Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.05.2018, Az. B 6 KA 3/18 B

6. Senat | REWIS RS 2018, 9053

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Gegenstand

Vertragsärztliche Versorgung - Bewertungsausschuss - Rechtsprechung des BSG zur Vergütung von ambulanten Notfallbehandlungen im Krankenhaus - Reduzierung des Ermessensspielraums einer Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) - Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Bewertungsausschuss - keine Erfüllungsgehilfen einer beklagten KÄV


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 38 674,14 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die klagende Krankenhaus-GmbH begehrt gegenüber der beklagten [X.] eine nachträgliche Korrektur bestandskräftiger Honorarbescheide für die [X.]/2008 bis I/2013 zu ihren Gunsten. In den genannten Quartalen hatte die Klägerin nach ihren Angaben für die in ihrer Notfallambulanz erbrachten Leistungen ua die Gebührenordnungspositionen ([X.]) 01211, 01215, 01217 und 01219 des damals geltenden Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen ([X.]) abgerechnet. Die genannten [X.] bezogen sich auf die Besuchsbereitschaft im Notfall bzw im organisierten Notfalldienst. Die [X.] gewährte der Klägerin keine Vergütung nach den genannten [X.]. Die entsprechenden Honorarbescheide wurden bestandskräftig.

2

Nachdem das [X.] mit Urteilen vom 12.12.2012 ([X.] [X.] 3/12 R - [X.] 4-2500 § 75 [X.] und [X.] [X.] 4/12 R - Juris) entschieden hatte, dass der Ausschluss der Krankenhäuser von der Abrechnung der die Besuchsbereitschaft betreffenden [X.] rechtswidrig sei, beantragte die Klägerin am 29.11.2013 eine Änderung der Honorarbescheide für die streitbefangenen Quartale zu ihren Gunsten. Diesen Antrag lehnte die [X.] ab (Bescheid vom 25.6.2014 und Widerspruchsbescheid vom 15.10.2014). Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg ([X.] Urteil vom 8.12.2015 - [X.] [X.] 568/14; [X.] Urteil vom 12.12.2017 - L 4 [X.] 2/16). In seiner Begründung ist das [X.] davon ausgegangen, dass die [X.] das ihr nach § 44 Abs 2 [X.] SGB X eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt habe. Die Entscheidung, die bestandskräftigen Bescheide nicht zurückzunehmen, sei rechtmäßig.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, zu deren Begründung sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) geltend macht.

4

II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Dabei kann offenbleiben, ob die Beschwerdebegründung die Darlegungsanforderungen für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung in jeder Hinsicht erfüllt (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG). Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, weil die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht vorliegt.

5

Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl [X.] Beschluss vom 29.11.2006 - [X.] [X.] 23/06 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] mwN; [X.] Beschluss vom [X.]/9 VG 15/04 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.]). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s zB [X.] Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - [X.] 3-1500 § 146 [X.]; [X.] Beschluss vom 13.5.1997 - 13 BJ 271/96 - [X.] 3-1500 § 160a [X.]; vgl auch [X.] Beschluss vom 30.9.1992 - 11 [X.]/92 - [X.] 3-4100 § 111 [X.] 1 [X.] f; [X.] Beschluss vom [X.] - B 12 KR 2/00 B - [X.] 3-2500 § 240 [X.]3 [X.]51 f mwN). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die [X.] in [X.] Beschluss vom 29.11.2006 - [X.] [X.] 23/06 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] sowie [X.] Beschluss vom 15.2.2006 - 1 BvR 2597/05 - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 4 f; [X.] Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] ff).

6

Die Klägerin fragt:

        

"1. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null vor, wenn ein Krankenhaus einen Antrag gem. § 44 Abs. 2 SGB X mit dem Ziel stellt, eine Nachvergütung für [X.] wegen der Änderung des [X.] mit Beschluss des [X.] vom 17.12.2014 (341. Sitzung) zu erwirken, weil der Bewertungsausschuss trotz Kenntnis der Rechtsprechung des [X.] in der Neuregelung des [X.] die Vertragsärzte gegenüber Notfallambulanzen wiederholt bevorteilt hat.
2. Müssen sich die Kassenärztlichen Vereinigungen rechtswidriges Handeln des [X.] anrechnen lassen?"

7

Soweit diese Fragen entscheidungserheblich sind, bedarf es zu ihrer Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens.

8

1. Der in der ersten Rechtsfrage angesprochene Umstand, dass dem Bewertungsausschuss die Rechtsprechung des [X.] bekannt sei, ist für sich genommen zweifellos nicht geeignet, eine Reduzierung des Ermessensspielraums der [X.] zu bewirken. Das will die Klägerin auch erkennbar nicht geltend machen. Ihr geht es nach dem Inhalt der Begründung darum, dass dem Bewertungsausschuss aufgrund seiner Kenntnis der Rechtsprechung des [X.] bekannt gewesen sein müsse, dass die getroffenen Regelungen zur Besuchsbereitschaft nicht mit dieser Rechtsprechung vereinbar seien. Es sei "kaum von der Hand zu weisen, dass mit der Einführung der Besuchsbereitschaftspauschalen sogar bewusst die Vorgaben, die das [X.] in dem zitieren Urteil gemacht hat, umgangen werden sollten." Auf dieser Grundlage hält sie die unter 2. genannten Frage für klärungsbedürftig, ob sich die [X.] "rechtswidriges Handeln des [X.] anrechnen lassen" muss.

9

Auf die Beantwortung der zu 1. formulierten Frage käme es danach nur an, wenn dem Bewertungsausschuss die Rechtswidrigkeit der getroffenen Regelung bekannt gewesen wäre und er diese "dennoch missachtet" (so [X.] der Beschwerdebegründung) hätte. Mit der so verstandenen Formulierung im letzten Halbsatz der 1. Rechtsfrage ("weil der Bewertungsausschuss trotz Kenntnis der Rechtsprechung des [X.] in der Neuregelung des [X.] die Vertragsärzte gegenüber Notfallambulanzen wiederholt bevorteilt hat") unterstellt die Klägerin jedoch eine Bewertung, die das [X.] seiner Entscheidung gerade nicht zugrunde gelegt hat. Vielmehr ist das [X.] davon ausgegangen, dass der Bewertungsausschuss zum 1.1.2008 ein ganz neues System der Vergütung von Notfallbehandlungen eingeführt habe, das mit dem System, das Gegenstand der damals bereits vorliegenden Rechtsprechung des [X.] war, nicht vergleichbar sei. Vor diesem Hintergrund sei nicht von vornherein absehbar gewesen, dass das [X.] die getroffenen Regelungen zur Besuchsbereitschaft als rechtswidrig bewerten würde. Aufgrund der in der ersten der beiden formulierten Rechtsfragen enthaltenen Unterstellung eines der Entscheidung des [X.] so nicht zugrundeliegenden Sachverhalts wird die Entscheidungserheblichkeit nicht in der erforderlichen Weise begründet.

Im Übrigen spricht vieles für die Richtigkeit der Sichtweise des [X.]. Zur Begründung ihrer Auffassung, dass der Bewertungsausschuss mit der Einführung der Vergütungstatbestände zur Besuchsbereitschaft bewusst Vorgaben aus der Rechtsprechung des [X.] umgangen habe, hat die Klägerin auf die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des [X.] bereits vorliegende Rechtsprechung des Senats und insbesondere auf das Urteil vom [X.] ([X.] [X.] 46/07 R - [X.] 4-2500 § 75 [X.] verwiesen, nach der ambulante Notfallbehandlungen im Krankenhaus grundsätzlich nicht geringer vergütet werden dürfen als vergleichbare Behandlungen im organisierten vertragsärztlichen Notfalldienst. Dass der Bewertungsausschuss aus der zum damaligen Zeitpunkt bereits vorliegenden Rechtsprechung auf die Rechtswidrigkeit der getroffenen Regelungen zur [X.] hätte schließen müssen, hat die Klägerin in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht näher dargelegt, sondern nur allgemein geltend gemacht, dass dies "kaum von der Hand zu weisen" sei und es sich bei den [X.] um eine Bevorzugung "durch die Hintertür" gehandelt habe. Gegen die Richtigkeit dieser Bewertung, spricht neben den im Urteil des [X.] angesprochenen Gesichtspunkten der Umstand, dass die Rechtslage vor der Entscheidung des Senats vom 12.12.2012 ([X.] [X.] 3/12 R - [X.] 4-2500 § 75 [X.]) von den Instanzgerichten nicht einheitlich bewertet wurde. Die Vorinstanz ([X.] Urteil vom 2.11.2011 - [X.] [X.] 59/09 und [X.] [X.] 33/09, das die Sprungrevision zugelassen hatte) hatte die getroffenen Regelungen zur [X.] ebenso als rechtmäßig angesehen wie eine Reihe anderer Sozialgerichte (vgl zB [X.] Urteil vom 2.5.2012 - [X.] [X.] 154/08 - KR[X.]2.034 - Juris; [X.] Urteile vom 15.2.2012 - [X.]1 [X.] 169/10 ua - Juris; [X.] Urteil vom 23.8.2011 - [X.]0 [X.] 418/10 - Juris; anders dagegen bereits [X.] Urteil vom 26.10.2011- [X.]7 [X.] 132/08 [X.] 2012, 612 - Juris).

2. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die zu 1. formulierte Rechtsfrage nur dann als entscheidungserheblich angesehen werden könnte, wenn die behauptete schuldhaft rechtswidrige Normsetzung des [X.] Einfluss auf die Ausübung des Ermessens durch die [X.] hätte haben müssen. Dazu verweist die Klägerin in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde inhaltlich auf die 2. Rechtsfrage und macht geltend, dass klärungsbedürftig sei, ob die regionale [X.] für eine rechtswidrige Normsetzung des [X.] "haftbar" gemacht werden könne. Dass es unabhängig von einer solchen "Haftung" der [X.] auf die zu 1. formulierte Frage ankommen könnte, wird in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls nicht dargelegt.

Dass die unter 2. formulierte Frage zu verneinen ist, ergibt sich aber ohne Weiteres aus den vorliegenden Rechtsvorschriften, sodass es an deren Klärungsbedürftigkeit fehlt: Als Rechtsgrundlage einer möglichen "Haftung" der [X.] für ein Verschulden des [X.] wird von der Klägerin eine analoge Anwendung des § 278 BGB ins Feld geführt. Soweit die Klägerin im Weiteren auf die Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 14.3.2002 - [X.]/00 - [X.]Z 150, 172 = NJW 2002, 1793) zur Haftung der [X.] für ihre an der Beschlussfassung beteiligten Vertreter im Bewertungsausschuss Bezug nimmt, kann damit jedoch nicht nachvollziehbar begründet werden, dass die regionale [X.] für Fehler der [X.] "haftbar" gemacht werden könne oder sich "das Handeln des [X.] gem. § 278 BGB analog zurechnen lassen" muss (vgl [X.] der Beschwerdebegründung). Die Vertreter der [X.] im Bewertungsausschuss sind zweifellos keine Erfüllungsgehilfen der beklagten [X.] und die [X.] hat im Übrigen - anders als die [X.] (vgl [X.] Urteil vom 27.6.2012 - [X.] [X.] 28/11 R - [X.]E 111, 114 = [X.] 4-2500 § 87 [X.] 26) - auch keine Möglichkeit, unmittelbar gegen einen von ihr als rechtswidrig bewerteten Beschluss des [X.] vorzugehen (vgl [X.] Urteil vom 13.8.2014 - [X.] [X.] 46/13 R - [X.] 4-5555 § 22 [X.] 1 Rd[X.]2 mwN).

Soweit die Klägerin in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im Zusammenhang mit der 2. formulierten Rechtsfrage ua die Frage aufwirft, ob "der Vertragsarzt unmittelbar gegen den Bewertungsausschuss Ansprüche etwa aus Amtshaftung" habe, kommt es darauf für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren, das allein die Rücknahme bestandskräftiger Honorarbescheide und die Gewährung höheren Honorars zum Gegenstand hat, ersichtlich nicht an.

3. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 [X.] SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels.

4. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 [X.] SGG iVm § 63 Abs 2 [X.], § 52 Abs 3 [X.], § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der [X.], die der Kläger hätte beanspruchen können, wenn er mit seinem Begehren Erfolg gehabt hätte.

Meta

B 6 KA 3/18 B

16.05.2018

Bundessozialgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KA

vorgehend SG Kiel, 8. Dezember 2015, Az: S 2 KA 568/14, Urteil

§ 87 Abs 1 SGB 5, § 87 Abs 2 SGB 5, § 87 Abs 3 SGB 5, § 44 Abs 2 S 2 SGB 10, § 278 BGB, Nr 01215 EBM-Ä 2008, Nr 01217 EBM-Ä 2008, Nr 01219 EBM-Ä 2008

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.05.2018, Az. B 6 KA 3/18 B (REWIS RS 2018, 9053)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9053

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1 BvR 2856/07

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