Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.07.2021, Az. VI ZR 698/20

6. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 3750

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Gegenstand

Haftung eines Automobilherstellers sog. Dieselfall: Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung eines Gebrauchtwagenkäufers; Schaden trotz Aufspielens eines Software-Updates


Leitsatz

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer in einem sogenannten Dieselfall (hier: Verkauf eines Gebrauchtwagens; kein Wegfall des Schadens durch Software-Update).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 23. April 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 1. April 2015 bei einem Autohaus einen gebrauchten [X.] mit einem Dieselmotor der [X.] zum Kaufpreis von 41.580 €, den er in Höhe von 5.000 € aus eigenen Mitteln zahlte und im Übrigen durch ein Darlehen bei der [X.] finanzierte. In Motoren dieser Baureihe war eine Vorrichtung eingebaut, die die Abgasrückführung steuert. Das System erkannte, wenn das Fahrzeug auf einem Rollenprüfstand im [X.] auf Schadstoffemissionen getestet wurde. In diesem Fall schaltete es in den Modus "1", der eine höhere Abgasrückführungsrate und damit verbunden einen geringeren Ausstoß an Stickoxiden bewirkte. Insbesondere im gewöhnlichen Straßenverkehr wurde das Fahrzeug in einem Modus "0" betrieben, in dem die Abgasrückführung geringer und der [X.] folglich höher ausfiel.

3

Das [X.] wertete diese Steuerung als unzulässige Abschalteinrichtung und erließ mit [X.] vom 14. sowie 15. Oktober 2015 Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, um die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. Die Beklagte rief die Fahrzeuge zurück, um sie durch Aufspielen einer geänderten Software technisch zu überarbeiten. Das [X.] gab diese Nachrüstung frei. Beim Fahrzeug des [X.] wurde diese Nachrüstung durchgeführt.

4

Das [X.] hat die Beklagte unter anderem verurteilt, an den Kläger 9.555,56 € nebst Zinsen zu zahlen und den Kläger von sämtlichen Verbindlichkeiten aus dem [X.] freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Abtretung sämtlicher Rechte, die dem Kläger gegen den Darlehensgeber zustehen. Das [X.] hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des [X.]s abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die zulässige Revision des [X.] ist begründet.

I.

6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass § 826 [X.] grundsätzlich neben anderen Anspruchsgrundlagen innerhalb und außerhalb des [X.] anwendbar sei. Jedoch könnten Umstände wie die "Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit" (hier Verhalten nach § 263 StGB - Eingehungsbetrug), die im Rahmen des § 823 Abs. 2 [X.] als Schutzgesetz geprüft und abgelehnt worden seien, nicht nochmals im Rahmen von § 826 [X.] herangezogen werden. Unabhängig davon seien die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Soweit bislang bei der Beurteilung des "[X.]" ein [X.] Verhalten der Beklagten angenommen worden sei, sei als entscheidend angesehen worden, dass bei lebensnaher Betrachtung als Beweggrund für die Vornahme der Manipulationen an der Abgassteuerung nur eine angestrebte Kostensenkung bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht komme. Die weiteren besonderen Umstände (Täuschungen in großem Umfang, Umgehung von [X.] mit erheblichem technischen Aufwand, planmäßige Verschleierung des Handelns) führten dazu, dass dieses Handeln aus Gewinnstreben als verwerflich und damit als sittenwidrig im Sinne des § 826 [X.] bewertet worden sei. Der Beweggrund der Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen könne jedoch - wenn überhaupt - nur beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Neuwagens durch die Beklagte eine Rolle spielen. Jedenfalls liege beim Kläger kein Schaden mehr vor, da dieser durch das Aufspielen des Software-Updates entfallen sei und die Betriebsuntersagung nicht mehr drohe. Außerdem seien nur solche Schäden ersatzpflichtig, die auch in den Schutzbereich fielen. Alle europarechtlichen Vorschriften, gegen die die Beklagte verstoßen haben könnte, hätten gerade keinen individualschützenden Charakter, sondern dienten gesamtgesellschaftlichen Zielen. Die Beklagte habe auch den Tatbestand des Betrugs nicht zum Nachteil des [X.] verwirklicht.

II.

7

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch des [X.] gegen die Beklagte aus § 826 [X.] nicht abgelehnt werden.

8

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe die manipulative Motorsteuerungssoftware nur aus Gewinnstreben zur Erzielung hoher Marktanteile eingesetzt. Durch das Vorgehen der Beklagten werde bei einem Abgastest dem Prüfer vorgegaukelt, die Werte entsprächen den gesetzlichen Bestimmungen. Es bestehe das Risiko, dass die Betriebserlaubnis widerrufen und das Fahrzeug stillgelegt werde. Das Fahrzeug sei aufgrund des Mangels weniger wert. Der Vorstand der Beklagten habe von der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware gewusst. Der Kläger habe ein Geschäft abgeschlossen, das er bei Kenntnis der Sachlage nicht abgeschlossen hätte.

9

Das vom Kläger vorgetragene und der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legende Verhalten der Beklagten ist ihm gegenüber als objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 [X.] anzusehen (vgl. Senat, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.], 316 Rn. 13 ff.; vom 26. Januar 2021 - [X.], juris Rn. 12 f.; vom 11. Mai 2021 - [X.]/20, juris Rn. 12 mwN). Der Umstand, dass der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen kaufte, ändert daran nichts (vgl. Senat, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.], 316 Rn. 25; vom 18. Mai 2021 - [X.], juris Rn. 10 mwN). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden entfiele nicht wegen des durchgeführten Software-Updates (vgl. Senat, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.], 316 Rn. 44 ff., insbesondere Rn. 58; vom 18. Mai 2021 - [X.], juris Rn. 13; vom 20. Juli 2021 - [X.], [X.]). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden fällt nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 [X.]. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der [X.] kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 [X.] nicht an (vgl. Senat, Urteile vom 26. Januar 2021 - [X.], [X.], 368 Rn. 24 mwN; vom 18. Mai 2021 - [X.], juris Rn. 11).

III.

1. Die Auffassung der Revisionserwiderung, die Entscheidung des Berufungsgerichts stelle sich als richtig dar (§ 561 ZPO), weil dem Kläger aufgrund des zur Finanzierung mit der [X.] abgeschlossenen Darlehensvertrags ein "verbrieftes Rückgaberecht" zugestanden habe, er das Fahrzeug an den Händler habe zurückgeben können und daher kein Risiko getragen habe, trifft schon deshalb nicht zu, weil das Berufungsgericht insoweit keine Feststellungen getroffen hat.

2. Daher ist die angegriffene Entscheidung aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO) und daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es wird Gelegenheit haben, sich mit dem weiteren Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren zu befassen.

[X.]     

      

von [X.]     

      

Offenloch

      

Allgayer     

      

Linder     

      

Meta

VI ZR 698/20

27.07.2021

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 23. April 2020, Az: 1 U 1487/19

§ 31 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.07.2021, Az. VI ZR 698/20 (REWIS RS 2021, 3750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3750

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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