Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.04.2017, Az. I ZB 92/16

I. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 11847

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:270417BIZB92.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I
ZB
92/16
vom
27. April 2017
in der Rechtsbeschwerdesache

-
2
-
Der [X.]
Zivilsenat des [X.] hat am 27.
April
2017
durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Büscher,
die
Richter
Prof. Dr.
Schaffert,
Prof. Dr.
[X.], Dr.
Löffler und Feddersen

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des [X.] -
5.
Zivilkammer (Einzelrichter) -
vom 20.
September 2016
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Ein-zelrichter) zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Gegenstandswert: 428,64

Gründe:
A. Der Gläubiger, eine Anstalt des öffentlichen Rechts,
ist die
unter der Bezeichnung "[X.]"
tätige
[X.]
in den Ländern [X.] und [X.]. Er
betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung
wegen rückständiger Rundfunkbeiträge.
Der Gläubiger richtete an das Amtsgericht Reutlingen

Gerichtsvollzieherverteilerstelle

ein
1

-
3
-
[X.], in dem er
die Durchführung von [X.] -
unter anderem der Bestimmung eines Termins zur [X.] gemäß § 802f Abs. 1 ZPO
-
gegen den Schuld-ner beantragte.
Die letzte Seite des [X.]s
enthielt eine "Auf-stellung der rückständigen Forderungen"
und den vorangestellten Hinweis: "Dem Beitragsschuldner sind bereits
Festsetzungsbescheide und Mahnungen
mit folgenden Daten
unter der [X.] ... zugesandt worden".
Mit Schreiben vom 15. Februar 2016 forderte der Gerichtsvollzieher
den Schuldner
zur Zahlung
bis zum 1. März
2016 auf.
Mit Beschluss vom 24.
Mai
2016
hat das Vollstreckungsgericht
die
gegen die Zahlungsaufforderung
gerich-tete
Erinnerung
des Schuldners vom 20.
Februar
2016
zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete
Eingabe, die das Beschwerdegericht als
sofortige Be-schwerde des Schuldners
gewertet hat,
hat das Beschwerdegericht
(Einzelrich-ter)
den Beschluss des Vollstreckungsgerichts
aufgehoben und die [X.] aus dem [X.] des Gläubigers für unzulässig er-klärt. Mit der vom Beschwerdegericht
(Einzelrichter)
zugelassenen Rechtsbe-schwerde verfolgt der Gläubiger
seinen
Antrag auf Zurückweisung der soforti-gen Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Vollstreckungsge-richts vom 24. Mai
2016
weiter.
B. Das Beschwerdegericht
(Einzelrichter)
ist von der Zulässigkeit und Be-gründetheit der Beschwerde des Schuldners ausgegangen.
Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beschwerde des Schuldners sei bereits wegen fehlender Zustellung des Vollstreckungstitels
begründet. Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung sei eine Zustellung der [X.]. Der Schuldner habe den Zugang
bestritten. Das Vollstreckungsgericht habe sich zu Unrecht auf die Zugangsvermutung
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gemäß §§ 41, 43
Verwaltungsverfahrensgesetz für [X.] ([X.]) gestützt. Diese Vorschriften seien gemäß § 2 [X.] nicht anwendbar. Die Zustellung richte sich vielmehr nach den allgemeinen Vorschrif-ten gemäß §§ 130, 132 BGB. Für eine entsprechende Anwendung der Grund-sätze der [X.] durch Aufgabe bei der Post gemäß § 41 [X.] sei angesichts
dieser Vorschriften kein Raum.
Die Beschwerde des Schuldners sei zudem begründet, weil es an der
ma-teriellen
[X.] des Gläubigers fehle. Diese sei ebenfalls als Vollstreckungsvoraussetzung vom Vollstreckungsgericht zu prüfen.
C. Die vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) zugelassene Rechtsbe-schwerde
hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[X.] Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Abs.
3 Satz
2 ZPO) und auch sonst zulässig (§
575 ZPO). Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat ([X.], Beschluss vom 13. März 2003

IX ZB 134/02, [X.]Z 154, 200, 201).
I[X.] Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Einzelrichters ist aufzuheben, weil er unter Verletzung des [X.] des gesetzlichen Richters ergangen ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
1. Der Einzelrichter durfte über die Beschwerde nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten 5
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Kammer übertragen müssen. Dem originären Einzelrichter nach § 568 ZPO ist die Entscheidung von Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung schlechthin versagt (st. Rspr.; vgl. [X.]Z 154, 200, 202; [X.], Beschluss vom 16. Mai 2012

I
ZB
65/11, [X.], 3518 Rn.
4; Beschluss vom 7.
Januar 2016
-
I
ZB
110/14, [X.], 645 Rn.
10; Beschluss vom 21.
Juli 2016

I
ZB
121/15, juris Rn. 5). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung ist im wei-testen Sinne zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegi-um auch dann entscheiden muss, wenn zur Fortbildung des Rechts oder -
wie vorliegend vom Einzelrichter angenommen -
zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist (st. Rspr.; vgl. [X.]Z 154, 200,
202; Beschluss vom 24.
November 2011
-
VII
ZB
33/11, NJW-RR 2012, 441 Rn.
9; Beschluss vom 7.
Januar 2016

I
ZB
110/14, [X.], 645 Rn. 10). Damit hat der Einzelrichter das Gebot des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Die Nichtübertragung des [X.] auf die voll besetzte Kammer erfüllte die Voraussetzungen der objekti-ven Willkür. Sie war offensichtlich unvertretbar und lag außerhalb der [X.], so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. [X.]Z 154, 200, 203).
2. Die Rechtsbeschwerde hat den Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters gerügt. Im Übrigen war der Verstoß vom [X.] wegen zu berücksichtigen ([X.]Z 154, 200, 203). Der Berücksichtigung der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht § 568 Satz 3 ZPO nicht entgegen ([X.]Z 154, 200, 204).
II[X.] Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den [X.], der den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Mög-10
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lichkeit des § 21 GKG Gebrauch. Diese Kosten wären bei richtiger Behandlung der Sache durch den Einzelrichter nicht entstanden.
D. Für die neue Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
[X.] Das Beschwerdegericht
ist im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde davon ausgegangen, dass dem
Schuldner
ein "Beschluss vom 10.
März 2016" am 23. März 2016 zugestellt worden sei, gegen den der Schuldner mit am 5. April 2016 fristgerecht Beschwerde eingelegt habe. Diese Annahme
ist aktenwidrig. Das Vollstreckungsgericht hat -
wovon das Be-schwerdegericht in seinem Tenor zutreffend ausgeht -
seinen
Beschluss
am 24.
Mai 2016 gefasst.
Der Gerichtsakte lässt sich zudem
keine am 5. April 2016 eingegangene
Beschwerdeschrift
des Schuldners
entnehmen. Bestandteil
der Akte ist lediglich eine
als
"Erinnerung gemäß § 766 ZPO" bezeichnete, am 23. Juni
2016 beim Vollstreckungsgericht eingegangene
Eingabe vom 21. Juni 2016.
Diese Einga-be hat das Vollstreckungsgericht mit Nichtabhilfebeschluss vom 28. Juni 2016 als sofortige Beschwerde gegen seinen Beschluss vom 24. Mai 2016 behan-delt.
I[X.] Das Beschwerdegericht ist ferner davon ausgegangen, dass der [X.] den Schuldner zur Abgabe einer Vermögensauskunft geladen hat. Auch dies ist aktenwidrig. Der Gerichtsvollzieher hat den Schuldner mit Schreiben vom 15. Februar 2016 zur Zahlung bis zum 1. März 2016 aufgefor-dert. Auch das Vollstreckungsgericht hat in seinem
Beschluss vom 24.
Mai 2016
lediglich eine Zahlungsaufforderung festgestellt. Zudem hat der [X.] dem Vollstreckungsgericht mit Schreiben vom 4. Juli 2016 ausdrück-12
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lich mitgeteilt, keinen Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft bestimmt zu haben.

II[X.] Die Annahme des [X.], die Beschwerde des [X.] sei
begründet, weil eine wirksame Zustellung nicht nachgewiesen
sei und damit eine Grundvoraussetzung der Zwangsvollstreckung
fehle, hält der rechtli-chen Nachprüfung nicht stand.
1. Dem Beschluss des [X.] lässt sich bereits nicht hinrei-chend klar entnehmen, worauf sich das von ihm angenommene Zustellungser-fordernis beziehen soll. Das Beschwerdegericht spricht insoweit zum einen von einem Fehlen der Zustellung der "[X.]", zum anderen von einer fehlen-den "Titelzustellung".
2. Die Zustellung eines "Titels" ist ebenso wenig Voraussetzung der Bei-treibung von Rundfunkbeiträgen wie die Zustellung des Vollstreckungsersu-chens der Gläubigerin.
a) Rückständige Rundfunkbeiträge werden gemäß § 10 Abs. 5 des [X.] vom 17. Dezember 2010 ([X.]) durch die zustän-dige [X.] festgesetzt und im Verwaltungsvollstreckungsver-fahren vollstreckt (§ 10 Abs. 6 [X.]). Die Vollstreckung erfolgt im [X.] gemäß §
13 Abs. 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für [X.] (LVwVG [X.]) durch Beitreibung.
b) Für die Beitreibung durch den Gerichtsvollzieher auf Ersuchen der [X.] gelten die in § 15a Abs. 3 LVwVG [X.] geregelten Vollstre-ckungsvoraussetzungen ([X.], Beschluss vom 11. Juni 2015 -
I [X.], [X.], 48 Rn. 27; Beschluss vom 8. Oktober 2015 -
VII ZB 11/15, NJW-RR 16
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2016, 378 Rn. 14; Beschluss vom 21. Oktober 2015 -
I [X.], NVwZ-RR 2016, 117 Rn. 20). Danach finden die Vorschriften des [X.] der [X.] mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle der voll-streckbaren Ausfertigung des Schuldtitels das schriftliche Vollstreckungsersu-chen der Vollstreckungsbehörde tritt und es keiner Zustellung des [X.] bedarf (§ 15a Abs. 3 Satz 2 [X.]). Diese Vorausset-zungen sind auch im Streitfall maßgeblich. Die Gerichtsvollzieherin ist aufgrund des schriftlichen [X.]s des Gläubigers vom 1. Februar 2016
tätig geworden.
3. Entgegen der Annahme des [X.] ist auch die wirksame Zustellung eines Beitragsbescheids keine Vollstreckungsvoraussetzung.
a) Das Erfordernis der Zustellung eines "Grundbescheids" besteht schon deshalb nicht, weil ein solcher Beitragsbescheid weder gesetzlich vorgesehen noch für die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist. Die Rundfunkgebührenpflicht entsteht kraft Gesetzes, ohne dass der Erlass eines Gebührenfestsetzungsbescheids erforderlich ist ([X.], [X.], 48 Rn. 53 mwN).
b) [X.] der Rundfunkanstalten sind erst für die zwangsweise Bei-treibung rückständiger Gebühren und Beiträge erforderlich ([X.], [X.], 48 Rn. 53). Gegen diese [X.] kann der Schuldner sowohl vor Einleitung der Vollstreckung als auch nach einer Entrichtung der Gebühr oder des Beitrags nebst eventueller Säumniszuschläge den Verwaltungsrechtsweg beschreiten ([X.], Nichtannahmebeschluss vom 30. Januar 2008 -
1 [X.], juris Rn. 21 ff.; [X.], [X.], 48 Rn. 53; [X.], Urteil vom 18. März 2016

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C
7/15, juris Rn. 54). Im Rahmen der im Verwaltungsrechtsweg zu überprü-fenden Wirksamkeit des Bescheids kann es auch auf die Frage der Bekanntga-21
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be ankommen (vgl. VGH [X.], Beschluss vom 4. Oktober 2016 -
2 S 1203/16, [X.]). Geht der Schuldner nicht erfolg-reich im Wege des [X.] gegen einen Festsetzungsbescheid vor und wird dieser unanfechtbar oder entfällt die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs, liegen die allgemeinen Voraussetzungen der Vollstreckung vor (§ 2 Nr.
1 und 2 LVwVG [X.]). Dies entspricht dem tragenden Grundsatz des Vollstreckungsrechts, dass nur die Unanfechtbarkeit und nicht (auch) die Rechtmäßigkeit des [X.] ist (vgl. [X.]/[X.], [X.], 34. Edition, Stand 1. Oktober 2016, § 6 Rn. 20). Eine wirksame Zustellung der Beitragsbescheide ist mithin keine Vollstre-ckungsvoraussetzung. § 15a Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 LVwVG [X.] verlangt lediglich, dass im [X.] der zu vollstreckende Verwaltungsakt be-zeichnet wird; gemäß § 15a Abs. 4 Nr. 4 LVwVG [X.] reicht es zudem aus, dass das [X.] die Angabe enthält, der Verwaltungsakt
sei
unan-fechtbar geworden (vgl. auch [X.], NJW-RR 2016, 378 Rn. 25). Die rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit des Verwaltungsaktes durch den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht findet im Vollstreckungs-verfahren gerade nicht statt. Grundlage der beantragten Zwangsvollstre-ckungsmaßnahme gemäß § 15a Abs. 3 Satz 2 LVwVG [X.] ist nicht der Gebüh-ren-
oder Beitragsbescheid, sondern das schriftliche [X.] der Vollstreckungsbehörde (vgl. [X.], [X.], 48 Rn. 54). Für den Einwand, die Zwangsvollstreckung aus [X.] sei unzulässig, weil die [X.] rechtswidrig oder unwirksam seien, steht dem Beitragsschuldner der Verwaltungsrechtsweg offen (vgl. VGH [X.], Beschluss vom 4.
Oktober 2016 -
2 S 1203/16, [X.] und II 1).

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-
c) Soweit das Beschwerdegericht mit dem von ihm angenommenen Erfor-dernis der "Zustellung" der Beitragsbescheide deren Bekanntgabe zum Aus-druck bringen will, gehen seine Ausführungen an den im Streitfall maßgeblichen Umständen vorbei. Insbesondere stellt sich nicht die vom Beschwerdegericht umfangreich erörterte Frage, ob die in § 41 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfah-rensgesetz für [X.] ([X.]) geregelte Zugangsvermu-tung im Streitfall entsprechend Anwendung findet.
aa) Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.] gilt ein schriftlicher Verwal-tungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Diese gesetzliche Annahme gilt [X.] nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren [X.]punkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den [X.]punkt des Zugangs nachzuweisen (§ 41 Abs. 2 Satz 3 [X.]). Eine Behörde kann allerdings ihrer Beweispflicht hinsichtlich des Zugangs nach den Grundsätzen des ersten Anscheins genügen, wenn sie Tatsachen vorträgt, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden kann, dass der Empfänger einen Bescheid oder ein Schreiben tatsächlich erhal-ten haben muss ([X.], Urteil vom 12. August 1981 -
I [X.]/78, [X.]E 134, 213, 215; [X.], NVwZ-RR 2012, 131; [X.], Beschluss vom 16. Juli 2012 -
3 [X.]/10, juris Rn. 7; [X.], Urteil vom 18. Februar 2016 -
11 [X.], juris Rn. 21 mwN). Maßgeblich kann inso-weit sein, dass der Bescheid oder das Schreiben an eine Adresse gesandt [X.], unter der der Adressat bereits längere [X.] ansässig ist und er in jüngerer [X.] auch nachweislich mehrere Schreiben erhalten hat, auf
die er reagiert hat. Relevant kann ferner sein, ob vorgetragen wurde, dass es unter der [X.] Adresse in der fraglichen [X.] Schwierigkeiten bei der Postzustellung gegeben hat. Weiter kann die Besonderheit berücksichtigt werden, ob Schrei-24
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-
ben oder
[X.] als unzustellbar an die Behörde zurückgelangt sind (vgl. [X.], NVwZ-RR 2012, 131; [X.], Beschluss vom 16. Juli 2012
-
3 [X.]/10, juris Rn. 7; [X.], Urteil vom 18.
Februar 2016 -
11 [X.], juris Rn. 21).
bb) Von diesen Grundsätzen des Anscheinsbeweises ausgehend hat die Beschwerdeerwiderung vorgetragen, dass der Schuldner auf die versandten [X.] und Mahnungen durch eigene Schreiben reagiert und
teilweise [X.] eingelegt habe.
Keiner
der [X.] sei als unzustellbar zurückge-kommen.
Abweichende Feststellungen hat das Beschwerdegericht nicht getrof-fen. Es hat als wahr unterstellt, dass der Gläubiger die [X.] zur Post ge-geben hat. Auf den Vortrag
des Gläubigers ist es nicht eingegangen. Es hat nicht geprüft, ob im Streitfall
auf der Grundlage des vom Gläubiger gehaltenen Vortrags
nach der Lebenserfahrung von einem Zugang der [X.] und [X.] von einer wirksamen Bekanntgabe auszugehen ist.
[X.] Die weitere Annahme des [X.], die Beschwerde des Schuldners sei außerdem begründet, weil dem Gläubiger die "materielle Behör-deneigenschaft" fehle, hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand.
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, als Vollstreckungsvoraus-setzung sei
zu prüfen, ob der Gläubiger eine Behörde bzw. eine Vollstre-ckungsbehörde sei. Der Begriff der Behörde sei in allen gesetzlichen Vorschrif-ten in einem einheitlichen Sinne aufzufassen, und zwar im Sinne des Staats-
und Verwaltungsrechts. Nach den insoweit geltenden Maßstäben sei der Gläu-biger keine Behörde. Er trete unternehmerisch auf und handele gewerblich. Für die [X.] sei zudem zwingend Gesetzestreue erforderlich. [X.] sei nicht vereinbar, dass der Gläubiger seine satzungsmäßigen Rechte überschreite und rechtsstaatlich und grundrechtlich gebotene Tilgungsbestim-26
27
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-
mungsrechte der Beitragsschuldner aushebele. Damit werde dem Beitrags-schuldner die Subjekteigenschaft genommen, er werde vielmehr zum Objekt eines lebenslangen Vollstreckungsverfahrens. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
2. Bereits der Ausgangspunkt der Beurteilung des [X.], der Begriff der Behörde sei in allen gesetzlichen Vorschriften in einem einheitli-chen Sinn, und zwar
im Sinn des Staats-
und Verwaltungsrechts aufzufassen, ist unzutreffend.
a) Der Begriff der Behörde ist nicht einheitlich, sondern in einem funktiona-len, auf das jeweilige Gesetz und den maßgeblichen Regelungskontext bezo-genen Sinne zu verstehen. So bezieht etwa
§ 1 Abs. 4 [X.] den Begriff der Behörde ausdrücklich auf das Verwaltungsverfahrensgesetz ("Behörde im [X.] dieses Gesetzes"). Der [X.] nach § 1 Abs. 4 [X.] kann [X.] nicht ohne weiteres für andere Rechtsgebiete übernommen werden (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 1 Rn. 226 mwN; M. Ronel-lenfitsch in [X.], 34. Edition, Stand 1. April 2016, § 1 Rn. 65; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 17. Aufl., § 1 Rn. 51, 51d; [X.] in [X.]/[X.]/Uechtritz, [X.], § 1 Rn. 45). Während die Bestimmung des § 1 Abs. 4 [X.] voraussetzt, dass die als Behörde in Betracht kommende Stelle Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, ist der [X.] des Presserechts nicht organisatorisch-verwaltungstechnisch, sondern [X.] dahin zu verstehen, dass auch juristische Personen des Privat-rechts, die von der öffentlichen Hand beherrscht und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Bereich der Daseinsvorsorge eingesetzt werden, unter den Begriff der Behörde fallen (vgl. [X.], Urteil vom 10.
Februar 2005 -
III
ZR
294/04, NJW 2005, 1720 f.). Der [X.] des Beamtenrechts gemäß § 26 Abs. 2 [X.] ist nach dienstrechtlichen Grundsätzen ([X.], Urteil vom 24. Januar 29
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13
-
1991 -
2 C 16/88, NJW 1991, 2980, 2981 mwN) und
derjenige des [X.] entsprechend der Zielsetzung von § 65 PStG auszulegen ([X.] in [X.]/[X.] aaO § 1 Rn. 226 [X.]. 643). Für den Behör-denbegriff ist mithin maßgeblich auf den jeweiligen Regelungskontext abzustel-len (vgl. [X.], [X.], 1146, 1147 mwN).
b) Aus dem im Streitfall maßgeblichen [X.] und der ausdrücklich vom Gesetz vorgenommenen Begriffsbestimmung ergibt sich zweifelsfrei, dass der Gläubiger Vollstreckungsbehörde im Sinne von § 15a
Abs. 3 und 4 LVwVG [X.] ist.
Gemäß § 10 Abs. 6 [X.] werden [X.], mit denen rückständige Rundfunkbeiträge festgesetzt werden, im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt. Für die Beitreibung von Beitragsbescheiden durch den Gerichtsvoll-zieher
ist gemäß § 15a Abs. 3 Satz 2 LVwVG [X.] ein schriftliches Vollstre-ckungsersuchen der Vollstreckungsbehörde erforderlich. Gemäß § 4 Abs. 1 LVwVG [X.] ist unter dem Begriff der Vollstreckungsbehörde die Behörde zu verstehen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Dies ist die zuständige Lan-desrundfunkanstalt (§ 10 Abs. 5 [X.]). Für die Festsetzung rückständiger
Rundfunkbeiträge des Schuldners ist mithin kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die zuständige [X.] als Vollstreckungsbehörde anzusehen (vgl. [X.], [X.], 48 Rn. 32; NJW-RR 2016, 378 Rn. 20).
3. Auch die weiteren Annahmen des [X.] halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Entgegen der Ansicht des [X.] hängt die im Streitfall maßgebliche [X.] nicht davon ab, ob der Gläubiger stets rechtmäßig handelt oder als "gesetzestreu" anzusehen ist. Im Hinblick auf die 31
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hier maßgebliche Frage, ob der Gläubiger als [X.] bei der ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgabe der Festsetzung rückständiger Beiträge als Vollstreckungsbehörde im Sinne von § 15a LVwVG [X.] anzusehen ist, ist ferner nicht relevant, ob er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Erbringer medialer Leistungen als Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne oder "unter-nehmerisch"
auftritt. Insoweit erfüllt der Gläubiger im Rahmen des dualen Rund-funksystems in Konkurrenz zu privaten Rundfunkveranstaltern seine aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden verfassungsrechtliche Aufgabe, den Bürgern eine mediale Grundversorgung zu bieten (vgl. [X.]E 90, 60, 90). Davon zu [X.] ist die vorliegend allein maßgebliche Funktion, die der Gesetzgeber dem Gläubiger als [X.] bei der Festsetzung und Durchset-zung der ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben zustehenden Beiträge verliehen hat.
Ebenfalls ist es unerheblich, ob der Gläubiger an öffentliches Besoldungs-
und Vergaberecht gebunden ist oder dieses anwendet, ob er Werbezeiten ver-kauft oder die rechtlichen Regelungen der Zulässigkeit von Sponsoring und Produktplatzierungen einhält, ob in [X.] von einer Behörde die Rede ist und ob Zahlungsaufforderungen als einfache Briefe verschickt werden.
Alle diese Umstände sind nicht nur für den im Streitfall allein maßgebli-chen vollstreckungsrechtlichen [X.] ohne Bedeutung, sondern auch für den vom Beschwerdegericht selbst zugrunde gelegten "allgemeinen" Begriff der Behörde, der eine Einheit von Personen und sächlichen Mitteln voraussetzt, die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet,
in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnet und dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter
Zwecke tätig zu sein (vgl. [X.], NJW 1991, 2980 mwN).
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b) Die Rechtsbeschwerde macht schließlich mit Recht geltend, dass das Beschwerdegericht seine Beurteilung nicht ohne weiteres auf tatsächliche Um-stände stützen darf, die von keiner [X.] im vorliegenden Verfahren vorgetra-gen oder von der Beschwerdeerwiderung bestritten oder abweichend vorgetra-gen wurden. Soweit sich das Beschwerdegericht auf gerichtsbekannte [X.] berufen oder von Offenkundigkeit ausgehen will, muss es dies so [X.], dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung möglich ist.
Büscher
Schaffert
[X.]

Löffler
Feddersen
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 24.05.2016 -
1 M 875/16 -

LG [X.], Entscheidung vom 20.09.2016 -
5 [X.]/16 -

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Meta

I ZB 92/16

27.04.2017

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.04.2017, Az. I ZB 92/16 (REWIS RS 2017, 11847)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11847

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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