Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.01.2015, Az. VI ZB 46/14

6. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 17317

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Gegenstand

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsfrist: Anforderungen an die anwaltliche Fristenkontrolle


Leitsatz

Der Rechtsanwalt hat selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Dies gilt auch dann, wenn ihm die Akte nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des [X.] vom 10. Juni 2014 wird auf Kosten des [X.] als unzulässig verworfen.

[X.]: 19.419,28 €

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 1. April 2014 zugestellt worden. Hiergegen hat der Kläger mit Telefax vom 5. Mai 2014 Berufung eingelegt und begründet. Der Beklagte hat mit [X.] vom 15. Mai 2014 darauf hingewiesen, dass die Berufung verspätet eingelegt worden sei. Der Kläger hat daraufhin mit Telefax vom 26. Mai 2014 beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, hilfsweise auch gegen die Versäumung der [X.] zu gewähren.

2

Der Kläger hat geltend gemacht, sein Prozessbevollmächtigter habe den Entwurf der Berufungsschrift am 22. April 2014 diktiert und eine Abschrift an ihn, die Einholung einer Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung sowie die Wiedervorlage zur Einlegung der Berufung für den 2. Mai 2014 verfügt. Die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte habe die [X.] weisungswidrig nicht notiert. Die Deckungszusage sei am 2. Mai 2014 eingegangen und dem Prozessbevollmächtigten am 5. Mai 2014 gemeinsam mit der Handakte und einer Ausfertigung der Berufungsschrift vorgelegt worden. Dieser habe die Berufungsschrift umgehend unterzeichnet und den Versand per Telefax an das Berufungsgericht veranlasst. Kenntnis von der Fristversäumnis habe er erst am 20. Mai 2014 erlangt, als ihm der [X.] des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 15. Mai 2014 zugegangen sei.

3

Das [X.] hat die Berufung und den Antrag des [X.], ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen, als unzulässig verworfen, weil der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der zweiwöchigen [X.] gestellt worden sei. Die Frist habe am 5. Mai 2014 zu laufen begonnen, da der Prozessbevollmächtigte des [X.] an diesem Tag die Versäumung der Frist hätte bemerken müssen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger die Aufhebung dieses Beschlusses und Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung der Berufung und Beantragung der Wiedereinsetzung, hilfsweise Zurückverweisung.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

5

1. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des [X.] zu Recht als unzulässig verworfen, da der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der [X.] gestellt wurde.

6

a) Nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist zu beantragen. Diese Frist beginnt, sobald das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das ist der Fall, sobald die bisherige Ursache der Verhinderung beseitigt oder das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr unverschuldet ist (Senat, Urteil vom 15. März 1977 - [X.], [X.], 643, 644; Beschlüsse vom 1. Juni 1976 - [X.], [X.], 962, 963; vom 5. März 2002 - [X.], [X.], 637; [X.], Beschlüsse vom 13. Juli 2004 - [X.], [X.], 426, 427; vom 5. April 2011 - [X.], NJW 2011, 1601 Rn. 9; vom 6. Juli 2011 - [X.], [X.], 1208).

7

b) Das Hindernis bestand hier darin, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.] bei Einlegung der Berufung den Ablauf der Berufungsfrist nicht bemerkt hatte. Dieses Hindernis entfiel nicht erst mit dem Eingang des Hinweises des Beklagten auf den Fristablauf am 20. Mai 2014, sondern schon in dem Moment, in dem der Prozessbevollmächtigte des [X.] bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt die Versäumung der Berufungsfrist hätte bemerken müssen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. April 1975 - [X.] 2/75, [X.], 860 f.; vom 5. März 2002 - [X.], [X.], 637; [X.], Beschlüsse vom 11. Oktober 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 923; vom 19. Juni 2008 - [X.], juris Rn. 5, 6; vom 6. Juli 2011 - [X.], [X.], 1208, jeweils mwN). Das war am 5. Mai 2014 der Fall, als ihm die Sache zur Unterzeichnung der Berufungsschrift vorgelegt wurde.

8

aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] hat der Rechtsanwalt selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen [X.], insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 1976 - [X.], [X.], 962, 963; vom 19. Februar 1991 - [X.] 2/91, [X.], 1269; vom 11. Februar 1992 - [X.] 2/92, [X.], 1632; vom 5. März 2002 - [X.], [X.], 637; vom 6. Februar 2007 - [X.] 41/06, [X.], 858 Rn. 6; vom 3. Mai 2011 - [X.] 4/11, juris Rn. 6; vom 5. Juni 2012 - [X.] 76/11, [X.], 645 Rn. 7; [X.], Urteil vom 25. September 2014 - [X.], [X.], 1337 Rn. 8).

9

bb) Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt den Fristablauf ursprünglich selbst berechnet oder ob er die routinemäßige Fristberechnung und Fristenkontrolle einer zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. Juli 1959 - [X.], [X.], 814, 815; vom 11. Dezember 1991 - [X.], [X.], 1153; vom 17. März 2004 - [X.], [X.], 96; Urteil vom 25. September 2014 - [X.], [X.], 1337 Rn. 11). Denn die Pflicht des Prozessbevollmächtigten, den Fristablauf bei der Vorbereitung einer fristgebundenen [X.] selbständig zu überprüfen, beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der [X.] stets die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt. Diese Aufgabe ist von der Fristberechnung und Fristenkontrolle zu unterscheiden, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen (Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 1976 - [X.], [X.], 962, 963; vom 8. Januar 2013 - [X.] 52/12, juris Rn. 9; [X.], Beschlüsse vom 17. März 2004 - [X.], [X.], 96; Urteil vom 25. September 2014 - [X.], [X.], 1337 Rn. 11).

cc) Die Pflicht, den Fristablauf selbständig zu prüfen, besteht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch dann, wenn die Akte dem Prozessbevollmächtigten nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird ([X.], Beschlüsse vom 13. November 1975 - [X.], [X.], 342; vom 13. Oktober 1993 - [X.], juris Rn. 10; vgl. Senat, Beschluss vom 5. März 2002 - [X.], [X.], 637; [X.], Beschluss vom 20. Januar 2009 - [X.], [X.], 646 Rn. 8). Denn die Bearbeitung ist erst dann abgeschlossen, wenn der fristgebundene [X.] vom Rechtsanwalt unterzeichnet und zur Weiterleitung an das Gericht freigegeben worden ist.

dd) Ohne Erfolg verweist die Rechtsbeschwerde für ihre gegenteilige Ansicht auf den Beschluss des [X.]. Zivilsenats vom 23. November 2000 ([X.] ZB 83/00, [X.], 211, 212). In dem zugrunde liegenden Fall waren dem Anwalt die Akten nicht im Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung, sondern zur Information über den Erhalt des [X.] vorgelegt worden. Der [X.]. Zivilsenat hat dagegen keinen Zweifel daran gelassen, dass der Anwalt die notierte Frist auf ihre Richtigkeit hätte überprüfen müssen, wenn ihm die Akten - wie im Streitfall - zur Bearbeitung der Berufung vorgelegt worden wären.

c) Die [X.] lief damit gemäß § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB am 19. Mai 2014 ab, so dass der am 26. Mai 2014 gestellte Wiedereinsetzungsantrag verspätet war.

2. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] scheitert daran, dass der Kläger die [X.] nicht unverschuldet versäumt hat. Er muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

3. Da der Kläger die Berufungsfrist nicht gewahrt hat, hat das Berufungsgericht die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen.

[X.]                         [X.]                          Pauge

             von [X.]                              Offenloch

Meta

VI ZB 46/14

13.01.2015

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Stuttgart, 10. Juni 2014, Az: 4 U 77/14

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 519 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.01.2015, Az. VI ZB 46/14 (REWIS RS 2015, 17317)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17317


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZB 46/14

Bundesgerichtshof, VI ZB 46/14, 13.01.2015.


Az. 4 U 77/14

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 77/14, 04.09.2014.


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