Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.05.2021, Az. VI ZR 452/19

6. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 5825

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Gegenstand

Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Käufers eines Gebrauchtwagens; Schaden trotz Aufspielens eines Software-Updates


Leitsatz

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Verkauf eines Gebrauchtwagens; kein Wegfall des Schadens durch Software-Update).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 7. November 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 4. Juni 2012 von einem Autohaus, einer Tochtergesellschaft der früheren Beklagten zu 1, einen gebrauchten [X.] zum Kaufpreis von 26.900 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten zu 2 (im Folgenden: Beklagte) hergestellten Dieselmotor der [X.] ausgestattet. Zum Zeitpunkt des Erwerbs enthielt dieser eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den [X.] durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.

3

Nachdem das Kraftfahrtbundesamt diese Abgassteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hatte, rief die Beklagte Fahrzeuge mit Motoren der [X.] zurück, um eine geänderte Software aufzuspielen. Das Fahrzeug des [X.] wurde am 20. September 2016 nachgerüstet.

4

Mit seiner Klage verlangt der Kläger Schadensersatz in Höhe von 24.267,91 € (Kaufpreis [X.] Finanzierungskosten abzgl. Nutzungsvorteile) nebst ausgerechneter Zinsen von 3.973,01 € sowie weiterer Zinsen aus 31.734,78 € in Höhe von 4 % seit dem 1. April 2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs seit dem 24. April 2018, Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung, dass dem Kläger weitere Schäden zu ersetzen sind, die ihm aus der Manipulation des [X.] oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen am Fahrzeug entstehen.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die nur gegen den beklagten Fahrzeughersteller geführte Berufung des [X.] hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel gegen die Beklagte weiter.

Entscheidungsgründe

I.

6

Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter BeckRS 2019, 42803 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

7

Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger ein gebrauchtes Fahrzeug erworben habe und es daher an den tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruchs fehle. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. europarechtlichen Vorschriften scheitere daran, dass die betreffenden europarechtlichen Normen keinen individualschützenden Charakter hätten und damit keine Schutzgesetze seien. Es lägen auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB nicht vor. Denn der [X.] könne ein [X.] Verhalten nur beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Neuwagens vorgeworfen werden, nicht aber beim Weiterverkauf als Gebrauchtwagen. Nur beim Verkauf eines Neuwagens fließe der [X.] ein wirtschaftlicher Vorteil zu. Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger mit verwerflichem Gewinnstreben und damit sittenwidrig gehandelt habe. Der Schaden des Klägers, der im Erhalt eines mangelhaften, mit der Untersagung des Betriebs bedrohten Fahrzeugs gelegen habe, das objektiv den für ein mangelfreies Fahrzeug gezahlten Kaufpreis nicht wert gewesen sei, sei im Übrigen nach dem Aufspielen des Softwareupdates entfallen. Schließlich seien im Rahmen des § 826 BGB nur solche Schäden ersatzpflichtig, die auch in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fielen. Die europarechtlichen Vorschriften, gegen die die Beklagte verstoßen haben könnte, hätten aber keinen individualschützenden Charakter.

II.

8

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB nicht verneint werden.

9

1. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch aus § 826 BGB scheitere bereits daran, dass der Kläger das von der [X.] hergestellte Fahrzeug als Gebrauchtwagen gekauft habe.

Der Senat hat im Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.], 316 Rn. 16 ff. auf der Grundlage der im dortigen Verfahren getroffenen Feststellungen ausgeführt, dass und warum das Verhalten der [X.] im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen der mit der Manipulationssoftware versehenen Motoren auch gegenüber Gebrauchtwagenkäufern als mittelbar Geschädigten objektiv sittenwidrig war (vgl. auch Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2798 Rn. 33, vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2804 Rn. 12 f. und vom 26. Januar 2021 - [X.], [X.], 368 Rn. 12 f.). Unter den dort genannten Voraussetzungen trifft die Beklagte das [X.], sittenwidrig gehandelt zu haben, im Hinblick auf die Schädigung aller unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge (vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.], 316 Rn. 25; vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2804 Rn. 13 und vom 26. Januar 2021 - [X.], [X.], 368 Rn. 13). Das Berufungsgericht hat aufgrund der rechtsfehlerhaften Annahme, dass ein [X.] Verhalten der [X.] gegenüber einem Gebrauchtwagenkäufer von vornherein ausscheide, zur Frage des haftungsbegründenden Tatbestands des § 826 BGB keine weiteren Feststellungen getroffen.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fällt der vom Kläger geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der [X.] kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB, anders als das Berufungsgericht meint, nicht an (vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 2021 - [X.], [X.], 368 Rn. 24 mwN).

3. Das Berufungsgericht hat weiter rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein Schaden entfallen sei, weil die vom Kläger gerügte Beeinträchtigung - die illegale Abschalteinrichtung - durch das im September 2016 durchgeführte Software-Update beseitigt worden sei.

Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Der Geschädigte muss sich von dieser auf einem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer "ungewollten" Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche Verpflichtung stellt einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.], 316 Rn. 45 f., 58 mwN). Dieser Schaden entfällt nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstandes nachträglich verändert. Das Aufspielen eines Software-Updates führt nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - [X.], [X.], 1763 Rn. 22).

4. Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

[X.]     

      

von [X.]     

      

[X.]

      

Klein     

      

Linder     

      

Meta

VI ZR 452/19

18.05.2021

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 7. November 2019, Az: 1 U 247/19

§ 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.05.2021, Az. VI ZR 452/19 (REWIS RS 2021, 5825)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 1004-1005 WM2021,1386 REWIS RS 2021, 5825

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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