Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.05.2014, Az. IX ZB 46/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5291

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Gegenstand

Notwendiger Inhalt der Berufungsbegründungsschrift: Anforderungen an die Rüge einer Überraschungsentscheidung


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats des [X.] vom 19. März 2012 wird auf Kosten des Beklagten verworfen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 103.153,23 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der klagende Rechtsanwalt nimmt den Beklagten auf Zahlung von [X.] in Höhe von 103.153,23 € für in den Jahren 1993 bis 1995, 2003 und 2004 erbrachte Beratungsleistungen in Anspruch. Der Beklagte ist den Ansprüchen entgegengetreten und hat hierzu geltend gemacht, teilweise habe er die berechneten Leistungen nicht in Auftrag gegeben und im Übrigen stünden ihm gegen den Kläger Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Beratung zu, die ein Zurückbehaltungsrecht begründeten. Die Ansprüche aus dem Jahre 2003 seien zudem verjährt.

2

Das [X.] hat dem Beklagten uneingeschränkt [X.], weil dessen Verteidigungsvorbringen Aussicht auf Erfolg habe. Auf den kurz danach durchgeführten Verhandlungstermin hat das [X.], ohne dass sich der Vortrag der Parteien zwischenzeitlich verändert gehabt hat, der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat das [X.] wegen unzureichender Begründung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

4

Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber nicht zulässig, weil der Beklagte nicht aufzuzeigen vermag, dass eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten weder in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm mit dem Rechtsstaatsgrundsatz) noch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

5

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO maßgeblichen Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung erfülle der Begründungsschriftsatz des Beklagten nicht. Dieser enthalte größtenteils Ausführungen dazu, dass das [X.] unter Verletzung des rechtlichen Gehörs eine Überraschungsentscheidung getroffen habe. Dies sei zwar zutreffend, ändere aber nichts daran, dass die Berufungsbegründung mangels konkreter Befassung mit den Urteilsgründen nicht aufzeige, welche in dem angefochtenen Urteil getroffenen entscheidungserheblichen Feststellungen und Rechtsausführungen im Einzelnen aus welchen Gründen falsch sein sollen. Die allgemeinen Ausführungen, das [X.] habe die Darlegungs- und Beweislast verkannt und Beweisangebote übergangen, ließen nicht erkennen, worauf sich der Vorwurf konkret beziehe. Weder die bloße Bezugnahme auf den gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag neben [X.] noch der Hinweis auf eine zu den Akten gereichte [X.] aus einem früheren Verfahren und die hierzu gemachte Bemerkung, das insoweit in Bezug genommene Urteil habe den Sachvortrag des Beklagten zur Schlechtberatung des [X.] übergangen, bringe die gebotene Klarstellung. Angesichts der umfänglichen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zu den von dem Beklagten vorgebrachten Gegenansprüchen wegen fehlerhafter Beratung lasse sich nicht erkennen, in welchen Punkten entscheidungserheblicher Vortrag des Beklagten übergangen worden sei.

6

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.

7

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt ([X.], Beschluss vom 6. Dezember 2011 - [X.], [X.], 209 Rn. 7; vom 23. Oktober 2012 - [X.], [X.], 174 Rn. 10, jeweils mwN). Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind ([X.], Beschluss vom 28. Mai 2003 - [X.], NJW 2003, 2531, 2532; vom 23. Oktober 2012, aaO). Jedoch muss die Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein ([X.], Beschluss vom 27. Mai 2008 - [X.], [X.], 1810 Rn. 11; vom 23. Oktober 2012, aaO). Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu [X.] oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen ([X.], Urteil vom 27. November 2003 - [X.], [X.], 442; vom 23. Oktober 2012, aaO). Ungenügend sind insbesondere Textbausteine und Schriftsätze aus anderen Verfahren ([X.], Beschluss vom 27. Mai 2008, aaO Rn. 12).

8

b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung nicht.

9

aa) Die [X.], das [X.] habe die Versäumnisse in der anwaltlichen Leistung des [X.] und die adäquat kausal eingetretenen Vermögensschäden nicht gewürdigt, nimmt nur pauschal auf das Vorbringen erster Instanz Bezug. Mit den konkreten Erwägungen des [X.]s, weshalb die vorgebrachten Einwendungen nicht durchgriffen oder mangels hinreichender Sub-stantiierung oder fehlenden [X.] unbeachtlich seien, befasst sich die Berufungsbegründung nicht. Es ist nicht ersichtlich, welche konkreten tatsächlichen oder rechtlichen Gründe der Beklagte den Ausführungen des [X.]s zu den einzelnen Mandatsverhältnissen entgegensetzen will.

bb) Auch die [X.], das landgerichtliche Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar, weil im Hinblick auf die kurz zuvor gewährte Prozesskostenhilfe der Beklagte davon habe ausgehen können, sein Verteidigungsvorbringen sei als erfolgversprechend (§ 114 ZPO) und damit als ausreichend anzusehen, greift im Ergebnis nicht durch. Die damit erhobene [X.] wurde nicht ausgeführt. Die Berufungsbegründung hat sich darauf beschränkt zu [X.], wegen fehlender vorausgehender Hinweise sei die landgerichtliche Beurteilung, das Verteidigungsvorbringen sei teilweise unsubstantiiert und im Übrigen ohne gebotene Beweisantritte geblieben, als Überraschungsentscheidung zu beanstanden. Mit den im landgerichtlichen Urteil ausgeführten inhaltlichen Gesichtspunkten, weshalb das Vorbringen unsubstantiiert oder ohne erforderlichen Beweisantritt geblieben ist, hat sich der Beklagte nicht auseinandergesetzt, insbesondere nicht ausgeführt, welches Vorbringen er gegebenenfalls ergänzend hierzu noch vorgetragen hätte (vgl. [X.], Beschluss vom 7. März 2013 - [X.], [X.] 2013, 461 Rn. 11). Dazu hätte im Rahmen der Berufungsbegründung nach den vorstehend angeführten Grundsätzen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO Gelegenheit bestanden.

Der Rechtsstaatsgrundsatz verlangt es, für jede "neue und eigenständige Verletzung" des Art. 103 Abs. 1 GG durch eine gerichtliche Entscheidung die einmalige Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle zu gewähren (vgl. [X.] 107, 395, 410 f). Wird im Zivilprozess die erstmalige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch das Eingangsgericht gerügt, so ist der danach erforderliche Rechtsbehelf mit der Berufung gemäß § 520 ZPO gegeben und nach den hierfür maßgeblichen Bestimmungen durchzuführen. Ein zusätzlicher Rechtsbehelf im Wege der Rechtsbeschwerde ist danach nur erforderlich, wenn eine neue und eigenständige Verletzung durch das Berufungsgericht gerügt werden könnte; dies ist aber im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO durch das Berufungsgericht zu verneinen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 6. Mai 2010 - [X.], [X.], 1722 Rn. 8; vom 19. April 2012 - [X.]/10, Rn. 5 nv).

Kayser                             [X.]

                  Fischer                              Grupp

Meta

IX ZB 46/12

22.05.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Köln, 19. März 2012, Az: 17 U 36/11, Beschluss

§ 114 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.05.2014, Az. IX ZB 46/12 (REWIS RS 2014, 5291)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5291

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