Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.09.2015, Az. IX ZR 304/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5623

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anerkennung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht im Rahmen einer Klage des Darlehensgebers gegen den insolventen Bürgen: Voraussetzungen einer Anwendung des Ordre-Public-Vorbehalts


Leitsatz

Zur Anerkennung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht im Inland.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird der die Berufung zurückweisende Beschluss des 13. Zivilsenats des [X.] vom 11. November 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirkungen eines [X.] Insolvenzverfahrens im Inland. Anlass ist die Inanspruchnahme des Beklagten durch die Klägerin aus einer Bürgschaft.

2

Der Beklagte war alleiniger Aktionär und Vorstand der [X.] (fortan: [X.]) und hatte sich für [X.] der Klägerin gegen die [X.] selbstschuldnerisch verbürgt. Nachdem die [X.] in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, kündigte die Klägerin ein Darlehen in Höhe von 1.410.000 € fristlos und nahm den Beklagten aus der Bürgschaft in Anspruch. Es kam zu vorgerichtlicher Korrespondenz, die der Beklagte zunächst aus dem [X.] und später aus dem [X.] führte. Auf Antrag des Beklagten wurde dort am 26. August 2011 ein Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet.

3

Nachdem die Darlehensschuld durch Verwertung anderer Sicherheiten teilweise zurückgeführt werden konnte, hat die Klägerin den Beklagten mit Klage vom 24. Januar 2012 vor dem [X.] aus der Bürgschaft auf Zahlung von 165.696,44 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Der Beklagte hat sich der Inanspruchnahme mit dem Hinweis auf das [X.] Insolvenzverfahren widersetzt. Das [X.] hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Beklagten hat das [X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision führt zur Aufhebung des die Berufung zurückweisenden Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

5

Das Berufungsgericht hat einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gemäß Art. 26 der Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (fortan: EuInsVO) angenommen, weshalb der Einwand des Beklagten, im [X.] sei ein Insolvenzverfahren nach [X.] Recht über sein Vermögen anhängig, nicht durchgreife. Der Beklagte habe den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen einzig in das [X.] verlegt, um sich rechtsmissbräuchlich den berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen. Zwar müsse im Grundsatz anerkannt werden, dass sich ein ausländisches Insolvenzgericht für örtlich zuständig erkläre. Dass insoweit eine ordnungsgemäße Prüfung stattgefunden habe, ergebe sich aus den vom Beklagten vorgelegten Dokumenten jedoch nicht, ergänzenden Vortrag habe er nicht gehalten.

II.

6

Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Aufgrund der bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 26 EuInsVO nicht angenommen werden.

7

1. Nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 der Verordnung zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Ohne weitere Förmlichkeiten werden die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen ebenfalls anerkannt, wenn diese von einem Gericht getroffen worden sind, dessen Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 EuInsVO anerkannt wird (Art. 25 Abs. 1 EuInsVO).

8

Die Formulierung des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO ("durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht") ist nicht dahingehend zu verstehen, dass im [X.] zu prüfen ist, ob das Gericht für die Verfahrenseröffnung zuständig war. Dies verbietet der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. die 22. Begründungserwägung zur EuInsVO). Dieser verlangt, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anerkennen, ohne die vom ersten Gericht hinsichtlich seiner Zuständigkeit angestellte Beurteilung überprüfen zu können ([X.], Urteil vom 2. Mai 2006, [X.]/04, [X.], [X.]. 2006, [X.] Rn. 38 ff; vom 21. Januar 2010, [X.]/07, [X.]. z o.o., [X.]. 2010, [X.] Rn. 29). Dies gilt auch für die Anerkennung der zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen im Sinne des Art. 25 Abs. 1 EuInsVO ([X.], Urteil vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 30 ff).

9

Nach Art. 26 EuInsVO kann sich jeder Mitgliedstaat allerdings weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist ([X.], Urteil vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 33).

2. Eine Anwendung des [X.] gemäß Art. 26 EuInsVO kommt in Betracht, wenn das Ergebnis der Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats stünde. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln ([X.], Urteil 28. März 2000, [X.]/98, [X.], [X.]. 2000, [X.] Rn. 37; vom 11. Mai 2000, [X.]/98, [X.], [X.]. 2000, [X.] Rn. 30; vom 2. April 2009, [X.]/07, [X.], [X.]. 2009, [X.] Rn. 27; vom 28. April 2009, [X.]/07, [X.], [X.]. 2009, [X.] Rn. 59; vom 6. September 2012, [X.]/10, [X.] 2012, 781 Rn. 51). Der [X.]. 26 EuInsVO kann demnach nur in Ausnahmefällen einschlägig sein ([X.], Urteil vom 2. Mai 2006, aaO Rn. 62; vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 34).

3. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

a) Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass der Beklagte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (vgl. [X.], [X.] 2011, 355, 358 ff) tatsächlich in das [X.] verlegt hatte. Es hat für ausschlaggebend gehalten, dass die Verlegung durch den Schuldner erfolgt sei, um sich den berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen, was als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei. Diese Erwägung trägt nicht. Ein Verstoß gegen die inländische öffentliche Ordnung liegt nicht schon dann vor, wenn das mitgliedstaatliche Gericht einen in seinem Zuständigkeitsbereich allein zur Erlangung der Restschuldbefreiung begründeten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners anerkennt.

b) Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gemäß Art. 26 EuInsVO folgt auch nicht daraus, dass sich das Berufungsgericht nicht hat davon überzeugen können, ob eine ordnungsgemäße Prüfung durch den [X.] [X.] habe stattgefunden. Jedenfalls bis zur Grenze der - im Streitfall nicht festgestellten - Willkür begründen den Fehler bei der Annahme der internationalen Zuständigkeit keinen Verstoß gegen die [X.] öffentliche Ordnung (vgl. [X.]/[X.], [X.], 18. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 8; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, [X.], 2. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 10a; [X.]/Ringstmeier/[X.], Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., [X.]. 20 Rn. 193).

III.

Der die Berufung zurückweisende Beschluss kann folglich keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil es an Feststellungen zum Inhalt des [X.] Rechts fehlt.

1. Nach § 293 ZPO hat der Tatrichter ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Jedoch darf sich die Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Er muss dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen ([X.], Urteil vom 23. Juni 2003 - [X.], NJW 2003, 2685, 2686; vom 14. Januar 2014 - [X.], [X.], 357 Rn. 15).

2. Vom Inhalt des [X.] Rechts hängt ab, ob der Beklagte passiv prozessführungsbefugt und die Klage deshalb zulässig ist. Die Prozessführungsbefugnis kann beeinflusst werden durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und durch dessen Einstellung oder Aufhebung ([X.], Beschluss vom 25. September 2008 - [X.], Z[X.] 2008, 1279 Rn. 7). Dies gilt auch für ein Insolvenzverfahren nach [X.] Recht. Auf die Frage, ob das Verfahren Wirkungen im Inland zeitigt, kommt es nicht an, wenn die Prozessführungsbefugnis auch unter Berücksichtigung des [X.] Rechts anzunehmen ist.

a) Das Berufungsgericht hat bislang keine Feststellungen über die Durchführung und eine etwaige Beendigung des am 26. August 2011 eröffneten Insolvenzverfahrens getroffen. Nach dem im Revisionsverfahren gehaltenen Parteivortrag hat der Beklagte am 26. August 2012 Restschuldbefreiung ("[X.] from bankruptcy") erlangt. Mit der Restschuldbefreiung dürfte das Insolvenzverfahren abgeschlossen worden sein (vgl. [X.] 1986, Section 278 (b); [X.], Die [X.] in der [X.] Privatinsolvenz, 2006, [X.]; [X.], Wege zur Restschuldbefreiung nach dem [X.] 1986, 2012, [X.]). Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt könnte die Klägerin wieder berechtigt gewesen sein, ihren [X.] außerhalb des [X.] Insolvenzverfahrens zu verfolgen, was auf die passive Prozessführungsbefugnis des Beklagten schließen ließe (vgl. [X.], Urteil vom 14. Januar 2014, aaO Rn. 11).

b) Sollte das [X.] Recht der Prozessführungsbefugnis des Beklagten weiterhin entgegenstehen, wäre die Klage zulässig, wenn das im [X.] eröffnete Insolvenzverfahren in [X.] nicht anzuerkennen sein sollte. Auch dies kann nicht ohne Feststellungen zum Inhalt des [X.] Rechts beurteilt werden.

aa) Die Klägerin hat sich darauf berufen, der Beklagte habe die Eröffnung des [X.] Insolvenzverfahrens durch Täuschung des [X.] über den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen erlangt. Tatsächlich habe der Beklagte weiterhin in [X.] gelebt, so dass der [X.] Insolvenzrichter international nicht zuständig gewesen sei.

(1) Im Schrifttum wird teilweise angenommen, dass der inländische Gläubiger von der Einlegung eines Rechtsbehelfs in dem Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung absehen und sich stattdessen im Inland auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen kann, wenn der Schuldner die Eröffnungsentscheidung durch Täuschung des Gerichts erlangt hat (so etwa Mankowski, [X.] 2011, 185, 205 f; [X.]/[X.], [X.], 18. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 8; [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 6). Danach wäre ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 26 EuInsVO im Streitfall schon dann anzunehmen, wenn es der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin (vgl. [X.], Urteil vom 14. November 1996 - [X.], [X.]Z 134, 79, 91 f; Beschluss vom 18. September 2001 - [X.], [X.], 143, 144; vom 6. Oktober 2005 - [X.], [X.], 597, 598) gelänge, die behauptete Täuschung nachzuweisen. Auf eine Rechtsschutzmöglichkeit im [X.] käme es nicht an. Andere Autoren gehen davon aus, dass auch die Erlangung einer Eröffnungsentscheidung infolge Täuschung des Gerichts - soweit möglich - durch Einlegung eines Rechtsbehelfs im Eröffnungsstaat geltend gemacht werden muss ([X.], [X.], 200, 204 f; [X.], Z[X.] 2012, 1247,1250; Priebe, Z[X.] 2012, 2074, 2083; [X.], Z[X.] 2009, 616, 620; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, [X.], 2. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 10a).

(2) Richtig ist die letztgenannte Ansicht. Nach der 22. Begründungserwägung zur EuInsVO sollen die zulässigen Gründe für eine Nichtanerkennung der in einem Mitgliedstaat getroffenen Entscheidungen über die Eröffnung, Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein. Dies verdeutlicht den Ausnahmecharakter des [X.] gemäß Art. 26 EuInsVO. Dessen Anwendung ist nicht unbedingt notwendig, wenn die von einem mitgliedstaatlichen Insolvenzverfahren betroffene Person im Staat der Verfahrenseröffnung zureichenden Rechtsschutz suchen kann. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gebietet es daher, dass die betroffene Person die Gerichte im Eröffnungsstaat anruft, wenn sie meint, der Schuldner habe die Eröffnungsentscheidung durch Täuschung über den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen erschlichen. Damit verbundene Erschwernisse für die Person sind zur Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung (vgl. die 2. Begründungserwägung zur EuInsVO) hinzunehmen.

Dies haben das [X.] und der Rat der [X.] durch die kürzlich erfolgte Neufassung der EuInsVO (Verordnung ([X.]) 2015/848 vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren; ABl. [X.]/19 vom 5. Juni 2015) bestätigt. Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung sieht das Recht (auch) jedes Gläubigers vor, die Eröffnungsentscheidung aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anzufechten. Dabei handelt es sich um eine von mehreren Schutzvorkehrungen, um betrügerisches oder missbräuchliches Forum Shopping zu verhindern (vgl. die 29. Begründungserwägung zur Verordnung iVm der 34. Erwägung "darüber hinaus"). Danach kann und muss der Gläubiger auch im Falle einer durch Täuschung erschlichenen Zuständigkeitsentscheidung Rechtsschutz im Staat der Verfahrenseröffnung suchen. Nichts anderes gilt nach derzeit noch geltender Rechtslage, wenn das Recht des [X.] eine entsprechende Rechtsschutzmöglichkeit vorsieht.

bb) Die Klägerin hat sich ferner darauf berufen, sie habe keinerlei Möglichkeit gehabt, zur internationalen Zuständigkeit des [X.] Court Stellung zu nehmen. Sie hat hierzu vorgetragen, das Schreiben des Official Receiver vom 6. Oktober 2011, mittels dessen sie über die Verfahrenseröffnung informiert werden sollte, sei nicht zugegangen. Bis zur Zustellung der [X.] am 26. April 2012 habe die Klägerin keinerlei Kenntnis von dem [X.] Insolvenzverfahren gehabt.

(1) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist Art. 26 EuInsVO anwendbar, wenn die Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist. Dabei geht es um den allgemeinen unionsrechtlichen Rechtsgrundsatz, dass jedermann Anspruch auf ein faires Verfahrens hat. Der [X.] im Inland kann sich nicht darauf beschränken, seine eigenen Vorstellungen von der Mündlichkeit des Verfahrens und von der fundamentalen Rolle, die diese in seiner Rechtsordnung spielt, zu übertragen. Vielmehr muss er anhand sämtlicher Umstände beurteilen, ob die betroffene Person in dem mitgliedstaatlichen Verfahren hinreichend die Möglichkeit hatte, gehört zu werden ([X.], Urteil vom 2. Mai 2006, [X.]/04, [X.], [X.]. 2006, [X.] Rn. 65 ff).

(2) Das Berufungsgericht wird deshalb unter Würdigung sämtlicher Umstände zu prüfen haben, ob sich die Klägerin nach [X.] Recht hinreichend Gehör verschaffen und zur internationalen Zuständigkeit des [X.] Court Stellung nehmen konnte. Eine Rechtsschutzmöglichkeit könnte auch in dem Verfahren zur Annullierung [X.]r Insolvenzeröffnungsentscheidungen zu erblicken sein.

Gemäß [X.] 1986, Section 282 (1) (a) kann der Eröffnungsbeschluss annulliert werden, wenn dieser aus Gründen, die bei dessen Erlass schon vorlagen, nicht hätte ergehen dürfen. Da der [X.] keine Regelung enthält, durch welche der berechtigte Personenkreis beschränkt wird, dürften alle Betroffenen berechtigt sein, die Annullierung zu beantragen. Der Antrag soll auch noch nach Eintritt der Restschuldbefreiung gestellt werden können und mit der dann erfolgenden Annullierung die bereits eingetretene [X.] entfallen ([X.], Z[X.] 2012, 1247, 1250 f; [X.], [X.], 912, 915 f; Priebe, Z[X.] 2012, 2074, 2081; [X.], Wege zur Restschuldbefreiung nach dem [X.] 1986, 2012, [X.] ff; vgl. auch High Court of Justice Birmingham, Entscheidung vom 29. August 2012, [X.]. 957 of 2010).

(3) Allein der Umstand, dass der Gläubiger keine verfahrensrechtliche Möglichkeit hatte, sich in dem ausländischen Verfahren Gehör zu verschaffen, reicht allerdings nicht aus, um der ausländischen Entscheidung die Anerkennung zu versagen. Vielmehr muss gemäß Art. 26 EuInsVO die Anerkennung oder die Vollstreckung der Entscheidung in dem Mitgliedstaat zu einem Ergebnis führen, das offensichtlich mit der inländischen öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 2. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 6; HK-[X.]/[X.], 7. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 2; [X.] in [X.], [X.], 2010, Art. 26 Rn. 4; [X.]/Ringstmeier/[X.], Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., [X.]. 20 Rn. 193). Ein solches Ergebnis könnte dann gegeben sein, wenn festgestellt wird, dass der Beklagte sich rechtsmissbräuchlich die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts im [X.] erschlichen hat, indem er die Verlegung des Mittelpunktes seiner hauptsächlichen Interessen vorgetäuscht hat.

Die Klägerin hat mit ihrer im Revisionsverfahren erhobenen [X.] geltend gemacht, für den Fall, dass es tatsächlich darauf ankomme, ob der Beklagte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nur zum Schein in das [X.] verlegt habe, hätte sie sich auf einen entsprechenden Hinweis zum Beweis für ihre Behauptung, dass der Beklagte weiter in [X.] gewohnt habe, auf das Zeugnis der Ehefrau des Beklagten berufen. Sollte es nach der Feststellung des [X.] Rechts durch das Berufungsgericht hierauf noch ankommen, weil für die Klägerin keine Möglichkeit gegeben war oder ist, ihre Rechte im [X.] Insolvenzverfahren wahrzunehmen, wird ihr Gelegenheit zu geben sein, ihren Vortrag insoweit noch zu ergänzen und Beweis für den ihr obliegenden Nachweis der Zuständigkeitserschleichung anzutreten.

3. Ist die Klage deshalb zulässig, weil der Beklagte zwischenzeitlich Restschuldbefreiung erlangt hat und aus diesem Grund (wieder) prozessführungsbefugt ist, kann der streitgegenständliche [X.] ohne weiteres durchsetzbar sein, wenn die Restschuldbefreiung den [X.] nicht umfasst (vgl. dazu [X.] 1986, Section 281; [X.], Die [X.] in der [X.] Privatinsolvenz, 2006, [X.]; [X.], Wege zur Restschuldbefreiung nach dem [X.] 1986, 2012, [X.] ff; jeweils zur Reichweite der Restschuldbefreiung). Für den Fall, dass der [X.] von der Restschuldbefreiung erfasst wird, kann die Klage nur dann begründet sein, wenn die Restschuldbefreiung in [X.] nicht anzuerkennen ist. Die vorstehenden Ausführungen unter 2. b) gelten sinngemäß. Da der [X.]. 26 EuInsVO sowohl für die Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO gilt als auch auf Entscheidungen im Sinne des Art. 25 Abs. 1 EuInsVO anzuwenden ist, kann offenbleiben, ob es sich bei der Restschuldbefreiung nach [X.] Recht um einen Fall des Art. 25 Abs. 1 EuInsVO handelt oder ob wegen der im Regelfall automatisch eintretenden Befreiung (vgl. [X.], aaO S. 104 f; Priebe, Z[X.] 2012, 2074, 2079) Art. 16 Abs. 1 EuInsVO einschlägig ist (vgl. [X.], Z[X.] 2009, 616, 618; Mansel in Festschrift von [X.], 2011, S. 683, 685; Mankowski, [X.] 2011, 185, 201).

Kayser                     Vill                          Lohmann

                Pape                     [X.]

Meta

IX ZR 304/13

10.09.2015

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 11. November 2013, Az: 13 U 261/12

Art 3 Abs 1 EGV 1346/2000, Art 16 Abs 1 EGV 1346/2000, Art 25 Abs 1 EGV 1346/2000, Art 26 EGV 1346/2000

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.09.2015, Az. IX ZR 304/13 (REWIS RS 2015, 5623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5623

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.