Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.02.2016, Az. IV AR (VZ) 8/15

4. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 16432

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Antrag auf gerichtliche Entscheidung: Rechtsschutzbedürfnis bei Antrag auf Berichtigung des Eingangsstempels einer Klageschrift


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 28. April 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: bis 4.000 €

Gründe

1

I. Die Antragsteller verlangen die Berichtigung des gerichtlichen [X.] für ihre Klageschrift.

2

Die Antragsteller reichten eine vom 30. Dezember 2014 datierende Klageschrift beim [X.] ein. Dort erhielt die Klageschrift einen Posteingangsstempel mit dem Inhalt: "Eingegangen durch [X.] am 02. Jan. 2015 zwischen 0.00 Uhr und Dienstbeginn". Nachdem die Antragsteller auf ihre Nachfrage hin dieses Eingangsdatum erfahren hatten, baten sie das [X.] um eine Bestätigung, dass ihre Klage am 31. Dezember 2014 eingegangen sei. Sie erklärten dazu, die Klageschrift sei durch einen Boten am 31. Dezember 2014 um 9.30 Uhr in den [X.] des [X.]s eingeworfen worden. Die Antragsteller erhielten aber keine solche Bestätigung. Die für das Klageverfahren zuständige Richterin teilte ihnen mit, dass die gesamte nach dem 30. Dezember 2014, 24.00 Uhr in den [X.] eingeworfene Post den Eingangsstempel 2. Januar 2015 erhalten haben dürfte. Der [X.] habe nur eine Klappe und eine Entleerung am 31. Dezember 2014 sei nicht erfolgt. Daher sei eine Unterscheidung der am 31. Dezember 2014 und der ab dem 1. Januar 2015 eingegangenen Post nicht möglich.

3

Die Antragsteller haben daraufhin beim [X.] beantragt, ihnen einen Posteingangsstempel mit dem Datum vom 31. Dezember 2014 für die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Klageschrift zu erteilen, und die bisherige Stempelung angefochten. Sie haben dazu auf die Rechnung des [X.] verwiesen, in dem die Auslieferung der Klageschrift am 31. Dezember 2014 um 09.30 Uhr bestätigt worden sei. Nachfolgend haben die Antragsteller mitgeteilt, dass die [X.] im zugrundeliegenden Rechtsstreit die Einrede der Verjährung erhoben habe.

4

Das [X.] hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. [X.] durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Der Antrag sei unzulässig, da ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Rechtzeitigkeit einer Prozesshandlung, hier der Klageerhebung im Hinblick auf eine vermeintliche Verjährung von Ansprüchen, sei regelmäßig im kontradiktorischen Verfahren zu klären. Es obliege auch dem Prozessgericht, darüber zu befinden, ob eine Entscheidung über die [X.] einer behaupteten Fehlstempelung im Hinblick auf die Hemmung der Verjährung überhaupt erforderlich sei. Für eine darüber hinausgehende Befassung im Antragsverfahren nach § 23 [X.] bestünden grundsätzlich keine rechtlich geschützten Interessen. Allein die Besorgnis, eine Prozesshandlung könne aufgrund der Eingangsstempelung verspätet sein, verletze die Antragsteller nicht ohne weiteres in eigenen Rechten. Ob sich die Stempelung materiell-rechtlich auswirke, sei nicht Gegenstand des Antragsverfahrens. Eine vorausgehende Prüfung der Richtigkeit des [X.] als öffentliche Urkunde habe auch nicht im Hinblick auf die nach § 418 Abs. 2 ZPO geänderte Darlegungs- und Beweislast zu erfolgen, da es den Antragstellern grundsätzlich möglich und zumutbar sei, den Gegenbeweis im Hinblick auf die behauptete Fehlstempelung zu führen.

5

Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter.

6

II. [X.] ist statthaft (§ 29 Abs. 1 [X.]) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat darüber hinaus Erfolg. Der angefochtene Beschluss hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Er ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

7

1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] entscheiden über die Rechtmäßigkeit von Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten u.a. auf dem Gebiet des Zivilprozesses getroffen werden (Justizverwaltungsakte), auf Antrag die ordentlichen Gerichte. Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der gerichtliche Eingangsstempel ein Justizverwaltungsakt ist (ebenso bereits [X.], 1971; [X.], Beschluss vom 28. Mai 2001 - 11 VA 14/01, juris Rn. 4). Er hat Regelungscharakter, da er eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO ist und den Beweis für den Zeitpunkt des Eingangs eines Schriftstücks erbringt ([X.], Urteil vom 30. März 2000 - [X.], [X.], 1872 unter [X.] a).

8

2. Die Antragsteller sind auch antragsbefugt gemäß § 24 Abs. 1 [X.]. Sie verlangen vorrangig die Erteilung eines berichtigten [X.]. Bei einem solchen [X.] gemäß § 23 Abs. 2 [X.] auf Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen [X.] setzt die Antragsbefugnis einen möglichen Rechtsanspruch auf die begehrte Behördentätigkeit voraus (MünchKomm-ZPO/Papst, 4. Aufl. § 24 [X.] Rn. 4). Für einen Anspruch auf Erteilung eines inhaltlich richtigen [X.] können sich die Antragsteller auf § 24 Abs. 3 Satz 1 der [X.] für die Gerichte und Staatsanwaltschaften des [X.] ([X.]) vom 23. Februar 2006 ([X.]. M-V 2006 S. 274, dort nicht vollständig abgedruckt; zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 15. Oktober 2011, [X.]. M-V 2011 S. 1079) berufen, nach dem die Gerichte bei der Entgegennahme eines Schriftstücks auf ihm den Zeitpunkt des Eingangs anzugeben haben. Mangels gegenteiliger Feststellungen ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legen, dass diese Verwaltungsvorschrift in der Praxis der Gerichte auch befolgt wird. Da Verwaltungsvorschriften keine Rechtsnormen mit eigener Rechtsqualität sind, binden sie die Verwaltung nur unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) in dem Sinne, in dem sie mit Billigung oder Duldung ihres Urhebers tatsächlich angewandt wurden ([X.], Urteil vom 8. September 1998 - [X.], [X.]Z 139, 259, 267; vgl. auch [X.], Urteil vom 18. März 2014 - [X.], NJW 2014, 2874 Rn. 14). Wenn sich die Behörde an ihre Verwaltungsvorschriften hält, ist sie daher durch das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe im Einzelfall eine Abweichung rechtfertigen oder gar gebieten (BVerwG NVwZ 2012, 1262 Rn. 32).

9

3. [X.] geht das Beschwerdegericht davon aus, der hier erhobene Antrag sei unzulässig, da ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehle.

a) Einem Rechtsuchenden kann nur unter besonderen Umständen der Zugang zu einer sachlichen Prüfung durch die Gerichte verwehrt werden. Es besteht grundsätzlich ein öffentlich-rechtlicher Anspruch des Rechtssuchenden darauf, dass die Gerichte sein Anliegen sachlich prüfen und darüber entscheiden ([X.], Urteil vom 28. März 1996 - [X.], NJW 1996, 2035 unter [X.]). Daher folgt auch bei einem Antrag nach den §§ 23 ff. [X.] das Rechtsschutzbedürfnis in der Regel aus der Antragsbefugnis (vgl. [X.]/Lückemann, ZPO 31. Aufl. § 24 [X.] Rn. 2). Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt dagegen gemäß allgemeinen Grundsätzen, wenn ein anderer prozessualer Weg gleich sicher, aber einfacher oder billiger ist, um das Rechtsschutzziel zu erreichen (vgl. [X.], Urteil vom 18. April 2013 - [X.], [X.]Z 197, 147 Rn. 10; [X.], Urteil vom 24. Februar 1994 - [X.], NJW 1994, 1351 unter [X.]). Auf einen verfahrensmäßig unsicheren Weg darf der Rechtsuchende nicht verwiesen werden. Ein schnelleres und billigeres Mittel des Rechtsschutzes lässt das berechtigte Interesse für einen Rechtsbehelf deshalb nur entfallen, sofern es wenigstens vergleichbar sicher oder wirkungsvoll alle erforderlichen Rechtsschutzziele herbeiführen kann ([X.], Urteil vom 24. Februar 1994 - [X.], NJW 1994, 1351 unter [X.]; [X.], Urteil vom 18. April 2013 - [X.], [X.]Z 197, 147 Rn. 10).

Diese Voraussetzungen sind jedoch hier nicht erfüllt. Das Rechtsschutzziel der Antragsteller ist die Erteilung eines berichtigten [X.]. Dieses Ziel kann allein im Verfahren nach den §§ 23 ff. [X.] erreicht werden. Daher kann den Antragstellern ein Rechtsschutzbedürfnis nicht deswegen abgesprochen werden, weil die Richtigkeit des [X.] auch im zugrundeliegenden Rechtsstreit gerichtlich überprüft werden könnte. Zwar kann in diesem Verfahren der durch den Eingangsstempel als öffentliche Urkunde erbrachte Beweis für den Zeitpunkt des Eingangs gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch den Nachweis der Unrichtigkeit des im Eingangsstempel ausgewiesenen Zeitpunkts entkräftet werden, indem der Kläger die Rechtzeitigkeit des Eingangs zur vollen Überzeugung des Gerichts beweist (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Oktober 1997 - [X.], NJW 1998, 461 unter I[X.]). Beim Eingangsdatum der Klageschrift handelt es sich jedoch im zugrundeliegenden Rechtsstreit nur um eine Vorfrage, aus der das Gericht den Schluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen der von der [X.] beanspruchten Rechtsfolge zieht; diese nimmt als bloßes Urteilselement nicht an der Rechtskraft teil (vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 1993 - [X.], [X.]Z 123, 137 unter [X.]). Das Gericht könnte daher dort weder in rechtskraftfähiger Weise aussprechen, dass der Eingangsstempel inhaltlich falsch ist, noch die Justizverwaltung zur Erteilung eines zutreffenden [X.] anweisen, wie dies § 28 Abs. 2 Satz 1 [X.] vorsieht. Entscheidungen der [X.]e im Verfahren nach den §§ 23 ff. [X.] sind dagegen der materiellen Rechtskraft fähig ([X.], Urteil vom 17. März 1994 - [X.], NJW 1994, 1950 unter [X.] b).

b) Zu welchem weiteren Zweck der berichtigte Eingangsstempel verwendet werden soll, ist für den Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Erteilung eines beantragten [X.] grundsätzlich ohne Bedeutung. Die §§ 23 ff. [X.] sind inhaltlich der Verwaltungsgerichtsordnung nachgebildet und haben die Aufgabe, auf bestimmten Rechtsgebieten den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten umfassenden Rechtsschutz gegen Verwaltungsmaßnahmen zu gewähren ([X.], Urteil vom 17. März 1994 - [X.], NJW 1994, 1950 unter [X.] b). Ob der Antragsteller die öffentliche Urkunde, auf deren Erteilung er einen Anspruch hat, auch tatsächlich benötigen wird, um rechtlich geschützte Interessen wahrzunehmen, ist nicht Gegenstand des Verfahrens nach den §§ 23 ff. [X.]. Allenfalls dann, wenn eine Klage oder ein Antrag objektiv schlechthin sinnlos ist, wenn also der Kläger oder Antragsteller unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann, mag es insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlen ([X.], Urteil vom 28. März 1996 - [X.], NJW 1996, 2035 unter [X.]). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Das Eingangsdatum einer Klageschrift kann für die Entscheidung eines Rechtsstreits unter [X.] gemäß § 167 ZPO i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB von Bedeutung sein. Ob es auch in diesem Rechtsstreit nach Ansicht der zuständigen Gerichte darauf ankommen wird, wird dort zu entscheiden sein, ohne dass den Antragstellern deswegen das Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag auf Berichtigung des [X.] abzusprechen wäre.

c) Schließlich steht der Zulässigkeit des Antrags auch nicht § 23 Abs. 3 [X.] entgegen, wonach es insoweit, als die ordentlichen Gerichte bereits auf Grund anderer Vorschriften angerufen werden können, bei dem bisherigen Rechtszustand verbleibt. Diese Subsidiaritätsregelung erfasst speziellere Verfahrensvorschriften, nach denen die Gerichte das Handeln von Justizbehörden nachzuprüfen haben. Nur soweit in diesen Verfahren Rechtsschutz gegen ein Verwaltungshandeln gewährt wird, steht dies einem Rückgriff auf die §§ 23 ff. [X.] entgegen. Die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit eines [X.] als bloße Vorfrage im Rahmen eines Klageverfahrens zu prüfen, schließt dagegen eine unmittelbare Anfechtung des [X.] im Verfahren nach den §§ 23 ff. [X.] nicht aus.

4. Die Sache war daher an das [X.] zurückzuverweisen, welches nunmehr über die Begründetheit des Antrags zu befinden haben wird. Dabei wird es den Präsidenten des [X.]s Schwerin als Antragsgegner am Verfahren zu beteiligen und zu prüfen haben, ob auch die [X.] aus dem zugrunde liegenden Klageverfahren gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zu beteiligen ist.

[X.]                                  Felsch                                    Harsdorf-Gebhardt

                Dr. Karczewski                         Dr. Bußmann

Meta

IV AR (VZ) 8/15

10.02.2016

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Rostock, 28. April 2015, Az: 6 VA 3/15

Art 19 Abs 4 GG, § 23 GVGEG, §§ 23ff GVGEG, § 24 GVGEG, § 418 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.02.2016, Az. IV AR (VZ) 8/15 (REWIS RS 2016, 16432)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16432

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV AR (VZ) 8/15 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 224/16 (Bundesgerichtshof)

Versäumung der Berufungsbegründungspflicht: Beweiskraft des auf einem Schriftsatz aufgebrachten Eingangsstempels des Gerichts als öffentliche Urkunde …


VIII ZR 224/16 (Bundesgerichtshof)


VIII ZB 39/19 (Bundesgerichtshof)

Sachverhaltsaufklärung zum fristgerechten Eingang eines Rechtsmittelschriftsatzes durch Einwurf in Nachtbriefkasten


VII ZR 33/04 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.