Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.02.2015, Az. 4 StR 233/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 14841

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STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) FLÜCHTLINGE REVISION (STRAFRECHT) ASYL

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Gegenstand

Gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern: Strafbarkeit eines Schleusers für auf dem Luftweg eingereiste Asylsuchende aus Syrien mit vorherigem Zwischenaufenthalt in Griechenland


Leitsatz

Der Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland von ihrem Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-II-Verordnung Gebrauch gemacht hat und Asylsuchende, die sich zuvor in Griechenland aufgehalten haben und von dort direkt auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist sind, nicht nach Griechenland zurücküberstellt, lässt die Strafbarkeit eines ihre unerlaubte Einreise unterstützenden Schleusers unberührt.

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. Dezember 2013 wird verworfen; jedoch wird der Strafausspruch dahin ergänzt, dass die in dieser Sache in [X.] erlittene Auslieferungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe im Verhältnis 1 : 1 angerechnet wird.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf mehrere Verfahrensrügen und die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

[X.]

2

Nach den Feststellungen des [X.]s organisierte der Angeklagte seit Ende des Jahres 2011 die Schleusung [X.] St[X.]tsangehöriger, die von [X.] aus in die [X.] oder andere Zielländer gelangen wollten. Die [X.] St[X.]tsangehörigen waren zuvor „illegal“ über die [X.] nach [X.] eingereist, hatten dort keinen Asylantrag gestellt und versuchten, sich bis zu ihrer angestrebten Weiterreise in [X.] ohne Kenntnis der Behörden aufzuhalten. Für seine Tätigkeit handelte der Angeklagte mit den Schleusungswilligen oder deren Angehörigen einen Gesamtpreis aus, der durchschnittlich mehrere Tausend Euro pro Person betrug. Mit dem erwarteten finanziellen Gewinn aus seiner wiederholten Schleusertätigkeit wollte er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Keiner der [X.] St[X.]tsangehörigen verfügte über einen gültigen Pass oder einen für die Einreise nach [X.] erforderlichen Aufenthaltstitel.

3

1. Im [X.] 2012 sagte der Angeklagte dem [X.] St[X.]tsangehörigen [X.]zu, ihn und seine zehnköpfige Familie gegen ein Entgelt in unbekannter Höhe nach und nach mit dem Flugzeug in die [X.] zu schleusen. Der Schleuserlohn sollte abhängig vom Fortschritt der Schleusungen in Teilbeträgen durch einen bereits in [X.] lebenden Bruder des [X.], [X.]. , nach [X.] überwiesen werden. Im [X.] daran quartierte der Angeklagte die [X.]in einer von ihm gemieteten Wohnung in [X.] ein und beauftragte mindestens einen unbekannten Mittäter mit der [X.]. In der Folgezeit wurden einzelne Mitglieder der [X.]in die [X.] eingeschleust und Teilbeträge des [X.] an den Angeklagten überwiesen. Mitte August 2012 erhielt der Angeklagte von einem Mittäter die Nachricht, dass auch die zum damaligen Zeitpunkt 16 Jahre alte [X.]und zwei weitere weibliche Familienmitglieder nach [X.] verbracht werden könnten. Er nahm deshalb am 22. und 23. August 2012 Kontakt zu [X.].  auf und besprach mit ihm die Einzelheiten der Zahlung eines weiteren Teiles des [X.] in Höhe von 9.000 Euro. Am 30. August 2012 reiste [X.]mit dem [X.] nach [X.]. Zuvor war ihr von Mittätern des Angeklagten ein gefälschter [X.] Personalausweis übergeben worden. Nach ihrer Ankunft am [X.] wurde sie im nichtöffentlichen Bereich des [X.]gebäudes von Beamten der [X.] nach ihren Ausweispapieren befragt. Daraufhin zeigte sie den gefälschten [X.] Personalausweis vor und gab an, dass es ihr Ziel gewesen sei, in [X.] Asyl zu beantragen ([X.]) [X.]) (a) der Urteilsgründe).

4

2. An einem nicht mehr näher feststellbaren Tag im [X.] 2012 vereinbarte der Angeklagte mit dem [X.] St[X.]tsangehörigen [X.].   A.     die Schleusung von dessen Familie in die [X.]. Der vereinbarte Schleuserlohn in unbekannter Höhe sollte von [X.].    , einem bereits in der [X.] lebenden Bruder des [X.].   A.    , dem Angeklagten nach [X.] überwiesen werden. In der Folgezeit brachte der Angeklagte die [X.]     in einer von ihm gemieteten Wohnung in [X.] unter und beauftragte mindestens einen unbekannten Mittäter mit der [X.]. Nachdem er von einem Mittäter die Nachricht erhalten hatte, dass der zwölfjährige [X.].   [X.]gemeinsam mit zwei weiteren Kindern von [X.]mit dem Flugzeug nach [X.] gebracht werden könne, teilte er dies [X.].    mit und bat um deren Abholung. Obgleich [X.].    ihm dies nicht zusagen konnte, führte der Angeklagte die Schleusung durch. Daraufhin reisten der mit gefälschten Ausweispapieren versehene zwölfjährige [X.].   [X.], der zehnjährige [X.]. ([X.]) und der achtjährige [X.].   Re. ([X.]) am 13. September 2012 mit dem Flugzeug von [X.] nach [X.]. Nach ihrer Ankunft wurden sie von einer unbekannten Mittäterin des Angeklagten zum dortigen [X.] verbracht und in einen ICE nach [X.] gesetzt. Dabei wurden ihnen die gefälschten Ausweispapiere abgenommen. Nach der Durchfahrt des ersten [X.]ltepunkts auf dem [X.] in [X.] wurden die drei von einer Zugstreife der [X.] angesprochen, sie führten keine Ausweisdokumente bei sich. Bei seiner Befragung erklärte [X.].   [X.], dass er nach [X.] wolle, „weil in [X.] herrscht“. ([X.]) [X.]) (b) der Urteilsgründe).

5

3. Im Frühjahr 2012 übernahm der Angeklagte gegen ein in der Höhe nicht feststellbares Entgelt die Schleusung der Eheleute [X.].     [X.]  und [X.]. Der Schleuserlohn sollte dabei von dem bereits in der [X.] lebenden [X.] der Familie aufgebracht werden. In der Folgezeit brachte der Angeklagte das Ehep[X.]r in einer von ihm angemieteten Wohnung unter und beauftragte mindestens einen unbekannten Mittäter mit der [X.]. Nachdem mehrere Versuche der Eheleute gescheitert waren, ein Flugticket zu erwerben und ein Flugzeug zu besteigen, verschaffte der Angeklagte ihnen durch die Bestechung von [X.] den Zugang zu einem Flugzeug. Dafür hatte er zuvor mit dem [X.] der Eheleute einen Aufpreis auf den Schleuserlohn vereinbart. Am 20. September 2012 reiste das Ehep[X.]r [X.].     [X.]  und [X.]von Rhodos mit dem Flugzeug nach [X.]. Nach ihrer Ankunft am [X.]er [X.] wurden sie im nichtöffentlichen Bereich des [X.]gebäudes von Beamten der [X.] nach ihren Ausweispapieren befragt, beide hatten keine Ausweisdokumente bei sich. Im [X.] daran erklärte [X.].     [X.]  gegenüber den Polizeibeamten: „Ich und meine Frau sind vor dem Krieg geflüchtet und um unsere Kinder in [X.] zu erreichen. Ich will Asylantrag stellen. Für [X.] und meine Ehefrau“ ([X.]) b) [X.]) (c) der Urteilsgründe).

6

4. Im Juni/Juli 2012 übernahm der Angeklagte für einen Schleuserlohn von wenigstens 9.000 Euro die [X.] des zuvor von Unbekannten über die [X.] nach [X.] eingeschleusten [X.]und seiner Familie (Ehefrau und Tochter) in die [X.]. Der Schleuserlohn sollte von Verwandten und dem bereits in der [X.] lebenden [X.] der Eheleute entrichtet werden. In der Folgezeit brachte der Angeklagte die Familie in einer von ihm angemieteten Wohnung unter und beauftragte mindestens einen unbekannten Mittäter mit der [X.]. Nach wenigen Tagen wurde die Tochter der Eheleute [X.]/F.    in die [X.] eingeschleust. Nachdem es den Eheleuten mehrfach nicht gelungen war, in ein Flugzeug nach [X.] zu gelangen, veranlasste der Angeklagte gegen einen Aufpreis, dass beide durch bestochene [X.]mitarbeiter in das Flugzeug gebracht werden, und setzte ihren [X.] hiervon am 25. September 2012 in Kenntnis. Noch am selben Tag reisten die Eheleute [X.]und [X.]    mit dem Flugzeug von [X.] nach [X.] ein. Nach ihrer Ankunft am [X.]er [X.] wurden sie im nichtöffentlichen Bereich des [X.]gebäudes von Beamten der [X.] nach ihren Ausweispapieren befragt. [X.]legte eine gefälschte [X.] Identitätskarte vor, [X.]    hatte keine Ausweisdokumente bei sich. Auf die Frage nach dem Grund ihrer Reise gab [X.]an: „[X.] befinden sich in [X.] und weil der Präsident in [X.] die Menschen tötet“. „In der Folgezeit“ stellten beide Asylanträge in der [X.] ([X.]) [X.]) (d) der Urteilsgründe).

I[X.]

7

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

8

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

9

a) Die Rüge, das [X.] habe bei der Ablehnung des in der [X.]uptverhandlung vom 3. Dezember 2013 gestellten Antrages auf Einvernahme von zehn Beamten der [X.] gegen § 244 Abs. 3 [X.] verstoßen, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]), weil die dem Antrag beigefügten und ausdrücklich als dessen Bestandteil bezeichneten „Protokolle der [X.]“ nicht vorgelegt werden (vgl. [X.] in: Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 244 Rn. 372 mwN). Im Übrigen hat das [X.] den Antrag zutreffend als Beweisermittlungsantrag angesehen, da er keine Zuordnung der unter Beweis gestellten Tatsachen zu den benannten Zeugen enthält (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juli 1981 – 5 StR 343/81; NStZ 1983, 210 bei [X.]/Miebach).

b) Soweit sich die Revision gegen die Verwertung von drei Telefongesprächen wendet, die der Angeklagte von [X.] aus mit Teilnehmern im Ausland geführt hat, bleibt ihr der Erfolg schon deshalb versagt, weil ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf der gerügten Gesetzesverletzung beruht (§ 337 Abs. 1 [X.]). Das [X.] hat die beanstandeten Telefongespräche nur bei der Erörterung der Motivlage verwertet, seine Überzeugung, dass der Angeklagte mit Gewinnerzielungsabsicht gehandelt hat, dabei aber vornehmlich auf dessen – korrigierte – Einlassung in der [X.]uptverhandlung gestützt. Die in Rede stehenden Telefongespräche wurden lediglich zusammen mit vier weiteren Telefongesprächen und den Angaben der früheren Mitangeklagten zu deren Bestätigung herangezogen. Der [X.] schließt aus, dass das [X.] zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre, wenn ihm die von der Revision für unverwertbar erachteten Gespräche nicht zur Verfügung gestanden hätten.

2. Auch die Sachrüge bleibt ohne Erfolg.

a) Das [X.] hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte in vier Fällen anderen unter Verwirklichung von [X.] gewerbsmäßig dazu Hilfe geleistet hat, unerlaubt in das [X.] einzureisen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.]), und deshalb wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen nach § 96 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2 Nr. 1 [X.], § 53 StGB strafbar ist.

[X.]) Alle von dem Angeklagten unterstützten [X.] St[X.]tsbürger – auch die Minderjährigen (vgl. dazu BayObLG, [X.], 275, 276) – sind ohne den nach § 3 Abs. 1 [X.] erforderlichen Pass und ohne den nach § 4 Abs. 1 [X.] erforderlichen Aufenthaltstitel (Sichtvermerk) in das [X.] eingereist. Ihre Einreise war damit unerlaubt im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [X.].

bb) Art. 16a Abs. 1 GG steht dieser Bewertung nicht entgegen. Denn die von dem Angeklagten unterstützten [X.] St[X.]tsangehörigen sind nicht unmittelbar aus dem Verfolgerst[X.]t ([X.]), sondern aus einem Mitgliedst[X.]t der [X.] ([X.], [X.]) in die [X.] eingereist und konnten sich schon deshalb nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf das Asylgrundrecht berufen (vgl. [X.], Urteil vom 2. März 2010 – 4 Ss 1558/09, juris, Rn. 9 m. [X.]. [X.], [X.] 20/2010 [X.]. 2; [X.], [X.], 24 f.; BayObLG, BayObLGSt 1998, 172, 173; BVerwG, NVwZ 1992, 682, 684; NVwZ 1984, 591; [X.], Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., [X.] ff.; [X.] in: [X.], [X.], § 95 Rn. 354 mwN).

cc) Hieran ist auch in Bezug auf die unmittelbar aus [X.] eingereisten Asylbewerber festzuhalten.

(1) Nach dem vom verfassungsändernden Gesetzgeber in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG gewählten Konzept der sicheren Drittst[X.]ten ist der persönliche Geltungsbereich des in Art. 16a Abs. 1 GG gewährten Asylgrundrechts auf Ausländer beschränkt, die nicht aus einem Mitgliedst[X.]t der [X.] oder aus einem anderen Drittst[X.]t eingereist sind, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 ([X.] 1953, [X.]) – [X.] (GFK) – und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – [X.] – vom 4. November 1950 ([X.] 1952, [X.]) sichergestellt ist. Die Mitgliedst[X.]ten der [X.] hat der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG selbst zu sicheren Drittst[X.]ten bestimmt. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm wie auch aus der Zielsetzung, die der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Drittst[X.]tenregelung verfolgt, ergibt sich, dass die Mitgliedst[X.]ten unmittelbar kraft Verfassung sichere Drittst[X.]ten sind. Der zweite [X.]lbsatz in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG („... in dem die Anwendung ... sichergestellt ist“) bezieht sich ausschließlich auf „den anderen Drittst[X.]t“, mithin auf St[X.]ten außerhalb der [X.]. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Ausländer in allen Mitgliedst[X.]ten der [X.] generell Schutz vor politischer Verfolgung und vor Weiterschiebung in einen St[X.]t finden kann, in dem ihm politische Verfolgung oder sonstige menschenrechtswidrige Behandlung oder Bestrafung droht; nur für andere St[X.]ten ist diese Annahme noch von der vorgängigen Prüfung abhängig, ob dort ein Schutz entsprechend der [X.] und der [X.] gewährt wird ([X.] 94, 49, Rn. 159; vgl. BT-Drucks. 12/4152, [X.]). Auch für [X.] als Mitgliedst[X.]t der [X.] ergibt sich damit der Status eines sicheren Drittst[X.]tes unmittelbar aus der Verfassung.

(2) Der Umstand, dass zur Tatzeit keine Rücküberstellungen nach [X.] gemäß der Verordnung ([X.]) Nr. 343/2003 des [X.]tes vom 18. Februar 2003 ([X.] – [X.]) erfolgen durften, weil dort eine Umsetzung der Schutzmechanismen für Flüchtlinge entsprechend den Standards der [X.] nicht mehr gewährleistet war (vgl. [X.]MR ([X.]), NVwZ 2011, 413 [Verstoß gegen Art. 3 und 13 [X.]]; [X.], [X.], 417; siehe auch [X.], Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29; NVwZ 2010, 318; [X.], Beschluss vom 25. Februar 2010 – [X.], NVwZ 2010, 726, Rn. 26; BVerwG, [X.], [X.]; [X.]ilbronner/[X.], [X.], 406, 409) und [X.] deshalb in Bezug auf aus [X.] eingereiste Asylbewerber von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 [X.] – [X.] Gebrauch gemacht hat, steht dem nicht entgegen (a.[X.], ZAR 2014, 142, 146 ff.; [X.], Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 187 f.). Auch wenn [X.] vor diesem Hintergrund zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Schleusungen nicht mehr uneingeschränkt als „sicherer Drittst[X.]t“ im asylverfahrensrechtlichen Sinn einzuordnen war ([X.], Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29), hat sich dadurch die verfassungsrechtliche Ausgangslage nicht verändert.

(3) Der [X.] braucht nicht zu entscheiden, ob die einer Rücküberstellung entgegenstehenden Defizite im [X.] Asylverfahren und das generelle Ausüben des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 [X.] – [X.] dazu geführt haben, dass die eingeschleusten Ausländer trotz ihres zwischenzeitlichen Aufenthalts in [X.] als „Flüchtling“ im Sinne von § 95 Abs. 5 [X.] in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 GFK einzustufen sind (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29; siehe auch [X.], [X.], 24). Zwar geht ein Flüchtling seines Schutzes durch Art. 31 Abs. 1 GFK grundsätzlich nicht schon dadurch verlustig, dass er aus einem Drittst[X.]t einreist und nicht direkt aus dem Herkunftsst[X.]t, sofern er diesen Drittst[X.]t nur als „Durchgangsland“ nutzt und sich der Aufenthalt in diesem nicht schuldhaft verzögert ([X.], Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 31 mwN). Durch den Schutz des Art. 31 Abs. 1 GFK entstünde aber lediglich ein den Asylsuchenden betreffender persönlicher Strafaufhebungsgrund, der das bereits verwirklichte Unrecht der unerlaubten Einreise unberührt ließe und deshalb auf die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 1 [X.] ohne Einfluss wäre ([X.], Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 22; [X.], Beschluss vom 25. März 1999 – 1 [X.], [X.], 409 zu § 92 Abs. 4 AuslG; [X.] in [X.]/Kohlh[X.]s, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Ergänzungslieferung 2013, § 95 [X.] Rn. 68; [X.] in [X.], 2. Aufl., § 95 [X.] Rn. 118).

dd) Der Einwand der Revision, die noch im nichtöffentlichen Bereich der Flughäfen [X.] und [X.] von der [X.] kontrollierten [X.] St[X.]tsangehörigen [X.]([X.]) [X.]) (a) der Urteilsgründe), [X.].     [X.]  und [X.]([X.]) b) [X.]) (c) der Urteilsgründe) sowie [X.]und [X.]    ([X.]) [X.]) (d) der Urteilsgründe) seien erlaubt in die [X.] eingereist, weil ihnen die Einreise von den kontrollierenden [X.]beamten zur Durchführung des Asylverfahrens nach § 18 Abs. 1, § 18a AsylVfG gestattet worden sei (vgl. [X.]/[X.]hoff, 6. Edition, [X.], § 95 Rn. 33; [X.] in [X.]/[X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 95 [X.] Rn. 53), geht fehl.

(1) Für eine grenzpolizeiliche Einreisegestattung nach § 18 Abs. 1 AsylVfG war kein [X.]um, weil die angeführten Asylbewerber im Zeitpunkt der Kontrolle durch die Beamten der [X.] bereits eingereist waren.

(a) Der Begriff der Einreise bestimmt sich nach der Verordnung ([X.]) 562/2006 vom 15. März 2006 ([X.]), die im [X.]hmen ihres Geltungsbereiches der nationalen Regelung in § 13 [X.] vorgeht. Nach Art. 20 [X.] dürfen Binnengrenzen unabhängig von der St[X.]tsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. Der damit verbundene Wegfall jedweder Grenzübergangskontrolle und der Abbau aller Grenzübergangsstellen führt dazu, dass sich der Grenzübertritt nicht mehr nach § 13 Abs. 2 Satz 1 [X.], sondern nach § 13 Abs. 2 Satz 3 [X.] richtet. Ein Ausländer ist daher an einer Binnengrenze bereits dann eingereist, wenn er die Grenzlinie (physisch) überschritten und das [X.]heitsgebiet des Zielst[X.]tes betreten hat (vgl. [X.]/[X.], 6. Edition, [X.], § 13 Rn. 9; [X.] in HK-AuslR, § 13 [X.] Rn. 20; [X.]ilbronner, Ausländerrecht, Stand 2014, § 13 [X.] Rn. 18; [X.], [X.], 69; [X.]/[X.], NJW 1999, 2137, 2138). Reist der Ausländer mit einem Binnenflug (Art. 2 Nr. 3 [X.]) ein, gilt nach Art. 2 Nr. 1b [X.] der „[X.]“ als Binnengrenze. Dies hat zur Folge, dass der für die Vollendung der Einreise maßgebliche (physische) Grenzübertritt nicht schon mit dem Überfliegen der (geografischen) Grenzlinie stattfindet (so aber [X.] in [X.], [X.], § 95 Rn. 117), sondern erst mit dem Betreten des [X.]heitsgebietes des Zielst[X.]tes am [X.] erfolgt (vgl. OLG [X.], [X.]; [X.]-[X.]/[X.], § 95 Rn. 99). Nicht erforderlich ist es hingegen, dass der Passagier eines Binnenfluges (Art. 2 Nr. 3 [X.]) auch schon in den öffentlichen Bereich des [X.]geländes gelangt ist oder den [X.]bereich verlassen hat. Beide Gesichtspunkte knüpfen an die in § 13 Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelte Grenzsituation an und setzen voraus, dass der [X.] eine Grenzübergangsstelle ist, an der Grenzübertrittskontrollen stattfinden (vgl. [X.] in [X.], [X.], § 13 Rn. 17). Dies ist aber nur bei ankommenden Flügen aus Drittst[X.]ten der Fall, bei denen der [X.] als Außengrenze gilt (Art. 2 Nr. 2 iVm Art. 2 Nr. 1b [X.]) und Grenzübergangsstelle (Art. 2 Nr. 8 [X.]) ist, nicht aber bei [X.] (zur notwendigen Trennung der [X.] aus ankommenden [X.] und Flügen aus Drittst[X.]ten vgl. Anhang VI Nr. 2.1.1 zum [X.]; [X.], ZAR 1994, 99, 101; [X.], Die [X.] Abkommen und ihre strafprozessualen Implikationen, 2001, [X.] f.).

(b) Danach hatten die von dem Angeklagten eingeschleusten [X.], [X.].     [X.] , [X.], [X.]und [X.]    den Tatbestand der unerlaubten Einreise im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.] bereits vollständig verwirklicht, als sie im nichtöffentlichen Bereich der Flughäfen in [X.]/Main und [X.] von [X.]beamten angetroffen wurden und erstmals ein Asylersuchen anbrachten.

(2) Der Hinweis der Revision auf das sog. [X.]verfahren nach § 18a AsylVfG verfängt ebenfalls nicht. Dieses Verfahren ist als Asylverfahren vor der Entscheidung über die Einreise konzipiert (vgl. [X.], Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93, NVwZ 1996, 678, 680 f.) und kommt nicht mehr in Betracht, wenn – wie hier – die Einreise bereits vollendet ist (OLG [X.], [X.]; [X.]ilbronner, Ausländerrecht, Stand 2014, § 18a [X.] Rn. 42; [X.] in [X.]/Kohlh[X.]s, Strafrechtliche Nebengesetze 195. Ergänzungslieferung 2013, § 18a AsylVfG Rn. 3).

(3) Der Umstand, dass die Beamten der [X.] in allen Fällen nach der Feststellung der pass- und aufenthaltstitellosen Einreise keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (Zurückschiebung nach § 18 Abs. 3 iVm Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG, § 71 Abs. 3 Nr. 1 [X.]) veranlasst haben, hat den aufgrund ihrer Einreise aus einem sicheren Drittst[X.]t von der grundrechtlichen Asylgewährung nach Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossenen Ausländern zwar nach § 26a Abs. 1 Satz 3 iVm § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylVfG einen einfachgesetzlichen Zugang zum Asylrecht eröffnet (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 26a AsylVfG Rn. 10; [X.] in [X.]/Kohlh[X.]s, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Ergänzungslieferung 2013, § 26a AsylVfG Rn. 8; Schmidt-[X.]feld in [X.], 2. Aufl., § 26a AsylVfG Rn. 2). An der zu diesem Zeitpunkt bereits vollendeten unerlaubten Einreise ändert dies aber nichts (vgl. dazu auch [X.], Beschluss vom 6. Mai 2010 – [X.], NVwZ 2010, 1510 Rn. 8).

b) Der vom [X.] rechtsfehlerfrei bestimmte Anrechnungsmaßstab für den im Ausland erlittenen Freiheitsentzug war gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB in die Urteilsformel aufzunehmen (vgl. [X.], Beschluss vom 14. März 2012 – 2 [X.], Rn. 6; Beschluss vom 6. Februar 2002 – 2 [X.], Rn. 6). Die weitere Überprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 [X.]).

Sost-Scheible                    Roggenbuck                        Mutzbauer

                      Bender                             Quentin

Meta

4 StR 233/14

26.02.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 4. Dezember 2013, Az: 35 KLs 29/13

§ 13 Abs 2 AufenthG, § 95 Abs 1 Nr 3 AufenthG, § 95 Abs 5 AufenthG, § 96 Abs 1 AufenthG, § 96 Abs 2 AufenthG, Art 31 FlüAbk, Art 3 EGV 343/2003, Art 2 EGV 562/2006, Art 16a GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.02.2015, Az. 4 StR 233/14 (REWIS RS 2015, 14841)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2274 REWIS RS 2015, 14841

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