Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.10.2019, Az. VII B 40/19

7. Senat | REWIS RS 2019, 2315

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Keine Prozesszinsen auf einen Steuererstattungsanspruch bei fehlender Rechtshängigkeit der Steuerfestsetzung


Leitsatz

1. NV: Die Verzinsung eines Steuererstattungsanspruchs nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO bzw. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO setzt dessen Rechtshängigkeit voraus .

2. NV: Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften im Fall der Herabsetzung eines Steueranspruchs infolge eines Musterverfahrens bzw. aufgrund einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung in einem gleich gelagerten Verfahren kommt nicht in Betracht, wenn die streitige Steuerfestsetzung nicht selbst rechtshängig, sondern nur Gegenstand eines ruhenden Einspruchsverfahrens war .

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 22.02.2019 - 4 K 123/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt ein Kernkraftwerk. Aufgrund dessen Befüllung mit Brennelementen im Juni 2016 gab sie unter dem 08.07.2016 eine Steueranmeldung für Kernbrennstoffsteuer in Höhe von … € ab und zahlte diese am 25.07.2016. Mit Änderungsbescheid vom 22.07.2016 erklärte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --[X.]--) die Steueranmeldung unter Hinweis auf die Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes ([X.]) mit dem Grundgesetz (GG) für vorläufig. Gegen die Steueranmeldung erhob die Klägerin Einspruch.

2

Nachdem das [X.] ([X.]) das [X.] mit Beschluss vom 13.04.2017 - 2 BvL 6/13 als mit Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG unvereinbar und nichtig erklärt hatte, hob das [X.] die Steueranmeldung mit Bescheid vom 12.06.2017 auf und zahlte die entrichtete Steuer am 19.06.2017 zurück.

3

Mit Schreiben vom 05.06.2018 beantragte die Klägerin beim [X.] die Festsetzung von [X.] auf den ihr erstatteten Steuerbetrag in Höhe von … € für die [X.] vom 25.07.2016 bis 19.06.2017, was das [X.] mit Bescheid vom 24.07.2018 ablehnte.

4

Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, die Klägerin habe weder aus § 236 der Abgabenordnung [X.]) noch aus § 233[X.], jeweils weder in direkter noch in analoger Anwendung, einen Zinsanspruch.

5

§ 236 Abs. 1 Satz 1 [X.] setze voraus, dass der zu verzinsende Erstattungsanspruch vom Steuerpflichtigen rechtshängig gemacht worden sei. Dies gelte auch dann, wenn die Finanzverwaltung allein aufgrund einer im Musterverfahren erstrittenen Entscheidung die Steuer herabgesetzt oder erstattet habe. Das Gericht müsse die Steuer unmittelbar selbst niedriger festgesetzt bzw. die Finanzbehörde müsse die Steuer nach Aufhebung des angefochtenen Bescheids durch das Gericht weisungsgemäß festgesetzt haben. Das [X.] habe jedoch weder die Steueranmeldung selbst aufgehoben noch das beklagte [X.] dazu angewiesen.

6

Eine Verzinsung des Erstattungsanspruchs ergebe sich auch nicht aus § 236 Abs. 2 Nr. 1 [X.], weil dieser Tatbestand gleichfalls voraussetze, dass der Steuerpflichtige seinen Erstattungsanspruch rechtshängig gemacht habe. Erfolge die Erstattung wie vorliegend im Rahmen eines [X.] nach Beendigung eines gerichtlichen Musterverfahrens, fielen keine Zinsen nach § 236 [X.] an. Unerheblich sei, ob der Klägerin die Erhebung einer Klage überhaupt möglich gewesen sei. Sie habe allerdings Untätigkeitsklage erheben können.

7

Die Klägerin könne den Zinsanspruch auch nicht aus § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. [X.] herleiten. Die Entscheidung des [X.] stelle zwar eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung dar, die alle Gerichte und Behörden binde. Dieser Entscheidung liege jedoch keine Anfechtung eines Grundlagenbescheids zugrunde. Ein Anspruch auf [X.] nach dieser Vorschrift sei zwar auch gegeben, wenn der Steuerpflichtige den Prozess nicht selbst geführt habe, aber von der Steuerherabsetzung oder -aufhebung aufgrund dieser gerichtlichen Entscheidung selbst betroffen sei. An einer Selbst-Betroffenheit fehle es indes, wenn wie im Streitfall die Klägerin von der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung nur mittelbar als Folge des Musterverfahrens profitiere.

8

Ein Zinsanspruch ergebe sich auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 236 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 2 [X.]. Im Übrigen sei es der Klägerin nicht verwehrt gewesen, die Streitsache rechtshängig zu machen. Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) müsse der Steuerpflichtige die Klärung der Streitfrage im Musterverfahren nicht abwarten, wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht würden, die es rechtfertigten, trotz der Anhängigkeit eines Musterverfahrens Rechtsschutz zu gewähren.

9

Die Klägerin könne den Zinsanspruch weder unmittelbar noch entsprechend auf § 233a Abs. 1 [X.] stützen, weil die Kernbrennstoffsteuer dort nicht genannt sei und keine planwidrige Unvollständigkeit der Vorschrift vorliege. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liege nicht vor.

Die Klägerin begründet ihre Nichtzulassungsbeschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), mit der Erforderlichkeit einer Entscheidung des [X.] zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) und mit dem Vorliegen eines qualifizierten Rechtsfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O). Die Frage nach der Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis bei Steuern, für die keine Vollverzinsung nach § 233[X.] angeordnet sei und bei denen der zugrunde liegende Steueranspruch nicht selbst Gegenstand eines eigenen Rechtsstreits geworden, sondern der Steuerstreit in einem Verwaltungsverfahren geführt worden sei, bei dem wegen der erga-omnes-Wirkung der Entscheidung des [X.] ohne dazwischentretende Verwaltungsentscheidung das Verfahren vor dem [X.] unmittelbar zum Wegfall des Steueranspruchs geführt habe, stelle eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Der Nichtigkeitsausspruch des [X.] bei der Kernbrennstoffsteuer spreche für eine vollständige Rechtsfolgenneutralisation der verfassungswidrig eingeforderten Steuerzahlung. Es sei mit dem Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar, wenn demjenigen, der einer Zahlungsverpflichtung auf der Grundlage eines nichtigen Gesetzes nachkomme, ein finaler wirtschaftlicher Nachteil dadurch verbleibe, dass die Finanzverwaltung durch eine vorläufige Steuerfestsetzung und die Nichtzustimmung zu einer Sprungklage ihm den Weg zu den Finanzgerichten und damit eine Verzinsung verwehren könne. Denn entgegen der Auffassung des [X.] lehne der [X.] das Entstehen von Zinsen oder die Verlängerung eines [X.] als berechtigtes Interesse an der Erhebung einer Untätigkeitsklage ab.

Die Revision könne zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann zugelassen werden, wenn die Entscheidung des [X.] eine künftige Rechtsprechungsdivergenz erwarten lasse. Der Rechtssatz des [X.], dass der Begriff "auf Grund" in § 236 [X.] eng zu verstehen und nie erfüllt sei, wenn die Rechtssache selbst nicht rechtshängig gemacht worden sei, sei nicht mit dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes vereinbar. Der zweite Rechtssatz des [X.], dass der Begriff des [X.] 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. [X.] technisch zu verstehen sei und unmittelbare zwingende verwaltungsseitige Umsetzungsakte aufgrund von [X.]-Entscheidungen mit Gesetzeskraft nicht erfasse, lasse eine abweichende Rechtsprechung anderer Finanzgerichte erwarten, weil der Wortlaut der Vorschrift ein untechnisches Verständnis durchaus zulasse. Sie setze nicht voraus, dass es sich bei dieser Grundlagenentscheidung um eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen handele. Eine Nichtigkeitsentscheidung des [X.] habe normativen Charakter und sei ohne eine dazwischentretende Verwaltungsentscheidung durch vollständige Aufhebung des Steuerbescheids umzusetzen. Es liege mithin ein Folgebescheid in diesem Sinne vor. Auch der Rechtssatz des [X.], dass der Katalog der Steuerarten nach § 233a Abs. 1 [X.] abschließend sei und nicht im Wege der Analogie ausgedehnt werden könne, lasse eine künftige Divergenz erwarten.

Mit seinem Rechtssatz, dass die Erhebung einer Untätigkeitsklage auch bei mangelnder Entscheidung der Finanzverwaltung in einem Einspruchsverfahren gegen eine vorläufig festgesetzte Steuer nach Ablauf der [X.] möglich sei und zur Erlangung eines Zinsanspruchs sogar geboten sein könne, weiche das [X.] von der ständigen Rechtsprechung des [X.] ab, der in vergleichbaren Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis verneint habe. Das vom [X.] gefundene Ergebnis verstoße auch gegen verfassungsrechtliche Vorgaben.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O.

Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist (vgl. Senatsbeschluss vom 08.02.2016 - VII B 60/15, [X.], 891). Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind. An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das [X.] in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.] vom 18.12.1998 - VI B 215/98, [X.], 559, [X.] 1999, 231, und Senatsbeschluss in [X.], 891). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (Senatsbeschluss vom 08.07.2014 - VII B 129/13, [X.], 1776).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Frage nach der Verzinsung von [X.], die nicht selbst Gegenstand eines Rechtsstreits waren und für die keine [X.] nach § 233a [X.] angeordnet ist, aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelungen und der dazu vorliegenden Rechtsprechung als geklärt anzusehen.

a) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 [X.]) werden gemäß § 233 Satz 1 [X.] nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz auf (angemessene) Verzinsung kann nicht ausgegangen werden; vielmehr kennt das geltende Recht nur die Verzinsung nach Maßgabe genau umschriebener Tatbestände (Senatsurteil vom 29.04.1997 - VII R 91/96, [X.], 253, [X.] 1997, 476). Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 [X.] der zu erstattende oder zu vergütende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. Der Tatbestand des § 236 Abs. 1 Satz 1 [X.] setzt in seinen beiden Alternativen voraus, dass der angestrengte Rechtsstreit kausal für die Herabsetzung der Steuer und die nach § 236 [X.] zu verzinsende Steuererstattung war ([X.]-Urteile vom 15.10.2003 - X R 48/01, [X.], 1, [X.] 2004, 169, und vom 29.08.2012 - II R 49/11, [X.], 499, [X.] 2013, 104).

"Durch" eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung (§ 236 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 [X.]) wird die Steuer herabgesetzt, wenn das Gericht sie unmittelbar selbst nach § 100 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 [X.]O niedriger festsetzt. Der Steuerpflichtige selbst muss als Beteiligter die gerichtliche Entscheidung, aufgrund derer die Steuer herabgesetzt oder die Vergütung gewährt wird, erstritten haben ([X.] in [X.]/[X.]/ [X.] --[X.]--, § 236 [X.] Rz 20; vgl. auch [X.]/[X.], [X.]/[X.]O, § 236 Rz 4 ff.; [X.]/Rüsken, [X.], 14. Aufl., § 236 Rz 16; [X.] in [X.], [X.] [[X.]O], § 236 Rz 20).

Eine Herabsetzung der Steuer gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 [X.] auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung liegt nur dann vor, wenn die Finanzbehörde die Steuer nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch das Gericht gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 [X.]O weisungsgemäß festsetzt ([X.]-Urteile vom 16.12.1987 - I R 350/83, [X.], 401, [X.] 1988, 600, und in [X.], 499, [X.] 2013, 104, Rz 13 bis 14; [X.] in [X.], § 236 [X.] Rz 21; vgl. auch [X.]/[X.], a.a.[X.], § 236 Rz 4 ff.; [X.]/Rüsken, a.a.[X.], § 236 Rz 17).

Ist dagegen ein [X.] --wie im [X.] nicht rechtshängig geworden, kommt eine Verzinsung nach § 236 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht in Betracht, zumal ansonsten unklar wäre, wie der Zeitraum des [X.], der gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 [X.] frühestens mit dem Tag der Rechtshängigkeit beginnt, bei Bejahung eines Zinsanspruchs lediglich aufgrund eines Musterprozesses zu berechnen sein soll.

b) Auch dem Zinstatbestand des § 236 Abs. 2 Nr. 1 [X.] und der dazu ergangenen Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass eine Verzinsung die Rechtshängigkeit des geltend gemachten Anspruchs voraussetzt, so dass es einer weiteren Aufklärung in einem zukünftigen Revisionsverfahren nicht bedarf.

Nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist Abs. 1 entsprechend anzuwenden, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts erledigt. Zunächst ist schon dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen, dass der Verzinsung ein Rechtsstreit über den betreffenden Steueranspruch zugrunde liegen muss, weil hier nicht von irgendeinem, sondern von einem bestimmten ("der") Rechtsstreit die Rede ist.

Darüber hinaus ist das Erfordernis der Rechtshängigkeit bereits durch die Rechtsprechung des [X.] bestätigt worden. Danach ist § 236 Abs. 2 Nr. 1 [X.] eine Verweisungsnorm nicht lediglich hinsichtlich der Rechtsfolgen (d.h. der Verzinsung des zu erstattenden Betrags vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag), sondern auch bezüglich des [X.] der Verzinsung ([X.]-Urteil in [X.], 1, [X.] 2004, 169). Dabei enthält § 236 Abs. 2 Nr. 1 [X.] eine eigenständige Regelung nur insoweit, als [X.] auch dann entstehen, wenn der Rechtsstreit nicht durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, sondern durch die Erledigung der Hauptsache oder Rücknahme der Klage beendet wird. Damit erweitert § 236 Abs. 2 Nr. 1 [X.] die Anwendbarkeit der Vorschrift auf andere Arten der Beendigung eines [X.]. Die Finanzbehörde soll durch diese Bestimmung daran gehindert werden, mit einer Änderung des angefochtenen Bescheids vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidung das Entstehen von [X.] zu verhindern.

Soweit § 236 Abs. 2 Nr. 1 [X.] keine eigenständige Regelung enthält, nimmt diese Vorschrift den Regelungsgehalt der [X.] voll in sich auf. Deshalb hat die Verweisung in § 236 Abs. 2 Nr. 1 [X.] auf Abs. 1 zur Folge, dass [X.] nur zuerkannt werden können, wenn der erledigte Rechtsstreit für die Herabsetzung der Steuer ursächlich war, d.h. dem prozessualen Begehren des Steuerpflichtigen aufgrund einer Änderung des angefochtenen Bescheids entsprochen wird ([X.]-Urteile in [X.], 1, [X.] 2004, 169; vom 30.11.1995 - V R 39/94, [X.]E 179, 236, [X.] 1996, 260; vom 13.07.1994 - I R 38/93, [X.]E 175, 496, [X.] 1995, 37; [X.]-Urteil in [X.], 499, [X.] 2013, 104). Ein Anspruch auf [X.] kann dagegen nicht entstehen, wenn --ohne dass der Erstattungsanspruch rechtshängig gemacht worden ist-- die Herabsetzung der Steuer das Ergebnis eines von anderen Steuerpflichtigen geführten Musterprozesses ist (vgl. z.B. [X.] vom 03.04.2007 - IX B 169/06, [X.]/NV 2007, 1267; [X.]-Urteile in [X.], 401, [X.] 1988, 600, und in [X.], 499, [X.] 2013, 104; [X.] in [X.], § 236 [X.] Rz 20; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 236 [X.] Rz 13).

c) Dass auch der von der Klägerin angeführte § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a [X.] nicht auf den Streitfall anwendbar ist, bedarf ebenfalls keiner weiteren Klärung. Diese Norm ordnet eine entsprechende Anwendung des Abs. 1 an, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt. [X.] sind Verwaltungsakte, die die Regelungen eines [X.] oder eines sonstigen für die Festsetzung einer Steuer verbindlichen Verwaltungsaktes (sog. Grundlagenbescheid) als bindend übernehmen; für steuerliche Grundlagenbescheide ist die Bindungswirkung ausdrücklich gesetzlich bestimmt (vgl. [X.]-Urteile in [X.], 401, [X.] 1988, 600, und vom 16.11.2000 - XI R 31/00, [X.]E 196, 1, [X.] 2002, 119, Rz 10). Diese Bindungswirkung besteht zwischen zwei verschiedenen Steuererstattungsansprüchen nicht.

d) Durch die Rechtsprechung ist zugleich geklärt, dass eine entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 [X.] im Fall der Herabsetzung eines Steueranspruchs infolge eines Musterverfahrens bzw. aufgrund einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung in einem gleich gelagerten Verfahren nicht in Betracht kommt, wenn die streitige Steuerfestsetzung selbst nicht rechtshängig, sondern nur Gegenstand eines beim Finanzamt ruhenden [X.] war ([X.] in [X.]/NV 2007, 1267 mit Verweis auf [X.]-Urteil vom 02.03.1988 - I R 72/84, [X.]/NV 1988, 619).

Dies gilt auch dann, wenn das [X.] eine oder mehrere Normen des Bundesrechts als für mit dem Grundgesetz unvereinbar hält und gemäß § 78 Satz 1 des Gesetzes über das [X.] ([X.]G) für nichtig erklärt und dies aufgrund der Gesetzeskraft der Entscheidung des [X.] i.S. des § 31 Abs. 2 Satz 1 [X.]G mittelbar zur Herabsetzung oder Aufhebung einer nicht rechtshängig gewesenen Steuerforderung führt. Dementsprechend ist es verfassungsgemäß, eine entsprechende Anwendung der Zinsregelung des § 236 [X.] auf den Fall der Erstattung zu viel entrichteter Steuerbeträge nach Abschluss eines Musterprozesses abzulehnen (Dreierausschussbeschluss des [X.] vom 05.09.1979 - 1 BvR 594/79, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 1980, 85).

Dass die mittelbaren Auswirkungen eines Musterprozesses auf andere Steueranmeldungen oder -festsetzungen nicht mit dem rechtlichen Zusammenhang zwischen Grund- und Folgebescheid i.S. des § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a [X.] zu vergleichen sind und daher eine entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 [X.] im Fall von Musterverfahren ausscheidet, ist durch die Rechtsprechung ebenfalls geklärt. Wie der [X.] entschieden hat, hat ein Steuerpflichtiger, dessen Einspruchsverfahren im Hinblick auf ein von einem anderen Steuerpflichtigen angestrengtes Musterverfahren ausgesetzt wurde, bei einem günstigen Ausgang dieses Prozesses ebenso wenig einen Anspruch auf [X.] ([X.]-Urteil vom 31.10.1974 - IV R 160/69, [X.]E 114, 397, [X.] 1975, 370), wie wenn die Steuerfestsetzung wegen eines Musterverfahrens für einen anderen Steuerabschnitt zu Gunsten des Steuerpflichtigen geändert wird. Für diese Fälle fehlt es an der Anordnung der entsprechenden Anwendung des § 236 Abs. 1 [X.] ([X.]-Urteil vom 17.01.2007 - X R 19/06, [X.]E 216, 396, [X.] 2007, 506, Rz 19, m.w.N.).

e) Weiterhin ist auch der abschließende Charakter des § 233a [X.] geklärt.

Führt die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer zu einem Unterschiedsbetrag i.S. des Abs. 3, ist dieser gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 [X.] zu verzinsen. Der [X.] beginnt gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 [X.] 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. § 233a [X.] regelt die sog. "[X.]" oder auch "Verzinsung vor Fälligkeit" von Steuerforderungen im Bereich bestimmter, in Abs. 1 der Vorschrift aufgezählter Steuerarten, bei denen der zeitliche Abstand zwischen Entstehung und Fälligkeit der Steuer oftmals groß ist, und erfasst daher nicht Steuerarten, bei denen die Festsetzung typischerweise zeitnah nach [X.] erfolgt, wie dies z.B. bei [X.] und besonderen Verbrauchsteuern der Fall ist (vgl. Senatsurteil vom 23.09.2009 - VII R 44/08, [X.]E 226, 205, [X.] 2010, 334; [X.] in [X.], § 233a [X.] Rz 5, 17; [X.]/Rüsken, a.a.[X.], § 233a Rz 1, 6, 8; [X.]/[X.], a.a.[X.], § 233a Rz 1). Die Aufzählung der dort genannten Steuerarten ist abschließend ([X.]-Beschlüsse vom 23.06.2014 - VIII B 75/13, [X.], 1713, und vom 23.02.2007 - IX B 242/06, [X.]/NV 2007, 1073).

Weiterer Klärungsbedarf ergibt sich auch nicht dadurch, dass es sich bei der Kernbrennstoffsteuer nach der Rechtsprechung des [X.] nicht um eine Verbrauchsteuer handelt ([X.]-Beschluss vom 13.04.2017 - 2 BvL 6/13, [X.]E 145, 171, [X.], 182, Rz 134 und 161), die der Gesetzgeber bewusst nicht in den Katalog der von der [X.] umfassten Steuerarten aufgenommen hat (vgl. BTDrucks 8/1410, S. 7 f. und 11/2157, S. 194). Denn auch wenn der Charakter der Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer mangels Abwälzbarkeit verneint wurde, spricht zumindest der geringe Abstand zwischen der Entstehung der Steuer (§ 5 KernbrStG) und ihrer Fälligkeit (§ 6 KernbrStG) gegen eine entsprechende Anwendung von § 233a [X.]. Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

2. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil künftig eine Divergenz zu erwarten ist (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O).

Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O ist die Revision zuzulassen, wenn eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert die Zulassung der Revision jedenfalls dann, wenn eine Entscheidung des [X.] geeignet und erforderlich ist, um künftige unterschiedliche Entscheidungen einer Rechtsfrage zu verhindern. Das kann dann der Fall sein, wenn das [X.] von der Rechtsprechung des [X.] oder anderer Gerichte abgewichen ist oder Unterschiede in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung bestehen oder zu erwarten sind ([X.] vom 27.10.2006 - IV B 8/05, [X.]/NV 2007, 231).

a) Allein dadurch, dass das [X.] den Anwendungsbereich des § 236 [X.] als nicht eröffnet angesehen und eine analoge Anwendung abgelehnt hat, ergibt sich nicht die Erwartung einer künftigen Divergenz. Das [X.] hat die Vorschrift anhand ihres Wortlauts sowie ihrer Entstehungsgeschichte und in Übereinstimmung mit der dazu ergangenen Rechtsprechung geprüft, weshalb keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass andere Finanzgerichte in vergleichbaren Fällen anders entscheiden werden. Allein die bloße Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O.

b) Die Auffassung des [X.], die Klägerin habe Untätigkeitsklage bei mangelnder Entscheidung der Verwaltung in einem Einspruchsverfahren gegen eine vorläufig festgesetzte Steuer erheben können, war für die Versagung der Verzinsung letztlich nicht tragend. Das [X.] hat einen Zinsanspruch aus § 236 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 [X.] verneint, weil der [X.] der Klägerin nicht rechtshängig war. Das [X.] weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass es insoweit unerheblich sei, ob der Klägerin die Erhebung einer Klage möglich gewesen sei ([X.]-Urteil S. 10, Rz 21). Die Möglichkeit einer Untätigkeitsklage wird anschließend nur als Hilfsüberlegung angesprochen. Gleiches gilt bei der Prüfung einer analogen Anwendung dieser Vorschriften, die das [X.] verneint hat, weil es keine planwidrige Regelungslücke hat erkennen können. Der Hinweis auf die Möglichkeit, die Streitsache rechtshängig zu machen, hat auch an dieser Stelle lediglich erläuternden Charakter ([X.]-Urteil S. 13, Rz 29). Auch im Zusammenhang mit der Verneinung eines Zinsanspruchs aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG hatte der Hinweis auf eine eventuelle Untätigkeitsklage nur hilfsgutachterlichen Charakter ([X.]-Urteil S. 18, Rz 40).

Soweit das [X.] einen möglichen Verstoß gegen die Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG prüft, wenn einem Steuerschuldner, der keine Klage erhoben hat, ein Anspruch auf Verzinsung abgesprochen wird, führt dies ebenfalls nicht zu einer Divergenz, weil das [X.] einen Zinsanspruch in seinen tragenden Erwägungen unabhängig davon verneint hat, ob der Klägerin die Erhebung einer Untätigkeitsklage möglich gewesen wäre.

Abgesehen davon liegt auch keine Divergenz vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] fehlt einer Klage in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, die verfassungsrechtliche Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahren stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim [X.] anhängig ist (z.B. [X.] vom 22.03.1996 - III B 173/95, [X.]E 180, 217, [X.] 1996, 506, m.w.N.). Denn dann kann der Steuerpflichtige im Allgemeinen die Klärung der Streitfrage in dem Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden. Ausnahmen sind möglich, wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht werden, die es rechtfertigen, trotz Anhängigkeit des Musterverfahrens Rechtsschutz gegen den im Streitpunkt für vorläufig erklärten Bescheid zu gewähren (vgl. [X.]-Beschlüsse in [X.]E 180, 217, [X.] 1996, 506, und vom 30.11.2007 - III B 26/07, [X.]/NV 2008, 374). Dass das [X.] von der Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage ausgegangen ist, um sich einen Anspruch auf [X.] zu erhalten, und damit einen Ausnahmefall i.S. der [X.]-Rechtsprechung bejaht hat, kann allenfalls eine falsche Rechtsanwendung darstellen, die jedoch nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann.

3. Dem [X.] ist auch kein qualifizierter Rechtsanwendungsfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O unterlaufen, der die Zulassung der Revision rechtfertigen würde. Voraussetzung dafür ist, dass die Entscheidung des [X.] in einem solchen Maß fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte. Dies kann der Fall sein, wenn das [X.] eine offensichtlich einschlägige, entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat, sein Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht. Unterhalb dieser Schwelle liegende, auch erhebliche Rechtsfehler reichen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung und somit einen Grund für die Zulassung der Revision anzunehmen (Senatsbeschluss vom 19.11.2012 - VII B 126/12, [X.]/NV 2013, 504, und [X.] vom 16.05.2012 - IV B 48/11, [X.]/NV 2012, 1462). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben (vgl. auch oben).

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen.

Meta

VII B 40/19

23.10.2019

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Hamburg, 22. Februar 2019, Az: 4 K 123/18, Urteil

§ 236 AO, § 78 S 1 BVerfGG, § 31 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 236 Abs 1 S 1 AO, § 236 Abs 2 Nr 1 AO, § 236 Abs 2 Nr 2 Buchst a AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.10.2019, Az. VII B 40/19 (REWIS RS 2019, 2315)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2315


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VII B 40/19

Bundesfinanzhof, VII B 40/19, 23.10.2019.


Az. 2 BvR 737/20

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 737/20, 30.06.2022.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II R 49/11 (Bundesfinanzhof)

(Keine Prozesszinsen bei Steuerherabsetzung erst nach Beendigung der Rechtshängigkeit - Zweck des § 236 AO …


II B 49/12 (Bundesfinanzhof)

Kein Anspruch auf Prozesszinsen ohne Rechtshängigkeit


VIII R 9/09 (Bundesfinanzhof)

Prozesszinsen: Körperschaftsteuerbescheid kein Grundlagenbescheid für den Einkommensteuerbescheid eines Gesellschafters hinsichtlich der Erfassung einer vGA


VII R 34/19 (Bundesfinanzhof)

Prozesszinsen


2 BvR 737/20 (Bundesverfassungsgericht)

Zur Verzinsung nicht rechtshängiger Steuererstattungsansprüche nach Nichtigerklärung des zugrundeliegenden Steuergesetzes - hier: kein verfassungsunmittelbarer Anspruch …


Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 737/20

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.