Bundessozialgericht, Urteil vom 12.09.2018, Az. B 14 AS 18/17 R

14. Senat | REWIS RS 2018, 3889

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuchende - Fehlen eines materiellen Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrechts - Arbeitnehmerstatus - Verfassungsmäßigkeit - Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2 - Leistungsausschluss bei Fehlen eines materiellen Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrechts - Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12)


Tenor

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des [X.] vom 11. April 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für Unionsbürger in 2011 und 2012.

2

Der 1977 geborene Kläger ist der Vater der 2004 und 2006 geborenen Klägerinnen zu 2 und 3. Er war der Lebensgefährte ihrer 1979 geborenen Mutter, der früheren Klägerin zu 1, die im Laufe des Verfahrens in 2016 verstorben ist. Alle Kläger sind [X.] Staatsangehörige. Die Familie ist in 2007/2008 nach [X.] gezogen und lebte zunächst bei der Mutter des [X.] und deren Ehemann, die die Familie auch finanziell unterstützen. Seit dem [X.] lebte die Familie in einer eigenen Wohnung und am 31.5.2011 beantragte die Verstorbene erstmals Leistungen beim beklagten Jobcenter. Ab Juli 2011 übte die Verstorbene eine Beschäftigung in einem Hotel aus. Der Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] (§ 7 Abs 1 [X.]B II in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung - aF) ab; insbesondere folge aus der Beschäftigung im Hotel kein Arbeitnehmerstatus (Bescheid vom 14.10.2011, Widerspruchsbescheid vom 30.1.2012).

3

Im Laufe des Klageverfahrens endete die Beschäftigung der Verstorbenen im Hotel und wurde am 22.8.2012 die jetzige Klägerin zu 4 geboren. Während des Klageverfahrens verpflichtete das [X.] in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren den Beklagten, den damaligen vier Klägern (Vater, Mutter, beide Töchter) von Juni bis November 2012 Leistungen nach dem [X.]B II zu gewähren (Beschluss vom [X.]); der Beklagte setzte diese Verpflichtung um.

4

Das [X.] hat unter Abweisung der Klagen im Übrigen den Beklagten verurteilt, den damaligen vier Klägern vom 1.5.2011 bis 31.1.2012 und vom 1.8. bis 30.11.2012 Leistungen nach dem [X.]B II unter Berücksichtigung des Einkommens der Verstorbenen und von Zahlungen des Stiefvaters des [X.] zu erbringen; auf die ausgesparte Zwischenzeit wurde nachgezahltes Kindergeld verteilt (Urteil vom [X.]). Auf die Berufung nur des Beklagten hat das L[X.] den örtlichen Sozialhilfeträger beigeladen, das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klagen der jetzigen vier Kläger (Vater, drei Töchter) insgesamt abgewiesen (Urteil vom 11.4.2017): Ein Anspruch gegen den Beklagten scheide aufgrund des [X.] in § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] aF aus, insbesondere sei die Verstorbene entgegen der Auffassung des [X.] nicht als Arbeitnehmerin anzusehen gewesen. Ein Anspruch gegen den Beigeladenen auf Leistungen nach dem [X.]B XII scheide aus, der zu § 23 [X.]B XII (§ 23 Abs 3 [X.]B XII in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung - aF) ergangenen Rechtsprechung des B[X.] werde nicht gefolgt.

5

Mit ihren vom L[X.] zugelassenen Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG. Sie seien vom [X.]B II nicht ausgeschlossen, denn die Verstorbene habe durch ihre Beschäftigung einen Arbeitnehmerstatus erlangt. Hilfsweise hätten sie nach der Rechtsprechung des B[X.] Ansprüche auf Leistungen nach dem [X.]B XII.

6

Die Kläger beantragen,
das Urteil des [X.] vom 11. April 2017 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 2. April 2014 zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Beigeladenen zu verurteilen, ihnen entsprechende Leistungen nach dem [X.]B XII zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

8

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässigen Revisionen sind im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G). Aufgrund des entgegen der Auffassung des [X.] zu bejahenden Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen waren die Kläger nicht durchgehend von Leistungen des Beklagten nach dem [X.] ausgeschlossen. Eine abschließende Entscheidung über diese Leistungen ist dem Senat wegen des Fehlens näherer Feststellungen verwehrt. Nur soweit trotz des Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen zeitweise ein Leistungsausschluss vom [X.] greift, kommen für die Kläger insoweit die hilfsweise beantragten Leistungen des Beigeladenen nach dem [X.] in Betracht (§ 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 [X.]G). Auch über diese ist dem Senat eine abschließende Entscheidung verwehrt.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile der Vorinstanzen und der Bescheid vom 14.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2012, durch den der Beklagte die von den Klägern begehrten Leistungen nach dem [X.] abgelehnt hat, sowie das gegen den Beigeladenen gerichtete hilfsweise Begehren der Kläger auf Leistungen nach dem [X.]. Streitig ist der [X.]raum vom 1.5.2011 bis 31.1.2012 und vom 1.8. bis 30.11.2012, für den das [X.] den Beklagten zur Leistungsgewährung an die damaligen vier Kläger verurteilt und wogegen nur der Beklagte Berufung eingelegt hat. Streitig sind aufgrund dieser Verurteilung eigene Ansprüche der Kläger zu 1 bis 3, Ansprüche der Klägerinnen zu 2 und 3 zugleich als Rechtsnachfolgerinnen ihrer verstorbenen Mutter und Ansprüche der Klägerin zu 4 nur als Rechtsnachfolgerin der Verstorbenen, weil von ihr im Verfahren vor dem [X.] eigene Ansprüche nicht geltend gemacht worden sind und sie persönlich von der stattgebenden Entscheidung des [X.] nicht erfasst ist.

2. Zutreffende Klageart für das gegen den Beklagten gerichtete Begehren ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 [X.]G). Zulässig ist auch der Hilfsantrag auf Verurteilung des notwendig beigeladenen Sozialhilfeträgers (vgl B[X.] vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - B[X.]E 120, 149 = [X.]-4200 § 7 [X.], Rd[X.]3). Weder diesem Antrag noch dem Hauptantrag, mit dem die Kläger die Wiederherstellung des Urteils des [X.] verfolgen, steht entgegen, dass vom Beklagten für einen Teilzeitraum des streitigen [X.]raums bereits aufgrund einer ausgeführten stattgebenden Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Leistungen erbracht worden sind (vgl B[X.], aaO, Rd[X.]2, 14, 38).

3. Die Kläger können im streitigen [X.]raum zumindest zeitweise Anspruch gegen den Beklagten auf [X.] bzw Sozialgeld haben. Nach dem damals geltenden und hier anwendbaren Recht (dazu unter 4.) unterlagen sie - ungeachtet der vom [X.] offengelassenen Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen (dazu 5.) - nicht durchgehend dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] aF, weil die Verstorbene Arbeitnehmerin war und hieraus Freizügigkeitsberechtigungen folgten, über deren zeitliche Reichweite der Senat ebenso wie über die Leistungsansprüche der Kläger nicht abschließend entscheiden kann (dazu 6.). Nur soweit trotz des Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen zeitweise ein Leistungsausschluss vom [X.] greift, stehen diesem weder [X.] noch das [X.] oder das [X.] entgegen (dazu 7.).

Es kommen für die Kläger insoweit Leistungen des Beigeladenen nach dem [X.] in Betracht. Der Anwendbarkeit des [X.] auf sie steht § 21 Satz 1 [X.] nicht entgegen (dazu 8.). Zwar unterlagen die Kläger zeitlich parallel mit einem Leistungsausschluss vom [X.] nach dem damals geltenden und hier anwendbaren Recht dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] aF (dazu 9.), der mit dem [X.] und dem [X.] vereinbar ist (dazu 10.), doch schließt dies nicht [X.] nach § 23 Abs 1 Satz 3 [X.] aus (dazu 11.). Über diese ist dem Senat indes eine abschließende Entscheidung verwehrt (dazu 12.). Das [X.] wird bei Bejahung von Leistungsansprüchen nach dem [X.] bzw [X.] für die Verstorbene schließlich auch eine Rechtsnachfolge zu prüfen haben (dazu 13.).

4. Für die von den Klägern primär verfolgten [X.]-Leistungsansprüche von Mai 2011 bis Januar 2012 sowie von August bis November 2012 ist das in diesem [X.]raum geltende Recht anzuwenden, weil es an einer hiervon abweichenden Regelung fehlt ([X.], vgl B[X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - [X.]-4200 § 11 [X.] Rd[X.]4 f). Insbesondere lässt sich dem Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.] und in der Sozialhilfe nach dem [X.] ([X.] 3155, nachfolgend: [X.]) nicht entnehmen, dass es sich Geltung für die [X.] vor seinem Inkrafttreten am 29.12.2016 beimisst (vgl B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], Rd[X.]8).

5. Ob und inwieweit die Kläger die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] aF und § 7 Abs 2 [X.] erfüllten, hat das [X.] offengelassen, weil ausgehend von seiner Rechtsauffassung die Kläger "unabhängig von ihrem Alter, der wahrscheinlich vorliegenden Hilfebedürftigkeit sowie des gewöhnlichen Aufenthalts in der [X.]" nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] aF von Leistungen ausgeschlossen waren.

6. Aufgrund des entgegen der Auffassung des [X.] zu bejahenden Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen waren die Kläger indes im streitigen [X.]raum nicht durchgehend von Leistungen des Beklagten nach dem [X.] ausgeschlossen.

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] aF sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] aF und § 7 Abs 2 [X.] und ohne Leistungsberechtigung nach dem [X.] - Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Von diesem Leistungsausschluss umfasst sind erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der [X.], die keine [X.] Staatsangehörigkeit besitzen ([X.]-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.] oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] verfügen (vgl letztens B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 22; B[X.] vom 9.8.2018 - [X.] AS 32/17 R - vorgesehen für [X.] Rd[X.]8; so seit dem 29.12.2016 auch § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] a [X.]).

Die Kläger konnten sich zeitweise auf materielle Freizügigkeitsberechtigungen nach dem [X.]/[X.] berufen, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst sind. Denn die Verstorbene war aufgrund ihrer Beschäftigung ab Juli 2011 als Arbeitnehmerin freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs 2 [X.] [X.]/[X.] und vermittelte diese Freizügigkeitsberechtigung ihren Familienangehörigen (§ 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] aF; § 2 Abs 1, § 3 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 [X.]/[X.]).

a) Der Begriff des Arbeitnehmers in § 2 Abs 2 [X.] [X.]/[X.] ist europarechtlich geprägt (zu den Regelungszusammenhängen vgl [X.] in [X.], Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl 2018, Teil 1, Art 45-48 A[X.]V Rd[X.]0; [X.], ebenda, Teil 2, vor Art 1 VO [X.]/2004 RdNr 5, Art 1 VO [X.]/2004 RdNr 3, 6 ff; [X.], ebenda, Teil 2, vor Art 11 VO [X.]/2004 Rd[X.]5 und Teil 3, Art 7 VO <[X.]> [X.]/2011 Rd[X.]4; [X.]/[X.], Europäisches Arbeitsrecht, 5. Aufl 2018, [X.]). Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Der Umstand, dass eine Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden leistet, kann ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind; unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit ist indes nicht auszuschließen, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses als tatsächlich und echt angesehen werden kann (so zuletzt B[X.] vom [X.] AS 17/16 R - [X.]-4200 § 7 [X.] Rd[X.]9 unter Hinweis auf Rspr des [X.] und B[X.]).

Für die Gesamtbewertung der Ausübung einer Tätigkeit als Beschäftigung und damit die Zuweisung des Arbeitnehmerstatus ist Bezug zu nehmen insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, eine Weisungsgebundenheit, den wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung, die Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den Arbeitsvertrag und dessen Regelungen sowie die Beschäftigungsdauer (vgl dazu mit zahlreichen Hinweisen auf Rspr des [X.] nur [X.] in [X.], [X.], 2. Aufl 2016, § 2 [X.]/[X.] RdNr 8 ff; Dienelt in [X.]/ Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl 2018, § 2 [X.]/[X.] RdNr 38 ff; [X.] in [X.], [X.]V/A[X.]V, 3. Aufl 2018, Art 45 A[X.]V Rd[X.]5 ff). Nicht alle einzelnen dieser Merkmale müssen schon je für sich die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen genügen; maßgeblich ist ihre Bewertung in einer Gesamtschau. Der Gesamtbewertung ist mit Rücksicht auf einschlägige Rechtsprechung des [X.] ein weites Verständnis zugrunde zu legen (vgl dazu mit Nachweisen [X.]/[X.], Europäisches Arbeitsrecht, 5. Aufl 2018, [X.] ff).

b) Hieran gemessen ist der Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen während ihrer Beschäftigung im Hotel zu bejahen. Dieser lag ein vom [X.] festgestellter schriftlicher Formulararbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung ab Juli 2011 zugrunde, der Regelungen ua zur Arbeitszeit (30 Stunden im Monat, grundsätzlich wochentags), zum Inhalt der Tätigkeit (Reinigungskraft in einem Hotel), zur Vergütung (100 Euro im Monat, ab Mai 2012 250 Euro im Monat) sowie zu Urlaub und Krankheit enthielt. Diese nach Arbeitszeit und Vergütung vereinbarte geringfügige Beschäftigung genügt den vom Senat bereits aufgestellten Kriterien für den Arbeitnehmerstatus (B[X.] vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - B[X.]E 107, 66 = [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 3, 18 zu einem Handwerkshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100 Euro im Jahr 2008). Von diesen für die damalige [X.] aufgestellten Kriterien besteht für die hier streitigen Jahre 2011 und 2012 keine Veranlassung zur Abweichung; es kann offenbleiben, ob insoweit seither Änderungen eingetreten sein können, etwa im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 16.8.2014.

Nach den Feststellungen des [X.] erhielt die Verstorbene für ihre vereinbarte monatliche Arbeitszeit von 30 Stunden die vereinbarte Vergütung von zunächst 100 Euro und später 250 Euro tatsächlich gezahlt. Ob der Arbeitsvertrag auch im Übrigen so gelebt worden ist, wie dessen Regelungen es vorsahen, ist danach für die Arbeitnehmereigenschaft nicht entscheidend. Weder kommt es für diese darauf an, ob die Verstorbene statt an den Wochentagen an den Wochenenden beschäftigt war, noch darauf, ob die Regelungen zu Urlaub und Krankheit zur Anwendung gekommen sind. Für den Arbeitnehmerstatus im vorliegenden Einzelfall spricht hingegen zudem die Dauer der Beschäftigung von zumindest annähernd einem Jahr.

c) Bis wann genau die im Juli 2011 begonnene Beschäftigung der Verstorbenen gedauert hat und warum sie beendet worden ist, kann den Feststellungen des [X.] nicht entnommen werden. Dem Senat ist deshalb eine abschließende Entscheidung darüber verwehrt, wie lange die Verstorbene während ihrer Beschäftigung im Hotel Arbeitnehmerin iS des § 2 Abs 2 [X.] [X.]/[X.] war, und darüber, ob und ggf wie lange ihre Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin iS des § 2 Abs 3 [X.]/[X.] nachwirkte. Diese Feststellungen wird das [X.] nachzuholen haben, um gestützt auf diese über den Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem [X.] im streitigen [X.]raum entscheiden zu können.

d) Neben den durch den Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen ihren Familienangehörigen vermittelten Freizügigkeitsberechtigungen kommt vorliegend als eine vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] aF nicht umfasste Freizügigkeitsberechtigung auch die nach Art 10 VO ([X.]) [X.]/2011 in Betracht (vgl insoweit die seit dem 29.12.2016 geltende Fassung des § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] c [X.]). Danach können Kinder eines [X.]-Ausländers, der in [X.] beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie in [X.] wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie [X.] am allgemeinen Unterricht teilnehmen. Dieses Recht vermittelt sowohl den Kindern als auch den sie betreuenden Elternteilen eine materielle Freizügigkeitsberechtigung (vgl im Einzelnen B[X.] vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/15 R - B[X.]E 120, 139 = [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 27, 29 ff). Diese knüpft an den Arbeitnehmerstatus eines Elternteils an, reicht aber zeitlich über die Beschäftigung hinaus.

Ob hiernach über die Beschäftigungsdauer der Verstorbenen zeitlich hinausreichende Freizügigkeitsberechtigungen der Kläger bestehen, kann der Senat mangels näherer Feststellungen des [X.] zum Schulbesuch der Klägerinnen zu 2 und 3 nicht abschließend entscheiden. Auch diese wird das [X.] nachzuholen haben, um entscheiden zu können, ob die Kläger aufgrund von Art 10 VO ([X.]) [X.]/2011 über Freizügigkeitsberechtigungen verfügten, die zeitlich über das Ende der Beschäftigung der Verstorbenen hinausreichten sowie ggf über den Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem [X.] in diesem [X.]raum.

e) Keine Anhaltspunkte gibt es dagegen nach den Feststellungen des [X.] dafür, dass die Kläger im streitigen [X.]raum über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 [X.], § 4a [X.]/[X.] verfügt haben könnten. Für dessen Begründung genügt nicht bereits ein aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung als rechtmäßig anzusehender Aufenthalt (vgl B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 23; B[X.] vom 9.8.2018 - [X.] AS 32/17 R - vorgesehen für [X.] RdNr 20).

7. Soweit trotz des Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen und der hierdurch begründeten Freizügigkeitsberechtigungen vorliegend ein [X.]-Leistungsausschluss greift, ist dieser mit [X.] vereinbar, wie sich aus der Rechtsprechung des [X.] ergibt ([X.] vom 11.11.2014 - [X.]/13 - [X.], NJW 2015, 145; [X.] vom 15.9.2015 - [X.]/14 - [X.], [X.], 555; [X.] vom 25.2.2016 - [X.]/14 - [X.], [X.], 1145). Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 [X.] steht dem Leistungsausschluss der Kläger als [X.] Staatsangehörige nicht entgegen, denn das [X.] ist schon nach seinem persönlichen Anwendungsbereich nicht einschlägig, weil [X.] kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

Auch Verfassungsrecht steht dem [X.]-Leistungsausschluss nicht entgegen. Dieser ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 [X.] iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 [X.] vereinbar, weil die Kläger grundsätzlich Zugang zu existenzsichernden Leistungen nach dem [X.] haben (vgl B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 29 ff; Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde hiergegen durch [X.] vom [X.] - 1 BvR 2674/17).

8. Der Anwendbarkeit des [X.] auf die Kläger steht § 21 Satz 1 [X.] nicht entgegen (vgl dazu im Einzelnen B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 32 ff; B[X.] vom 9.8.2018 - [X.] AS 32/17 R - vorgesehen für [X.] RdNr 24 ff).

9. Soweit die Kläger einem Leistungsausschluss vom [X.] unterlagen (vor Beginn der Beschäftigung der Verstorbenen und nach deren Beendigung oder ggf nach Ende von [X.] der Beschäftigung), unterlagen sie im [X.] dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] aF, der in dieser, im streitigen [X.]raum geltenden Fassung anzuwenden ist, weil es an einer hiervon abweichenden Regelung fehlt ([X.], vgl B[X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - [X.]-4200 § 11 [X.] Rd[X.]4 f). Insbesondere lässt sich auch insoweit dem [X.] ([X.] 3155) nicht entnehmen, dass es sich Geltung für die [X.] vor seinem Inkrafttreten am 29.12.2016 beimisst. Nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] aF haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

Zwar sind die Verstorbene und die Kläger nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] nicht eingereist, um iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 [X.] aF Sozialhilfe zu erlangen. Hierzu wäre Voraussetzung, dass dieser Zweck den Einreiseentschluss geprägt hat (B[X.] vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - B[X.]E 120, 149 = [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 45). Ein solcher finaler Zusammenhang ist hier nicht ersichtlich, zumal nicht sogleich nach der Einreise 2007/2008, sondern erstmals am 31.5.2011 Leistungen beantragt worden sind. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] aF auch nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 [X.] aF erst recht [X.]-Ausländer, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen (vgl letztens B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 42; B[X.] vom 9.8.2018 - [X.] AS 32/17 R - vorgesehen für [X.] RdNr 29; so seit dem 29.12.2016 auch § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 2 [X.]).

10. Dieser Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe nach dem [X.] ist mit [X.] vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im [X.]. Das [X.] findet auf die Kläger keine Anwendung.

11. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] aF führt indes nicht zum Ausschluss auch von [X.] nach § 23 Abs 1 Satz 3 [X.] (vgl dazu im Einzelnen B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 44 ff; B[X.] vom 9.8.2018 - [X.] AS 32/17 R - vorgesehen für [X.] RdNr 36 ff). Dass § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] aF iVm § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 [X.] den Zugang nur zu [X.] ermöglicht, verpflichtet den Senat auch vorliegend nicht zu einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 [X.] an das [X.] (vgl bereits B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 50 f; Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde hiergegen durch [X.] vom [X.] - 1 BvR 2674/17).

12. Auf der Grundlage des § 23 Abs 1 Satz 3 [X.] können die Kläger einen Zugang zu vom Beigeladenen zu gewährenden existenzsichernden Leistungen nach dem [X.] haben.

Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 [X.] (Kenntnisgrundsatz) erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die diesem zuzurechnende Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen (vgl zuletzt B[X.] vom 9.8.2018 - [X.] AS 32/17 R - vorgesehen für [X.] RdNr 40 mN). Diese dem Beigeladenen zuzurechnende Kenntnis ist dem Beklagten durch den Antrag der Verstorbenen auf Leistungen nach dem [X.] vom 31.5.2011 vermittelt worden. Da das [X.] im Anwendungsbereich des [X.] - anders als § 37 Abs 2 Satz 2 [X.] und anders auch als § 44 Abs 2 Satz 1 [X.] für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - eine Antragsrückwirkung auf den Monatsersten nicht kennt, können nach dem [X.] zu gewährende Leistungen erst am 31.5.2011 einsetzen.

Soweit die Kläger hiernach für die [X.]räume, in denen sie trotz des Arbeitnehmerstatus der Verstorbenen von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen waren, grundsätzlich Zugang zu existenzsichernden Leistungen nach dem [X.] haben, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung hierüber verwehrt, weil - wie in Bezug auf die Leistungen nach dem [X.] - den Feststellungen des [X.] nicht die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 [X.] entnommen werden kann. Insbesondere hat das [X.] die Hilfebedürftigkeit der Kläger iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 [X.] aF iVm § 9 Abs 1 [X.] nicht geprüft, weshalb auch Feststellungen zu ihrer Hilfebedürftigkeit nach den Maßstäben des [X.] fehlen. Würde es - auch wenn dies das [X.] selbst nicht als wahrscheinlich angesehen hat - an der Hilfebedürftigkeit fehlen, wäre eine Ermessensentscheidung über die Gewährung von Leistungen nicht zu treffen, sondern wären diese durch eine gebundene Entscheidung abzulehnen. Wäre eine Ermessensentscheidung zu treffen, so spricht viel dafür, dass das Ermessen des Beigeladenen dem Grunde und der Höhe nach auf Null reduziert wäre, weil sich der im streitigen [X.]raum bereits mehrjährige tatsächliche Aufenthalt der Kläger in [X.], der von der Ausländerbehörde faktisch geduldet wurde, so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (vgl letztens B[X.] vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 52 ff; B[X.] vom 9.8.2018 - [X.] AS 32/17 R - vorgesehen für [X.] RdNr 42).

Über das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 [X.], [X.] nach § 23 Abs 1 Satz 3 [X.] bei deren Vorliegen und das Eingreifen einer Ermessensreduktion auf Null bei [X.] wird das [X.] nach Zurückverweisung im insoweit wieder eröffneten Berufungsverfahren zu entscheiden haben.

13. Soweit nach dem Vorstehenden auf der Grundlage der nachzuholenden Feststellungen Ansprüche der Verstorbenen auf existenzsichernde Leistungen nach dem [X.] bzw [X.] im streitigen [X.]raum bestanden, wird das [X.] schließlich zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen einer Rechtsnachfolge in diese Leistungen vorliegen (vgl dabei zur Frage der Rechtsnachfolge in existenzsichernde Leistungen nur [X.] in jurisPK-[X.]B I, 3. Aufl 2018, § 56 Rd[X.]9, § 59 RdNr 30 ff; [X.] in [X.] Kommentar, § 56 [X.]B I Rd[X.]3 f, Stand März 2016).

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 18/17 R

12.09.2018

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Neubrandenburg, 2. April 2014, Az: S 3 AS 183/12, Urteil

§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 vom 13.05.2011, § 21 S 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 3 SGB 12, § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB 12 vom 02.12.2006, § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU 2004, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 12.09.2018, Az. B 14 AS 18/17 R (REWIS RS 2018, 3889)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3889

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1 BvR 2674/17

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