Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.09.2015, Az. IX ZR 304/13

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5636

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 304/13

Verkündet am:

10. September 2015

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
EuInsVO vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren Art. 3 Abs. 1, 16, Abs. 1, 25, Abs. 1, 26
Zur Anerkennung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach [X.] Recht im Inland.

[X.], Urteil vom 10. September 2015 -
IX ZR 304/13 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-

Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2015 durch [X.] [X.], den Richter
Vill, die Richterin [X.], [X.] Pape und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:
Auf die Revision
des Beklagten wird
der die Berufung zurückwei-sende Beschluss des 13. Zivilsenats des [X.] vom 11. November 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirkungen eines [X.] Insolvenzverfah-rens
im Inland. Anlass ist die Inanspruchnahme des Beklagten durch die Kläge-rin aus einer Bürgschaft.

Der Beklagte war alleiniger Aktionär und Vorstand der H.

AG (fortan: [X.]) und hatte sich für [X.] der Klägerin ge-gen die [X.]
selbstschuldnerisch verbürgt. Nachdem die [X.]
in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, kündigte die Klägerin ein Darlehen 1
2
-
3
-

Anspruch. Es kam zu vorgerichtlicher Korrespondenz, die der Beklagte [X.] aus dem [X.] und später aus dem [X.] führte. Auf Antrag des Beklagten wurde dort am 26. August 2011 ein Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet.

Nachdem die Darlehensschuld durch Verwertung anderer Sicherheiten teilweise zurückgeführt
werden konnte, hat die Klägerin den Beklagten mit [X.] vom 24. Januar 2012
vor dem [X.]
[X.] aus der Bürgschaft auf [X.] von 165.696,44

in Anspruch genommen. Der Beklagte hat sich der Inanspruchnahme mit dem Hinweis auf das [X.] Insolvenzverfah-ren widersetzt. Das [X.] hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Beklagten hat das [X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des die Berufung zurückweisenden Beschlusses
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gemäß Art. 26 der Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.
Mai 2000 über Insolvenzverfahren (fortan: EuInsVO) angenommen, weshalb der 3
4
5
-
4
-

Einwand des Beklagten, im [X.] sei ein Insolvenzverfahren nach [X.] Recht über sein Vermögen anhängig, nicht durchgreife. Der Beklagte habe den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen einzig in das [X.] verlegt, um sich rechtsmissbräuchlich den berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen.
Zwar müsse im Grundsatz aner-kannt werden, dass sich ein ausländisches Insolvenzgericht für örtlich zuständig erkläre. Dass insoweit eine ordnungsgemäße Prüfung stattgefunden habe, er-gebe sich aus den vom Beklagten vorgelegten Dokumenten jedoch nicht, er-gänzenden Vortrag habe er nicht gehalten.

II.

Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Aufgrund der bisher vom [X.] getroffenen Feststellungen kann ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 26 EuInsVO nicht angenommen werden.

1.
Nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO wird die Eröffnung eines Insolvenzver-fahrens durch ein nach Art. 3 der Verordnung zuständiges Gericht eines [X.] in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Ohne weitere Förmlichkeiten werden die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens er-gangenen Entscheidungen
ebenfalls anerkannt, wenn diese von einem Gericht getroffen worden sind, dessen Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 EuInsVO anerkannt wird (Art. 25 Abs. 1 EuInsVO).

Die Formulierung des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO ("durch ein nach Art. 3 zu-ständiges Gericht") ist nicht dahingehend zu verstehen, dass im Anerkennungs-6
7
8
-
5
-

staat zu prüfen ist, ob das Gericht für die
Verfahrenseröffnung zuständig war. Dies verbietet der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. die 22. Be-gründungserwägung zur
EuInsVO). Dieser verlangt, dass die Gerichte der übri-gen Mitgliedstaaten die Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anerkennen, ohne die vom ersten Gericht hinsichtlich seiner Zuständigkeit an-gestellte Beurteilung überprüfen zu können ([X.], Urteil vom 2. Mai 2006,
[X.]/04, [X.], [X.]. 2006, [X.] Rn. 38 ff; vom 21. Januar 2010, [X.]/07, [X.]. z
o.o., [X.]. 2010, [X.] Rn. 29). Dies gilt auch für die Anerkennung der zur Durchführung und Beendigung eines [X.] ergangenen Entscheidungen im Sinne des Art. 25 Abs.
1 EuInsVO ([X.], Urteil vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 30 ff).

Nach Art. 26 EuInsVO kann sich jeder Mitgliedstaat allerdings weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und
Freihei-ten des Einzelnen, unvereinbar ist ([X.], Urteil vom 21. Januar 2010, aaO Rn.
33).

2.
Eine Anwendung des [X.] gemäß Art. 26 EuInsVO kommt in Betracht, wenn das Ergebnis der Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentli-chen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Ge-gensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungs-
oder Vollstreckungsmitglied-staats stünde. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verlet-zung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungs-
oder Vollstreckungsmit-9
10
-
6
-

gliedstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundle-gend anerkannten Rechts handeln ([X.], Urteil 28. März 2000, [X.]/98, [X.], [X.]. 2000, I-01935
Rn. 37; vom 11. Mai 2000, [X.]/98, [X.], [X.]. 2000, I-02973
Rn. 30; vom 2. April 2009, [X.]/07, [X.], [X.]. 2009,
I-2563
Rn. 27; vom 28. April 2009, [X.]/07, [X.], [X.]. 2009, I-3571 Rn.
59; vom 6. September 2012, [X.]/10, RIW
2012, 781 Rn. 51). Der [X.]. 26 EuInsVO kann demnach nur in Ausnahmefällen einschlägig sein ([X.], Urteil vom 2. Mai 2006, aaO Rn. 62; vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 34).

3. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht ge-recht.

a) Das Berufungsgericht hat
unterstellt, dass der Beklagte
den Mittel-punkt seiner hauptsächlichen Interessen (vgl. [X.], [X.] 2011, 355, 358 ff)
tat-sächlich
in das [X.] verlegt hatte. Es hat
für ausschlaggebend gehalten, dass die
Verlegung
durch den Schuldner
erfolgt sei, um sich den [X.]en Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen, was als rechtsmiss-bräuchlich anzusehen sei. Diese Erwägung trägt nicht. Ein Verstoß gegen die inländische öffentliche Ordnung liegt nicht schon dann vor, wenn das mitglied-staatliche Gericht einen in seinem Zuständigkeitsbereich allein zur Erlangung der Restschuldbefreiung begründeten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interes-sen des Schuldners anerkennt.

b) Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gemäß Art. 26 EuInsVO folgt auch nicht daraus,
dass
sich das Berufungsgericht nicht hat davon über-zeugen können,
ob eine ordnungsgemäße Prüfung durch den [X.] Rich-ter
habe
stattgefunden. Jedenfalls bis
zur Grenze der -
im Streitfall nicht festge-11
12
13
-
7
-

stellten
-
Willkür begründen den Fehler bei der Annahme der internationalen Zuständigkeit keinen Verstoß gegen die [X.] öffentliche Ordnung (vgl. [X.]/[X.], [X.], 18. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 8; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 10a; [X.]/[X.]/[X.], Handbuch Insolvenzverwaltung, 9.
Aufl., [X.].
20 Rn.
193).

III.

Der die Berufung zurückweisende Beschluss kann folglich keinen [X.] haben.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil es an Feststel-lungen zum Inhalt
des
[X.] Rechts fehlt.

1. Nach § 293 ZPO hat der
Tatrichter
ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen
Ermessen. Jedoch darf sich die Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspra-xis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Er muss dabei die ihm zugänglichen Er-kenntnisquellen ausschöpfen ([X.], Urteil vom 23. Juni 2003 -
II ZR 305/01, NJW 2003, 2685, 2686; vom 14. Januar 2014 -
II ZR 192/13, [X.], 357
Rn. 15).

2. Vom Inhalt des [X.] Rechts hängt
ab, ob der Beklagte passiv prozessführungsbefugt und die Klage deshalb zulässig ist.
Die
Prozessfüh-14
15
16
-
8
-

rungsbefugnis kann beeinflusst werden durch die Eröffnung eines Insolvenzver-fahrens und durch dessen Einstellung oder Aufhebung ([X.], Beschluss vom 25.
September 2008 -
IX [X.], Z[X.] 2008, 1279 Rn. 7). Dies gilt auch für ein Insolvenzverfahren nach [X.] Recht. Auf die Frage, ob das Verfah-ren Wirkungen im Inland zeitigt, kommt es nicht
an, wenn die [X.] auch unter Berücksichtigung des [X.] Rechts anzunehmen
ist.

a) Das Berufungsgericht hat bislang keine Feststellungen über die Durchführung und eine etwaige Beendigung
des am 26. August 2011 eröffneten Insolvenzverfahrens getroffen. Nach dem im Revisionsverfahren gehaltenen Parteivortrag hat der Beklagte am 26. August 2012
Restschuldbefreiung ("[X.] from bankruptcy") erlangt. Mit
der Restschuldbefreiung
dürfte
das Insolvenzverfahren abgeschlossen worden
sein (vgl. [X.] 1986, [X.] (b); [X.], Die [X.] in der [X.] Privatinsolvenz, 2006, S.
91; [X.], Wege zur Restschuldbefreiung nach dem [X.] 1986, 2012, [X.]). Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt könnte die Klägerin wieder [X.] gewesen sein, ihren Bürgschaftsanspruch außerhalb des [X.] Insolvenzverfahrens zu verfolgen, was auf die passive Prozessführungsbefug-nis des
Beklagten schließen ließe
(vgl. [X.], Urteil vom 14. Januar 2014, aaO
Rn.
11).

b) Sollte das [X.] Recht der Prozessführungsbefugnis des [X.] weiterhin
entgegenstehen, wäre
die Klage
zulässig, wenn das im [X.] eröffnete Insolvenzverfahren in [X.] nicht anzuerkennen sein sollte.
Auch dies kann nicht ohne Feststellungen zum Inhalt des [X.] Rechts beurteilt werden.

17
18
-
9
-

aa) Die Klägerin hat sich darauf berufen, der Beklagte habe die Eröff-nung des [X.] Insolvenzverfahrens durch Täuschung des [X.] über den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen erlangt. Tatsächlich habe der Beklagte weiterhin in [X.] gelebt, so dass der [X.] [X.] nicht zuständig gewesen sei.

(1) Im Schrifttum wird teilweise angenommen, dass der inländische Gläubiger von der Einlegung eines Rechtsbehelfs in dem Mitgliedstaat der [X.] absehen und sich stattdessen im Inland auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen kann, wenn der Schuldner die Eröff-nungsentscheidung durch Täuschung des Gerichts erlangt hat (so etwa [X.], [X.] 2011, 185, 205 f; [X.]/[X.], [X.], 18. Aufl., Art.
26 EuInsVO Rn. 8; [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 6). [X.] wäre ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Art.
26 EuInsVO im Streitfall schon dann anzunehmen, wenn es der darlegungs-
und beweisbelasteten Klägerin (vgl. [X.], Urteil vom 14. November 1996 -
IX ZR 339/95, [X.]Z 134, 79, 91 f; Beschluss vom 18. September 2001 -
IX ZB 104/00, [X.], 143, 144; vom 6. Oktober 2005 -
IX [X.], [X.], 597, 598) gelänge, die behauptete Täuschung nachzuweisen. Auf eine Rechts-schutzmöglichkeit im [X.] käme es nicht an. Andere Autoren gehen davon aus, dass auch die Erlangung einer Eröffnungsentscheidung in-folge Täuschung des Gerichts -
soweit möglich
-
durch Einlegung eines Rechtsbehelfs im Eröffnungsstaat geltend gemacht werden muss ([X.], [X.], 200, 204 f; [X.], Z[X.] 2012, 1247,1250; Priebe, Z[X.] 2012, 2074, 2083; [X.], Z[X.] 2009, 616, 620; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/
[X.], [X.], 2. Aufl., Art.
26 EuInsVO Rn. 10a).

19
20
-
10
-

(2) Richtig ist die letztgenannte Ansicht. Nach der 22. Begründungser-wägung zur EuInsVO sollen die zulässigen Gründe für eine Nichtanerkennung der in einem Mitgliedstaat getroffenen Entscheidungen über die Eröffnung, Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein. Dies verdeutlicht den Ausnahmecharakter des [X.] gemäß Art. 26 EuInsVO. Dessen Anwendung ist nicht unbedingt notwendig, wenn die von einem mitgliedstaatlichen Insolvenz-verfahren betroffene Person im Staat der Verfahrenseröffnung zureichenden Rechtsschutz suchen kann. Der Grundsatz des gegenseitigen [X.] es daher, dass die betroffene Person die Gerichte im Eröffnungsstaat anruft, wenn sie meint, der Schuldner habe die Eröffnungsentscheidung durch Täuschung über den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen erschlichen. Damit verbundene Erschwernisse für die Person sind zur Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung (vgl. die 2. Begründungserwägung zur EuInsVO) hinzunehmen.

Dies haben das [X.] und der
Rat der [X.] durch die kürzlich erfolgte Neufassung der EuInsVO (Verordnung ([X.]) 2015/848 vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren; ABl. [X.]/19 vom 5. Juni 2015) bestätigt. Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung sieht das Recht (auch) jedes Gläubigers vor, die Eröffnungsentscheidung aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anzufechten. Dabei handelt es sich um eine von mehreren Schutzvorkehrungen, um betrügerisches oder missbräuchliches Forum Shop-ping zu verhindern (vgl. die 29. Begründungserwägung zur Verordnung iVm der 34.
Erwägung "darüber hinaus"). Danach kann und muss der Gläubiger auch im Falle einer durch Täuschung erschlichenen Zuständigkeitsentscheidung Rechtsschutz im Staat der Verfahrenseröffnung suchen. Nichts anderes gilt 21
22
-
11
-

nach derzeit noch geltender Rechtslage, wenn das Recht des Eröffnungsstaats eine entsprechende Rechtsschutzmöglichkeit vorsieht.

bb) Die Klägerin hat sich
ferner
darauf berufen, sie habe keinerlei Mög-lichkeit gehabt, zur internationalen Zuständigkeit des Colchester County Court
Stellung zu nehmen. Sie hat hierzu vorgetragen, das Schreiben des Official Re-ceiver vom 6. Oktober
2011, mittels dessen sie
über die Verfahrenseröffnung informiert werden sollte, sei nicht zugegangen. Bis zur Zustellung der Klagerwi-derung am 26. April 2012 habe die Klägerin
keinerlei Kenntnis von dem engli-schen Insolvenzverfahren gehabt.

(1) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist
Art. 26 EuInsVO
anwendbar, wenn die Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzver-fahrens unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist.
Dabei
geht es um den allgemeinen unionsrechtlichen Rechtsgrundsatz, dass jedermann Anspruch auf ein faires Verfahrens hat. [X.] im Inland
kann sich
nicht darauf beschränken, seine eigenen Vorstellungen von der [X.] und von der fundamentalen Rolle, die diese
in seiner Rechtsordnung spielt, zu übertragen. Vielmehr muss er anhand sämtlicher Um-stände beurteilen, ob die betroffene Person in dem mitgliedstaatlichen Verfah-ren hinreichend die Möglichkeit hatte, gehört zu werden ([X.], Urteil vom 2.
Mai 2006, [X.]/04, [X.], [X.]. 2006, [X.] Rn. 65
ff).

(2) Das Berufungsgericht wird deshalb unter Würdigung sämtlicher Um-stände zu prüfen haben, ob sich
die Klägerin nach [X.] Recht hinrei-chend Gehör verschaffen und zur internationalen Zuständigkeit des [X.] Court Stellung nehmen konnte. Eine Rechtsschutzmöglichkeit könnte auch 23
24
25
-
12
-

in dem Verfahren zur Annullierung
[X.]r
Insolvenzeröffnungsentscheidun-gen zu erblicken sein.

Gemäß [X.] 1986, Section 282 (1) (a) kann der Eröffnungsbe-schluss annulliert werden, wenn dieser aus Gründen, die bei dessen Erlass schon vorlagen, nicht hätte ergehen dürfen. Da der [X.] keine Rege-lung enthält, durch welche der berechtigte Personenkreis beschränkt wird, dürf-ten alle
Betroffenen
berechtigt sein,
die Annullierung zu beantragen. Der Antrag soll
auch noch nach Eintritt der Restschuldbefreiung gestellt werden
können und mit der dann erfolgenden Annullierung die bereits eingetretene Durchset-zungssperre entfallen ([X.], Z[X.] 2012, 1247, 1250 f; [X.], [X.], 912, 915 f; Priebe, Z[X.] 2012, 2074, 2081; [X.], Wege zur Restschuldbe-freiung nach dem [X.] 1986, 2012, [X.] ff; vgl. auch High Court of Justice Birmingham, Entscheidung vom 29. August 2012, [X.]. 957 of 2010).

(3) Allein der Umstand, dass der Gläubiger keine verfahrensrechtliche Möglichkeit hatte, sich in dem ausländischen Verfahren Gehör zu verschaffen, reicht allerdings
nicht aus, um der ausländischen Entscheidung die Anerken-nung zu versagen. Vielmehr muss gemäß Art. 26 EuInsVO die Anerkennung oder die Vollstreckung der Entscheidung in dem Mitgliedstaat zu einem Ergeb-nis führen, das offensichtlich mit der inländischen öffentlichen Ordnung, insbe-sondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.], Insolvenzrecht, 2. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 6; HK-[X.]/[X.], 7. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 2; [X.] in Kübler/Prütting/
Bork, [X.], 2010, Art. 26 Rn. 4; Mohrbutter/[X.]/[X.], Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., [X.]. 20 Rn. 193). Ein solches Ergebnis könnte 26
27
-
13
-

dann gegeben sein, wenn festgestellt wird, dass der Beklagte sich rechtsmiss-bräuchlich die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts im [X.] erschlichen hat, indem er die Verlegung des Mittelpunktes seiner hauptsächli-chen Interessen vorgetäuscht hat.

Die Klägerin
hat mit ihrer im Revisionsverfahren erhobenen [X.] geltend gemacht, für den Fall, dass es
tatsächlich darauf ankomme, ob der [X.] den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nur zum Schein in das [X.] verlegt habe, hätte sie sich auf einen entsprechenden Hinweis zum Beweis für ihre Behauptung, dass der Beklagte
weiter in Deutsch-land
gewohnt habe, auf das Zeugnis der Ehefrau des Beklagten
berufen. Sollte es nach der Feststellung des [X.] Rechts durch das Berufungsgericht hierauf noch ankommen, weil
für
die Klägerin keine Möglichkeit gegeben
war oder
ist,
ihre Rechte im [X.] Insolvenzverfahren wahrzunehmen, wird ihr Gelegenheit zu geben sein, ihren Vortrag insoweit noch zu ergänzen und [X.] für den ihr
obliegenden Nachweis
der Zuständigkeitserschleichung anzu-treten.

3. Ist die Klage deshalb zulässig, weil der Beklagte zwischenzeitlich Restschuldbefreiung erlangt hat und
aus diesem Grund (wieder)
[X.] ist, kann der streitgegenständliche Bürgschaftsanspruch ohne [X.] durchsetzbar sein, wenn die Restschuldbefreiung den
[X.] nicht umfasst (vgl. dazu [X.] 1986, Section 281; [X.], Die [X.] in der [X.] Privatinsolvenz, 2006,
S. 77 f; [X.], Wege zur Restschuldbefreiung nach dem [X.] 1986, 2012, [X.] ff; jeweils zur Reichweite der Restschuldbefreiung). Für den Fall, dass der [X.] von der Restschuldbefreiung erfasst wird, kann die Klage nur dann [X.] sein, wenn die Restschuldbefreiung in [X.] nicht anzuerkennen 28
29
-
14
-

ist. Die vorstehenden Ausführungen unter 2. b) gelten sinngemäß. Da der
[X.]. 26 EuInsVO sowohl für die [X.] nach Art.
16 Abs. 1 EuInsVO gilt als auch auf Entscheidungen im Sinne des Art.
25 Abs.
1 EuInsVO anzuwenden ist, kann offenbleiben, ob es sich bei der Restschuldbefreiung nach [X.] Recht
um einen Fall des Art.
25 Abs.
1 EuInsVO handelt oder ob wegen der im Regelfall automatisch eintretenden Befreiung (vgl. [X.], aaO
S. 104 f; Priebe, Z[X.] 2012, 2074, 2079) Art.
16 Abs.
1 EuInsVO
einschlägig ist (vgl. [X.], Z[X.] 2009, 616, 618; Mansel in Festschrift von [X.], 2011, S. 683, 685; Mankowski, [X.] 2011, 185, 201).

Kayser
Vill
[X.]

Pape
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 06.12.2012 -
15 O 35/12 -

OLG [X.], Entscheidung vom 11.11.2013 -
13 [X.] -

Meta

IX ZR 304/13

10.09.2015

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.09.2015, Az. IX ZR 304/13 (REWIS RS 2015, 5636)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5636

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 304/13 (Bundesgerichtshof)

Anerkennung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht im Rahmen einer Klage des Darlehensgebers gegen …


3 O 378/16 (Landgericht Düsseldorf)


3 O 378/16 (Landgericht Düsseldorf)


IX ZB 72/19 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Europäischen Insolvenzverfahrensverordnung: Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft mit …


3 A 1365/16 HGW (Verwaltungsgericht Greifswald)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZR 304/13

II ZR 192/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.