Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.06.2010, Az. V ZR 193/09

5. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5714

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Gegenstand

Wohnungseigentümergemeinschaft: Beschlussfassungskompetenz über besondere Leistungspflichten der Wohnungseigentümer; Mehrheitsbeschluss über die Beseitigung einer baulichen Veränderung


Leitsatz

Aus der Kompetenz, den Gebrauch (§ 15 WEG), die Verwaltung (§ 21 WEG) und die Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 22 WEG) durch Mehrheitsbeschluss zu regeln, folgt nicht die Befugnis, den Wohnungseigentümern außerhalb der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten Leistungspflichten aufzuerlegen .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.], Zivilkammer 18, vom 7. Oktober 2009 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als über die Klage entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im Übrigen bleibt die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte ist als Mitglied der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft Eigentümer zweier Wohnungen, zu der die in einer Garage befindlichen Kraftfahrzeugstellplätze Nr. 80 und 81 gehören. Diese Stellplätze trennte der Beklagte im Jahr 2006 von der übrigen Garage durch Anbringung von Gitterelementen und eines Rolltors ab, nachdem eines seiner Fahrzeuge entwendet und zumindest ein weiteres beschädigt worden war. In der Eigentümerversammlung vom 19. Juni 2007 beantragte er die Genehmigung der von ihm ergriffenen Sicherungsmaßnahmen. Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Darüber hinaus beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, den Beklagten

"gemeinschaftlicherseits zum Rückbau der [X.] aufzufordern und zu verpflichten. Kommt er einer befristeten Rückbauanforderung der Verwaltung nicht fristgerecht nach, so soll ein Rechtsanwalt mit der Durchsetzung des gemeinschaftlichen Rückbauanspruches beauftragt werden, der diesen gegebenenfalls auch vor Gericht verfolgen und durchsetzen soll."

2

Beide Beschlüsse wurden bestandskräftig. Der Aufforderung des Verwalters, die sogenannte Gitterbox zu beseitigen, kam der Beklagte nicht nach.

3

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Beseitigung der Gitterbox und zum Verschließen nach der Demontage verbleibender Löcher verurteilt. Die auf Verurteilung der Klägerin zur Genehmigung der Gitterbox gerichtete Widerklage hat es abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung, mit der der Beklagte unter anderem erneut dem Vorbringen der Klägerin entgegen getreten ist, bei der Gitterbox handle es sich um eine bauliche Veränderung, die Nutzungsmöglichkeiten der übrigen Garagennutzer würden beeinträchtigt, davon abgesehen liege eine erhebliche optische Beeinträchtigung vor, ist erfolglos geblieben. Mit der von dem [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seine Anträge weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dem auf der Eigentümerversammlung vom 19. Juni 2007 gefassten Beschluss komme anspruchsbegründende Wirkung zu. Da die Beschlüsse nur anfechtbar seien und der Beklagte von der Möglichkeit der Anfechtung keinen Gebrauch gemacht habe, seien Feststellungen dazu, ob durch die Gitterboxelemente und das Rolltor die übrigen Eigentümer in einem nach § 14 Nr. 1 [X.] unzulässigen Maß beeinträchtigt würden, entbehrlich.

II.

5

Die Revision ist nur teilweise begründet.

6

1. Die Zulässigkeit der Klage und der Widerklage hat das Berufungsgericht der Sache nach zutreffend bejaht.

7

a) Soweit die Klage auf Ansprüche gestützt wird, die den Wohnungseigentümern als Individualansprüche zustehen, ist die Prozessführungsbefugnis der Klägerin gegeben. Durch den Beschluss vom 19. Juni 2007 sind solche Ansprüche jedenfalls auf die Wohnungseigentümergemeinschaft zur Ausübung übertragen worden (sog. Ansichziehen). Die Klägerin ist damit kraft Gesetzes prozessführungsbefugt (vgl. [X.], Urt. v. 15. Januar 2010, [X.], NJW 2010, 933, 934 m.w.[X.]). Das gilt nach § 140 BGB selbst dann, wenn man den genannten Beschluss wegen fehlender [X.] für nichtig erachtet (zur Anwendbarkeit der Norm auf Beschlüsse der Wohnungseigentümer vgl. nur [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl., § 23 [X.]. 30 m.w.[X.]).

8

b) Die Widerklage scheitert nicht schon am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis. Denn der Beklagte hat die Wohnungseigentümerversammlung erfolglos mit seinem Anliegen befasst (zu dieser Voraussetzung, [X.], Urt. v. 15. Januar 2010, [X.], [X.], 205, 206).

9

2. In der Sache halten die Erwägungen des Berufungsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit es die Klage für begründet erachtet hat. Dabei kann offen bleiben, ob der Beschluss der Wohnungseigentümer vom 19. Juni 2007 bei der gebotenen objektiven Deutung nächstliegend im Sinne der eigenständigen Begründung einer Rückbauverpflichtung auszulegen ist. [X.] man die Frage, kommt es, was das Berufungsgericht offen gelassen hat, darauf an, ob die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 15 Abs. 3 [X.], 1004 BGB gegeben sind. [X.] man sie, ergibt sich nichts anderes, weil der genannte Beschluss dann - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - mangels [X.] nichtig wäre.

a) Dass eine Leistungspflicht gegen den Willen des Schuldners durch einen Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer nicht konstitutiv begründet werden kann, hat der [X.] bereits entschieden (vgl. Urt. v. 15. Januar 2010, [X.], [X.], 285 ff. [X.]. 10 f.; ebenso etwa auch [X.]/[X.], [X.], aaO, § 22 [X.]. 308; [X.], [X.], 542 ff.; jeweils m.w.[X.] auch zum Streitstand). Ist eine Angelegenheit weder durch das Gesetz noch durch eine Vereinbarung dem Mehrheitsprinzip unterworfen, fehlt den Wohnungseigentümern von vornherein die [X.]; ein gleichwohl gefasster Mehrheitsbeschluss ist nichtig. Die gesetzlichen Vorgaben können nach § 10 Abs. 2 [X.] nur durch Vereinbarung aller Wohnungseigentümer, nicht aber im [X.] abbedungen werden. Was danach zu vereinbaren ist, kann nicht beschlossen werden, solange nicht vereinbart ist, dass auch dies beschlossen werden darf (vgl. zum Ganzen [X.], [X.], 158, 163 ff.).

Für [X.], mit denen die Beseitigung einer baulichen Veränderung gefordert wird, gilt nichts anderes. Zwar ist dem Berufungsgericht im Ausgangspunkt zuzustimmen, dass Angelegenheiten, die die Regelung des Gebrauchs (§ 15 [X.]), der Verwaltung (§ 21 [X.]) und der Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 22 [X.]) betreffen, der Regelung durch Mehrheitsbeschluss zugänglich sind (vgl. auch [X.], [X.], 158, 168 f.). Die genannten Kompetenzen begründen jedoch nicht die Befugnis, den Wohnungseigentümern außerhalb der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten (vgl. auch § 21 Abs. 7 [X.]) Leistungspflichten - man denke etwa an die Verpflichtung zur tätigen Mithilfe bei der Reparatur eines beschädigten Gebäudes - aufzuerlegen (zutreffend [X.], [X.], 542 ff.). Beschließen die Wohnungseigentümer in den genannten Bereichen Maßnahmen, können die damit verbundenen Kosten zwar notfalls auch unter Abänderung des laufenden [X.] durch Mehrheitsbeschluss auf die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft umgelegt werden (vgl. nur [X.], [X.], 44, 47; [X.]/[X.], aaO, § 28 [X.]. 37 ff.). Eine Kompetenz zur Begründung darüber hinausgehender - von gesetzlichen Schuldgründen losgelöster - Leistungsverpflichtungen durch Mehrheitsbeschluss geht damit jedoch nicht einher. Insoweit können die Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss lediglich festlegen, ob und in welchem Umfang ein ihrer Meinung nach bestehender Anspruch gerichtlich geltend gemacht und ggf. durchgesetzt werden soll ([X.], aaO, 543 f.).

b) Nach dem derzeitigen [X.] ist das Berufungsurteil über den [X.] auch nicht aus anderen Gründen richtig. Feststellungen zu den Voraussetzungen der §§ 15 Abs. 3 [X.], 1004 BGB hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig - nicht getroffen. Da der Beschluss vom 19. Juni 2007 nach seinem klaren Wortlaut und bei nächstliegender Deutung auch keine Gebrauchsregelung und damit keine verbindliche Vorgabe dazu enthält, was als nachteilig im Sinne von § 14 Nr. 1 [X.] anzusehen ist (zu einem solchen Fall vgl. OLG Düsseldorf ZWE 2005, 236, 239 f.), ist der Rechtsstreit mit Blick auf den [X.] nicht zur Endentscheidung reif. Die Sache ist daher insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen getroffen werden können.

3. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht dagegen die Abweisung der Widerklage bestätigt. Diese ist unbegründet, weil die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft nicht passivlegitimiert ist. Klagen nach den §§ 15 Abs. 3, 21 Abs. 4 [X.] sind gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten (vgl. nur [X.]/[X.], aaO, § 21 [X.]. 53 und 55). Über die Frage, ob und welche Sicherungsmaßnahmen im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung zu treffen sind, haben zuvörderst die Wohnungseigentümer zu befinden. Da deren verweigerte Genehmigung ersetzt werden soll, ist die Klage gegen diese zu richten.

[X.]                                        Klein                             Lemke

                 [X.][X.]

Meta

V ZR 193/09

18.06.2010

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Hamburg, 7. Oktober 2009, Az: 318 S 60/08, Urteil

§ 15 WoEigG, § 21 WoEigG, § 22 WoEigG, § 23 Abs 4 WoEigG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.06.2010, Az. V ZR 193/09 (REWIS RS 2010, 5714)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5714

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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