Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.09.2012, Az. 2 AZR 646/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 2772

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Gegenstand

Außerordentliche Kündigung - bewusst falsche Tatsachenbehauptungen


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 7. April 2011 - 11 [X.]/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen [X.]ündigung.

2

Die 1956 geborene [X.]lägerin war seit Mai 1982 bei der [X.] - einer Bank für Privatkunden - als [X.]undenbetreuerin tätig. Seit Dezember 2006 war sie in einer Filiale in [X.] eingesetzt. Die Zweigstelle gehört zum [X.], für den ein Betriebsrat gewählt ist. Die regelmäßige Arbeitszeit der [X.]lägerin betrug zuletzt 15 Wochenstunden.

3

[X.] mahnte die Beklagte die [X.]lägerin dreimal ab. Zwei Abmahnungen wurden zwischenzeitlich - in einem Fall nach gerichtlicher Entscheidung, im anderen Fall aufgrund eines Vergleichs - aus deren Personalakte entfernt. Die dritte Abmahnung wurde von der [X.]lägerin nicht gerichtlich angegriffen.

4

Am 17. März 2010 war die [X.]lägerin an der [X.]asse eingesetzt, als zwei [X.]unden - wohl ein Ehepaar - die [X.] Filiale betraten. Diese wollten ein aktuelles Festgeldangebot nutzen und wandten sich für eine Beratung an die [X.]undenbetreuerin [X.] Im Verlauf des Gesprächs kam es zu Unstimmigkeiten. Die [X.]undenbetreuerin hatte wegen einer ungewöhnlichen Farbschattierung Zweifel an der Echtheit eines der beiden [X.]e, die ihr zu [X.] vorgelegt wurden. Gegen 13:00 bis 13:10 Uhr setzte der Filialleiter die Betreuung der [X.]unden fort und bat diese in sein Büro. Die Mitarbeiterin [X.] trat ihre Mittagspause an und begab sich zunächst in einen angrenzenden Sozialraum. Dort traf sie die [X.]lägerin und eine andere [X.]ollegin an. Nachdem Frau [X.] ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, übergab ihr der Filialleiter Unterlagen aus dem [X.]undengespräch zur weiteren Bearbeitung. Beigefügt waren Fotokopien von zwei Ausweisdokumenten, die den Vermerk trugen, das Original habe vorgelegen.

5

Mit Schreiben vom 22. März 2010 wandte sich die [X.]lägerin unter dem Betreff „Meldung eines Verstoßes gegen Sicherheitsrichtlinien“ an die „Zentrale [X.]evision“ der [X.]. Sie teilte - auszugsweise - Folgendes mit:

        

„...   

        

ich zeige Ihnen hiermit einen schweren und vorsätzlichen Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien der [X.] und ggfls. gegen gesetzliche [X.]ichtlinien an.

        

Datum:

Mittwoch, 17.03.2010

        

Ort:   

Filiale [X.]

        

Verursacher:

Filialleiter …

        

[X.]athergang:

        

... An dem besagten [X.]age war ich an der [X.]asse eingesetzt. …

        

… Dabei stellte sich heraus, dass der [X.]unde statt eines Bundespersonalausweises nur eine [X.]opie davon mit bei sich hatte. Als die [X.]ollegin dies bemängelte, übernahm der [X.] diesen Fall und bat den [X.]unden in einen separaten [X.]aum. … Dabei kam es zu dem eklatanten Verstoß gegen die Sicherheitsregel: Der [X.]unde konnte keinen gültigen [X.] vorlegen: Er hatte wohl eine Fotokopie bei der Hand.

        

Der [X.] kopierte die [X.]opie und soll eigenhändig den Vermerk aufgeschrieben haben, das Original habe vorgelegen.

        

Letzteres durch Aussage der mit dem Fall befassten [X.]ollegin.

        

Es obliegt Ihnen, die Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten.

        

Zeugnis zur möglicherweise notwendigen Befragung: [X.]ollegin … [X.]“

6

Am 7. April 2010 wurde die [X.]lägerin vom Personalreferenten der [X.] zu dem Vorfall befragt. Sie sollte sich ua. dazu äußern, ob und inwieweit sie von der [X.]asse aus habe erkennen können, dass es sich um einen „falschen“ Ausweis gehandelt habe. Sie gab an, diese Beobachtung habe ihre [X.]ollegin gemacht. Die gleichfalls befragte Mitarbeiterin [X.] führte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 aus, der männliche [X.]unde habe auf ihre Bitte, sich zu legitimieren, verärgert und „offensichtlich ertappt“ reagiert. Auf ihren Versuch, die Ausweise zu kontrollieren, sei sie von beiden [X.]unden „in lautem, unverschämten [X.]on“ „angepöbelt“ worden. Dem Filialleiter, der daraufhin das Beratungsgespräch fortgeführt habe, seien die Papiere ebenfalls auffällig vorgekommen.

7

Am 30. April 2010 hörte die Beklagte den Filialleiter, der in der [X.] vom 23. März 2010 bis zum 12. April 2010 urlaubsabwesend war, zu den Vorwürfen an. Dieser erklärte, er habe die Ausweise unter einer im [X.]assenbereich angebrachten UV-Lampe überprüft. Dabei und bei der Datenaufnahme im [X.]undensystem habe er keine Unregelmäßigkeiten feststellen können.

8

Am 24. Juni 2010 unterhielten sich zwei Vertreter der [X.] - darunter der Personalreferent - mit der [X.]lägerin über das sich stetig verschlechternde Arbeitsklima in der Filiale. Dabei kam erneut die Anzeige vom 22. März 2010 zur Sprache. Diesbezüglich wurde ein weiteres Personalgespräch für den 13. Juli 2010 verabredet. Am 25. Juni 2010 fasste die Mitarbeiterin [X.] auf Bitten der [X.] nochmals die Vorgänge vom 17. März 2010 zusammen. Sie gab an, nach „Übernahme“ der [X.]unden durch den Filialleiter - „aufgeregt und erschrocken darüber“, dass dieser ihr in einer „so kniffligen Situation“ in den [X.]ücken gefallen sei - „in die [X.]üche“ gelaufen zu sein. Gegenüber ihren dort bereits anwesenden [X.]olleginnen - darunter die [X.]lägerin - habe sie geäußert, die [X.]unden seien ihr „auf Anhieb komisch“ vorgekommen. Einer der Ausweise habe „so komisch“ ausgesehen als wäre er nicht echt; sie habe diesen nicht geprüft und wisse auch nicht, ob der Filialleiter, der die [X.]unden jetzt bediene, „das noch mache“. Sie habe nichts mehr mit dem Fall zu tun.

9

Am 26. Juni 2010 erhielt die [X.]lägerin eine förmliche Einladung mit [X.]agesordnung zu dem anstehenden Gespräch. Mit E-Mail vom 28. Juni 2010 schrieb sie dem Personalreferenten, die Frage nach ihrer Motivation für die Anzeige vom 22. März 2010 habe in ihr „tiefste Zweifel“ ausgelöst. Das sei doch ihre „heiligste Pflicht“ gewesen. Sie habe eigentlich „Anerkennung für Pflichterfüllung … erwartet“. Sie habe bereits vorgehabt nachzufragen, ob die Sache nicht verfolgt würde oder „im Sande verlaufen sei“. Dies werde sie nunmehr „in [X.]ichtung Geschäftsführung/Zentralrevision“ erfragen.

Die Beklagte zog daraufhin das Personalgespräch auf den 2. Juli 2010 vor. An ihm nahmen neben einer weiteren Person der Personaldirektor der [X.], der Direktor „Human [X.]esources Arbeitsrecht und Mitbestimmung“ und ein Mitglied des Betriebsrats teil. Der [X.]lägerin wurde unter Fristsetzung aufgegeben, sich abschließend schriftlich zu dem Geschehen am 17. März 2010 zu äußern. Nach Eingang der Erklärung wollte die Beklagte über mögliche „arbeitsrechtliche [X.]onsequenzen“ entscheiden. Die am 4. Juli 2010 verfasste und an die vorgenannten Direktoren der [X.] adressierte Stellungnahme der [X.]lägerin ging am 5. Juli 2010 auf einem allgemein zugänglichen Faxgerät der Filiale [X.] ein. Parallel leitete die [X.]lägerin die Erklärung allen Gesprächsteilnehmern vom 2. Juli 2010 und der Geschäftsleitung der [X.] zu. Ihrer [X.]ollegin [X.] und einer weiteren Filialmitarbeiterin überreichte sie jeweils eine Abschrift. Inhaltlich verwahrte sie sich gegen den Vorwurf, in ihrer Anzeige falsche Angaben gemacht zu haben. Sie führte aus, eine bankinterne Überprüfung des verdächtigen Ausweises sei während ihrer Anwesenheit unterblieben. Weiter schrieb sie: „Obwohl Sie die Ankündigung eines Verfahrens wegen ‚übler Nachrede‘ wohl eher als Drohung verstanden wissen wollten, bin ich mit einem Strafverfahren nach § 186 StGB mehr als einverstanden. … Ich bedanke [X.] für den … vorgeschlagenen Weg der externen [X.]lärungsmöglichkeit und erwarte nunmehr Ihre angekündigte Anzeige wegen übler Nachrede innerhalb eines angemessenen [X.]raums …“

Die Beklagte forderte die [X.]lägerin auf, die Behauptung, ihr sei mit einer Strafanzeige gedroht worden, unter [X.]ichtigstellung des Sachverhalts zu widerrufen. Mit E-Mail vom 6. Juli 2010 erklärte diese, die Worte „üble Nachrede“ seien von Vertretern der [X.] in den [X.]aum gestellt worden. In Ermangelung eines gemeinsamen Gesprächsprotokolls sei sie aber bereit, einzelne Darstellungen in der Sache oder der [X.]endenz nach zu revidieren, falls der [X.] diese als falsch erschienen.

Am Folgetag stellte die Beklagte die [X.]lägerin von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 14. Juli 2010 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung - außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit „[X.] Auslauffrist“ zum 31. März 2011.

Die [X.]lägerin hat fristgerecht [X.]ündigungsschutzklage erhoben. Sie hat geltend gemacht, die [X.]ündigungen seien unwirksam. Sie habe nicht bewusst falsche Anschuldigungen gegen den Filialleiter erhoben. Vielmehr habe sie über einen Vorfall berichtet, den die Beklagte bis zuletzt nicht vollständig aufgeklärt habe. Etwas anderes sei auch nicht ihrer im Vorprozess abgegebenen Erklärung zu entnehmen, sie habe „schon einige Filialleiter der [X.] kommen und gehen sehen“ und werde auch den derzeitigen „aussitzen“. Sie habe sich durch die in kurzer zeitlicher Folge erteilten Abmahnungen unberechtigt angegriffen gefühlt und überreagiert. Ebenso wenig sei die [X.]ündigung wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit der Stellungnahme vom 4. Juli 2010 gerechtfertigt. Während des Gesprächs am 2. Juli 2010 habe sie den Eindruck gewonnen, die Beklagte beabsichtige, sie wegen vermeintlich übler Nachrede anzuzeigen. Sie sei weiterhin bereit, die Aussage, ihr sei ein Strafverfahren „angedroht“ worden, zu korrigieren.

Die [X.]lägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die [X.]ündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch zum 31. März 2011 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die [X.]lage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur [X.]ündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Die [X.]lägerin habe den Filialleiter im Schreiben vom 22. März 2010 sinngemäß eines Verstoßes gegen das Geldwäschegesetz bezichtigt. Dabei habe sie den Eindruck vermittelt, der beschriebene „[X.]athergang“ sei Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung, obwohl die Anschuldigungen tatsächlich auf reinen Mutmaßungen beruhten. Am 7. April 2010 habe sie erklärt, mit Sicherheit ausschließen zu können, dass der Filialleiter die Ausweise vorschriftsmäßig geprüft habe. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass auch ihre als Zeugin benannte [X.]ollegin den Vorfall nicht durchgängig beobachtet habe. In den nachfolgenden Gesprächen habe sie unverändert an ihrem Standpunkt festgehalten. Erstmals mit ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 habe sie ihre Behauptungen auf die [X.] ihrer Anwesenheit beschränkt. Allerdings habe sie zugleich unzutreffend und wider besseres Wissen behauptet, ihr sei in dem vorausgegangenen Personalgespräch durch Vertreter der [X.] mit einer Strafanzeige gedroht worden. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die [X.]lägerin habe ihre Vertragspflichten grob verletzt. Ihre falschen Anschuldigungen habe sie gegenüber einem sich stetig vergrößernden Empfängerkreis wiederholt bzw. publik gemacht und keine Einsicht gezeigt. Damit habe sie das Ansehen des [X.] beschädigt und nachhaltig den [X.] gestört. Ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis sei ihr - der [X.] - unzumutbar. Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

Die Vorinstanzen haben der [X.]lage stattgegeben. Mit ihrer [X.]evision begehrt die Beklagte weiterhin, die [X.]lage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die [X.]ündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch mit Ablauf einer der fiktiven ordentlichen [X.]ündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst worden.

I. Die fristlose [X.]ündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken ([X.]) unwirksam. Dies hat das [X.] rechtsfehlerfrei erkannt.

1. Dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien zufolge fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken Anwendung. Gemäß § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 [X.] (in der maßgebenden, ab 22. April 2009 geltenden Fassung) sind Arbeitnehmer, die ihr 50. Lebensjahr bereits vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören - vorbehaltlich im Streitfall nicht einschlägiger Ausnahmetatbestände - nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündbar. Die Regelung, deren persönliche Voraussetzungen die [X.]lägerin im [X.]ündigungszeitpunkt erfüllte, nimmt auf § 626 BGB Bezug (vgl. zu § 17 Ziff. 3 Abs. 1 [X.] in der ab 1. Oktober 1997 geltenden Fassung: [X.] 10. Oktober 2002 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; allgemein zur Bedeutung des Begriffs „wichtiger Grund“ in Tarifverträgen: bspw. [X.] 28. Oktober 2010 - 2 [X.] - Rn. 31, [X.] 1969 § 2 Nr. 148 = EzA [X.]SchG § 2 Nr. 80; 12. Januar 2006 - 2 [X.] - Rn. 24, [X.] § 626 [X.]rankheit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 9).

2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer [X.]ündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem [X.]ündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der [X.]ündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Bei ordentlicher Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ist für die Beurteilung, ob ein Grund zur fristlosen [X.]ündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, auf den Ablauf der fiktiven ordentlichen [X.]ündigungsfrist abzustellen ([X.] 27. April 2006 - 2 [X.] - Rn. 34, [X.]E 118, 104). Aus § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 [X.] ergeben sich insoweit keine Besonderheiten.

3. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem [X.]ündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) [X.]ündigungsfrist zumutbar ist oder nicht ([X.] 19. Juli 2012 - 2 [X.] - Rn. 38, [X.] 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 14, [X.] § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.]E 134, 349).

4. Einen in diesem Sinne die fristlose [X.]ündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten ([X.] 10. Dezember 2009 - 2 [X.] - Rn. 17 mwN, [X.] § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. [X.]ollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. [X.] 7. Dezember 2006 - 2 [X.] - [X.] 1969 § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 55 = EzA [X.]SchG § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - [X.]ritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. [X.] 10. Dezember 2009 - 2 [X.] - aaO; 24. November 2005 - 2 [X.] - Rn. 22, [X.] § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 10. Oktober 2002 - 2 [X.] - zu [X.] 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; zur ordentlichen [X.]ündigung: 12. Januar 2006 - 2 [X.] - Rn. 45, [X.] 1969 § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 53 = EzA [X.]SchG § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 67).

5. Von diesen Grundsätzen geht auch das [X.] aus. Seine Auffassung, das Verhalten der [X.]lägerin stelle schon keinen die fristlose [X.]ündigung rechtfertigenden Grund „an sich“ dar, ist revisionsrechtlich zumindest insoweit nicht zu beanstanden, wie es davon ausgeht, die [X.]lägerin habe weder im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 22. März 2010 noch im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Personalgespräch vom 2. Juli 2010 bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

a) Das [X.] hat angenommen, dem Schreiben vom 22. März 2010 sei unschwer zu entnehmen, dass die Anschuldigungen nicht durchgängig auf eigener Wahrnehmung der [X.]lägerin beruhten. Das gelte insbesondere für die durch Fettdruck hervorgehobene Behauptung, hinsichtlich derer die [X.]lägerin auf das Zeugnis der „mit dem Fall befassten [X.]ollegin“ verwiesen habe. Spätestens aufgrund der anschließenden Befragungen habe der [X.] klar sein müssen, dass weder die [X.]lägerin noch die benannte [X.]ollegin aus eigener Wahrnehmung hätten angeben können, der Filialleiter habe die erforderliche [X.]ontrolle nicht vorgenommen. Verbleibende Zweifel habe die Beklagte durch eine persönliche Gegenüberstellung der [X.]lägerin und des [X.] ausräumen können, was unterblieben sei. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, dass die Anschuldigungen, was die behaupteten Versäumnisse des [X.] im Rahmen der Legitimationsprüfung anbelange, unrichtig seien. Eine mögliche und zumutbare Befragung der [X.]unden sei nicht erfolgt. Was die Äußerungen der [X.]lägerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 betreffe, sei nicht auszuschließen, dass sie die ihr gemachten Vorhaltungen als - konkludente - Drohung mit der Erstattung einer Strafanzeige missverstanden habe.

b) Die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind nach § 286 ZPO nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht von den zutreffenden Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. [X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 16 mwN, [X.] § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 16. Dezember 2010 - 2 [X.] - Rn. 21 mwN, [X.] § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Gemessen daran zeigt die Beklagte keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler auf.

aa) Soweit die Wertung des [X.]s auf einer Auslegung der Erklärungen im Schreiben vom 22. März 2010 beruht, ist diese möglich. Die [X.]lägerin beschrieb in ihrer „Anzeige“ einen Sachverhalt, für den sie sich im maßgebenden Punkt - dem behaupteten Verstoß gegen Sicherheitsrichtlinien bei der Legitimationsprüfung von Ausweispapieren - auf die Aussage einer Arbeitskollegin berief. Außerdem überließ sie es ausdrücklich weiteren Ermittlungen der [X.], die „Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden [X.] zu werten“. Das lässt nicht - schon gar nicht zwingend - den Schluss zu, die [X.]lägerin habe behaupten wollen, ihre Angaben beruhten insgesamt auf eigener Wahrnehmung. Ebenso wenig ist dem Schreiben mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, die [X.]lägerin habe bewusst den - falschen - Eindruck erweckt oder erwecken wollen, unmittelbare Wahrnehmungen ihrer [X.]ollegin [X.] wiederzugeben. Gegen eine solche Interpretation als einzig mögliche Deutung spricht, dass die [X.]lägerin für eine „möglicherweise notwendige“ Befragung auf das Zeugnis der betreffenden Mitarbeiterin verwies. Ein verständiger Empfänger der „Anzeige“ musste angesichts dieser Angaben in Rechnung stellen, dass die [X.]lägerin lediglich Umstände beschrieb, die sie zwar nicht selbst kannte, von denen sie aber annahm, sie aufgrund greifbarer Anhaltspunkte vermuten zu dürfen.

bb) Die Würdigung des [X.]s einschließlich der ihr zugrunde liegenden Auslegung lässt, anders als die Revision meint, nicht den Inhalt der nachfolgend geführten [X.] außer [X.]. Dabei kann zugunsten der [X.] unterstellt werden, dass die [X.]lägerin bei den Unterredungen am 7. April 2010, am 24. Juni 2010 und am 2. Juli 2010 jeweils an ihrer Anschuldigung festgehalten hat, der Filialleiter habe die Ausweise nicht wie vorgeschrieben überprüft. Auch dies ist kein evidentes, vernünftige Zweifel ausschließendes Indiz dafür, dass die [X.]lägerin behaupten wollte, sie selbst habe dies beobachtet. Trotz der allgemein gehaltenen Formulierung kann den Umständen nach nicht ausgeschlossen werden, dass sie ihre Aussage in der Annahme, dies sei der [X.] klar, stillschweigend auf [X.]en ihrer Anwesenheit im Verkaufsraum der Filiale bezogen hat. Dafür sprechen jedenfalls ihre klarstellenden Ausführungen in der Stellungnahme vom 4. Juli 2010. Überdies konnte die [X.]lägerin davon ausgehen, dass der [X.] ihr zeitweiliger Aufenthalt im Sozialraum bzw. der [X.]üche bekannt war. Selbst wenn die Erklärung so zu verstehen sein sollte, die [X.]lägerin habe behaupten wollen, der Filialleiter habe die fragliche Prüfung zu keiner [X.], auch nicht während der [X.] ihrer Abwesenheit vom Arbeitsplatz vorgenommen, folgte daraus nicht - zumindest nicht zwingend -, dass sie bewusst über den Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung oder den der Beobachtungen ihrer [X.]ollegin zu täuschen versucht hätte. Ebenso gut kann es sein, dass sie - im Sinne einer wertenden Schlussfolgerung - auf der Grundlage der Angaben ihrer [X.]ollegin zum äußeren Erscheinungsbild der Ausweise und dem Verhalten der [X.]unden zu dem Ergebnis gelangt ist, die vorgeschriebene Überprüfung der Ausweise könne nicht wirklich stattgefunden haben.

cc) Die Beklagte zeigt keinen materiellen Rechtsfehler auf, soweit sie sich gegen die Annahme des [X.]s wendet, sie habe den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen nicht hinreichend aufgeklärt, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, die Behauptungen der [X.]lägerin seien unwahr. Damit hat das [X.] weder grundlegend die Darlegungs- und Beweislast verkannt, noch hat es überzogene Anforderungen an den Vortrag der [X.] gestellt. Diese ist für den [X.]ündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtig (vgl. [X.] 3. November 2011 - 2 [X.] - Rn. 23 mwN, [X.] 1969 § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 65 = EzA [X.]SchG § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 79). Das schließt die Darlegungslast für das Fehlen von Umständen ein, die den Arbeitnehmer entlasten (zur Darlegungslast bezüglich behaupteter Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe: [X.] 3. November 2011 - 2 [X.] - aaO; 18. September 2008 - 2 [X.] - [X.] 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 13). Es war somit grundsätzlich Sache der [X.], die Unwahrheit der Behauptungen der [X.]lägerin darzutun, dh. aufzuzeigen, dass eine hinreichende Legitimationsprüfung stattgefunden hat. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn es an Anhaltspunkten für ein - mögliches - pflichtwidriges Verhalten des [X.] gänzlich gefehlt hätte, kann dahinstehen. So liegt der vorliegende Fall nicht. Die [X.]lägerin hat ihre Vorwürfe nicht vollkommen „aus der Luft gegriffen“. Vielmehr stritten gewisse, wenngleich nicht zwingende Verdachtsmomente dafür, dass es sich bei einem der beiden Ausweispapiere nicht um ein echtes Dokument handelte. Wenn das [X.] unter diesen Umständen angenommen hat, die Erklärung des [X.], er habe die Ausweise unter der UV-Lampe im [X.]assenbereich geprüft, sei für sich genommen noch kein ausreichendes Indiz für die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien, ist dies jedenfalls vertretbar. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte es unterlassen hat, ihre [X.] auszuschöpfen. Eine solche Möglichkeit bestand objektiv in der Befragung der [X.]unden, von denen die Papiere stammten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auch bei vorsichtig formulierter Nachfrage mit einer konkreten Gefährdung der Geschäftsbeziehung hätte rechnen müssen und ihr deshalb eine weitere Aufklärung unzumutbar gewesen wäre, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Da sich schon aus dem Unterlassen einer Nachfrage bei den [X.]unden ergibt, dass die Beklagte ihre Informationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, kann dahinstehen, ob überdies eine persönliche „Gegenüberstellung“ der [X.]lägerin und des [X.] angezeigt war, wie das [X.] gemeint hat.

dd) Die Beklagte bringt vor, das [X.] habe auf der Grundlage seiner Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, die Behauptung der [X.]lägerin, ihr sei im Personalgespräch am 2. Juli 2010 mit einer Strafanzeige gedroht worden, beruhe auf einem Missverständnis. Insbesondere böten die Erklärungen der [X.]lägerin in der E-Mail vom 6. Juli 2010 dafür keinen genügenden Anhaltspunkt. Damit zeigt die Beklagte keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Sie will nur ihre eigene Bewertung der fraglichen individuellen Äußerungen an die Stelle einer zumindest vertretbaren Würdigung des [X.]s setzen.

ee) Mit ihren Verfahrensrügen dringt die Revision nicht durch.

(1) Soweit die Beklagte geltend macht, das [X.] habe sie ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass es von der Zumutbarkeit einer Befragung des [X.]undenehepaars ausgehe, ist ihr Angriff unzulässig. Wird gerügt, das Berufungsgericht sei seiner richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO) nicht nachgekommen, muss der Rechtsmittelführer ua. im Einzelnen angeben, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte. Der zunächst unterbliebene Vortrag muss nachgeholt werden. Mit der Verfahrensrüge muss er für die erforderliche Schlüssigkeit bzw. Substantiierung seines Vortrags sorgen ([X.] 25. April 2006 - 3 [X.] - Rn. 39, [X.] [X.] § 7 Nr. 111 = EzA [X.] § 2 Nr. 27). Darüber hinaus muss er die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung der Hinweispflicht dartun ([X.] 14. März 2005 - 1 [X.] 1002/04 - zu II 2 a der Gründe, [X.]E 114, 67). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Die Beklagte legt nicht dar, welchen - erheblichen - Vortrag sie im Hinblick auf den vermissten Hinweis hin geleistet und zu welchem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt sie die [X.]unden als Zeugen benannt hätte.

(2) Die Beklagte beanstandet weiter, das [X.] habe es ohne Begründung unterlassen, ihren unter I 2.1 bis 2.4 der Revisionsbegründung näher bezeichneten [X.] nachzugehen. Dadurch habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verstoßen. Das trifft nicht zu.

(a) Die Rüge ist unzulässig, soweit die Beklagte meint, die Vernehmung einer weiteren namentlich genannten Filialmitarbeiterin hätte „zur Widerlegung der falschen Behauptungen der [X.]lägerin beitragen können“. Es fehlt an der Darlegung, im Hinblick auf welche Tatsachen sie sich in welchem Schriftsatz auf das Zeugnis der betreffenden Arbeitnehmerin berufen hatte (zu den Anforderungen an die Rüge des Übergehens eines Beweisantritts: vgl. [X.] 24. April 2008 - 8 [X.] - Rn. 20, [X.] § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8). Entsprechendes gilt für die Rüge, das [X.] habe es versäumt, die Teilnehmer des Gesprächs vom 2. Juli 2010 (nicht: 2011) zum Inhalt der Äußerungen ihrer Vertreter zu hören. Die Beklagte zeigt nicht auf, wo genau ihr vermeintlich übergangener Beweisantritt in den vorinstanzlichen Schriftsätzen zu finden sein soll und auf welchen dort gehaltenen Vortrag er sich bezieht.

(b) Die weiteren Angriffe der Revision sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Das [X.] hat unterstellt, dass die [X.]lägerin noch im Gespräch vom 2. Juli 2010 an ihren Anschuldigungen gegenüber dem Filialleiter festgehalten hat. Den Inhalt der Stellungnahmen der Mitarbeiterin [X.] hat es für unstreitig erachtet. Es brauchte deshalb den vermeintlich übergangenen [X.] nicht nachzugehen.

(3) Dem Berufungsurteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass das [X.] davon ausgegangen wäre, die [X.]lägerin habe objektiv die Möglichkeit gehabt zu beobachten, ob der Filialleiter eine Überprüfung der Echtheit der Personalausweise mittels UV-Lampe vorgenommen habe. Ebenso wenig enthält es tatbestandliche Feststellungen, die den Ausführungen der [X.] zu einem Aufenthalt der [X.]lägerin und ihrer [X.]olleginnen im Sozialraum während der Mittagspause widersprechen. Soweit die Beklagte beanstandet, entgegen den Feststellungen im Berufungsurteil habe ihr Filialleiter seinen Urlaub nicht am 23. März 2010, sondern bereits am 22. März 2010 angetreten, fehlt es an der Darlegung, wo genau der betreffende Vortrag zu finden sein soll. Darüber hinaus fehlt es - auch unter Berücksichtigung der offenbar postalisch erfolgten Übermittlung der „Anzeige“ der [X.]lägerin vom 22. März 2010 - an der Darlegung, inwieweit der [X.]punkt des Urlaubsantritts entscheidungserheblich war. Aus diesen Gründen greift auch die Erwägung der [X.] nicht, bei Urteilszustellung binnen der Dreimonatsfrist des § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO wäre ein Antrag auf [X.] möglich gewesen.

6. Das [X.] hat nicht näher geprüft, ob die [X.]lägerin, auch wenn sie nicht bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben mag, ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dadurch verletzt hat, dass sie ihre Anschuldigungen nicht vorsichtiger vorgebracht, sondern ohne weitere Prüfung die rechtliche Schlussfolgerung eines „schweren und vorsätzlichen Verstoßes“ gegen Sicherheitsrichtlinien und ggf. „gesetzliche Richtlinien“ gezogen hat. Ebenso wenig hat es sich auf der ersten Prüfungsstufe des wichtigen Grundes mit der Frage befasst, ob die [X.]lägerin ihre „Anzeige“ in der vorrangigen Absicht erstattet hat, ihrem Vorgesetzten zu schaden oder sich an diesem für die aus ihrer Sicht unberechtigten Abmahnungen zu rächen. Für eine solche Motivation könnte der Umstand sprechen, dass sie nicht das Gespräch mit dem Filialleiter gesucht hat. Überdies lassen ihre Ausführungen in der E-Mail vom 28. Juni 2010 eine erhebliche Belastungstendenz erkennen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, in einem solchen Verhalten „an sich“ einen wichtigen Grund zur [X.]ündigung zu erkennen.

a) Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen ([X.] 7. Dezember 2006 - 2 [X.] - Rn. 18, [X.] 1969 § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 55 = EzA [X.]SchG § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 70; 3. Juli 2003 - 2 [X.] - zu II 3 b der Gründe, [X.]E 107, 36). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur [X.]ündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt. Die Rechtsprechung des [X.], nach der Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 10 der Europäischen [X.]onvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fallen (EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [[X.]] Rn. 63 ff., [X.] § 626 Nr. 235 = EzA BGB 2002 § 626 Anzeige gegen Arbeitgeber Nr. 1), schließt eine solche Bewertung nicht generell aus.

b) Es spricht einiges dafür, diese Grundsätze sinngemäß auf den Bereich innerbetrieblicher „Anzeigen“ zu übertragen. Auch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens muss ein Arbeitnehmer bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Das folgt schon aus dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des [X.].

c) Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bedürfen im Streitfall keiner vertieften Erörterung. Das [X.] hat angenommen, die fristlose [X.]ündigung erweise sich zumindest im Rahmen einer ggf. vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung als nicht gerechtfertigt. Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der [X.]ündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (st. Rspr., zuletzt bspw. [X.] 19. Juli 2012 - 2 [X.] - Rn. 43, [X.] 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 26, [X.] § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 27, [X.] § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 34, [X.]E 134, 349). Eine außerordentliche [X.]ündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 [X.] - Rn. 24, [X.] § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen [X.]ündigung sind - neben der hier ausgeschlossenen ordentlichen [X.]ündigung - auch Abmahnung und Versetzung anzusehen ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - aaO; 30. Mai 1978 - 2 [X.] - [X.]E 30, 309). Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen [X.]ündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung künftiger Störungen - zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist ([X.] 19. April 2012 - 2 [X.] - Rn. 22 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 40; 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 35 mwN, [X.] 1969 § 1 Verhaltensbedingte [X.]ündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37).

cc) Dem Berufungsgericht kommt bei der Einzelfallprüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat ([X.] 19. April 2012 - 2 [X.] - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 29, [X.] § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 17, [X.]E 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - aaO; 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 33, aaO). Daran gemessen liegt kein Abwägungsfehler des [X.]s vor. Es hat die [X.]ündigung - hinsichtlich beider [X.]ündigungssachverhalte - als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die [X.]lägerin vorrangig abzumahnen. Damit hat das [X.] seinen Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Die in Rede stehenden Pflichtverletzungen der [X.]lägerin wiegen nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Ebenso wenig liegen Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, auch ohne Abmahnung sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.

(1) Den Nachweis falscher Tatsachenbehauptungen hat die Beklagte nicht geführt. Die Anschuldigungen der [X.]lägerin betreffend ein pflichtwidriges Verhalten des [X.] mögen auf „dürftigen“ Verdachtsmomenten beruht haben. Gleichwohl hat die [X.]lägerin sie nicht „ins Blaue hinein“ erhoben. Ihre Pflicht zur Diskretion hat sie zumindest insofern gewahrt, als sie sich an die „Zentrale Revision“ der [X.] gewandt hat. Selbst wenn die [X.]lägerin - weil sie eine Pflichtverletzung allenfalls vermuten konnte - lediglich einen Verdacht hätte äußern dürfen, musste sie doch ihre Bedenken gegen ein ordnungsgemäßes Verhalten des [X.] nicht vollkommen zurückstellen. Einer damit möglicherweise verbundenen Pflichtverletzung der [X.]lägerin hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Das gilt auch dann, wenn der „Anzeige“ sachfremde Motive der [X.]lägerin zugrunde gelegen haben sollten. Daraus folgt für sich genommen nicht, dass sie sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen, um künftig zurückhaltender vorzugehen und ggf. genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Dies vermag der Senat, sollte das [X.] diesen Aspekt bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht genügend berücksichtigt haben, selbst zu entscheiden.

(2) Eine Abmahnung war auch nicht mit Blick auf die Behauptung der [X.]lägerin entbehrlich, ihr sei im Personalgespräch vom 2. Juli 2010 eine Strafanzeige wegen übler Nachrede angedroht worden. Dabei kann zugunsten der [X.] unterstellt werden, dass die [X.]lägerin das ihr von den Vorinstanzen zugutegehaltene Missverständnis bei genauerer Prüfung hätte vermeiden können. Ihr Irrtum wäre auch dann nicht bedeutungslos (vgl. dazu [X.] 14. Februar 1996 - 2 [X.] - zu II 4 der Gründe, [X.] § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Überdies hat die [X.]lägerin mit ihrer E-Mail vom 6. Juli 2010 eine gewisse Einsicht gezeigt. Dass das Arbeitsverhältnis vor diesem Hintergrund durch das in Rede stehende Fehlverhalten so stark belastet wäre, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens in ein künftig [X.] Vorgehen der [X.]lägerin selbst nach einer Abmahnung ausgeschlossen erschiene, ist nicht erkennbar.

(3) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die [X.]lägerin ihre Stellungnahme vom 4. Juli 2010 Personen zugänglich gemacht hat, die an dem vorhergehenden Personalgespräch nicht beteiligt waren. Unabhängig davon, ob darin eine Pflichtverletzung liegt, steht auch dies einem Abmahnungserfordernis nicht entgegen. Die Beklagte beruft sich auf eine tiefgreifende Störung des [X.]. Den Feststellungen des [X.]s zufolge hat sie es aber versäumt aufzuzeigen, dass eine entsprechende Störung tatsächlich eingetreten wäre. Dessen hätte es bedurft, da die Darlegung der bloßen Möglichkeit einer Störung eine verhaltensbedingte [X.]ündigung nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. [X.] 12. Mai 2011 - 2 [X.] - Rn. 71 mwN, [X.] § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Soweit die Beklagte demgegenüber geltend macht, das [X.] habe Vorbringen übergangen, zeigt sie nicht auf, wo genau sie welchen entscheidungserheblichen Vortrag zu einer konkreten Störung des [X.] geleistet haben will. Soweit sie einen richterlichen Hinweis vermisst, fehlt es an der Darlegung, was sie hierauf Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte. Schon aus diesen Gründen bleiben ihre Verfahrensrügen erfolglos.

(4) Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die in der Personalakte verbliebene Abmahnung aus dem [X.] hatte - soweit ersichtlich - ein verspätetes Erscheinen der [X.]lägerin zu einem Personalgespräch zum Gegenstand.

(5) Erweist sich die [X.]ündigung wegen Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig, kann offenbleiben, ob die Beklagte vorrangig auch eine Versetzung der [X.]lägerin hätte in Betracht ziehen müssen, wie das [X.] gemeint hat. Einer Auseinandersetzung mit den hiergegen gerichteten Revisionsrügen bedarf es nicht.

II. Die hilfsweise zum 31. März 2011 erklärte außerordentliche [X.]ündigung mit Auslauffrist ist gleichfalls unwirksam. Auch insoweit fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 [X.]. Das [X.] geht fehlerfrei davon aus, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen hätte, die [X.]lägerin vor Ausspruch einer [X.]ündigung abzumahnen. Ohne eine solche Warnung war es der [X.] nicht - weder bis zum Ablauf einer (fiktiven) ordentlichen [X.]ündigungsfrist noch auf Dauer - unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihr fortzusetzen. Schon aus diesem Grund kann auch eine außerordentliche [X.]ündigung mit Auslauffrist keinen Bestand haben (zur Problematik: vgl. [X.] 21. Juni 2012 - 2 [X.] - Rn. 18, 20, [X.] 2013, 224).

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die [X.]osten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

Meta

2 AZR 646/11

27.09.2012

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 10. November 2010, Az: 8 Ca 4900/10, Urteil

§ 626 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.09.2012, Az. 2 AZR 646/11 (REWIS RS 2012, 2772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2772


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 AZR 646/11

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 646/11, 27.09.2012.


Az. 8 Ca 4900/10

Arbeitsgericht Düsseldorf, 8 Ca 4900/10, 10.11.2010.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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