Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2014, Az. II ZR 192/13

II. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 8773

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
II ZR 192/13
Verkündet am:

14. Januar 2014

Stoll

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 293; BGB § 823 Abs. 2 Be; StGB § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1; EuInsVO Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. k, Art. 26
Der Tatrichter darf sich bei der Ermittlung ausländischen Rechts nicht auf die Heran-ziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausge-staltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländi-sche Rechtsprechung, berücksichtigen.
[X.], Urteil vom 14. Januar 2014 -
II ZR 192/13 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der [X.]
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 14.
Januar 2014
durch
den
Vorsitzenden
Richter Prof.
Dr.
Bergmann, [X.] Dr. Strohn, die Richterinnen [X.] und [X.] sowie den Richter Sunder

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 29. April 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte war von Juni bis August 2008 Geschäftsführer der
R.

GmbH. In diesem Zeitraum führte er Arbeitnehmeranteile zur So-zialversicherung in Klägerin ab. Mit ihrer am 2. September 2010 zugestellten Klage verlangt die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhe.
Über das Vermögen des Beklagten war in [X.] am 22. Februar 2010 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Klägerin meldete ihre Forderung 1
2
-
3
-

t-schuldbefreiung.
Die Klägerin ist der Auffassung, nach [X.]. 281 (3) des [X.] Insol-vency Act 1986 (im Folgenden: [X.] 1986) werde der von ihr geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB von der Restschuldbefreiung nicht erfasst.
[X.]. 281 (3) [X.] 1986 lautet

(zitiert nach www.legislation.gov.uk):

debt which he incurred in respect of, or forbearance in respect of which was [X.]ured by means of, any fraud or fraudulent breach

Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das [X.] hat beim [X.] die Kosten eines Gutachtens zum [X.] Recht erfragt (ca. 3.500 -

aber darauf beschränkt, nach dem [X.] vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht (BGBl 1974 II S. 937 ff., sog. [X.] Übereinkommen) eine [X.] des [X.], handelnd durch das [X.],
[X.], einzuholen. Sodann hat es die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zahlungsklage nicht als unzulässig, sondern als un-begründet abgewiesen werde. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

3
4
5
-
4
-
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das
Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Zahlungsklage sei zwar zulässig. Der geltend gemachte Ersatzan-spruch wegen Vorenthaltens von [X.] zur Sozialversicherung falle jedoch nicht unter [X.]. 281 (3) [X.] 1986, eine Vorschrift, die nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. k EuInsVO hier anzuwenden sei. Derartige Forderungen erfüllten nicht ausnahmslos die Voraussetzungen der [X.]. 281 (3) [X.] 1986. Es müsse vielmehr eine betrügerische Absicht oder eine untreueähnliche Hand-lung hinzukommen. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Der [X.] werde daher von der Restschuldbefreiung erfasst.
Die Feststellungsklage sei unzulässig. Für die begehrte Feststellung ste-he zwar das normale Klageverfahren zur Verfügung. Es fehle aber angesichts der Restschuldbefreiung am Rechtsschutzbedürfnis.
[X.] Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Klage zulässig ist. Das [X.] Insolvenzverfahren ist nach der Feststellung des Berufungsgerichts mittlerweile beendet. Damit war der Beklagte zum maß-geblichen Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. [X.], Urteil vom 11. August 2010 -
XII
ZR
181/08, [X.]Z 187, 10 Rn. 7) prozessführungsbefugt.

6
7
8
9
10
11
-
5
-
2. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegan-gen, dass sich aus dem Vortrag der Klägerin ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf Schadensersatz wegen Vorenthaltens von [X.] zur Sozi-alversicherung ergeben kann, dass dieser Anspruch aber nicht durchsetzbar ist, wenn die Klageforderung von der zugunsten des Beklagten in [X.] einge-tretenen Restschuldbefreiung erfasst wird. Diese Frage ist, wie das Berufungs-gericht ebenfalls zutreffend gesehen hat, von den [X.] Gerichten nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst.
k EuInsVO unter Anwendung des [X.] Rechts zu beantworten (vgl. [X.], [X.], 1247, 1252 f.; Priebe, [X.], 2074, 2081; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., Art. 4 EuInsVO Rn. 59).
3. Das Berufungsgericht hat aber bei der Feststellung des [X.] Rechts die dafür einschlägige Rechtsnorm des § 293 ZPO verletzt. Danach ist das Gericht bei der Ermittlung ausländischen Rechts befugt, aber auch ver-pflichtet, geeignete Erkenntnisquellen unabhängig von den [X.] der Parteien zu nutzen und zu diesem Zweck das Erforderliche anzuordnen. [X.] Gebot ist das Berufungsgericht nicht in ausreichendem Maß nachgekom-men, was die Revision zu Recht rügt.
a) Ausländisches Recht ist zwar auch nach der Neufassung des § 545 Abs. 1 ZPO durch das [X.] vom 17. Dezember 2008 (BGBl I S.
2585) nicht revisibel ([X.], Beschluss vom 4. Juli 2013 -
V
ZB
197/12, [X.], 2173 Rn. 15 ff.; offen gelassen noch von [X.], Beschluss vom 3. Februar 2011 -
V
ZB
54/10, [X.]Z 188, 177 Rn. 14; Urteil vom 12. November 2009 -
Xa
ZR 76/07, NJW 2010, 1070 Rn. 21; anders [X.], Urteil vom 10. April 1975, [X.], 194, juris Rn. 38 f. für § 73 Satz 1 ArbGG). Im vorliegenden Zusam-menhang geht es aber nicht in erster Linie darum, ob die Auslegung von [X.]. 281 (3) [X.] 1986 durch das Berufungsgericht zutreffend ist. Das Verfahren des 12
13
14
-
6
-
Berufungsgerichts leidet vielmehr an dem Mangel, dass sich das Berufungsge-richt keine ausreichenden Informationen über das [X.] Recht verschafft hat, um dieses Recht auslegen und anwenden zu können.
b) Nach
§ 293 ZPO
hat der Tatrichter ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Jedoch darf sich die Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspra-xis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Er muss dabei die ihm zugänglichen Er-kenntnisquellen ausschöpfen ([X.], Urteil vom 23. Juni 2003 -
II ZR 305/01, NJW 2003, 2685, 2686 mwN).
Vom Revisionsgericht wird insoweit lediglich überprüft, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbeson-dere sich anbietende Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat ([X.], Beschluss vom 30. April 2013
-
VII ZB 22/12, [X.], 1225 Rn. 39).
Danach durfte sich das Berufungsgericht nicht mit der [X.] des
[X.]
vom 9. August 2012 zufriedengeben. Denn diese [X.] beantwortet die gestellte Frage nicht erschöpfend, und es ist nicht auszuschließen, dass eine umfassendere [X.] aufgrund einer Nach-frage bei der [X.] Behörde oder auf anderem Wege hätte herbeigeführt werden können.
Auf die Frage, ob Forderungen wegen vorsätzlicher Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen der Vorschrift in [X.]. 281 (3) [X.] 1986 unterfallen, hat das [X.] folgende Antwort gegeben:
15
16
17
-
7
-

If the debtor has committed fraud in relation to social insurance contributions then this may fall under [X.]tion 281 (3) [X.] 1986. A fraudulently intention not to pay social insurance may fall within [X.]tion 281 (3) but this would depend on the circumstances. The

Die vom Berufungsgericht veranlasste Übersetzung lautet wie folgt:

[X.], so kann das unter [X.]. 281 (3) [X.] fallen. In betrügeri-scher Absicht nicht gezahlte Sozialversicherung kann unter [X.]. 281 (3) [X.] fallen, das hängt jedoch von den Umständen ab. Die

Damit soll sich der Anwendungsbereich von [X.]. 281 (3) [X.] 1986 danach richten, ob der Insolvenzschuldner mit der Nichtabführung von [X.] einen "fraud" begangen hat oder ob er dabei eine "fraudulently intention" hatte. Diese Begriffe sind aber ihrerseits auslegungsbedürftig. Weiter kann für die Anwendbarkeit der Norm auch der Begriff "fraudulent [X.]" in [X.]. 281 (3) [X.] 1986 von Bedeutung sein. Angesichts dessen wäre die erteilte [X.] nur dann ausreichend, wenn auch der Sinn dieser Begriffe nach dem [X.] Rechtsverständnis erklärt und insbesondere erläutert worden wäre, von welchen Umständen ("circumstances") die Anwendbarkeit von [X.]. 281 (3) [X.] 1986 darüber hinaus abhängt.
c) Das Berufungsgericht konnte von einer ausreichenden Ermittlung des ausländischen Rechts auch nicht deshalb ausgehen, weil
die Klägerin selbst angeregt hatte, ein Vorgehen nach dem [X.] Übereinkommen zu prüfen, und weil sie nach Vorlage der [X.] nicht eine Ergänzung oder ein Sachver-ständigengutachten beantragt hat, wie die Revisionserwiderung unter [X.] auf § 295 ZPO geltend macht. Nicht das Vorgehen nach dem [X.] 18
19
20
-
8
-
Übereinkommen war fehlerhaft, sondern allein der Umstand, dass sich das Be-rufungsgericht mit der erteilten [X.] zufriedengegeben hat. Dieser Verfah-rensfehler ergab sich aber erst aus dem Urteil.
I[X.] Damit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die noch erforderlichen Feststel-lungen getroffen werden können.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Das Berufungsgericht wird bei der Feststellung und Anwendung des [X.] Rechts zu berücksichtigen haben, dass nach § 266a Abs. 1 StGB das Vorenthalten von [X.] zur Sozialversicherung -
anders als die Einbehaltung sonstiger Teile des Arbeitsentgelts unter den Voraussetzun-gen des § 266a Abs. 2 StGB
-
kein untreueähnliches Verhalten des Arbeitge-bers voraussetzt, sondern die Strafbarkeit allein der finanziellen Sicherung der Sozialversicherung dient, und dass in diesem Zusammenhang die Vorenthal-tung von [X.] besonders verwerflich ist, weil der Arbeitgeber insoweit die Möglichkeit zum Lohnabzug gegenüber dem Arbeitnehmer hat, der Arbeitgeber also wirtschaftlich letztlich nicht belastet wird ([X.], Urteil vom 16.
Mai 2000 -
VI [X.], [X.]Z 144, 311, 317 ff.).
2. Das Berufungsgericht kann wegen der Unklarheit der [X.] beim [X.] nachfragen. Wenn die Nachfrage nicht er-schöpfend beantwortet werden sollte, kommt die Einholung eines Sachverstän-digengutachtens in Betracht. Dass ein Gutachten ein Vielfaches des Streitwerts kosten wird, ist allein noch kein Grund, davon Abstand zu nehmen.
3. Gegebenenfalls wird sich das Berufungsgericht erneut mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine Befreiung des Insolvenzschuldners von 21
22
23
24
25
-
9
-
etwaigen Ansprüchen wegen Vorenthaltens von [X.] zur Sozi-alversicherung nach [X.]. 281 (3) [X.] 1986 wegen Verstoßes gegen den [X.] nach Art. 26 EuInsVO unwirksam ist. Dabei wird es zu be-achten haben, dass
insoweit Zurückhaltung geboten ist. Die [X.] öffentli-che Ordnung ist nur verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der [X.] Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass dies nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint ([X.], Beschluss vom 18. September 2001 -
IX ZB 51/00, [X.], 365, 367; [X.], [X.], 907 Rn. 63 f. -
Eurofood). Dieser Grundsatz erstreckt sich auch auf die Fälle der erleichterten Restschuldbefreiung im Ausland (MünchKomm[X.]/Reinhart,
-
10
-
4.
Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn.
1, 16; [X.], Wege zur Restschuldbefreiung nach dem [X.] 1986, 2012, [X.] ff.; [X.], in: Festschrift [X.], 2004, [X.], 443; [X.], [X.], 1247, 1251).

Bergmann

Strohn

[X.]

Reichart

Sunder
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 24.02.2011 -
104 C 5623/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 29.04.2013 -
2 [X.]/11 -

Meta

II ZR 192/13

14.01.2014

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.01.2014, Az. II ZR 192/13 (REWIS RS 2014, 8773)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8773

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II ZR 192/13 (Bundesgerichtshof)

Schadensersatzklage wegen der Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch den Geschäftsführer einer insolventen GmbH: Grundsätze …


IX ZR 301/14 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 304/13 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 301/14 (Bundesgerichtshof)

Anfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens: Auswirkungen einer dem Schuldner erteilten Restschuldbefreiung auf die Einzelgläubigeranfechtung


IX ZR 304/13 (Bundesgerichtshof)

Anerkennung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht im Rahmen einer Klage des Darlehensgebers gegen …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

II ZR 192/13

VII ZB 22/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.