das Erfordernis
der Zustellung
eines
"[X.]" besteht schon deshalb nicht, weil ein solcher Beitragsbescheid weder gesetzlich vorgesehen noch für die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist. Die Rundfunkgebührenpflicht entsteht kraft Gesetzes, ohne dass der Erlass eines Gebührenfestsetzungsbescheids erforderlich ist
([X.], [X.], 48 Rn. 53 mwN).
b) [X.] der Rundfunkanstalten
sind erst für die zwangsweise Bei-treibung rückständiger Gebühren und Beiträge erforderlich
([X.], [X.], 48 Rn. 53). Gegen diese [X.] kann der Schuldner sowohl vor Einleitung der Vollstreckung als auch nach einer Entrichtung der Gebühr oder des Beitrags nebst eventueller Säumniszuschläge den Verwaltungsrechtsweg beschreiten ([X.], Nichtannahmebeschluss vom 30. Januar 2008 -
1 [X.], juris Rn. 21 ff.; [X.], [X.], 48 Rn. 53; [X.], Urteil vom 18. März 2016

6
C
7/15, juris Rn. 54). Im Rahmen der im Verwaltungsrechtsweg zu überprü-fenden Wirksamkeit des Bescheids kann es auch auf die Frage der [X.] ankommen
(vgl. VGH [X.], Beschluss vom 4. Oktober 2016 -
2 S 1203/16, [X.] 2).
Geht der Schuldner nicht erfolg-reich
im Wege des Verwaltungsrechtswegs
gegen einen Festsetzungsbescheid vor und wird dieser unanfechtbar oder
entfällt die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs, liegen die allgemeinen Voraussetzungen der Vollstreckung vor (§ 2 Nr.
1
und 2
LVwVG [X.]). Dies entspricht dem tragenden Grundsatz des Vollstreckungsrechts, dass nur die Unanfechtbarkeit und nicht (auch) die Rechtmäßigkeit des [X.] ist (vgl. [X.]/[X.], [X.], 34. Edition, Stand 1. Oktober 2016, § 6 Rn. 20). 20
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9
-
Eine wirksame Zustellung der Beitragsbescheide ist
mithin
keine Vollstre-ckungsvoraussetzung. § 15a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LVwVG [X.] verlangt lediglich, dass im [X.]
der zu vollstreckende Verwaltungsakt be-zeichnet wird; gemäß § 15a Abs. 4 Nr. 4 LVwVG [X.] reicht es zudem aus, dass das [X.] die Angabe enthält, der Verwaltungsakt
sei
unan-fechtbar geworden (vgl. auch [X.], NJW-RR 2016, 378 Rn. 25). Die rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit des Verwaltungsaktes durch den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht findet
im Vollstreckungs-verfahren
gerade
nicht statt. Grundlage der beantragten Zwangsvollstre-ckungsmaßnahme gemäß § 15a Abs. 3 Satz 2 LVwVG [X.] ist nicht der Gebüh-ren-
oder Beitragsbescheid, sondern das schriftliche [X.] der Vollstreckungsbehörde (vgl. [X.], [X.], 48 Rn. 54). Für den Einwand, die Zwangsvollstreckung aus [X.] sei unzulässig, weil die [X.] rechtswidrig oder unwirksam seien, steht dem Beitragsschuldner
der Verwaltungsrechtsweg offen
(vgl. VGH [X.], Beschluss vom 4.
Oktober 2016 -
2 S 1203/16, [X.] und [X.] 1).
c) Soweit das Beschwerdegericht mit dem von ihm angenommenen Erfor-dernis der "Zustellung" der Beitragsbescheide deren Bekanntgabe zum Aus-druck bringen will, gehen seine Ausführungen an den im Streitfall maßgeblichen Umständen vorbei. Insbesondere stellt sich nicht die vom Beschwerdegericht umfangreich erörterte Frage, ob die in § 41 Abs. 2
Satz 1
Verwaltungsverfah-rensgesetz für [X.] ([X.]
[X.]) geregelte Zugangsvermu-tung im Streitfall entsprechend Anwendung findet.
aa)
Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.] gilt ein schriftlicher Verwal-tungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Diese
gesetzliche Annahme gilt [X.] nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren [X.]punkt 23
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10
-
zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den [X.]punkt des Zugangs nachzuweisen (§ 41 Abs. 2 Satz 3 [X.]).
Eine Behörde kann allerdings ihrer Beweispflicht hinsichtlich des Zugangs nach den Grundsätzen des ersten Anscheins genügen, wenn sie Tatsachen vorträgt, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden kann, dass der Empfänger einen Bescheid oder ein Schreiben tatsächlich erhal-ten haben muss
([X.], Urteil vom 12. August 1981 -
I [X.]/78, [X.]E 134, 213, 215; [X.], NVwZ-RR 2012, 131; [X.], Beschluss vom 16. Juli 2012 -
3 [X.]/10, juris Rn. 7;
[X.], Urteil vom 18. Februar 2016 -
11 [X.], juris Rn. 21 mwN). Maßgeblich kann inso-weit sein, dass der Bescheid oder das Schreiben an eine Adresse gesandt [X.], unter der der Adressat bereits längere [X.] ansässig ist und er in jüngerer [X.] auch nachweislich mehrere Schreiben erhalten hat, auf die er reagiert hat. Relevant kann ferner sein, ob vorgetragen wurde, dass es unter der [X.] Adresse in der fraglichen [X.] Schwierigkeiten bei der Postzustellung gegeben hat. Weiter kann die Besonderheit berücksichtigt werden, ob [X.] oder [X.] als unzustellbar an die Behörde zurückgelangt sind (vgl. [X.], NVwZ-RR 2012, 131; [X.], Beschluss vom 16. Juli 2012
-
3 [X.]/10, juris Rn. 7; [X.], Urteil vom 18.
Februar 2016 -
11 [X.], [X.] 2016, 297
Rn. 21).
[X.]) Von diesen Grundsätzen
des Anscheinsbeweises -
und entgegen der Ansicht des [X.] gerade nicht von der widerleglichen Vermu-tung des § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] -
ist zutreffend das [X.]
ausgegangen. Es
hat angenommen, der Schuldner habe einen Zugang der Beitragsbescheide nicht hinreichend substantiiert bestritten. Er habe keine Um-stände darlegt und glaubhaft gemacht, aus denen sich plausibel ergebe, dass er die zum Gegenstand des [X.]s gemachten [X.] 25

-
11
-
nicht erhalten habe, obwohl er offensichtlich andere Post, so auch die [X.] und die Schreiben der Gerichtsvollzieherin unter der angegebenen [X.] zuverlässig erhalten habe. Die Beschwerdeerwiderung hat vorgetragen, dass der Schuldner auf die versandten [X.] durch eigene Schreiben rea-giert, teilweise Widerspruch eingelegt und auch auf einen Widerspruchsbe-scheid geantwortet habe.
[X.]) Abweichende Feststellungen hat das Beschwerdegericht nicht getrof-fen.
Es hat
als wahr unterstellt, dass der Gläubiger die [X.] zur Post ge-geben hat.
Auf die Feststellungen des Vollstreckungsgerichts und den Vortrag
des Gläubigers ist es nicht eingegangen.
Es hat nicht geprüft, ob im Streitfall
auf der Grundlage des vom Gläubiger gehaltenen und vom [X.] festgestellten Sachverhalts
nach der Lebenserfahrung von einem Zugang der [X.] und damit von einer wirksamen Bekanntgabe auszugehen ist.
[X.][X.] Die weitere Annahme des [X.], die Beschwerde des Schuldners sei außerdem begründet, weil dem Gläubiger die "materielle Behör-deneigenschaft" fehle, hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand.
1.
Das Beschwerdegericht hat angenommen, als Vollstreckungsvoraus-setzung sei zu prüfen, ob der Gläubiger eine Behörde bzw. eine Vollstre-ckungsbehörde sei. Der Begriff der Behörde sei in allen gesetzlichen Vorschrif-ten in einem einheitlichen Sinne aufzufassen, und zwar im Sinne des
Staats-
und Verwaltungsrechts. Nach den insoweit geltenden Maßstäben sei der Gläu-biger keine Behörde. Er trete unternehmerisch auf und handele gewerblich. Für die [X.] sei zudem zwingend Gesetzestreue erforderlich. [X.] sei nicht vereinbar, dass der Gläubiger seine satzungsmäßigen Rechte überschreite und rechtsstaatlich und grundrechtlich gebotene Tilgungsbestim-mungsrechte der Beitragsschuldner aushebele. Damit werde dem Beitrags-26
27
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-
schuldner die Subjekteigenschaft genommen, er werde vielmehr zum Objekt eines lebenslangen Vollstreckungsverfahrens.
Gegen diese Beurteilung wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
2.
Bereits der Ausgangspunkt der Beurteilung des [X.], der Begriff der Behörde
sei in allen gesetzlichen Vorschriften in einem einheitli-chen Sinn, und zwar
im Sinn des Staats-
und Verwaltungsrechts aufzufassen, ist unzutreffend.
a) Der Begriff der Behörde ist
nicht einheitlich, sondern in einem funktiona-len, auf das jeweilige Gesetz und den maßgeblichen [X.] bezo-genen Sinne
zu verstehen. So bezieht etwa § 1 Abs. 4
[X.] den Begriff der Behörde ausdrücklich auf das Verwaltungsverfahrensgesetz ("Behörde im [X.] dieses Gesetzes"). Der [X.] nach § 1 Abs. 4 [X.]
kann [X.] nicht ohne weiteres für andere Rechtsgebiete
übernommen werden
(vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 1 Rn. 226 mwN; M. Ronel-lenfitsch in [X.], 34. Edition, Stand 1. April 2016, § 1 Rn. 65; [X.] in
Kopp/[X.], [X.], 17. Aufl., § 1 Rn. 51, 51d;
Schönenbroicher in [X.]/[X.]/Uechtritz, [X.], § 1 Rn. 45). Während die Bestimmung des § 1 Abs. 4 [X.]
voraussetzt, dass die als Behörde in Betracht kommende Stelle Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, ist
der [X.] des Presserechts nicht organisatorisch-verwaltungstechnisch, sondern [X.] dahin zu verstehen, dass auch juristische Personen des Privat-rechts, die von der öffentlichen Hand beherrscht und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben
im Bereich der Daseinsvorsorge
eingesetzt werden, unter den Begriff der Behörde fallen (vgl. [X.], Urteil vom 10.
Februar 2005 -
[X.]I
ZR
294/04, NJW 2005, 1720 f.). Der [X.]
des Beamtenrechts gemäß § 26 Abs. 2 [X.] ist nach dienstrechtlichen Grundsätzen ([X.], Urteil vom
24. Januar 1991 -
2 C 16/88, NJW 1991, 2980, 2981 mwN)
und
derjenige des Personen-29
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-
13
-
standsgesetzes entsprechend der Zielsetzung von § 65 PStG auszulegen ([X.] in [X.]/[X.]
aaO § 1 Rn. 226 [X.]. 643). Für den Behör-denbegriff ist mithin
maßgeblich
auf den jeweiligen [X.] abzustel-len (vgl. [X.], [X.], 1146, 1147 mwN).
b) Aus dem im Streitfall maßgeblichen [X.] und der ausdrücklich vom Gesetz vorgenommenen Begriffsbestimmung ergibt sich zweifelsfrei, dass der
Gläubiger Vollstreckungsbehörde im Sinne von § 15a Abs. 3 und 4 LVwVG
[X.]
ist.
Gemäß § 10 Abs. 6 [X.] werden [X.], mit denen rückständige Rundfunkbeiträge festgesetzt werden, im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt. Für die Beitreibung von Beitragsbescheiden durch den Gerichtsvoll-zieher
ist gemäß § 15a Abs. 3 Satz 2 LVwVG [X.] ein schriftliches Vollstre-ckungsersuchen der Vollstreckungsbehörde erforderlich. Gemäß § 4 Abs. 1
LVwVG [X.] ist unter dem Begriff der Vollstreckungsbehörde die Behörde zu verstehen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Dies ist die zuständige Lan-desrundfunkanstalt (§ 10 Abs. 5 [X.]).
Für die Festsetzung rückständigen Rundfunkbeiträge des Schuldners ist
mithin
kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung
die
zuständige
[X.]
als
Vollstreckungsbehörde anzusehen (vgl. [X.], [X.], 48 Rn. 32; NJW-RR 2016, 378 Rn. 20).
3.
Auch die weiteren Annahmen des [X.] halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Entgegen der Ansicht des [X.]
hängt die im Streitfall maßgebliche [X.] nicht davon ab, ob der Gläubiger
stets rechtmäßig handelt
oder
als "gesetzestreu" anzusehen ist. Im Hinblick auf die
hier maßgebliche Frage,
ob der Gläubiger als [X.] bei der 31
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ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgabe der Festsetzung rückständiger
Beiträge als Vollstreckungsbehörde im Sinne von § 15a LVwVG [X.] anzusehen ist, ist ferner nicht relevant, ob er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Erbringer medialer Leistungen als Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne oder "unter-nehmerisch"
auftritt. Insoweit erfüllt der Gläubiger
im Rahmen des dualen Rund-funksystems
in Konkurrenz zu privaten Rundfunkveranstaltern
seine aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende
verfassungsrechtliche Aufgabe, den Bürgern eine mediale Grundversorgung zu bieten (vgl.
[X.]E 90, 60, 90). Davon zu [X.] ist die vorliegend allein maßgebliche Funktion, die der Gesetzgeber dem Gläubiger als [X.] bei der Festsetzung und Durchset-zung der ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben zustehenden Beiträge
verliehen hat.

Ebenfalls ist es unerheblich, ob der Gläubiger an öffentliches Besoldungs-
und Vergaberecht gebunden ist
oder dieses anwendet, ob er Werbezeiten [X.] oder
die rechtlichen Regelungen der Zulässigkeit von Sponsoring und Produktplatzierungen einhält,
ob in [X.] von einer Behörde die Rede ist und ob
Zahlungsaufforderungen als einfache Briefe verschickt werden.

Alle diese Umstände sind nicht nur für den im Streitfall allein maßgebli-chen vollstreckungsrechtlichen [X.] ohne Bedeutung, sondern auch für den vom Beschwerdegericht selbst zugrunde gelegten
"allgemeinen"
Begriff der Behörde, der eine Einheit von Personen und sächlichen Mitteln voraussetzt, die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet, in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnet und dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter
Zwecke tätig zu sein (vgl. [X.], NJW 1991, 2980 mwN).
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-
15
-
b) Die Rechtsbeschwerde macht
schließlich mit Recht
geltend, dass das Beschwerdegericht
seine Beurteilung nicht
ohne weiteres
auf tatsächliche Um-stände stützen darf, die
von keiner
Partei im vorliegenden Verfahren vorgetra-gen oder von der Beschwerdeerwiderung bestritten oder abweichend vorgetra-gen wurden.
Soweit sich das Beschwerdegericht auf gerichtsbekannte Umstän-de berufen
oder von
Offenkundigkeit ausgehen will, muss es dies so [X.], dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine
Überprüfung möglich ist.

Büscher
Schaffert
[X.]

Löffler
Feddersen
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 14.07.2016 -
2 M 176/16 -

LG [X.], Entscheidung vom 20.09.2016 -
5 [X.] -

37

Meta

I ZB 91/16

27.04.2017

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.04.2017, Az. I ZB 91/16 (REWIS RS 2017, 11823)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11823

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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