Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.06.2016, Az. B 13 R 40/16 B

13. Senat | REWIS RS 2016, 10478

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung - Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 11. November 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der im Jahr 1951 geborene Kläger erhält vom beklagten Rentenversicherungsträger seit November 2003 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit sowie aufgrund eines erneuten [X.] vom 25.11.2008 seit November 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Er begehrt einen früheren Beginn der zuletzt genannten Rente, weil eine entsprechende Einschränkung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit jedenfalls bereits im [X.] eingetreten sei. Das [X.] hat im Urteil vom 11.11.2015 einen Anspruch des [X.] auf einen früheren Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung verneint. Es stehe zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch bis Oktober 2009 in der Lage gewesen sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenigstens sechs Stunden täglich mit gewissen qualitativen Einschränkungen erwerbstätig zu sein.

2

Der Kläger macht mit seiner beim [X.] erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil in erster Linie Verfahrensmängel sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

3

II. Die Beschwerde des [X.] ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom [X.] genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat weder einen Verfahrensmangel ordnungsgemäß bezeichnet noch die grundsätzliche Bedeutung formgerecht dargelegt (§ 160 Abs 2 [X.] und 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

4

Zur Bezeichnung eines [X.] müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten [X.] begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl [X.]-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 4; [X.]; [X.] in [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, [X.], [X.] ff). Zu beachten ist, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 [X.]G gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 [X.] Teils 2 [X.]G) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 [X.]G nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 [X.] Teils 3 [X.]G).

5

Das Vorbringen des [X.] wird den genannten Anforderungen nicht gerecht:

6

1. Der Kläger rügt zunächst eine Verletzung der Denkgesetze bzw der Logik durch das "[X.]". Auch wenn davon auszugehen ist, dass er das [X.] meint, ist dieser Angriff auf die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts im [X.] kraft gesetzlicher Anordnung (§ 160 Abs 2 [X.] Teils 2 iVm § 128 Abs 1 S 1 [X.]G) von vornherein ausgeschlossen (vgl [X.], [X.], 2. Aufl 2010, Rd[X.] 534; s auch [X.] Beschluss vom [X.] R 29/15 B - JurionRS 2015, 15333 Rd[X.] 7 mwN; [X.] Beschluss vom 17.7.2015 - B 11 [X.] 32/15 B - Juris Rd[X.]0). Die gesetzliche Beschränkung des Rechtsmittels der Nichtzulassungsbeschwerde kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass die Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht zusätzlich als eine Verletzung des [X.], des Willkürverbots und des Gleichheitssatzes bezeichnet wird.

7

2. Weiterhin macht der Kläger in vielfältiger Weise eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.]G, Art 103 Abs 1 GG) geltend.

8

a) Eine Gehörsverletzung sieht er zunächst darin begründet, dass das [X.] die Feststellungen im Gutachten des Dr. U. zu einer Arbeitsfähigkeit des [X.] auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden "zwar erwähnt, aber im völlig gegenteiligen Sinne berücksichtigt" habe. Die damit verbundene Behauptung, das [X.] habe den von ihm vorgetragenen tatsächlichen Umständen nicht die richtige Bedeutung beigemessen, vermag jedoch schon im Ansatz keinen Verstoß gegen Art 103 Abs 1 GG zu begründen (stRspr des [X.], zB [X.] Beschluss vom 11.9.2015 - 2 BvR 1586/15 - Juris Rd[X.] 4 mwN).

9

b) Als Überraschungsentscheidung rügt der Kläger, dass das [X.] der für ihn günstigen Beurteilung des vom [X.] in einem vorangegangenen Verfahren nach § 109 [X.]G gehörten Sachverständigen [X.] nicht gefolgt sei, obwohl das habe erwartet werden dürfen; dies enthalte zudem eine willkürliche Sachverhaltsveränderung zu seinen Lasten. Soweit der Kläger damit erneut die Beweiswürdigung des [X.] angreift, ist das - wie oben bereits ausgeführt - im [X.] unbeachtlich. Soweit er jedoch mit diesem Vortrag gerade auf das Überraschungsmoment der Entscheidung des [X.] abstellt, hat er eine Gehörsverletzung nicht schlüssig und nachvollziehbar dargetan. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl zB [X.] Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 Rd[X.]8 mwN). Die Rüge des [X.] einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Daran fehlt es hier. Der Kläger beruft sich lediglich pauschal darauf, er sei von der Beweiswürdigung des [X.] überrascht worden, weil eine ihm günstigere Entscheidung "im Raum stand bzw. erwartet werden durfte". Dass das Gutachten des [X.] weder in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht noch im Verfahren zuvor - etwa im erstinstanzlichen Urteil - so gewürdigt worden wäre, wie es später im Urteil des [X.] geschehen ist, hat der Kläger nicht geltend gemacht.

c) Als weitere Gehörsverletzung beanstandet der Kläger, dass im [X.]-Urteil weder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erörtert worden seien, obwohl der Gutachter [X.] diese Aspekte klar angesprochen habe, indem er auf [X.] seines Gutachtens auf den Nachweis eines Rotatorenmanschettenschadens und einer Bizepssehnenruptur auf der rechten Seite hingewiesen habe. Dieser Vortrag ist nicht schlüssig. Rechtliches Gehör ist den Beteiligten des Verfahrens zu gewähren; ein Sachverständiger als Gehilfe des Gerichts gehört nicht dazu (vgl § 69 [X.]G). Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, dass er selbst gegenüber dem [X.] als zentrales Vorbringen zur Stützung seines Anspruchs auch das Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen geltend gemacht habe.

d) Soweit der Kläger eine Gehörsverletzung und einen Verstoß gegen das Willkürverbot auch darin sieht, dass das [X.] eine "gewaltsame Veränderung des Sachverhalts" vorgenommen habe, indem es angenommen habe, es sei ihm - dem Kläger - noch möglich gewesen, zumindest leichte Gegenstände zu sortieren, greift er wiederum die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an (s oben unter 1.).

e) Seinen Anspruch auf rechtliches Gehör sieht der Kläger zudem im Hinblick auf "die fehlende Berücksichtigung der Schulterfehlbildung des [X.] links, Os acromiale" verletzt. Das [X.] habe diese anatomische Variante nicht berücksichtigt und deshalb ein höheres Leistungsvermögen des [X.] angenommen, als es tatsächlich vorgelegen habe, zumal dieser zu einer extremen Untertreibung seiner Beeinträchtigungen neige. Auch damit ist eine Gehörsverletzung nicht in schlüssiger Weise dargetan. Denn der Kläger zeigt nicht auf, dass diese Fehlbildung der linken Schulter zu seinem zentralen Vorbringen gehörte, auf welches das [X.] in seinem Urteil jedenfalls hätte eingehen müssen. Das ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Vortrag, es sei bereits in der Klagebegründung vom 11.1.2012 dargelegt worden, dass der Kläger die linke Hand nur als Hilfshand benutzen könne. Außerdem wird aus der Beschwerdebegründung nicht ersichtlich, inwiefern die Entscheidung des [X.] auf der Nichterwähnung dieser anatomischen Variante beruhen kann. Für die Beurteilung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit sind nicht einzelne Diagnosen oder anatomische Gegebenheiten als solche, sondern lediglich deren feststellbare funktionale Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit von Bedeutung.

f) Wenn der Kläger schließlich eine weitere Gehörsverletzung darin sieht, dass das [X.] zwischenzeitlich neu hinzugekommene Befunde, die der Sachverständige Dr. B. in einer ergänzenden Stellungnahme zu seinem Gutachten vom [X.] im März 2010 beschrieb, seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt habe, verkennt er erneut den Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Art 103 Abs 1 GG gewährt keinen Anspruch auf eine "richtige" Entscheidung ([X.] Beschluss vom 31.3.2016 - 2 BvR 1576/13 - Juris Rd[X.] 71).

3. Eine Verletzung der Verpflichtung des [X.] zur Sachaufklärung (§ 103 [X.]G) hat der Kläger ebenfalls nicht formgerecht bezeichnet.

a) Soweit er "höchst hilfsweise" rügt, das [X.] hätte "unbedingt klären müssen und sich hierzu aufgerufen sehen müssen, von welchem Zeitpunkt gegebenenfalls Herr Dr. U. seine Feststellungen treffen wollte" (Beschwerdebegründung [X.] unten), fehlt es an der gemäß § 160a Abs 2 [X.] Teils 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 [X.]G erforderlichen Bezeichnung eines Beweisantrags, dem das [X.] nicht gefolgt ist.

b) Entsprechendes gilt für die Beanstandung, das [X.] habe keine zusätzliche neurologische Untersuchung veranlasst (Beschwerdebegründung [X.] unten).

4. Soweit der Kläger eine "Verkennung der Rechtslage" durch das [X.] rügt (Beschwerdebegründung [X.]), hat er keinen nach § 160 Abs 2 [X.] bis 3 [X.]G relevanten Revisionszulassungsgrund bezeichnet.

5. Den Vorwurf, das [X.] habe die Grundsätze eines fairen Verfahrens verletzt (Beschwerdebegründung [X.]), hat der Kläger nicht in nachvollziehbarer Weise erläutert. Es wird aus seiner Darstellung nicht ersichtlich, weshalb es unfair und entscheidungserheblich gewesen sein könnte, dass das [X.] seinem ursprünglichen Vorbringen im Berufungsverfahren, es sei schon vor 2007 - nämlich bereits im Jahr 2004 - eine zur vollen Erwerbsminderung führende Verschlechterung seines Gesundheitszustands eingetreten, entgegengehalten hat, dass er selbst im erneuten Rentenantrag vom 25.11.2008 und nochmals im Mai 2010 einen Verschlimmerungszeitpunkt erst im September 2007 geltend gemacht habe.

6. Soweit der Kläger seine Verfahrensrügen ergänzend auf "Art 2 I GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des staatlichen Verfahrens ([X.] Beschluss vom 03.10.1979, 1 BvR 726/78, so wie Beschluss des [X.] vom 29.04.1981, 1 BvR 159/80, [X.]E 57, 117, 120)" stützt (Beschwerdebegründung [X.] unten), hat er damit keine weiteren Umstände aufgezeigt, aus denen sich Mängel des zweitinstanzlichen Verfahrens ergeben könnten.

7. Wenn der Kläger schließlich vorträgt, die Zulassung der Revision sei auch als Grundsatzrevision durchzuführen, denn "die Summe der Veränderungen des Sachverhalts die vom Gericht ist so umfangreich und gravierend, dass die hier gezeigte Praxis den Fall als deutlich über den Einzelfall hinausgehend bedeutsam erscheinen lässt und zwar angesichts der entsprechenden Veränderungen in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht", so ist damit keine klärungsbedürftige abstrakt-generelle Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G zu einer konkret bezeichneten Norm des Bundesrechts aufgezeigt.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

Meta

B 13 R 40/16 B

07.06.2016

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Würzburg, 6. März 2012, Az: S 6 R 1344/11, Urteil

§ 62 SGG, § 103 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG, SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.06.2016, Az. B 13 R 40/16 B (REWIS RS 2016, 10478)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10478

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2 BvR 1586/15

2 BvR 2126/11

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