Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2007, Az. 5 StR 536/06

5. Strafsenat | REWIS RS 2007, 4731

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Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja § 4 GewSchG Die wirksame Zustellung einer im [X.] ergangenen einstweiligen Verfügung ist Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 4 GewSchG BGH, Urteil vom 15. März 2007 [X.] 5 StR 536/06

LG [X.] [X.] 5 [X.][X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 15. März 2007 in der Strafsache gegen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u. a.

- 2 -Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 15. März 2007, an der teilgenommen haben: Vorsitzender [X.] [X.], [X.]in [X.], [X.] Dr. Raum, [X.] [X.], [X.] Dr. [X.] als beisitzende [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.]als Vertreter der [X.], Rechtsanwältin als Verteidigerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

- 3 -für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 4. September 2006 wird [X.]. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen [X.] zu tragen. [X.] Von Rechts wegen [X.]
G r ü n d e Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Körperverlet-zung und versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer rechtskräftigen Geldstrafe zu einer [X.] zur Bewährung ausgesetzten [X.] von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwalt-schaft, die vom [X.] nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg. 1 [X.] Nach den Feststellungen des [X.] belästigte der An-geklagte die Nebenklägerin, mit der er früher ein intimes Verhältnis unterhal-ten hatte, in vielfältiger Weise, nachdem diese sich von ihm getrennt hatte. Auf Betreiben der Nebenklägerin, die sich zuvor auf der [X.] kundig gemacht hatte, erließ der Zivilrichter des [X.] ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung des Angeklagten mit Beschluss 2 - 4 -vom 9. Oktober 2003 eine einstweilige Verfügung gegen den Angeklagten. Diesem wurde darin [X.] aufgegliedert in konkrete Einzelverbote [X.] untersagt, in irgendeiner Form Kontakt mit der Nebenklägerin aufzunehmen oder sich ihr auf eine kürzere Entfernung als 50 Meter zu nähern. Am 13. Oktober 2003 wurde der Nebenklägerin die einstweilige Verfügung mit dem Bemerken —mit der Bitte um weitere [X.] per Post zugestellt. Weder die Neben-klägerin noch das Gericht bewirkten allerdings in der Folgezeit eine Zustel-lung an den Angeklagten. Der Angeklagte begab sich am 9. November 2003 gegen 2.00 Uhr nachts zur Gaststätte —[X.] in [X.], die ausdrücklich als zu meidender Ort in der einstweiligen Verfügung benannt war. Dort arbeitete die Nebenklägerin als Bedienung. Er setzte sich auf eine Freifläche vor der Gaststätte, die weniger als 50 Meter von der Gaststätte entfernt lag. Nach-dem der Angeklagte diesen Platz trotz Aufforderung von Kollegen der [X.] nicht freiwillig verlassen hatte, verständigte die Nebenklägerin die Polizei. Den Polizeibeamten erläuterte die Nebenklägerin den Sachver-halt. Sie legte dabei auch die einstweilige Verfügung des [X.] vor. Die Polizeibeamten konfrontierten den Angeklagten mit dem [X.], gegen die Unterlassungsverfügung des Amtsgerichts verstoßen zu ha-ben. Da der Angeklagte angab, von einer einstweiligen Verfügung nichts zu wissen, informierten sie ihn über deren Inhalt, ohne ihm allerdings die einst-weilige Verfügung auszuhändigen. Weiterhin notierten die Polizeibeamten für den Angeklagten das Aktenzeichen der einstweiligen Verfügung auf einen Zettel mit dem Hinweis, er solle sich eine Ausfertigung des Beschlusses be-sorgen (Tat 1). 3 Der Angeklagte, der nun sicher von der einstweiligen Verfü-gung der Nebenklägerin wusste, suchte am 6. Dezember 2003 gegen 23.30 Uhr wiederum die Gaststätte —[X.] auf, in der sich die Nebenklägerin aufhielt. Als er die Nebenklägerin dort mit ihrem neuen Lebensgefährten, dem [X.], sitzen sah, warf er wutentbrannt von ihm [X.] - 5 -brachte Fotos auf den Boden und spuckte dem [X.] ins Ge-sicht (Tat 2). Nachdem er zunächst die Gaststätte verlassen hatte und [X.] durch das Stadtgebiet gelaufen war, traf der Angeklagte kurz nach 24.00 Uhr in der Nähe des —[X.] erneut auf die Nebenklägerin, als diese in Be-gleitung ihres Freundes zu ihrem geparkten Pkw laufen wollte. Der Angeklag-te lief auf den [X.]zu und versetzte ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht und Fußtritte gegen das rechte Schienbein. Als sich der Zeuge wehrte und den Angeklagten seinerseits schlug, flüchtete der Angeklagte (Tat 3). 5 Der Angeklagte, der sich mittlerweile mit einer Eisenstange bewaffnet hatte, lauerte eine halbe Stunde später erneut der Nebenklägerin und dem [X.]

auf, die sich in die Gaststätte zurückgezogen [X.]. Als der Zeuge [X.]in Begleitung der Nebenklägerin aus der [X.] kam und die beiden zu ihrem Auto gehen wollten, stürmte der Ange-klagte mit der Eisenstange auf den Zeugen zu und versuchte, auf diesen ein-zuschlagen. Dem Zeugen gelang es jedoch, dem Angeklagten die [X.] zu entwinden (Tat 4). 6 Das [X.] hat den Angeklagten nicht wegen eines Ver-stoßes nach § 4 Gewaltschutzgesetz (GewSchG) verurteilt, weil keine wirk-same vollstreckbare Anordnung eines Gerichts vorgelegen habe. 7 I[X.] Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet allein die un-terbliebenen Verurteilungen wegen Verstoßes gegen § 4 GewSchG in vier Fällen. Sie richtet sich damit gegen die Freisprüche in den ersten beiden Tatkomplexen sowie auch dagegen, dass der Verstoß in den Tatkomplexen 8 - 6 -3 und 4 nicht tateinheitlich zu den Körperverletzungsdelikten ausgeurteilt wurde. Die Revision ist unbegründet.
- 7 -1. Das [X.] hat seine Auffassung, dass kein Verstoß gegen § 4 GewSchG vorliege, rechtsfehlerfrei damit begründet, dass es an einer wirksamen vollstreckbaren Anordnung eines Gerichts fehle. 9 a) Tathandlung nach § 4 GewSchG ist die Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs.1 Satz 1 oder 3 GewSchG. Dabei handelt es sich um eine Blankettnorm, deren Verbotsgehalt sich aus der zugrunde liegenden zivilgerichtlichen Entscheidung ergibt ([X.] in Anwaltkommentar BGB 2005 § 4 GewSchG Rdn. 2). Ob eine ge-genüber dem Angeklagten vollstreckbare Anordnung vorliegt, ist deshalb nach den hierfür geltenden zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Eine vollstreckbare Anordnung setzt voraus, dass diese dem Angeklagten gegen-über wirksam geworden ist. Dies geschieht durch die Zustellung der einstwei-ligen Verfügung. Insoweit ist die Zustellung Wirksamkeitsvoraussetzung. Mit der Zustellung entsteht überhaupt erst ein Prozessrechtsverhältnis gegen-über dem Adressaten der einstweiligen Verfügung (Vollkommer in [X.], ZPO 26. Aufl. § 922 Rdn. 12a). Die vom [X.] angespro-chene Möglichkeit einer Vollziehung vor Zustellung nach § 929 Abs. 3 ZPO kommt bei einer [X.] hier gegebenen [X.] rechtsgestaltenden Regelungsverfügung daher ihrer Struktur nach nicht in Betracht (vgl. Vollkommer in [X.] aaO § 929 Rdn. 26; [X.] in [X.], ZPO 22. Aufl. § 938 Rdn. 30, 31). 10 aa) Da eine wirksame Zustellung Geltungsvoraussetzung der einstweiligen Verfügung gegenüber dem Betroffenen ist, kommt keine [X.] von der Staatsanwaltschaft befürwortete [X.] Auslegung des § 4 GewSchG in [X.], wonach eine so genannte —abstrakte Vollstreckbarkeitfi der einstweili-gen Verfügung ausreichen solle (so aber [X.] NStZ 2005, 411). Damit ist ersichtlich gemeint, dass für die Verwirklichung des objektiven Tat-bestandes die bloße Existenz einer einstweiligen Verfügung genügen soll, ihre durch eine ordnungsgemäße Zustellung bewirkte Wirksamkeit gegen-über dem Betroffenen aber nicht verlangt werden soll. Abgesehen davon, dass eine solche der grundlegenden Systematik des Rechts der [X.] - 8 -gen Verfügung entgegenstehende Auslegung mit der Struktur des § 4 GewSchG als [X.] nicht vereinbar wäre, gibt auch der Wort-laut dieser Bestimmung keinen Anhalt für eine derartige Auslegung. Dass die Anordnungen nach den §§ 1, 2 GewSchG zu befristen sind, soll ersichtlich einer Verletzung des Übermaßverbotes vorbeugen, stellt aber kein Argument im Sinne einer —abstrakten Vollstreckbarkeitfi dar (a.A. [X.] aaO). Vielmehr legt der Wortlaut des § 4 GewSchG nahe, dass der Gesetzgeber auch insoweit die konkrete Vollstreckbarkeit gegenüber dem Betroffenen gemeint und zur Voraussetzung für eine Strafbarkeit gemacht hat. Dies wird nämlich aus dem ausdrücklichen und zusätzlichen Erfordernis deutlich, dass die vollstreckbare Anordnung bestimmt sein muss. Damit wollte der [X.] ersichtlich den Betroffenen vor strafrechtlichen Risiken für den Fall einer unklaren Verbotsverfügung schützen. Entsprechend wäre Rechtssi-cherheit für den Betroffenen noch weniger gegeben, wenn als Grundlage für den Vorsatz unter Umständen mündliche Berichte Dritter ausreichen sollen. Deshalb liegt die Annahme fern, der Gesetzgeber habe von einer wirksamen Zustellung gegenüber einem Betroffenen absehen wollen, der unter [X.] von dem Verfahren über die einstweilige Verfügung nicht einmal Kennt-nis erlangt hat. [X.]) Die Zustellung hat nach § 936 i.V.m. § 922 Abs. 2 ZPO im Parteibetrieb zu erfolgen. Das bedeutet, dass der Antragsteller (im vorliegen-den Fall also die Nebenklägerin) die Zustellung zu bewirken hat. Damit soll die Entscheidung in der Hand des Antragstellers bleiben, ob er von der einstweiligen Verfügung Gebrauch macht, und sich unter Umständen da-durch auch Schadensersatzansprüchen nach § 945 ZPO aussetzt. Schon allein wegen dieses Zusammenhangs kann eine Zustellung im Parteibetrieb nicht durch andere Formen der Bekanntgabe ersetzt werden (vgl. [X.], 73, 78 ff.). 12 b) Eine solche Zustellung fehlt im vorliegenden Fall. Schon aus diesem Grund ist die einstweilige Verfügung keine taugliche Grundlage für 13 - 9 -eine Strafbarkeit nach § 4 GewSchG. Die bloße Kenntnis von dem Inhalt der einstweiligen Verfügung, die hier jedenfalls sicher durch die Polizeibeamten vermittelt wurde, steht der Zustellung nicht gleich. Zwar können Mängel der Zustellung geheilt werden. Die [X.] hierfür, die sich nach der Regelung des § 189 ZPO bestim-men, liegen jedoch nicht vor. Wesentliches und unverzichtbares Erfordernis einer Heilung ist, dass der Adressat der einstweiligen Verfügung das [X.] auch tatsächlich erhält, mithin —es in die Hand bekommtfi ([X.] in [X.] aaO § 189 Rdn. 4). Dies gebietet schon der Grundsatz der Rechtsklar-heit, weil nur so für den Adressaten Inhalt und Umfang der gerichtlichen Ver-fügung eindeutig umrissen werden. Nur dadurch wird für den Verpflichteten deutlich, dass er durch ein Gericht in Anspruch genommen werden soll. Eine gerichtliche Maßnahme gewinnt ihren Geltungsanspruch auch daraus, dass sie zweifelsfrei [X.] schon durch ihre äußere Form [X.] als solche zu identifizieren ist. Deshalb kann die Ausfertigung einer gerichtlichen Entscheidung nicht durch die bloße Mitteilung über ihren Inhalt ersetzt werden (vgl. [X.], 384, 387). 14 Zudem fehlte im vorliegenden Fall ein Zustellungswille der [X.], also die Absicht, die Zustellung auch bewirken zu wollen (vgl. [X.], 1192, 1193). Eine ohne Zustellungswillen erfolgte Übermitt-lung des Inhalts ist nicht geeignet, den Zustellungsmangel zu heilen. Die Zu-stellung bleibt unwirksam. Dies würde sogar dann gelten, wenn der [X.] das Dokument selbst in Empfang genommen hätte. 15 c) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft kommt es nicht darauf an, ob im vorliegenden Fall das Familiengericht hätte entschei-den müssen. Abgesehen davon, dass die nach § 620 Nr. 9 ZPO hierfür maßgeblichen Voraussetzungen wegen des Fehlens eines auf Dauer ange-legten gemeinsamen Haushalts ersichtlich nicht gegeben sind, ist für die Wirkungen einer gerichtlichen Entscheidung maßgebend, in welchem Verfah-16 - 10 -ren sie ergangen ist, und nicht, in welchem sie hätte ergehen müssen. [X.] bestimmen sich die Vorschriften über die Zustellung nach der Verfah-rensart, die tatsächlich auch zur Anwendung gelangt ist, und nach der [X.] getroffenen Entscheidung. Hier hat das Zivilgericht eine einstweilige Ver-fügung im Sinne des § 935 ZPO erlassen. Eine solche ist [X.] was nicht [X.] ist [X.] nach § 922 Abs. 2 i.V.m. § 936 ZPO im Parteibetrieb zuzustel-len. Ob im Interesse des Opferschutzes eine generell abweichende Rege-lung vorzugswürdig wäre, die in Fällen des Gewaltschutzgesetzes eine Zu-stellung von Amts wegen vorsieht, hat der [X.] nicht zu entscheiden. d) Schließlich lagen [X.] wie das [X.] zutreffend ausführt [X.] für die Taten vom 6./7. Dezember 2003 die Voraussetzungen einer Straf-barkeit auch deshalb nicht mehr vor, weil die Vollziehung aus der einstweili-gen Verfügung durch Ablauf der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO unstatthaft ge-worden ist. Eine für die Verhinderung einer solchen Folge unverzichtbare so genannte Vollziehungszustellung (vgl. [X.], 73, 78) wurde im vorlie-genden Fall von der Nebenklägerin nicht vorgenommen. 17 2. Auch im Übrigen hat die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung keinen Fehler zum Vor- oder Nachteil (§ 301 StPO) des Ange-klagten ergeben. 18 [X.] Gerhardt Raum [X.] [X.]

Meta

5 StR 536/06

15.03.2007

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2007, Az. 5 StR 536/06 (REWIS RS 2007, 4731)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 4731

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