Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2017, Az. 1 StR 677/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8894

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Gegenstand

Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung: Wirtschaftliche Betrachtung des Steuerschadens bei der Strafzumessung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. Juli 2016

a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen schuldig ist und

b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und ist im Übrigen gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

2

1. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis besteht nicht. Es fehlt vorliegend nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift und - daran anknüpfend - eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Die Anklageschrift vom 17. November 2015 wahrt die Umgrenzungsfunktion des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO im Hinblick auf die dem Angeklagten vorgeworfenen Beihilfehandlungen zu Steuerhinterziehungen (zu den insoweit bestehenden Anforderungen im Steuerstrafverfahren vgl. [X.], [X.]sbeschluss vom 8. August 2012 - 1 StR 296/12, [X.], 409). Die dem Angeklagten zur Last gelegten Anklagevorwürfe werden von der vorgenannten Anklageschrift hinreichend konkret geschildert. Aus dem Anklagesatz ergeben sich die näheren Einzelheiten der Tatvorwürfe im Hinblick auf den Tatzeitraum, die generellen Tatmodalitäten, die Art und den Umfang der Tatbeteiligung des Angeklagten sowie den Umfang der zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuern (vgl. S. 23 der Anklageschrift vom 17. November 2015). Weiterer Einzelheiten zur notwendigen Umgrenzung des [X.] bedurfte es nicht (vgl. dazu [X.], [X.]sbeschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 [X.], [X.], 337 und vom 7. September 2016 - 1 StR 57/16, [X.], 14).

3

2. Den erhobenen Verfahrensrügen bleibt der Erfolg aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des [X.] versagt.

4

3. [X.] beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

5

a) Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, sich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden (§ 261 StPO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die Beweiswürdigung unterliegt dabei lediglich einer eingeschränkten Überprüfung, denn das Revisionsgericht prüft lediglich, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern (§ 337 StPO) behaftet ist. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn sie Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten aufweist oder mit den Denkgesetzen oder gesicherten [X.] nicht in Einklang steht (st. Rspr.; vgl. dazu [X.], Urteile vom 9. Mai 2017 - 1 StR 265/16; vom 16. Juni 2016 - 1 StR 49/16, [X.], 315; vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, [X.], 87; vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, [X.], 178 und vom 6. August 2015 - 3 [X.], jeweils mwN) oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; [X.], Beschluss vom 16. Februar 2016 - 1 [X.], [X.], 222; Urteil vom 21. März 2013 - 3 [X.], [X.]St 58, 212, jeweils mwN). Die tatrichterliche Beweiswürdigung muss auf einer nachvollziehbaren und tragfähigen Grundlage beruhen (vgl. dazu auch [X.]surteile vom 30. März 2004 - 1 [X.], [X.], 238; vom 1. Juli 2008 - 1 [X.] und vom 13. Juli 2016 - 1 StR 94/16, [X.] 2016 Nr. 10, 16 sowie [X.]sbeschluss vom 4. April 2017 - 1 StR 432/16, jeweils mwN).

6

b) Solche Rechtsfehler liegen unter Beachtung der vorstehenden Maßstäbe nicht vor.

7

Die Beweiswürdigung des [X.]s zum bedingten Vorsatz des Angeklagten im Hinblick auf die Einbindung der von ihm geführten [X.]            in abgesprochene Lieferketten eines Umsatzsteuerkarussells und eine Beihilfe zu Umsatzsteuerhinterziehungen durch beteiligte Firmen stützt sich auf eine Gesamtschau der von ihm vor und während der Tatzeiträume geführten Chats, mündliche und schriftliche Mitteilungen der [X.] Steuerbehörde sowie zahlreiche Auffälligkeiten bei der Geschäftsabwicklung mit der [X.] Hiergegen ist nichts zu erinnern.

8

4. Der Schuldspruch war in Anbetracht der insoweit zutreffenden rechtlichen Ausführungen des [X.] aber entsprechend § 354 Abs. 1 StPO - wie aus der [X.] ersichtlich - zu berichtigen. Der Angeklagte hat in den verfahrensgegenständlichen Voranmeldungszeiträumen Februar und März 2012 durch die Rechnungsstellungen gegenüber der [X.] sowohl zur Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der [X.] als auch zugleich zugunsten der [X.] geleistet, so dass für den jeweiligen Voranmeldungszeitraum eine einheitliche Beihilfe zu mehreren Haupttaten vorliegt (dazu [X.], Beschluss vom 4. März 2008 - 5 [X.], [X.], 217 mwN).

9

5. Infolge der abweichenden konkurrenzrechtlichen Beurteilung war der gesamte Strafausspruch aufzuheben. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und der [X.] auf diesem Rechtsfehler beruhen. Zumal die Ausführungen des [X.]s besorgen lassen, dass es nicht in den Blick genommen hat, dass dem Steuerfiskus der [X.], zu dessen Entstehen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat, bei wirtschaftlicher Betrachtung nur einmal in Höhe von 450.558,78 Euro entstanden ist, weil die fehlende Erstattungsfähigkeit der Vorsteuer die Folge der hinterzogenen Umsatzsteuer ist. Diesen Umstand wird das neue Tatgericht im Rahmen der Einzel- und Gesamtstrafenfestsetzung zu berücksichtigen haben.

6. Die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen sind von dem [X.] nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann weitere, mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

7. Die Ausführungen der Revisionsbegründung zur Rückgewinnungshilfe betreffend die [X.] [X.]            sind indes unbeachtlich, weil das Urteil insoweit rechtskräftig ist. Die gemäß § 427 Abs. 1 Satz 1 StPO (§ 433 Abs. 1 Satz 1 StPO aF) rechtsmittelberechtigte [X.] hat vorliegend kein Rechtsmittel eingelegt. Die Revision der Staatsanwaltschaft beschränkt sich nach [X.] vom 28. Juli 2016 und vom 16. Dezember 2016 im Hinblick auf die [X.] auf die [X.] der beantragten Einziehung von Ware, so dass die Entscheidung über die Rückgewinnungshilfe auch nicht gemäß § 301 StPO zugunsten der [X.]n abgeändert oder aufgehoben werden kann. Die Wirkung des § 301 StPO ist durch den Umfang der Anfechtung begrenzt (vgl. dazu [X.], [X.]surteil vom 7. September 2016 - 1 [X.], NJW 2016, 3670 mwN).

                                   

Rin[X.] Cirener befindet
sich im Urlaub und ist deshalb
an der Unterschriftsleistung
gehindert.

Raum   

        

Graf   

        

Raum   

        

Bär   

        

Hohoff   

        

Meta

1 StR 677/16

28.06.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 6. Juli 2016, Az: 13 Ss 614/16

§ 370 AO, § 46 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2017, Az. 1 StR 677/16 (REWIS RS 2017, 8894)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8894


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 StR 677/16

Bundesgerichtshof, 1 StR 677/16, 05.09.2017.

Bundesgerichtshof, 1 StR 677/16, 28.06.2017.


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