Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.06.2021, Az. 2 B 56/20

2. Senat | REWIS RS 2021, 4875

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Gegenstand

Disziplinarische Ahndung mehrerer Verstöße eines Polizeibeamten gegen die Verfassungstreuepflicht


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 4. März 2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die allein auf Verfahrensmängel gestützte [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.

2

1. Der 1959 geborene [X.] stand nach einer [X.]erufsausbildung bei der [X.] ab 1981 im Dienst der [X.]. 1990 übernahm ihn die Klägerin zunächst als Angestellten und ab 1992 unter [X.]erufung in das [X.]eamtenverhältnis als [X.]lizeihauptwachtmeister beim damaligen [X.]. [X.] beförderte ihn die Klägerin zum [X.]lizeiobermeister ([X.]esoldungsgruppe A 8). Zwischen 2005 und 2012 ordnete die Klägerin den [X.]n mehrmals zum [X.] zum Einsatz im Hausordnungs- und Objektschutzdienst ab.

3

Im Juli 2012 leitete die Klägerin ein Disziplinarverfahren gegen den [X.]n ein, in dem sie ihm vorwarf, am 12. Juli 2012 auf einem privaten Grillabend auf dem Gelände der [X.] in [X.] anlässlich einer politischen Diskussion den [X.] geleugnet zu haben. Auf die parallel erstatte Strafanzeige stellte die Staatsanwaltschaft [X.] das Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung ein, weil die "an sich tatbestandliche Äußerung" nicht öffentlich gefallen sei.

4

Im November 2013 hat die Klägerin nach vorheriger Ausdehnung des Disziplinarverfahrens ([X.]eitrag im [X.]log "Für Gott, [X.] und Vaterland" - 2010 - und weitere Äußerungen des [X.]n im Juli 2012 in [X.]) Disziplinarklage erhoben und diese nach der Einleitung eines weiteren Disziplinarverfahrens im Jahr 2017 (Verfassen eines [X.] im Januar 2016, in dem die "kluge [X.]litik [X.]" als "Reichsprotektor in [X.] und [X.]" lobend dargestellt wird) um eine Nachtragsdisziplinarklage ergänzt. Das Verwaltungsgericht hat den [X.]n aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt.

5

Die dagegen gerichtete [X.]erufung hat das Oberverwaltungsgericht mit der [X.]egründung zurückgewiesen, der [X.] habe ein sehr schweres Dienstvergehen begangen, das die Entfernung aus dem Dienst erfordere. Mit der zweifachen Leugnung des [X.] (12. Juli 2012), seinen weiteren in [X.] getätigten Äußerungen - "Heute gibt es doch keine starken [X.]litiker mehr - [X.] und [X.], das waren noch starke Männer" und betreffend das Gebäude der [X.] in [X.] "Kann ja nichts werden, das hat ja auch ein [X.] gebaut" (Juli 2012) - und seinem [X.] zu [X.] [X.]litik (2016) habe der [X.] ein sehr schweres Dienstvergehen begangen, weil er als [X.] gegen seine Pflicht zur Verfassungstreue wiederholt verstoßen habe. Dagegen sei im Hinblick auf seinen [X.]log-[X.]eitrag "Für Gott, [X.] und Vaterland" (2010) und seine Äußerung in [X.] "Es gibt nur zwei [X.] Großstädte, [X.] und [X.]" (Juli 2012) eine Dienstpflichtverletzung nicht gegeben.

6

Erschwerend wirke, dass sich der [X.] zum einen innerhalb eines kurzen Zeitraums während des dienstlichen Aufenthalts in [X.] mehrfach und in verschiedenen Zusammenhängen in einer dem Verfassungstreuegebot widersprechenden [X.]ise geäußert und vor allem - in [X.]ezug auf die Leugnung des [X.] - trotz kritischer Nachfrage daran festgehalten habe. Zum anderen habe er den weiteren Verstoß gegen seine Pflicht zur Verfassungstreue, die lobende Darstellung [X.] in einem [X.], Anfang 2016 unter dem Eindruck des bereits anhängigen [X.] begangen. Milderungsgründe von erheblichem Gewicht, die eine abweichende [X.]eurteilung des [X.] in seine Person rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Insbesondere sei für eine alkoholbedingte Minderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des [X.]n zum Zeitpunkt der [X.]-Leugnung am Abend des 12. Juli 2012 nichts erkennbar. [X.]der der [X.] selbst habe dafür hinreichend konkrete Anknüpfungstatsachen beschrieben noch seien von den vernommenen Zeugen alkoholbedingte Ausfallerscheinungen des [X.]n wahrgenommen worden. Angesichts der unterschiedlichen Zwecke von Straf- und Disziplinarrecht entlaste es den [X.]n disziplinarisch auch nicht, dass die eingeleiteten Strafermittlungsverfahren sowohl zur Leugnung des [X.] als auch zum [X.] zu [X.] eingestellt worden seien.

7

2. Mit der [X.]eschwerde macht der [X.] folgende Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend:

a) das [X.]erufungsgericht habe seine Pflicht zur fehlerfreien richterlichen Überzeugungsbildung verletzt, weil aus [X.]ekundungen des [X.]n und der allein vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen - entgegen den Feststellungen im [X.]erufungsurteil - konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der [X.] am Abend des 12. Juli 2012 bei seiner Leugnung des [X.] in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit alkoholbedingt eingeschränkt gewesen sei,

b) das [X.]erufungsgericht habe seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen verletzt, weil es der Frage einer verminderten Schuldfähigkeit des [X.]n infolge seiner Alkoholisierung am Abend des 12. Juli 2012 nicht nachgegangen sei,

c) das [X.]erufungsgericht habe im behördlichen Disziplinarverfahren im Hinblick auf die eingeholten schriftlichen Zeugenaussagen zum Themenkomplex Leugnung des [X.] Fehler bei der Sachverhaltsaufklärung begangen und dabei die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs verletzt und

d) das [X.]erufungsgericht habe den der Nachtragsdisziplinarklage zugrundeliegenden Lebenssachverhalt, d.h. den [X.] des [X.]n zu [X.] (2016), nicht aufgeklärt.

8

Die von der [X.]eschwerde gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

9

a) Das [X.]erufungsgericht hat nicht gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 3 [X.] entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt auch die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder [X.]eweisergebnisse bei seiner rechtlichen Würdigung außer Acht lassen, insbesondere Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist. Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, wenn das Gericht einen allgemeinen Erfahrungssatz, ein Gebot der Logik (Denkgesetz) oder der rationalen [X.]eurteilung nicht beachtet (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 20. Dezember 2013 - 2 [X.] 35.13 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 21 Rn. 19, vom 9. Oktober 2014 - 2 [X.] - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 26 Rn. 41 f. m.w.N. und vom 25. November 2020 - 2 [X.] 15.20 - juris Rn. 6).

Das Gebot der "freien Überzeugungsbildung" nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entbindet indes nicht von der Verpflichtung, dass sich das Gericht zunächst die geeigneten Grundlagen verschafft, auf denen eine derartige Überzeugungsbildung erst möglich ist (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 18. Juli 1986 - 4 [X.] 40.82 u.a. - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 181 S. 73). Eine Überzeugungsbildung ohne ausreichende Erforschung des Sachverhalts stellt zugleich eine Verletzung der Aufklärungspflicht dar ([X.]VerwG, Urteile vom 24. Oktober 1984 - 6 [X.] 59.84 - [X.]VerwGE 70, 222 <225> und vom 11. April 1989 - 9 [X.] 63.87 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 208 S. 28). Nach § 65 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 [X.] hat das [X.]erufungsgericht grundsätzlich selbst als [X.] die entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen. Ein Verzicht auf eine eigene [X.]eweisaufnahme gemäß § 65 Abs. 4 [X.] ist allerdings zulässig, wenn die vom Verwaltungsgericht erhobenen [X.]eweise nicht mehr angegriffen werden und sich das [X.]erufungsgericht auch in ihrer Würdigung in vollem Umfang der Würdigung des [X.] anschließt ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 27. Oktober 2008 - 2 [X.] 48.08 - juris Rn. 3).

Gemessen daran benennt die [X.]eschwerde keinen [X.]. Das [X.]erufungsgericht hat sich mit der Frage einer verminderten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des [X.]n anlässlich dessen Leugnung des [X.] am Abend des 12. Juli 2012 auseinandergesetzt ([X.] f.). Aufgrund tatrichterlicher Würdigung ist es frei von [X.] zu der Überzeugung gelangt, dass eine alkoholbedingt verminderte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beim [X.]n nicht vorgelegen hat. Dazu hat sich das [X.]erufungsgericht wesentlich zum einen auf die in sich widersprüchlichen Aussagen des [X.]n während des gerichtlichen Verfahrens gestützt. Der [X.] hat vor dem Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2018 einerseits erklärt, keine Erinnerung mehr daran zu haben, wieviel [X.]ier am Abend des 12. Juli 2012 getrunken worden ist und was er damals getrunken hat. Andererseits hat er zugleich ausgesagt, am nächsten Morgen ab 7:00 Uhr Frühdienst gehabt zu haben und zu diesem Zeitpunkt nüchtern gewesen zu sein ([X.]l. 191 R, [X.]). In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht hat der [X.] dagegen angegeben, am Abend des 12. Juli 2012 auch Schnaps getrunken zu haben und stark angetrunken gewesen zu sein ([X.]l. 294 R, O[X.]), dann aber auf Nachfrage des [X.] ausgeführt, sich nicht mehr genau zu erinnern, wieviel er getrunken hat ([X.]l. 295 O[X.]). Dass das [X.]erufungsgericht die Einlassungen des [X.]n, am Abend des 12. Juli 2012 sei viel getrunken worden, nach alledem als "vage und unsubstantiiert" beurteilt, ist frei von [X.].

Ebensowenig verletzt es [X.] Verfahrensrecht, dass sich das [X.]erufungsgericht auf die im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Aussagen der vernommenen Zeugen gestützt hat. Die vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen [X.]., [X.] und [X.]. haben für den Abend des 12. Juli 2012 keinen exzessiven Alkoholkonsum des [X.]n bekundet und Ausfallerscheinungen beim [X.]n ausdrücklich verneint. Das [X.]erufungsgericht hat die Zeugen gemäß § 65 Abs. 4 [X.] auch nicht abermals selbst vernehmen müssen, nachdem die erstinstanzlich protokollierten Zeugenaussagen vom [X.]n nicht mehr angegriffen worden waren und sich das [X.]erufungsgericht der Würdigung dieser Zeugenaussagen durch das Verwaltungsgericht vollumfänglich angeschlossen hat.

Im Übrigen hat das [X.]erufungsgerichts bei seiner Überzeugungsbildung auch den Grundsatz "in dubio pro reo" nicht verletzt. [X.] Umstände sind nach dem Grundsatz, "in dubio pro reo" dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist ([X.]VerwG, Urteile vom 29. Mai 2008 - 2 [X.] 59.07 - [X.] 235.1 § 70 [X.] Nr. 3 Rn. 27 und vom 23. Februar 2012 - 2 [X.] 38.10 - NVwZ-RR 2012, 479 ff.; [X.]GH, [X.]eschluss vom 25. Juli 2006, - 4 [X.]/06 - NStZ-RR 2006, 335 Rn. 11). Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung ein Sachverhalt nicht ohne vernünftigen Zweifel ausschließen, dessen rechtliche Würdigung eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des [X.]eamten ergibt, so ist dieser Gesichtspunkt nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" in die Gesamtwürdigung einzustellen ([X.]VerwG, Urteile vom 3. Mai 2007 - 2 [X.] 9.06 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 3 Rn. 30 und vom 29. Mai 2008 - 2 [X.] 59.07 - [X.] 235.1 § 70 [X.] Nr. 3 Rn. 27).

Vorliegend haben die beiden Tatsacheninstanzen den Sachverhalt jedoch - wie oben (Rn. 11) ausgeführt - aufgeklärt. Eine verminderte Schuldfähigkeit konnte gerade nach Überzeugung beider Gerichte nicht festgestellt werden (vgl. [X.]; [X.]erufungsurteil, [X.]). Aufgrund dieser Sachverhaltsaufklärung und der revisionsrechtlich nicht angreifbaren [X.]eweiswürdigung ist der Grundsatz "in dubio pro reo" hier nicht anzuwenden, da eine verminderte Schuldfähigkeit nach Überzeugung des [X.] und des [X.]erufungsgerichts fernliegend war.

b) Im Hinblick auf eine möglicherweise verminderte Schuldfähigkeit des [X.]n infolge Alkoholisierung am Abend seiner Leugnung des [X.] - am 12. Juli 2012 - ist des [X.]iteren keine verfahrensfehlerhafte Sachverhaltsaufklärung nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 69 [X.] durch das [X.]erufungsgericht festzustellen.

Im gerichtlichen Disziplinarverfahren haben die [X.]e nach § 86 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 58, 65 [X.] grundsätzlich selbst und von Amts wegen diejenigen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme von [X.]edeutung sind ([X.]VerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - [X.]VerwGE 146, 98 Rn. 20). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 14. Juni 2005 - 2 [X.] 108.04 - [X.] 235.1 § 58 [X.] Nr. 1 S. 2).

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des [X.]erufungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in [X.]etracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des [X.]s zu einer für den [X.]eschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es unterlassen hat, einen [X.]eweisantrag zu stellen. Deshalb muss ferner entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem [X.], insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen ([X.]VerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 [X.] 52.65 - [X.]VerwGE 31, 212 <217 f.>; [X.]eschlüsse vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14, vom 19. Februar 2018 - 2 [X.] 51.17 - [X.] 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 6 und vom 15. Januar 2020 - 2 [X.] 40.19 - Rn. 18).

Die Verwaltungsgerichte treffen bei der [X.]estimmung der Disziplinarmaßnahme eine eigene [X.]emessungsentscheidung gemäß § 13 Abs. 1 [X.]. [X.]lche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 [X.] nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener [X.]erücksichtigung der Persönlichkeit des [X.]eamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Das [X.]emessungskriterium "Persönlichkeitsbild des [X.]eamten" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 [X.] erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des [X.]eamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 - 2 [X.] 12.04 - [X.]VerwGE 124, 252 <259 f.> und vom 3. Mai 2007 - 2 [X.] 9.06 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 3 Rn. 14). In diesem Zusammenhang haben die Verwaltungsgerichte auch der Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20 und 21 StG[X.] nachzugehen, wenn der Sachverhalt hinreichenden Anlass bietet.

Soweit die [X.]eschwerde geltend macht, dass der [X.]eweisantrag des [X.]n in der 1. Instanz - hinsichtlich der beantragten Vernehmung von [X.] und der Herren [X.] und [X.]. ([X.], [X.]l. 156 R) als weiterer Zeugen u.a. zur Frage seiner erheblichen Alkoholisierung - nicht beachtet worden sei, ist festzustellen, dass dies von dem anwaltlich vertretenen [X.]n weder in seiner [X.]erufungsbegründung noch in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht gerügt worden ist. Die Aufklärungsrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist aber kein Mittel, einem Verfahrensbeteiligten zurechenbare Versäumnisse während der Tatsacheninstanzen nachzuholen und auszugleichen.

Im Übrigen hat sich dem [X.]erufungsgericht eine weitergehende Sachaufklärung zur Frage einer etwa erheblichen Alkoholisierung des [X.]n am Abend des 12. Juli 2012 auch nicht von Amts wegen aufdrängen müssen. Die Aussagen der erstinstanzlich vernommenen vier Zeugen - Wi., [X.]., [X.], und [X.]. - haben nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des [X.]erufungsgerichts klar ergeben, dass alkoholbedingte Ausfallerscheinungen beim [X.]n nicht zu erkennen gewesen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die vernommenen Zeugen am 12. Juli 2012 mit dem [X.]n gemeinsam am Tisch saßen, während die nicht vernommenen Zeugen - St., [X.] und [X.]. - an einem anderen Tisch saßen, so dass sie jedenfalls aus eigener Anschauung kaum nähere Angaben zum Trinkverhalten des [X.]n hätten machen können ([X.], [X.]l. 195 R).

c) Auch die von der [X.]eschwerde darüber hinaus erhobene Rüge, das [X.]erufungsgericht habe seine Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO dadurch verletzt, dass es Fehler des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht geahndet und dabei die Grundsätze fairer Verfahrensführung und des rechtlichen Gehörs nicht beachtet habe, greift nicht durch.

Das [X.]erufungsgericht hat verfahrensfehlerfrei angenommen, dass die Zeugen der Leugnung des [X.] durch den [X.]n vom Dienstherrn im behördlichen Disziplinarverfahren durch den Hinweis auf schriftliche Aussagen und Gedächtnisprotokolle zu keinem bestimmten [X.] beeinflusst worden sind. Ebenso wenig hat sich dem [X.]erufungsgericht aufdrängen müssen, dass sich die Zeugen im behördlichen Verfahren untereinander abgesprochen und teilweise übereinstimmende Gedächtnisprotokolle gefertigt hätten.

Die an die Zeugen gerichtete behördliche [X.]itte, zunächst schriftlich auszusagen, hat das [X.]erufungsgericht frei von [X.] damit gerechtfertigt, dass sich die [X.], [X.] und [X.]. im Zeitpunkt der Anforderungen am 13. August 2012 noch in [X.] befanden und somit deren zeitnahe Vernehmung durch den [X.] nicht möglich war. In dem Umstand, dass die drei Zeugen in dem Anschreiben gebeten wurden, eine kurzfristige Rückkehr aus dem Auslandsaufenthalt mitzuteilen, um einen Termin zur Zeugenvernehmung zu vereinbaren, hat das [X.]erufungsgericht den maßgeblichen Grund für das gewählte Vorgehen gesehen. Dass sich der Zeuge [X.]. - offenbar nach Ende seiner Referendarstation - zu diesem Zeitpunkt bereits wieder in [X.] aufhielt, macht auch die an ihn gerichtete Aufforderung, zunächst eine schriftliche Aussage abzugeben, vor dem Hintergrund, dass er zu diesem Zeitpunkt zum einen nicht in [X.] oder Umgebung lebte (sondern in [X.]) und er zum anderen offensichtlich (noch) nicht dem öffentlichen Dienst angehörte, gerade unter [X.]erücksichtigung des Ziels einer frühzeitigen Sicherung der Erinnerung für das [X.]erufungsgericht nicht ermessensfehlerhaft. Soweit die [X.]eschwerde dem entgegentritt, rügt sie einen Fehler in der konkreten, den Einzelfall betreffenden [X.]eweiswürdigung, ohne einen revisiblen Verfahrensfehler darzulegen.

Auch die weitere Rüge der [X.]eschwerde, dass dem [X.]n bereits im behördlichen Verfahren eine konfrontative [X.]efragung der Zeugen hätte ermöglicht werden müssen, greift nicht durch. Selbst wenn diesbezüglich ein Verfahrensfehler vorgelegen haben sollte, wäre dieser jedenfalls durch die Vernehmung der Zeugen in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung geheilt. Verstöße gegen das Recht auf [X.]eweisteilhabe im behördlichen Verfahren können durch die Verwaltungsgerichte selbst geheilt werden. Sie ziehen keine prozessualen Konsequenzen nach sich, wenn die [X.]eweiserhebung vom Gericht im gerichtlichen Disziplinarverfahren - wie hier - fehlerfrei durchgeführt worden ist (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 16. Februar 2010 - 2 [X.] 62.09 - [X.] 235.2 LDisziplinarG Nr. 9 und vom 1. Juni 2012 - 2 [X.] 123.11 - juris Rn. 17).

Dies ergibt sich aus der Pflicht der Gerichte zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung, die unabhängig von der Tätigkeit der [X.]ehörden besteht. Gemäß § 58 Abs. 1 [X.] erhebt das Gericht die erforderlichen [X.]eweise. Es hat selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme von [X.]edeutung sind ([X.]VerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 2 A 4.04 - [X.] 235.1 § 24 [X.] Nr. 1 Rn. 26; [X.]eschlüsse vom 14. Juni 2005 - 2 [X.] 108.04 - [X.] 235.1 § 58 [X.] Nr. 1 S. 2 und vom 4. September 2008 - 2 [X.] 61.07 - [X.] 235.1 § 58 [X.] Nr. 4 Rn. 7). Das Gericht hat die erhobenen [X.]eweise nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens folgenden Überzeugung zu würdigen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies umfasst die [X.]eurteilung des Erinnerungsvermögens von Zeugen und folglich der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zeugen bereits im behördlichen Verfahren vernommen worden sind (stRspr, [X.]VerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 2 [X.] 30.05 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16).

Da der anwaltlich vertretene [X.] an den vom Verwaltungsgericht in mündlichen Verhandlungen durchgeführten Zeugenvernehmungen jeweils teilgenommen hat, ist zugleich für eine Verletzung des Gebots fairen Verfahrens oder des rechtlichen Gehörs schon ansatzweise nichts erkennbar.

Soweit der [X.] einen Verfahrensfehler in einer vermeintlichen "Absprache der Zeugen" behauptet und darin eine unlautere [X.]eeinflussung der Zeugen sieht, dringt er mit seinem Vortrag ebenfalls nicht durch. Denn für eine solche Absprache fehlt es an objektiven Anknüpfungstatsachen. Allein der Umstand, dass mehrere Zeugen ein Geschehen inhaltlich übereinstimmend in lange Zeit nach dem Ereignis - 12. Juli 2012 - gefertigten [X.] bekunden, bedeutet nicht, dass sich die Zeugen untereinander abgesprochen und über ihre Aussagen "verständigt" haben. Vielmehr kann dies ebenso für die [X.]chtigkeit der gemachten Angaben sprechen. Dass das [X.]erufungsgericht die Zeugen für glaubwürdig und ihre Aussagen für glaubhaft erachtet hat, liegt innerhalb der Grenzen tatrichterlicher [X.]eweiswürdigung im Einzelfall. Soweit die [X.]eschwerde dem widerspricht, setzt sie ihre Würdigung an die Stelle derjenigen des [X.]erufungsgerichts. Damit lässt sich ein Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht darlegen.

d) Auch hinsichtlich des der Nachtragsdisziplinarklage zugrundliegenden [X.] - dem [X.] des [X.]n zu [X.] (2016) - kann dem [X.]erufungsgericht nicht vorgeworfen werden, seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO dadurch verletzt zu haben, dass es keinen [X.]eweisbeschluss erlassen habe, mit dem [X.] aufgefordert wurde, gelöschte [X.]sts wieder zu generieren.

Der [X.] hat nach eigener Aussage die vermeintlich kontextualisierten [X.]sts und seinen gesamten Account bei [X.] gelöscht. Damit hat er selbst den Umstand geschaffen, der zur Nichterweislichkeit der von ihm unter [X.]eweis gestellten Tatsache - richterliche Würdigung des [X.]-Eintrags unter [X.]erücksichtigung der dazu von ihm kontextualisierten [X.]sts - geführt hat. Sich nunmehr selbstbegünstigend darauf zu berufen, dass es das [X.]erufungsgericht nicht vermochte, die Folgen seines eigenen Handelns zu beseitigen, ist eine widersprüchliche Einlassung, die nicht zu einer prozessualen [X.]esserstellung des [X.]n führen kann. Soweit sich der [X.] im Übrigen abermals gegen die [X.]eweiswürdigung seines [X.] zu [X.] durch das [X.]erufungsgericht wendet ([X.] f.), setzt er seine Auffassung gegen diejenige des [X.]erufungsgerichts. Damit legt er keinen revisiblen Verfahrensfehler dar.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 [X.], § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das [X.]eschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 [X.] erhoben werden.

Meta

2 B 56/20

17.06.2021

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 4. März 2020, Az: OVG 82 D 1.19, Urteil

§ 3 BDG, § 13 BDG, § 58 BDG, § 65 Abs 4 BDG, § 20 StGB, § 21 StGB, § 86 Abs 1 S 1 VwGO, § 108 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.06.2021, Az. 2 B 56/20 (REWIS RS 2021, 4875)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4875

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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10 L 600/21

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