Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2004, Az. IXa ZB 228/03

IXa- Zivilsenat | REWIS RS 2004, 77

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[X.]BESCHLUSS IXa ZB 228/03
vom 21. Dezember 2004 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: ja

ZPO §§ 765a, 811, 850 ff, 851b

Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind außerhalb des von § 851b ZPO umfaßten Bereichs grundsätzlich uneingeschränkt pfändbar.

[X.], Beschluß vom 21. Dezember 2004 - [X.] AG Betzdorf
LG Koblenz - 2 - [X.] des [X.] hat durch [X.] Kreft, [X.], von [X.], die Richterinnen Dr. [X.] und Roggenbuck

am 21. Dezember 2004 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 2. Zivilkammer des [X.] vom 7. Juli 2003 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Gegenstandswert des [X.]: 6.120 •

Gründe:
[X.]

Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem Teilurteil wegen einer Hauptforderung von 40.168,17 • nebst Ko-sten und Zinsen. Der Schuldnerin steht das Nießbrauchsrecht an einem Haus zu, woraus sie monatliche Mieteinnahmen von 510 • erzielt. Sonstige Einnah-men hat sie nicht. Die Gläubigerin hat u.a. die angeblichen Forderungen der Schuldnerin gegen die [X.] auf Zahlung von rückständiger, fäl-liger und künftig fällig werdender Miete für Wohnungen in dem genannten Haus gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. Auf die Erinnerung der Schuldnerin hat das Amtsgericht die Pfändung bezüglich der - 3 - Schuldnerin hat das Amtsgericht die Pfändung bezüglich der Mietforderungen gemäß § 765a ZPO eingestellt und den Pfändungsbeschluß mit Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses aufgehoben. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das [X.] diesen Beschluß aufgehoben und die Erinne-rung der Schuldnerin zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

I[X.]

Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Nach Auffassung des [X.] ist die im Falle der [X.] allein kein besonderer Umstand, der eine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765a ZPO begründen könnte. Es sei nicht Sache des Gläubigers, die Aufgaben der [X.] zu über-nehmen. Daß der Gesetzgeber durch den in den §§ 850c ff ZPO geregelten Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen gerade verhindern wolle, daß [X.] in die Sozialhilfebedürftigkeit gedrängt würden, stehe dem nicht entgegen. Er habe bewußt nur dem Einsatz der Arbeitskraft Vorrang vor dem Anspruch auf [X.] Leistungen gegeben. Wer von anderem Einkommen lebe, müsse ertragen, daß seine Gläubiger solche Forderungen vollständig wegpfändeten und er dadurch sozialhilfebedürftig werde. Auf einen Pfändungsschutz nach § 851b ZPO habe sich die Schuldnerin nicht berufen.
- 4 - 2. Die Rechtsbeschwerde meint dagegen, daß das aus Art. 1 und 2 GG und dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete Verbot der [X.] einer Pfän-dung des Existenzminimums entgegenstünde, wie auch die Schutzvorschriften der §§ 811, 850 ff ZPO zeigten. Für die nicht spezialgesetzlich geregelte Pfän-dung fortlaufender Bezüge bestehe eine planwidrige Gesetzeslücke. Diese Regelungslücke sei entweder über den Begriff der unbilligen Härte in § 765a ZPO oder über eine analoge Anwendung von §§ 811, 850 ff ZPO zu schließen.

3. Die Entscheidung des [X.] ist richtig. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung des Pfändungs- und Überwei-sungsbeschlusses hinsichtlich der Mietforderungen ist weder aus einer analo-gen Anwendung der §§ 811, 850 ff ZPO noch gemäß § 765a ZPO gerechtfer-tigt.

a) Eine analoge Anwendung von §§ 811, 850 ff ZPO kommt nicht in [X.], weil keine gesetzliche Regelungslücke besteht. Nach der klaren und eindeutigen gesetzlichen Regelung hat sich der Gesetzgeber bewußt dafür entschieden, bei der Forderungspfändung lediglich das Arbeitseinkommen des Schuldners und bestimmte gleichgestellte fortlaufende Bezüge zu schützen, nicht aber Einkommen aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung oder Verkaufserlöse. Sonderregelungen für die Lohnpfändung liegen im öffent-lichen Interesse und haben eine lange gesetzgeberische Tradition: Bereits das Lohnbeschlagnahmegesetz von 1869 enthielt ein Verbot der Beschlagnahme von noch nicht fälligem Lohn (vgl. [X.], [X.], [X.] 2001, [X.] ff; [X.], BB 1978, 1314). Der Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen ist im Laufe der [X.] wiederholt reformiert und angepaßt worden, ohne daß Einkünfte, die nicht auf einer Ar-- 5 - beits- oder Dienstleistung des Schuldners beruhen, in den Pfändungsschutz einbezogen worden sind. Daß es andere Einkunftsarten gibt, war dem [X.] dabei bewußt; dies zeigt etwa § 851b ZPO, der einen speziellen Pfän-dungsschutz für Miet- und Pachtzinsen vorsieht, soweit diese Einkünfte für den Schuldner zur laufenden Unterhaltung des Grundstücks, zur Vornahme not-wendiger Instandsetzungsarbeiten und zur Befriedigung bestimmter bevorrech-tigter Ansprüche unentbehrlich sind. Entsprechende Voraussetzungen hat die Schuldnerin nicht vorgetragen.

b) § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnah-men, die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner be-deuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Diese Vorschrift ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. [X.] 44, 138, 143; [X.], ZPO 22. Aufl. § 765a Rn. 5 ff; Zöl-ler/[X.], ZPO 25. Aufl. § 765a Rn. 5 ff; Musielak/[X.], ZPO 4. Aufl. § 765a Rn. 5 ff). Der Gesetzgeber hat mit der restriktiven Fassung der [X.] klarstellen wollen, daß nicht jede Vollstreckungsmaßnahme, die für den Schuldner eine unbillige Härte bedeutet, die Anwendung der Härteklausel rechtfertigt. Die Vollstreckung soll erst an der Grenze der Sittenwidrigkeit halt-machen (vgl. Gaul, Treu und Glauben sowie gute Sitten in der [X.], Festschrift für [X.], [X.], 85).

Die Notwendigkeit, zur Sicherung des Lebensunterhalts Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, begründet als solche keine sittenwidrige Härte. Auf Sozialhilfe besteht ein gesetzlicher Anspruch nach dem [X.] 6 - gesetz, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] (ab 1. Januar 2005: § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Die Antragstellung ist daher für Schuldner keine besondere Zumu-tung; die Sozialhilfe ermöglicht dem Bezieher auch ein menschenwürdiges [X.] (vgl. § 1 Abs. 2 [X.] = § 1 Satz 2 SGB XII, § 12 Abs. 1 [X.] = § 27 Abs. 1 SGB XII). Der Umstand, daß ein Schuldner infolge der Zwangsvollstrek-kung Sozialhilfe beantragen müßte, reicht deshalb für die Anwendbarkeit des § 765a ZPO nicht aus (vgl. [X.], NJW-RR 2002, 1664; [X.] NJW-RR 1986, 1512; OLG [X.] Rpfleger 1981, 24; [X.] Rpfleger 1958, 319; BFH/NV 1999, 443; [X.]/[X.]/ [X.]/[X.], ZPO, 63. Aufl. § 765a Rn. 10; [X.] aaO Rn. 7, 39, [X.]/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht 7. Aufl. Rn. 1479 a.E.).

Dem wird entgegengehalten, daß private Schulden auch nicht mittelbar mit öffentlichen [X.] getilgt werden dürfen. Dies sei aber der Fall, wenn die Vollstreckungsmaßnahme nur deshalb zugelassen werde, weil der Schuldner die durch die Vollstreckung entzogenen Mittel für den dringendsten Lebens-bedarf durch die Sozialhilfe erhalte (vgl. [X.]/[X.], ZPO 2. Aufl. § 765a Rn. 36). Diese Sichtweise stellt aber zu sehr auf das Interesse der [X.] ab. Um die Ausgaben für die Sozialhilfe möglichst gering zu halten, wird dem Gläubiger, der einen vollstreckbaren Anspruch gegen den Schuldner hat, zugemutet, auf die Durchsetzung dieses Anspruchs zu verzichten und [X.] anstelle der Allgemeinheit den Lebensunterhalt des Schuldners zu finanzie-ren. Der Gläubiger hat jedoch seinerseits einen verfassungsrechtlich verbürg-ten Anspruch gegen den Staat, daß dieser eine effektive Zwangsvollstreckung ermöglicht. Auch das Eigentum des Gläubigers wird durch das Grundgesetz geschützt. In der gesetzlichen Regelung muß daher eine angemessene [X.] 7 - gung zwischen diesen widerstreitenden Interessen zum Ausdruck kommen. Dies ist in den §§ 811, 850 ff ZPO geschehen.

Zum einen hat der Gesetzgeber den Schuldner durch die Vorschrift des § 811 ZPO vor "[X.]" bei der [X.] geschützt. § 811 ZPO nimmt ausdrücklich bestimmte Vermögensgegenstände von der Pfändung aus, die dem Schuldner ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen sollen. Der Gesetzgeber hat des weiteren das Arbeitseinkommen und ver-gleichbare Bezüge des Schuldners in den §§ 850 ff ZPO nur eingeschränkt der Pfändung unterworfen. Für die große Masse der Bevölkerung ist das Ar-beitseinkommen die Existenzgrundlage. Der Arbeitswille und die Arbeitsfreude eines Schuldners sollen nicht dadurch zum Erliegen gebracht werden, daß ihm nicht einmal das Existenzminimum übrig bleibt (vgl. [X.]/[X.] aaO § 850 Rn. 1; Musielak/[X.] aaO § 850 Rn. 1; [X.], BB 1978, 1314, 1316; vgl. aber auch [X.] aaO § 850 Rn. 1), zumal der Einsatz der [X.] auch gegenüber der Sozialhilfe Vorrang genießt (§ 18 Abs. 1 [X.]). Ähnliche Erwägungen liegen der in § 54 SGB I enthaltenen Regelung [X.]. Diese Vorschrift schränkt die Pfändbarkeit von Leistungen ein, die der Schuldner im wesentlichen als Ersatz für den Verlust seiner Arbeitskraft erhält oder die er sich durch seine Arbeitstätigkeit erworben hat. Diesen Vorschriften ist kein allgemeiner Rechtsgedanke zu entnehmen, dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung so viel zu belassen, daß er seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaften kann. Die nicht ausdrücklich in diesen Vorschriften aufgeführten Vermögenswerte sind nach der gesetzlichen Regelung ohne weiteres der Zwangsvollstreckung unterworfen. Damit hat der Gesetzgeber den [X.] zwischen Schuldner und Gläubiger im Bereich der Zwangsvollstrek-kung abschließend und in einer verfassungsrechtlich vertretbaren Weise gere-- 8 - gelt. Wer von den Erträgen seines Vermögens lebt, ist daher nicht dagegen geschützt, daß in das Vermögen und in dessen Erträge vollstreckt wird, auch wenn er dadurch womöglich sozialhilfebedürftig wird.
- 9 - Es mögen Fallgestaltungen denkbar sein, in denen die unbeschränkte Pfändung von [X.] zu einer sittenwidrigen Härte führen kann. Be-sondere Umstände, die hier ausnahmsweise die Anwendung von § 765a ZPO rechtfertigen können, hat die Schuldnerin nicht vorgetragen.
Fischer [X.] v. [X.]

[X.] Roggenbuck

Meta

IXa ZB 228/03

21.12.2004

Bundesgerichtshof IXa- Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2004, Az. IXa ZB 228/03 (REWIS RS 2004, 77)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 77

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