Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.12.2012, Az. 1 C 20/11

1. Senat | REWIS RS 2012, 361

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Gegenstand

Assoziationsrecht; Ausweisung; Gefahrenprognose; Strafaussetzung zur Bewährung; Abschaffung des Widerspruchsverfahrens; Stand-Still-Klausel


Leitsatz

1. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte sind bei ihrer aufenthaltsrechtlichen Gefahrenprognose anlässlich des Erlasses bzw. der Überprüfung einer spezialpräventiven Ausweisung nicht an die Entscheidungen der Strafgerichte über eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gebunden (wie Urteil vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 = NVwZ 1997, 1119 <1120> und vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <193> = Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 40).

2. Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens für Ausweisungsentscheidungen in Baden-Württemberg verstößt nicht gegen die Stand-Still-Klauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP (Fortführung der Rechtsprechung im Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - Rn. 24 f.).

Tatbestand

1

Der im Jahr 1981 in [X.] geborene Kläger, ein [X.] Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Vater des [X.] war 1973 in das [X.] eingereist und hier als Arbeitnehmer tätig. Er ist mittlerweile verstorben. Der Kläger hat vier ältere Brüder, die alle in [X.] leben. Auch seine pflegebedürftige Mutter lebt hier. Der Kläger wuchs bei seinen Eltern auf und war seit Oktober 1997 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. 1998 schloss er die Hauptschule und 2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker ab.

3

Am 8. April 2004 ordnete das Amtsgericht S. gegen den Kläger Untersuchungshaft an, weil er dringend verdächtig war, als Mitglied einer Bande mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Der Aufenthalt des [X.] war zum damaligen Zeitpunkt unbekannt. Tatsächlich war er in die [X.] geflohen. Dort hielt er sich 14 Monate auf, bis er am 2. Juni 2005 verhaftet und am 12. August 2005 an die Bundesrepublik [X.] überstellt wurde.

4

Mit Urteil des [X.] vom 24. November 2005 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857 300 € wurde angeordnet. Der Verurteilung lag ein Handeltreiben mit etwas mehr als 200 kg Marihuana sowie 500 g Kokain zugrunde. Tatsächlich war jedoch unter führender Beteiligung des [X.] nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs von Januar 2002 bis zu seiner Verhaftung im Juni 2005 mit insgesamt 2 Tonnen Marihuana, mindestens 5 kg Kokain und mit Ecstasy-Tabletten gehandelt worden ([X.]), davon 1,5 Tonnen Marihuana vor seiner Flucht in die [X.] ([X.]) und 500 kg nach der Flucht. Das war der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung nicht bekannt.

5

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 4. Oktober 2006 aus, ohne die Wirkungen der Ausweisung zu befristen, und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die [X.] an. Zur Begründung der Ausweisung stützte sich der Beklagte darauf, dass der Kläger trotz der von ihm erworbenen assoziationsrechtlichen Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 [X.] 1/80 und Art. 7 Satz 2 [X.] 1/80 im Ermessenswege ausgewiesen werden könne, weil die Voraussetzungen des Art. 14 [X.] 1/80 erfüllt seien. Mit den Drogenstraftaten habe der Kläger ein persönliches Verhalten an den Tag gelegt, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Zudem liege eine konkrete Wiederholungsgefahr vor. Der Kläger sei wegen zahlreicher [X.] verurteilt worden, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt hätten. Auch wenn er seit seiner Geburt in [X.] lebe, sei er doch nicht ohne Bindungen in die [X.]. Das Interesse der [X.] sei aber höher zu bewerten als das Interesse des [X.] am Zusammenleben mit seinen Eltern und seinen Brüdern. Die Ausweisung wurde ohne Beteiligung einer weiteren Verwaltungsbehörde erlassen.

6

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. März 2008 ab. Während des Berufungsverfahrens ordnete die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. Oktober 2010 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe an und setzte eine Bewährungszeit von drei Jahren fest. Die bedingte Entlassung erfolgte etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe. Zur Begründung der Entscheidung stützte sich die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen auf ein kriminalprognostisches Gutachten und eine eigene Anhörung des [X.].

7

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Kläger eingehend zu den Tathintergründen und seinem Verhalten nach der Tat befragt worden. Weiter wurde [X.], der die Ermittlungen gegen den Kläger und die Drogenbande geleitet hatte, als Zeuge vernommen. Schließlich wurde die Gutachterin aus dem Strafvollstreckungsverfahren zur Erläuterung ihres Gutachtens angehört.

8

Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 4. Oktober 2006 aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

9

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. April 2011 die Berufung hinsichtlich der Ausweisung zurückgewiesen: Der Kläger habe nur bis zum April 2004 ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 [X.] 1/80 besessen. Er sei als Sohn eines in der Vergangenheit dem [X.] Arbeitsmarkt angehörenden [X.] Arbeitnehmers geboren, was nach fünf Jahren zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich [X.] 1/80 geführt habe. Mit dem Abschluss seiner Lehre habe er auch eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 2 [X.] 1/80 erworben. Diese Rechte habe er aber durch seine Flucht aus dem [X.] vor der ihm drohenden Strafverfolgung verloren, weil er sich auf unabsehbare Zeit außerhalb [X.]s habe aufhalten wollen. Insbesondere die Beschaffung eines fremden [X.] Reisepasses und die Fortsetzung der Betäubungsmittelkriminalität von den [X.]n aus verdeutlichten, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt gehabt habe.

Damit sei § 53 Nr. 1 und 2 [X.] Rechtsgrundlage für die Ausweisung. Besonderen Ausweisungsschutz genieße der Kläger nicht, weil seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen sei, als er mit seiner Flucht in die [X.] aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausgereist sei. Die spezialpräventive Ausweisung des [X.] erweise sich aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch nach Art. 8 [X.] als verhältnismäßig. Der Kläger habe als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme Straftaten verübt, die ihn als Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität auswiesen. Er habe ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt. Auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger sei der Senat davon überzeugt, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgehe. Dem kriminalprognostischen Gutachten werde keine entscheidungserhebliche Bedeutung zugemessen, weil es auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruhe und in zentralen Punkten nicht schlüssig sei. Diese Mängel hätten nicht ausgeräumt werden können. Die Gutachterin habe u.a. nicht in den Blick genommen, dass der Kläger mehr als 800 000 € Schulden habe.

Die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung noch vor Ablauf des [X.] führe nicht dazu, dass die Frage der Wiederholungsgefahr günstiger zu sehen sei. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sei auf das mangelhafte Gutachten gestützt. Auch sei der Senat aufgrund des gewonnenen Eindrucks vom Kläger überzeugt, dass dieser keine nachhaltige Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen habe. Die beanstandungsfreie Führung und Weiterbildung des [X.] im Vollzug lasse nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Gleiches gelte dafür, dass er in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen sei. Die Lebensumstände unterschieden sich nach der Haftentlassung nicht grundlegend von denen, die vor dem Einstieg in die Kriminalität vorgelegen hätten; die immense Schuldenbelastung sei sogar ein zusätzlicher negativer Faktor. Die Ausweisung sei auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verhältnismäßig.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er ihre sofortige Befristung. Er rügt, er habe seine Rechtsposition aus Art. 7 [X.] 1/80 mit der Flucht in die [X.] entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht verloren. Insoweit komme es nicht auf den subjektiven Willen an, sondern auf das objektive Geschehen. Ein Auslandsaufenthalt von etwas mehr als einem Jahr genüge nicht, um die Rechtsposition zum Erlöschen zu bringen. Einer zwingenden Ausweisung stehe weiter entgegen, dass der Kläger im Februar 2011 eine [X.] Staatsangehörige nach islamischem Ritus geheiratet habe und mit ihr und ihren Kindern nunmehr in familiärer Gemeinschaft zusammenlebe. Die Ausweisung sei darüber hinaus [X.] ergangen, weil das Gebot zur Einschaltung einer unabhängigen Stelle im einstufigen Verwaltungsverfahren aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/[X.] verletzt worden sei. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger nach Abschluss des Berufungsverfahrens seine Lebensgefährtin standesamtlich geheiratet habe. Diese sei im November 2012 eingebürgert worden. Die Eheleute seien seit dem 5. Januar 2012 auch Eltern einer [X.] Tochter. Diese neuen Tatsachen seien im Revisionsverfahren jedenfalls insoweit zu berücksichtigen, als sie sich aus Urkunden ergäben.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen. Der Vertreter des [X.] beim [X.] hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht die Ausweisung als rechtmäßig angesehen (1.). Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in [X.] getretenen [X.] 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von neun Jahren zu befristen (2.).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und des [X.] ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im [X.]punkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 15. April 2011 (Urteil vom 15. November 2007 - [X.] 1 [X.] 45.06 - [X.]E 130, 20 Rn. 12). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des [X.] - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - [X.] 1 [X.] 1.10 - [X.]E 138, 371 Rn. 10 = [X.] 451.902 [X.]. Ausl. u. Asylrecht Nr. 47 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der [X.]äischen Union vom 1. Juni 2012 ([X.]). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der [X.]äischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den [X.] vom 22. November 2011 ([X.]) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

1. Die Ausweisung des [X.] ist rechtmäßig. Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen [X.]punkt eine Rechtsstellung nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates [X.] vom 19. September 1980 ([X.] 1981, 4 = [X.] 1982, 33) - [X.] 1/80 - besaß oder ob - wovon das Berufungsgericht ausgeht - diese Rechtsstellung erloschen ist und sich die Ausweisung daher allein nach nationalem Aufenthaltsrecht beurteilt. Für den Fall des Erlöschens des assoziationsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts ist das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die verfügte Ausweisung den Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 und 2 [X.] und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Aber selbst wenn die Ausweisung an den Maßstäben des [X.] 1/80 zu messen ist, erweist sie sich als rechtmäßig.

1.1 Der Kläger hat eine Rechtsposition nach Art. 7 [X.] 1/80 erworben. Er ist in [X.] als Sohn eines nach [X.] gezogenen [X.] Arbeitnehmers geboren und aufgewachsen. Damit erfüllt er - ungeachtet des Umstands, dass er nicht zu seinem Vater nachgezogen ist - die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich [X.] 1/80 (vgl. Urteil vom 6. Oktober 2005 - [X.] 1 [X.] 5.04 - [X.]E 124, 243 <246> = [X.] 451.901 Assoziationsrecht Nr. 45). Er hat im [X.] zudem eine Berufsausbildung abgeschlossen, so dass er auch nach Art. 7 Satz 2 [X.] 1/80 privilegiert ist.

Geht man davon aus, dass der Kläger seine Rechtsstellung nach Art. 7 [X.] 1/80 nicht verloren hat, bestimmt sich die Rechtmäßigkeit der gegen ihn verfügten Ausweisung nach § 55 Abs. 1 [X.] i.V.m. Art. 14 Abs. 1 [X.] 1/80. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 [X.] besitzt der Kläger nicht, da sein nationaler Aufenthaltstitel infolge der Ausreise in die [X.] im April 2004 erloschen ist (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990). Gemäß Art. 14 Abs. 1 [X.] 1/80 kann der Kläger nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik [X.] darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist ([X.], Urteil vom 8. Dezember 2011 - [X.]. [X.]-371/08, [X.] - NVwZ 2012, 422 Rn. 86). Das ist hier der Fall.

1.2 Die Gefahren, die vom gewerbsmäßigen illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der [X.]äischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine [X.] und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. [X.], Urteil vom 23. November 2010 - [X.]. [X.]-145/09, [X.] - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Er verweist auf die "verheerenden Folgen" gerade des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln für die Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten (a.a.[X.] Rn. 46). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen (a.a.[X.] Rn. 54). Im Übrigen zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 [X.]. 2 A[X.]V als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. [X.], Urteil vom 22. Mai 2012 - [X.]. [X.]-348/09, [X.] - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der [X.]äische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln, selbst wenn er nicht bandenmäßig begangen wird, als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, [X.]/[X.] - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, [X.]/Vereinigtes Königreich - [X.] 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des [X.] eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 [X.] 1/80 dar. Er hat aus reinem Gewinnstreben bandenmäßig mit Betäubungsmitteln gehandelt, und zwar in führender Position innerhalb der Bande. Der illegale Handel erfolgte über einen [X.]raum von mehr als drei Jahren und bezog sich auf eine sehr große Menge Marihuana (2 Tonnen) sowie eine erhebliche Menge Kokain (mindestens 5 kg). Der Kläger hat den Drogenhandel auch nach Aufdeckung seines strafbaren Verhaltens vom Ausland aus fortgesetzt.

1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens im Bereich der Drogenkriminalität bejaht. Es hat die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des [X.], bei dem die gebotene Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, seine hohe Schuldenbelastung, aber auch seine beanstandungsfreie Führung im Strafvollzug sowie in der anschließenden Bewährungszeit und die vom Kläger im Vollzug genutzte Möglichkeit zur Weiterbildung umfassend gewürdigt. Nach der Überzeugung des Gerichts lässt sich eine erhebliche Wiederholungsgefahr vor allem aus dem Ausmaß der vom Kläger begangenen Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation ableiten. Das Berufungsgericht kam nach ausführlicher Anhörung des [X.] in der mehrstündigen mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis, dass der Kläger in den Jahren nach Beendigung seiner Taten keinen grundlegenden Persönlichkeitswandel vollzogen hat, der verlässlich den Schluss auf ein zukünftig [X.] Leben zulässt.

Dabei hat sich das Gericht eingehend mit dem kriminalprognostischen Gutachten vom September 2010 auseinandergesetzt, das zur Aussetzung der Restfreiheitsstrafe durch die Strafvollstreckungskammer führte. Darin ist die Gutachterin zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht. Das Berufungsgericht ist dem Gutachten nicht gefolgt, weil es nach seiner Auffassung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruht, in zentralen Punkten nicht schlüssig ist und die Mängel auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt werden konnten. So hat sich die Gutachterin als Beleg dafür, dass der Kläger nunmehr andere Ziele im Leben verfolge, auf seine enge Beziehung zu einer türkischstämmigen Frau bezogen, mit der er sich verloben wolle. Tatsächlich hatte er zum [X.]punkt der Begutachtung schon Kontakt zu seiner heutigen Ehefrau aufgenommen, was er der Gutachterin verschwiegen hatte. Ferner hatte der Kläger gegenüber der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben. Tatsächlich war aber sein langjähriger Freund M., der ebenfalls der Drogenbande angehörte, Trauzeuge bei der Heirat nach islamischem Ritus mit seiner heutigen Ehefrau, und zwar wenige Monate nach der Begutachtung. Ferner ist die Gutachterin davon ausgegangen, dass der Kläger mit Marihuana im Kilogrammbereich gehandelt habe, während sich das Volumen des Handels mit diesem Betäubungsmittel auf 2 Tonnen bezog und dazu noch der Handel mit mindestens 5 kg Kokain und mit [X.] kam. Schließlich hatte die Gutachterin die hohe verbliebene Schuldenbelastung des [X.] von mehr als 800 000 € nicht berücksichtigt. Die Einschätzung, dass die Inhaftierung beim Kläger offenkundig zu einem Gesinnungswandel geführt habe, hatte die Gutachterin nach einer lediglich eineinhalbstündigen Exploration gewonnen, während das Berufungsgericht aufgrund seiner mehrstündigen Verhandlung, in der auch der Kläger eingehend angehört und befragt wurde, zu dem gegenteiligen Ergebnis kam.

Das Berufungsgericht war bei seiner Gefahrenprognose nicht an die Einschätzung der Strafvollstreckungskammer bei deren Entscheidung über die Aussetzung des [X.] zur Bewährung gebunden. Zwar sind die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der Prognose ein wesentliches Indiz dar. Eine Bindungswirkung geht von den strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen jedoch nicht aus. Die sich nach [X.] bestimmende Prognose, ob der Ausländer eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik [X.] darstellt, bestimmt sich nämlich nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten, auch nicht nach dem Gedanken der Resozialisierung. Vielmehr haben die zuständigen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. Urteile vom 28. Januar 1997 - [X.] 1 [X.] 17.94 - [X.] 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 = NVwZ 1997, 1119 <1120> und vom 16. November 2000 - [X.] 9 [X.] 6.00 - [X.]E 112, 185 <193> = [X.] 402.240 § 51 AuslG Nr. 40; Discher, in: GK-[X.], Stand: Juni 2009, vor §§ 53 ff. Rn. 1241 ff.). Dabei haben sie auch sonstige, den Strafgerichten möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. Sie können deshalb sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen. Im vorliegenden Fall erscheint ein Abweichen des Berufungsgerichts von der positiven Sozialprognose der Strafvollstreckungskammer schon deshalb nachvollziehbar, weil die strafrichterliche Entscheidung auf einem als mangelhaft bewerteten kriminalprognostischen Gutachten beruhte und sich das Berufungsgericht zudem auf neuere Erkenntnisse aus der [X.] nach Haftentlassung (z.B. erneuter Kontakt zu einem Mitglied der früheren Drogenbande) und insbesondere auf eine aktuelle ausführliche Befragung des [X.], der Gutachterin und des ermittelnden Polizeibeamten stützen konnte. Damit ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, dass das persönliche Verhalten des [X.] gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik [X.] im Sinne von Art. 14 [X.] 1/80 darstellt. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht seine Gefahrenprognose im Rahmen der Prüfung von § 53 [X.] getroffen hat. Denn die getroffenen Feststellungen und deren tatrichterliche Würdigung ermöglichen dem Revisionsgericht die rechtliche Beurteilung, dass die Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 [X.] 1/80 überschritten ist.

1.4 Die Ausweisung des [X.] erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.[X.] Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des [X.], die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt (vgl. Urteile vom 2. August 2001 - Nr. 54273/00, [X.]/[X.] - [X.] 2001, 476 und vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, [X.]/[X.] - NVwZ 2007, 1279). Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in [X.] geboren und aufgewachsen ist, die [X.] beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in [X.] erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des [X.] an seine in [X.] lebende Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien berücksichtigt. Die zunächst erfolgreiche Integration in den [X.] Arbeitsmarkt hat der Kläger allerdings von sich aus gelöst, indem er sich nur noch im illegalen Drogenhandel betätigte. Zugleich hat das Berufungsgericht die in der Haftzeit begonnene und zum [X.]punkt der gerichtlichen Entscheidung bereits weit fortgeschrittene berufliche Weiterbildung des [X.] zum Mediengestalter positiv gewürdigt. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Gericht auch die Tatsache einbezogen, dass der Kläger nunmehr in einer Lebensgemeinschaft mit [X.] und deren minderjährigen Kindern lebt, die Eheschließung mit [X.] anstrebt und mit ihr einen Kinderwunsch verwirklichen möchte. Die Ausweisung des [X.] ist aber auch unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der [X.] verhältnismäßig; sie ist im Hinblick auf die Vorgaben des [X.]s und der [X.] nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung des [X.] kann die Tatsache, dass der Kläger im Verlauf des Revisionsverfahrens standesamtlich geheiratet hat, seine Ehefrau und deren Kinder [X.] Staatsangehörige geworden sind und der Kläger Vater eines eigenen Kindes mit [X.]r Staatsangehörigkeit geworden ist, der Entscheidung des Senats nicht zugrunde gelegt werden. Das [X.] ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt. Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 [X.] 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten [X.] Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt ([X.], Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.[X.] Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche [X.]punkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Revisionsinstanz wird durch das [X.] nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem [X.] erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll (vgl. hierzu im Einzelnen: Urteil vom 10. Juli 2012 - [X.] 1 [X.] 19.11 - zur Aufnahme in die Entscheidungssammlung [X.]E vorgesehen - Rn. 19). Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der [X.]harta der Grundrechte der [X.]äischen Union (GR[X.]h) und Art. 13 [X.]. Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen ([X.], Urteil vom 28. Juli 2011 - [X.]. [X.]-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69; [X.], Urteil vom 17. Januar 1970 - Nr. 2689/65, [X.] - [X.]-E 1, 100 Rn. 25). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Vielmehr hängt die Anwendung der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes von den ersichtlichen Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens - hier des Revisionsverfahrens - ab (vgl. [X.], Urteil vom 17. Januar 1970 a.a.[X.] Rn. 26). Soweit der [X.]äische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Überprüfung von [X.] Tatsachen berücksichtigt, die nach der abschließenden nationalen Entscheidung eingetreten sind, ergibt sich daraus keine entsprechende Verpflichtung für die nationalen Gerichte in einem Revisionsverfahren (vgl. Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 41548/06, [X.]/[X.] - [X.] 2012, 11 Rn. 60 f.). Nach nationalem Recht verbleibt die Möglichkeit, nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände zugunsten des Ausländers zu berücksichtigen, indem dieser eine Verkürzung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 [X.] beantragt (dazu unter 2.).

1.5 Besitzt der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im [X.]punkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ([X.], Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.[X.] Rn. 84; so bereits [X.], Urteil vom 3. August 2004 - [X.] 1 [X.] 29.02 - [X.]E 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im [X.]. Zugunsten des Ausländers sind die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und seine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im [X.] zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im [X.] aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 [X.]). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 [X.] geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im [X.] geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.[X.] Rn. 20).

Mit Blick auf diese Vorgaben ist die Ermessensausübung des Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 4. Oktober 2006 nicht zu beanstanden. Der Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des [X.] nach Art. 7 [X.] 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 [X.] 1/80. Er erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. In die Ermessensentscheidung sind alle relevanten Gesichtspunkte eingestellt worden. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des [X.] an einem Verbleib in [X.] ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich der Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe. Ausführungen, die der Beklagte schriftsätzlich im Berufungsverfahren zu Fragen der Generalprävention gemacht hat, sind nicht Bestandteil der behördlichen Ermessensentscheidung geworden. Denn für eine Ergänzung von Ermessensentscheidungen gelten nach der Rechtsprechung des Senats strenge Maßstäbe an Form und Handhabung, damit der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 - [X.] 1 [X.] 14.10 - [X.]E 141, 253 Rn. 18). Diese sind hier nicht erfüllt. Denn der Beklagte hat in seinen Schriftsätzen vom 12. Januar 2011, 16. März 2011 und 7. April 2011 jedenfalls nicht hinreichend deutlich getrennt zwischen neuen [X.], die den Inhalt seiner Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen er lediglich als Prozesspartei seine Entscheidung verteidigt. Etwaige Zweifel und Unklarheiten über Inhalt und Umfang nachträglicher Ergänzungen gehen aber zulasten der Behörde (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 a.a.[X.] Rn. 18). Die behördliche Entscheidung verstößt auch nicht gegen das Gebot der Aktualität der Ermessenserwägungen. Denn der Beklagte hat ausweislich seines Schriftsatzes vom 7. April 2011 die neue Entwicklung in den persönlichen Verhältnissen des [X.] erkannt und gewürdigt, insbesondere seine Haftentlassung, seine Heirat von [X.] nach islamischem Ritus und die Betreuungsbedürftigkeit seiner Mutter. Er hat dies aber nicht zum Anlass für eine Ergänzung seiner Ermessensentscheidung genommen. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, da die Änderungen in dem vorliegenden Fall (noch) kein solches Gewicht hatten, dass sie angesichts der Größe der vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefahr einen Anlass für eine Ermessensergänzung gaben. Anders hätte sich die Lage dargestellt, wenn der Kläger im April 2011 bereits mit einer [X.] verheiratet gewesen und mit ihr ein [X.]s Kind gehabt hätte, wie das heute der Fall ist. Dann hätte die Änderung der persönlichen Verhältnisse des [X.] eine Qualität erreicht, die eine Ergänzung der Ermessensentscheidung erfordert hätte, ohne dass deshalb von einer Ausweisung hätte abgesehen werden müssen.

1.6 Die weiteren [X.] der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/[X.] enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte [X.] Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - [X.] 1 [X.] 7.04 - [X.]E 124, 217 <221 f.> im [X.] an [X.], Urteil vom 2. Juni 2005 - [X.]. [X.]-136/03, [X.] und [X.] - Slg. 2005, [X.] = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 4. Oktober 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/[X.] zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/[X.]) erlassen. Zu diesem [X.]punkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/[X.] nicht mehr.

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte [X.] Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen [X.] nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/[X.] (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/[X.] (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Der Gerichtshof der [X.]äischen Union hat in seinem Urteil vom 8. Dezember 2011 für die Auslegung von Art. 14 [X.] 1/80 als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen Art. 12 der Richtlinie 2003/109/[X.] herangezogen ([X.], Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.[X.] Rn. 74 und 78 f.). Nach Absatz 4 dieser Vorschrift steht langfristig [X.] zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen. Noch nicht ausdrücklich entschieden wurde, ob die maßgebliche Vorschrift der Richtlinie 2004/38/[X.] für den Rechtsschutz gegen [X.] (Art. 31) auf assoziationsrechtlich begünstigte [X.] Staatsangehörige entsprechend angewendet werden kann. Selbst wenn das geboten wäre, ergäbe sich daraus nicht die Verpflichtung zur Beteiligung einer unabhängigen Stelle, denn Art. 31 der Richtlinie 2004/38/[X.] sieht eine solche Beteiligung nicht vor. Vielmehr bestimmt Art. 31 Abs. 1, dass gegen [X.] ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Im Rechtsbehelfsverfahren sind gemäß Art. 31 Abs. 3 die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Das Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf den in Art. 28 geregelten Schutz vor Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist (Art. 31 Abs. 3 Satz 2). Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/[X.] kompensiert den Wegfall der Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren, wie sie noch in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/[X.] vorgeschrieben war, durch einen erhöhten Rechtsschutz im gerichtlichen Verfahren. Die angefochtene Entscheidung unterliegt nunmehr nicht nur einer Rechtskontrolle, sondern das Gericht hat auch die der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen zu überprüfen.

Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, Art. 31 der Richtlinie 2004/38/[X.] sehe weiter die Beteiligung einer unabhängigen Stelle vor, was sich zum einen daraus ergebe, dass der Rechtsbehelf nach Art. 31 Abs. 1 "gegebenenfalls" auch bei einer Behörde eingelegt werden könne und sich die Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren gemäß Art. 31 Abs. 3 nicht nur auf Tatsachen, sondern auch auf "Umstände" zu beziehen habe. Denn der Verweis in Art. 31 Abs. 1 auf die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf gegebenenfalls bei einer Behörde einzulegen ([X.] Fassung: "where appropriate"), bezieht sich erkennbar auf die Fälle, in denen das nationale Recht das so vorsieht, etwa wenn der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Beteiligung einer zweiten Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus jedoch nicht. Entsprechendes gilt für die in Art. 31 Abs. 3 vorgeschriebene Überprüfung der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht. Aus dem Begriff der "Umstände" ([X.] Fassung: "circumstances") lässt sich eine Zweckmäßigkeitsprüfung - wie sie in [X.] einer Behörde vorbehalten wäre - nicht ableiten. Die Formulierung ist vielmehr im Zusammenhang mit Art. 31 Abs. 3 Satz 2 zu sehen, der die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Entscheidung im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 vorschreibt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind alle "Umstände" zu berücksichtigen, die Art. 28 bezeichnet.

Bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 2012 - [X.] 1 [X.] 19.11 - hat der Senat ausgeführt (juris Rn. 23), dass assoziationsrechtlich privilegierte [X.] Staatsangehörige nach der Rechtsprechung des [X.] keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen können als Unionsbürger. Für Unionsbürger wurde die behördliche Kontrolle von [X.] nach dem "Vier-Augen-Prinzip", wie sie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/[X.] vorsah, abgeschafft. Dann steht aber auch den Inhabern eines aus dem [X.] 1/80 abgeleiteten Aufenthaltsrechts kein solcher erweiterter behördlicher Rechtsschutz mehr zu.

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die [X.] in Art. 13 [X.] 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der [X.]äischen Wirtschaftsgemeinschaft und der [X.] für die Übergangsphase der Assoziation ([X.] II S. 385) - [X.]. Gemäß Art. 13 [X.] 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der [X.] und die [X.] für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 [X.] werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen [X.] ergibt sich nach Auffassung des [X.], dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/[X.] bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter [X.]r Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

Wie bereits im Urteil vom 10. Juli 2012 ausgeführt (a.a.[X.] Rn. 25), spricht gegen die Auffassung des [X.] bereits die Tatsache, dass Art. 13 [X.] 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die [X.]äische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 [X.] betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 [X.] 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen [X.] überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - [X.] 1 [X.] 6.08 - [X.]E 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/[X.] oder Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/[X.] eine Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/[X.] auf assoziationsrechtlich privilegierte [X.] Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 [X.] verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der [X.] in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der [X.] einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den [X.] von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/[X.] - wie oben dargelegt - der Fall.

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen nationalen Verstoß gegen die [X.] in Art. 13 [X.] 1/80 durch das Entfallen des Widerspruchsverfahrens für [X.] in [X.] seit 1. Juli 1999. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/[X.] - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens [X.] Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des [X.] steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf [X.] Staatsangehörige und auf [X.]sangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den [X.] in Art. 13 [X.] 1/80 und Art. 41 Abs. 1 [X.] (vgl. Urteile vom 19. Februar 2009 - [X.]. [X.]-228/06, [X.] u.a. - [X.] 2009, 135 Rn. 61 zu Art. 41 [X.] und vom 17. September 2009 - [X.]. [X.]-242/06, [X.] - Rn. 67 zu Art. 13 [X.] 1/80). Demzufolge kann die generelle Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in [X.] nicht gegen Art. 13 [X.] 1/80 verstoßen, da sie auch in Fällen der Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt von Unionsbürgern (§ 6 [X.]/[X.]) gilt. Im Übrigen wäre die Aufrechterhaltung des Widerspruchsverfahrens nur für [X.] Staatsangehörige nicht mit dem Besserstellungsverbot des Art. 59 [X.] vereinbar.

2. Auf den Hilfsantrag des [X.], mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von neun Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 [X.] durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] genannten Wirkungen der Ausweisung hat (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.[X.] Rn. 28). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung.

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das [X.] einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese [X.] eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den [X.], eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a [X.] aus dem [X.] abgeschoben wurde.

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 [X.] in der Neufassung des [X.] 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die [X.] befristet. Das hat der Senat mit Urteil vom 10. Juli 2012 entschieden (a.a.[X.] Rn. 30 ff.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest; zur Begründung wird auf das vorgenannte Urteil verwiesen. Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des [X.] 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.[X.] Rn. 39 f.). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

2.2.2 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den [X.]punkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von neun Jahren für angemessen.

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 [X.] unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/[X.]). Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Zunächst bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 [X.] vorliegen, geht der Senat davon aus, dass in der Regel ein [X.]raum von maximal zehn Jahren den [X.]horizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Leitet sich diese regelmäßige Höchstdauer für die Befristung von zehn Jahren aus dem Umstand ab, dass mit zunehmender [X.] die Fähigkeit zur Vorhersage zukünftiger persönlicher Entwicklungen abnimmt, bedeutet ihr Ablauf nicht, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer [X.] eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 [X.]).

Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GR[X.]h, Art. 8 [X.], messen lassen und ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.[X.] Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 [X.] genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im [X.]punkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum [X.]punkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts vollumfänglich zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 [X.] genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im [X.]punkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Bei der Bemessung der Frist hatte der Senat in einem ersten Schritt zu berücksichtigen, dass beim Kläger die Gefahr der Wiederholung schwerwiegender Drogenstraftaten besteht. Trotz seiner erfolgreichen Fortbildungsanstrengungen im Strafvollzug und in den Folgemonaten sowie erster Ansätze für eine erfolgreiche Integrationsprognose wäre wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der fortbestehenden Verbindungen des [X.] zu einzelnen Mitgliedern seiner früheren Drogenbande sowie seines Alters eine Befristung für einen [X.]raum von zehn Jahren erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in seiner Person Rechnung zu tragen. Diese Frist hat der Senat um ein Jahr reduziert und damit den persönlichen Bindungen des [X.] an [X.] als Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist und in dem seine Familie lebt, Rechnung zu tragen. Zu den vom Senat berücksichtigten Bindungen zählen auch die an [X.] und deren minderjährige Kinder, wobei die Lebensgemeinschaft allerdings zum maßgeblichen [X.]punkt der Berufungsentscheidung erst wenige Monate bestand und in Kenntnis der ergangenen Ausweisungsverfügung eingegangen worden war.

Der Senat hat bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Verkürzung der Frist stellen kann. Bei der Bescheidung dieses Antrags sind von der Beklagten dann die Änderungen in den persönlichen Verhältnissen des [X.] zu berücksichtigen, die seit dem Berufungsurteil vom April 2011 eingetreten sind, insbesondere seine standesamtliche Eheschließung mit [X.], die mittlerweile die [X.] Staatsangehörigkeit hat, sowie die Geburt einer gemeinsamen Tochter, die ebenfalls [X.] Staatsbürgerin ist. Weiter wird die Beklagte im Fall eines Verkürzungsantrags des [X.] zu prüfen haben, ob auch solche neuen Tatsachen vorliegen, aus denen sich eine Verminderung der Wiederholungsgefahr ableiten lässt.

3. Die Frage, ob die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offenbleiben (vgl. dazu Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.[X.] Rn. 45). Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/[X.] darstellt.

Meta

1 C 20/11

13.12.2012

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 15. April 2011, Az: 11 S 189/11, Urteil

Art 83 Abs 1 AEUV, § 11 Abs 1 AufenthG 2004, § 53 Nr 1 AufenthG 2004, § 53 Nr 2 AufenthG 2004, § 55 AufenthG 2004, Art 7 EWGAssRBes 1/80, Art 13 EWGAssRBes 1/80, Art 14 Abs 1 EWGAssRBes 1/80, Art 8 MRK, Art 2 Abs 1 GG, Art 6 GG, Art 7 EUGrdRCh, Art 47 Abs 1 EUGrdRCh, Art 9 EWGRL 221/64, Art 12 Abs 4 EGRL 109/2003, Art 31 Abs 1 EGRL 38/2004, Art 31 Abs 3 EGRL 38/2004, Art 11 Abs 2 EGRL 115/2008, Art 41 Abs 1 EWGAbkTURZProt, Art 59 EWGAbkTURZProt, § 57 StGB, § 68 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 108 VwGO, § 128 VwGO, § 137 Abs 2 VwGO, § 142 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.12.2012, Az. 1 C 20/11 (REWIS RS 2012, 361)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 361

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Erlöschen eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts infolge Auslandsaufenthalts


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