Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.03.2015, Az. 1 C 19/14

1. Senat | REWIS RS 2015, 13445

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Gegenstand

Erlöschen eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts infolge Auslandsaufenthalts


Leitsatz

1. Ob ein türkischer Staatsangehöriger das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen und dadurch sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren hat (EuGH, Urteil vom 16. März 2000 - C-329/97 [ECLI:EU:C:2000:133], Ergat - stRspr), richtet sich danach, ob er seinen Lebensmittelpunkt aus Deutschland wegverlagert hat.

2. Je länger der Auslandsaufenthalt des Betroffenen andauert, desto eher kann von der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes in Deutschland ausgegangen werden. Ab einem Auslandsaufenthalt von ungefähr einem Jahr müssen gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sein Lebensmittelpunkt noch im Bundesgebiet ist (Fortentwicklung von BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27).

Tatbestand

1

Der Kläger, ein [X.] Staatsangehöriger, wendet sich gegen die ihm gegenüber verfügte Abschiebungsandrohung des Beklagten.

2

Der am 3. März 1966 geborene Kläger reiste im Juli 1988 zu seiner [X.] Ehefrau nach [X.], die als Arbeitnehmerin beschäftig war. Im Oktober 1993 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

3

Nach der Scheidung heiratete er im August 2003 wiederum eine [X.] Staatsangehörige, mit der er einen im November 2001 geborenen [X.] hat. Nach einem erfolglosen Asylverfahren reisten Ehefrau und Kind im April 2003 freiwillig in die [X.] aus. Ihr Antrag auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug in die Bundesrepublik [X.] blieb ohne Erfolg.

4

Der Beklagte wurde im Mai 2006 darauf aufmerksam, dass der Kläger sich über einen längeren Zeitraum nicht in [X.] aufgehalten hatte. Nach Aufforderung der Ausländerbehörde, Nachweise über seinen Aufenthalt beizubringen, legte er zuletzt im Januar 2011 eine Bescheinigung des [X.] Generalkonsulats in [X.] über seine Ein- und Ausreisen in bzw. aus der [X.] vor. Daraus ergibt sich, dass er sich vom 8. Oktober 2004 bis zum 30. März 2006 ununterbrochen in der [X.] aufgehalten hat.

5

Mit Bescheid vom 7. Januar 2011 stellte der Beklagte fest, dass der Kläger verpflichtet ist, das [X.] zu verlassen, und drohte für den Fall nicht fristgerechter freiwilliger Ausreise bis zum 13. Februar 2011 die Abschiebung in die [X.] an. Zur Begründung führte die Behörde aus, der Kläger habe sich von Oktober 2004 bis Ende März 2006 in der [X.] aufgehalten, so dass seine Niederlassungserlaubnis erloschen sei. Deshalb sei er am 1. April 2006 ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik [X.] eingereist.

6

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass seine Niederlassungserlaubnis nicht erloschen sei sowie die Aufhebung des Bescheids vom 7. Januar 2011. Nach Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Beschluss vom 3. August 2011) hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. November 2011 den Bescheid vom 7. Januar 2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen.

7

Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht [X.]-Brandenburg mit Urteil vom 17. Juli 2014 die Entscheidung des [X.] geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Aufenthaltsrecht des [X.] aus Art. 7 [X.] 1/80 sei aufgrund seines vom 8. Oktober 2004 bis mindestens zum 30. März 2006 andauernden ununterbrochenen Aufenthalts in der [X.] erloschen. Seit der Entscheidung des [X.] vom 8. Dezember 2011 in der Sache "[X.]" sei zur Konkretisierung des [X.] assoziationsrechtlicher Aufenthaltsrechte in dem Fall, in dem ein Berechtigter das Gebiet des Aufnahmemitgliedstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen habe, als "Orientierungsrahmen" nicht die für Unionsbürger geltende Zweijahresfrist des Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/[X.] heranzuziehen, sondern die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 2003/109/[X.] vorgesehene Jahresfrist. Wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen der jeweiligen Bestimmungen könnten die Regelungen für Unionsbürger nicht auf assoziationsberechtigte [X.] Staatsangehörige übertragen werden. Greife der Gerichtshof für die erste Fallgruppe des Erlöschens assoziationsrechtlicher Aufenthaltsrechte nach Art. 14 Abs. 1 [X.] 1/80 auf die Daueraufenthaltsrichtlinie zurück, gelte dies auch für die zweite Fallgruppe. Es liege auch kein berechtigter Grund für die über ein Jahr andauernde Abwesenheit des [X.] aus [X.] vor. Zwar könne es sein, dass er im Oktober 2004 zunächst in der Absicht in die [X.] ausgereist sei, seinen [X.] beschneiden zu lassen. Er habe aber jedenfalls nach seiner Ausreise seinen Lebensmittelpunkt freiwillig in die [X.] verlegt. Aus den Gesamtumständen ergebe sich, dass er vorrangig in familiärer Lebensgemeinschaft mit seiner Frau und dem Kind habe leben wollen, was sich in [X.] nicht habe realisieren lassen. Deshalb sei der Kläger bei seiner Wiedereinreise im April 2006 nicht im Besitz des erforderlichen Visums gewesen. Dass die als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis durch den Auslandsaufenthalt nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen sei, stehe zwischen den Beteiligten aufgrund der Bindungswirkung des insoweit rechtskräftig gewordenen Feststellungsurteils des [X.] fest.

8

Mit der Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/[X.] sei der passende Orientierungsrahmen zur Konkretisierung des hier maßgeblichen richterrechtlichen Erlöschensgrundes eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Die [X.]-Entscheidung betreffe nur die Beschränkung des Einreise- und Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, während Art. 16 der Richtlinie 2004/38/[X.] das Daueraufenthaltsrecht regele, das mit dem assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht vergleichbar sei.

9

Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil. Der Vertreter des [X.] beim [X.] hat sich am Verfahren beteiligt und teilt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die angefochtene Abschiebungsandrohung ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) als rechtmäßig angesehen. Denn das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht des [X.] aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich [X.] ist durch seinen knapp achtzehnmonatigen Aufenthalt in der [X.] erloschen (1.). Die Abschiebungsandrohung begegnet auch im Übrigen keinen Bedenken (2.).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 7. Januar 2011. Die in dem teilweise klageabweisenden Urteil des [X.] enthaltene Entscheidung über den Antrag, die Fortgeltung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis festzustellen, ist mangels (Anschluss-)Berufung des [X.] in Rechtskraft erwachsen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 17. Juli 2014 ([X.], Urteil vom 22. März 2012 - 1 [X.] 3.11 - [X.]E 142, 179 Rn. 13). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des [X.] - sie zu berücksichtigen hätte ([X.], Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 [X.] 1.10 - [X.]E 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Anzuwenden sind deshalb §§ 50, 58 und 59 [X.] in der Fassung der Bekanntmachung des Aufenthaltsgesetzes vom 25. Februar 2008 ([X.] I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des [X.] von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23. Dezember 2014 ([X.] [X.]). Durch das zuletzt genannte Änderungsgesetz wurden die hier maßgeblichen Vorschriften, die zuletzt durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 ([X.] I S. 2258) modifiziert worden sind, jedoch nicht verändert.

1. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht des [X.] aus Art. 7 Satz 1 [X.], das er durch den Nachzug zu seiner als Arbeitnehmerin beschäftigten ersten Ehefrau erworben hatte, ist durch den vom Berufungsgericht festgestellten, dem Zusammenleben mit seiner Familie dienenden [X.]aufenthalt vom 8. Oktober 2004 bis zum 30. März 2006 erloschen.

1.1 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) können aus Art. 7 [X.] erwachsene Rechte nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden: Entweder stellt die Anwesenheit des [X.] [X.] im Hoheitsgebiet des [X.] wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 [X.] dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. [X.], Urteile vom 16. März 2000 - [X.]-329/97 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2000:133], Ergat - Rn. 45, 46 und 48 und vom 8. Dezember 2011 - [X.]-371/08 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2011:809], [X.] - Rn. 49). Dabei ist grundsätzlich vom abschließenden [X.]harakter dieser beiden Verlustgründe auszugehen ([X.], Urteile vom 9. August 2007 - 1 [X.] 47.06 - [X.]E 129, 162 Rn. 15 und vom 30. April 2009 - 1 [X.] 6.08 - [X.]E 134, 27 Rn. 24). Da für einen Verlust gemäß Art. 14 [X.] nichts ersichtlich ist, kommt es im vorliegenden Fall allein auf die zweite Fallgruppe an, nämlich darauf, ob der Kläger das [X.] für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat.

Der Gerichtshof hat zur Auslegung dieses [X.] in der Sache Ergat ([X.], Urteil vom 16. März 2000 - [X.]-329/97 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2000:133] - Rn. 48) auf sein Urteil in der Sache [X.] ([X.], Urteil vom 17. April 1997 - [X.]-351/95 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:1997:205], [X.] - Rn. 48) verwiesen. Jener Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem der Ehemann seiner Frau während eines Urlaubs in der [X.] den Reisepass entwendet hatte, so dass sie erst nach fünf Monaten in das [X.] zurückkehren konnte. Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit dem anspruchsbegründenden Drei-Jahres-Zeitraum des Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich [X.] ausgeführt, dass kurzzeitige Unterbrechungen der Lebensgemeinschaft zwischen [X.] und Stammberechtigtem, die ohne die Absicht erfolgen, den gemeinsamen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat in Frage zu stellen, den Zeiten gleichzustellen seien, während der der betroffene Familienangehörige tatsächlich mit dem [X.] Arbeitnehmer zusammengelebt habe. Erst recht habe dies für einen kürzeren als sechsmonatigen Aufenthalt des Betroffenen in seinem Heimatland zu gelten, wenn dieser Aufenthalt nicht von seinem eigenen Willen abhängig gewesen sei. Diese Ausführungen gelten - wie aus dem Verweis des Gerichtshofs in der Sache Ergat ersichtlich - entsprechend für den Verlust der assoziationsrechtlichen Stellung bei der Prüfung, ob ein Familienangehöriger den Mitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat ([X.], Urteil vom 30. April 2009 - 1 [X.] 6.08 - [X.]E 134, 27 Rn. 26).

Im Übrigen ist das Verständnis dieses [X.] vom Ziel und Zweck des Art. 7 [X.] her zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dient das System des schrittweisen Erwerbs von Rechten aus Art. 7 Abs. 1 [X.] zwei Zwecken: Zum einen sollen Familienangehörige des [X.] bis zum Ablauf des ersten Zeitraums von drei Jahren die Möglichkeit erhalten, bei diesem zu leben, um so durch Familienzusammenführung die Beschäftigung und den Aufenthalt des [X.] Arbeitnehmers, der sich bereits ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hat, zu begünstigen. Zum anderen soll die Vorschrift eine dauerhafte Eingliederung der Familie des [X.] [X.] im Aufnahmemitgliedstaat fördern, indem dem Familienangehörigen nach drei Jahren ordnungsgemäßen Wohnsitzes selbst der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Hauptzweck ist also, die Stellung des Familienangehörigen, der sich in dieser Phase bereits ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hat, dadurch zu festigen, dass er die Mittel erhält, dort selbst seinen Lebensunterhalt zu verdienen und sich folglich eine gegenüber der Stellung des [X.] selbständige Stellung aufzubauen ([X.], Urteile vom 22. Juni 2000 - [X.]-65/98 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2000:336], [X.] - Rn. 26; vom 11. November 2004 - [X.]-467/02 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2004:708], [X.]etinkaya - Rn. 25 und vom 29. März 2012 - [X.]-7/10 und [X.]-9/10 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2012:180], [X.] und [X.] - Rn. 33).

Art. 7 Abs. 1 [X.] zielt demzufolge nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darauf ab, das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach seiner Entstehung aus der Abhängigkeit von der beschäftigungsbezogenen Rechtsstellung des Stammberechtigten zu lösen und dem Familienangehörigen zum Zwecke der Integration im Mitgliedstaat eine autonome Rechtsposition zu verschaffen ([X.], Urteil vom 7. Juli 2005 - [X.]-373/03 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2005:434], [X.] - Rn. 23; allgemein Urteil vom 18. Juli 2007 - [X.]-325/05 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2007:442], Derin - Rn. 53 und 71). Dem hat sich der [X.] angeschlossen ([X.], Urteil vom 9. August 2007 - 1 [X.] 47.06 - [X.]E 129, 162 Rn. 16).

1.2 Mit Blick auf dieses Regelungsziel kommt es im Falle eines längeren Auslandsaufenthalts des assoziationsberechtigten [X.] Staatsangehörigen bei der Bewertung aller Umstände des Einzelfalles, ob er das [X.] für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, maßgeblich darauf an, ob er seinen Lebensmittelpunkt aus [X.] wegverlagert hat. Dabei stehen das zeitliche Moment und die Gründe für das Verlassen des [X.]s nicht isoliert nebeneinander; vielmehr besteht zwischen ihnen ein Zusammenhang: Je länger der Betroffene sich im Ausland aufhält, desto eher spricht das dafür, dass er seinen Lebensmittelpunkt in [X.] aufgegeben hat. Ab einem Auslandsaufenthalt von ungefähr einem Jahr müssen gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sein Lebensmittelpunkt noch im [X.] ist. Dazu hat der [X.] erwogen:

1.2.1 Entgegen der Auffassung der Revision kann zur weiteren Konkretisierung dieses [X.] nicht im Sinne eines notwendigen Mindestzeitraums auf Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/[X.] und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung ([X.]) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der [X.]/[X.], 68/360/[X.], 72/194/[X.], 73/148/[X.], 75/34/[X.], 75/35/[X.], 90/364/[X.], 90/365/[X.] und 93/96/[X.] ([X.]. [X.] 158 S. 77, berichtigt [X.]. [X.] 229 S. 35 und [X.]. [X.] 204 S. 28) - Unionsbürgerrichtlinie - zurückgegriffen werden. Nach dieser Vorschrift führt, wenn das Recht auf Daueraufenthalt von einem Unionsbürger oder seinem Familienangehörigen erworben wurde, nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum [X.]. Der [X.] hat diese Regelung, die nicht nach Gründen für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat differenziert, mit Blick auf das Besserstellungsverbot des Art. 59 [X.] lediglich als Orientierungsrahmen im Sinne einer zeitlichen Höchstgrenze angeführt ([X.], Urteil vom 30. April 2009 - 1 [X.] 6.08 - [X.]E 134, 27 Rn. 27).

Die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 14 Abs. 1 [X.] als der anderen Beschränkung assoziationsrechtlicher Aufenthaltsrechte, die seit Aufhebung der Richtlinie 64/221/[X.] nicht Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der Richtlinie 2004/38/[X.], sondern Art. 12 der Richtlinie 2003/109/[X.] des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ([X.]. L 16 S. 44) - Daueraufenthaltsrichtlinie - als den maßgeblichen unionsrechtlichen Bezugsrahmen für die Bestimmung des Abschiebungsschutzes bei assoziationsberechtigten [X.] Staatsangehörigen heranzieht ([X.], Urteil vom 8. Dezember 2011 - [X.]-371/08 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2011:809], [X.] - Rn. 62 ff.), wirkt sich auch auf die Bestimmung des zeitlichen Rahmens bei dem hier zu prüfenden [X.] aus. Denn die vom Gerichtshof im Wege des Vergleichs von Zweck und Kontext des Assoziierungsabkommens [X.] - [X.] und der Unionsbürgerrichtlinie angeführten Erwägungen, das Assoziationsabkommen verfolge nur wirtschaftliche Zwecke, während die Unionsbürgerrichtlinie darüber hinaus die Unionsbürgerschaft als grundlegenden Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten mit ihrem unmittelbar aus dem Vertrag erwachsenden elementaren Freizügigkeitsrecht ausforme, sind allgemeiner Natur. Das Berufungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Ausführungen zur Zwecksetzung ebenso für den hier zu prüfenden [X.] gelten. Erweisen sich aber die Rechtsstellung eines assoziationsberechtigten [X.] Staatsangehörigen und die wesentlich stärkere Stellung eines Unionsbürgers nicht als gleichwertig, liegt es auf der Hand, dass die - nicht nach Gründen für die Abwesenheit differenzierende - rechtsvernichtende Zweijahresfrist des Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/[X.] jedenfalls nicht als Mindestzeitraum für den Verlust assoziationsrechtlicher Aufenthaltsrechte [X.] Staatsbürger herangezogen werden kann.

1.2.2 Daraus folgt indes nicht gleichsam im Gegenschluss, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 2003/109/[X.] entsprechend anzuwenden ist, um den "nicht unerheblichen Zeitraum" im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs exakt zu fixieren. Nach dieser Vorschrift ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr berechtigt, die Rechtsstellung eines langfristig [X.] zu behalten, wenn er sich während eines Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten nicht im Gebiet der [X.] aufgehalten hat. Da diese Vorschrift nicht nach den Gründen für den Aufenthalt außerhalb des Gebiets der [X.] differenziert, erscheint sie als abschließende Regelung zur Konkretisierung des hier maßgeblichen [X.] ungeeignet. Dennoch liegt es mit Blick auf die Ausführungen des Gerichtshofs in der [X.]-Entscheidung ([X.], Urteil vom 8. Dezember 2011 - [X.]-371/08 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2011:809], [X.] - Rn. 75 ff.) nahe, bei assoziationsberechtigten [X.] Staatsangehörigen die jeweiligen Maßstäbe der Daueraufenthaltsrichtlinie als unionsrechtlichen Bezugsrahmen nicht nur für die Bestimmung des Abschiebungsschutzes heranzuziehen, sondern sie auch für den hier maßgeblichen [X.] assoziationsrechtlicher Rechte als Orientierung fruchtbar zu machen. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, der Zwölfmonatsfrist des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 2003/109/[X.] jedenfalls eine gewichtige Indizwirkung dafür zu entnehmen, ab wann ein Assoziationsberechtigter - wenn keine berechtigten Gründe vorliegen - seinen Lebensmittelpunkt in [X.] aufgegeben und dadurch seine assoziationsrechtliche Rechtsstellung verloren hat.

1.3 Die von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen, bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen den Schluss, dass der Kläger durch seinen Aufenthalt bei seiner Familie in der [X.] zwischen Anfang Oktober 2004 und Ende März 2006 seinen Lebensmittelpunkt dorthin verlagert hat. Das Oberverwaltungsgericht hat die Gesamtumstände seines Aufenthalts dahingehend gewürdigt, dass der Kläger zwar zuerst vielleicht nur in der Absicht dorthin gereist sei, um seinen dort lebenden [X.] beschneiden zu lassen, dann aber seinen Lebensmittelpunkt freiwillig dorthin verlagert habe. Die Vorinstanz hat ihre tatrichterliche Würdigung ausführlich begründet und aus einer Vielzahl von Indizien in nachvollziehbarer Weise die Schlussfolgerung gezogen, der Kläger habe in familiärer Lebensgemeinschaft mit seiner Frau und seinem Kind leben wollen, was sich in [X.] nicht habe realisieren lassen. So nachvollziehbar diese Gründe aus seiner persönlichen Sicht auch erscheinen, erweisen sie sich doch aus dem Blickwinkel des [X.] als nicht gerechtfertigt. Denn durch die Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im [X.] hat der Kläger den im Wege des Aufenthaltsrechts aus Art. 7 [X.] erreichten [X.] selbst zerrissen.

2. Die Abschiebungsandrohung begegnet auch im Übrigen keinen Bedenken.

2.1 Der Kläger ist ausreisepflichtig. Zwischen den Beteiligten steht infolge der rechtskräftig gewordenen klageabweisenden Sachentscheidung des [X.] über den Antrag, die Fortgeltung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis festzustellen, gemäß § 121 Nr. 1 VwGO rechtskräftig fest, dass der dem Kläger im Oktober 1993 erteilte Aufenthaltstitel erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 7 [X.]).

2.2 Die Ausreisepflicht ist auch vollziehbar. Gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist das unter anderem dann der Fall, wenn der Ausländer unerlaubt eingereist ist. Der Kläger war bei seiner Einreise in das [X.] im April 2006 nicht im Besitz des gemäß § 6 Abs. 3 [X.] für den beabsichtigten Daueraufenthalt erforderlichen nationalen Visums. Da er den nach § 4 [X.] erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besessen hat, war seine Einreise gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 [X.] unerlaubt. Unerheblich ist, ob sich der Kläger dieses Umstands bewusst war oder nicht (vgl. nur [X.], Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 [X.] 12.11 - [X.] 2013, 93 Rn. 16). Aus der [X.] des Art. 13 [X.] ergibt sich nichts anderes. Maßgeblich für den intertemporalen Vergleich ist die ab dem 1. Dezember 1980 geltende Rechtslage (Art. 16 Abs. 1 [X.]). Danach war die Einreise zum Daueraufenthalt für erwachsene [X.] Staatsangehörige weder damals (vgl. § 1 Abs. 2 [X.] i.d.[X.]. vom 29. Juni 1976, [X.] I S. 1717) noch zu einem späteren Zeitpunkt visumfrei.

2.3 Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist dem Ausländer eine Frist zwischen 7 und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen; gemäß Satz 4 der Vorschrift ist auch eine längere Frist möglich. In dem Bescheid vom 7. Januar 2011, der am gleichen Tag bekanntgegeben worden ist, ist eine Frist bis zum 13. Februar 2011 gesetzt worden. Mit dem Gebot einer nach Tagen zu bestimmenden Ausreisefrist ist eine datumsmäßige Fixierung jedenfalls dann zu vereinbaren, wenn die Ausreisepflicht - wie hier - kraft Gesetzes vollziehbar ist ([X.], Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 [X.] 12.11 - [X.] 2013, 93 Rn. 17). Die Behörde hat dem Kläger der Sache nach eine Ausreisefrist von 37 Tagen festgesetzt. Die Frist ist durch den die aufschiebende Wirkung der Klage anordnenden Beschluss des [X.] gemäß § 59 Abs. 1 Satz 6 [X.] unterbrochen worden und läuft daher mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung erneut an.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

1 C 19/14

25.03.2015

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 17. Juli 2014, Az: OVG 7 B 40.13, Urteil

Art 13 EWGAssRBes 1/80, Art 14 Abs 1 EWGAssRBes 1/80, Art 7 S 1 EWGAssRBes 1/80, Art 59 AssoziierungsAbkEWG/TURZProt, § 14 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 4 AufenthG, § 51 Abs 1 Nr 7 AufenthG, § 58 Abs 2 S 1 Nr 1 AufenthG, § 59 Abs 1 S 1 AufenthG, § 59 Abs 1 S 4 AufenthG, § 59 Abs 1 S 6 AufenthG, § 6 Abs 3 AufenthG, Art 12 EGRL 109/2003, Art 9 Abs 1 Buchst c EGRL 109/2003, Art 16 Abs 4 EGRL 38/2004, § 121 Nr 1 VwGO, § 137 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.03.2015, Az. 1 C 19/14 (REWIS RS 2015, 13445)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13445

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