Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2012, Az. 4 StR 122/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6546

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Gegenstand

Strafbare Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz: Voraussetzung der Zustellung des Beschlusses


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Oktober 2011 aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2. b der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten „wegen schwerer Vergewaltigung und unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG kann nicht bestehen bleiben. Die getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass das Tatbestandsmerkmal einer „vollstreckbaren“ Anordnung erfüllt ist. Hierzu teilt das [X.] lediglich mit, dass die Nebenklägerin einen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – [X.] ([X.]) vom 15. Oktober 2010 erwirkt habe, in welchem dem Angeklagten u.a. verboten worden sei, sich ihrer (genau bezeichneten) Wohnung näher als 20 Meter zu nähern; dem Angeklagten sei dieses Verbot bekannt gewesen.

3

Die Strafkammer stellt weder hier noch an anderer Stelle ihres Urteils fest, ob der Beschluss dem Angeklagten wirksam zugestellt worden ist. Nach dem Urteil des 5. Strafsenats des [X.] vom 15. März 2007 (5 [X.], [X.], 257; dem folgend [X.], Beschlüsse vom 4. Oktober 2007 – 2 [X.], vom 17. September 2008 – 1 [X.] und vom 7. Oktober 2010 – 1 [X.]) ist indes die wirksame Zustellung Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 GewSchG; die bloße Kenntnis vom Inhalt der Anordnung steht dem nicht gleich ([X.], Urteil vom 15. März 2007, aaO S. 261). Allerdings betraf das Urteil des 5. Strafsenats eine einstweilige Verfügung im Sinne des § 935 ZPO. Gewaltschutzsachen nach den §§ 1 und 2 GewSchG sind gemäß § 111 Nr. 6, § 210 FamFG seit dem 1. September 2009 uneingeschränkt Familiensachen ([X.] in: [X.], 5. Aufl., § 1 GewSchG Rn. 3). Beschlüsse werden jedoch grundsätzlich auch insoweit nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung vollzogen (§ 95 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 FamFG) und bedürfen der Zustellung (§ 87 Abs. 2 FamFG; vgl. [X.], FamFG, 17. Aufl., § 53 Rn. 6; ebenso [X.], aaO, § 4 GewSchG Rn. 7). Zwar kann das Familiengericht sowohl für die Endentscheidung als auch für eine einstweilige Anordnung deren Vollstreckbarkeit vor Zustellung anordnen (§ 216 Abs. 2 S. 1 FamFG für Endentscheidungen; § 53 Abs. 2 S. 1 FamFG für einstweilige Anordnungen). Das [X.] teilt jedoch schon nicht mit, ob der Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Oktober 2010 im [X.] oder im einstweiligen [X.] (§ 214 FamFG) ergangen ist; damit fehlen auch jedwede Ausführungen dazu, ob das Amtsgericht – im Falle einer Endentscheidung neben der sofortigen Wirksamkeit gemäß § 216 Abs. 1 Satz 2 FamFG – die Zulässigkeit der Vollstreckung vor Zustellung der Anordnung an den Angeklagten bestimmt hat. Der [X.] sieht daher keine Veranlassung, näher auf diese verfahrensrechtliche Besonderheit einzugehen (vgl. zur Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen in [X.] Hamm FPR 2011, 232).

4

Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen kann der [X.] nicht prüfen, ob das Tatbestandsmerkmal einer „vollstreckbaren“ Anordnung in § 4 Satz 1 GewSchG erfüllt ist.

5

2. Konsequenz des aufgezeigten Rechtsfehlers ist die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 2. b der Urteilsgründe und der Gesamtfreiheitsstrafe:

6

a) Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die in diesem Fall verhängte [X.] von acht Monaten auf der Verurteilung nach § 4 S. 1 GewSchG beruht. Denn das [X.] hat strafschärfend ausdrücklich berücksichtigt, „dass der Angeklagte bei der zweiten Tat tateinheitlich drei Straftatbestände verwirklicht hat“ (UA 29).

7

Dies zieht die Aufhebung auch der Verurteilung wegen der zu dem Vergehen nach dem Gewaltschutzgesetz in Tateinheit stehenden – und für sich rechtsfehlerfrei angenommenen – Straftaten der Bedrohung und des unerlaubten Führens einer Schusswaffe nach sich (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl., § 353 Rn. 7a).

8

Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 2. b entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.

9

b) Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 [X.]); das [X.] wird – soweit nicht ein Vorgehen nach § 154a Abs. 2 [X.] erwogen wird – ergänzende Feststellungen zur Frage der Vollstreckbarkeit des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – [X.] ([X.]) vom 15. Oktober 2010 zu treffen haben.

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils anhand der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

[X.]Franke

                         [X.]

Meta

4 StR 122/12

10.05.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 28. Oktober 2011, Az: 10 KLs 66 Js 612/10 - 15/11

§ 1 Abs 1 S 1 GewSchG, § 4 S 1 GewSchG, § 53 Abs 2 S 1 FamFG, § 216 Abs 1 S 2 FamFG, § 216 Abs 2 S 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2012, Az. 4 StR 122/12 (REWIS RS 2012, 6546)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6546

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 578/15

1 StR 578/15

5 StR 208/19

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