Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.08.2016, Az. 8 AZB 16/16

8. Senat | REWIS RS 2016, 6597

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Gegenstand

Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung


Leitsatz

§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung auch im Fall einer nicht unverzüglichen Mitteilung eines Anschriftswechsels oder einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Partei voraussetzt, dass die Partei eine unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 1. März 2016 - 2 Ta 79/16 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. [X.]er Kläger war seit dem 16. Januar 2014 bei der [X.] beschäftigt. [X.]iese kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16. Juni 2014, das dem Kläger am 24. Juni 2014 zugegangen ist, zum 30. Juni 2014. [X.]er Kläger hat sich mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. Juni 2014, der am 25. Juni 2014 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, gegen diese Kündigung gewandt und die Feststellung beantragt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der [X.] erst mit Ablauf des 8. Juli 2014 sein Ende gefunden hat. Zugleich hat er beantragt, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Im beigefügten und vom Kläger unterschriebenen Vordruck der „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe“ ist auf der letzten Seite ein vorgedruckter Text enthalten, der wie folgt lautet:

        

     

        

[X.] ist auch bekannt, dass ich während des Gerichtsverfahrens und innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren seit der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens verpflichtet bin, dem Gericht wesentliche Verbesserungen meiner wirtschaftlichen Lage oder eine Änderung meiner Anschrift unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. … Ich weiß, dass die Bewilligung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bei einem Verstoß gegen diese Pflicht aufgehoben werden kann, und ich dann die gesamten Kosten nachzahlen muss.

2

[X.]as Arbeitsgericht hat den [X.]en unter dem 16. Juli 2014 einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO unterbreitet und dem Kläger mit Beschluss vom 4. September 2014 mit Wirkung vom 25. Juni 2014 Prozesskostenhilfe in vollem Umfang unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt. [X.]ie Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgte mit der Maßgabe, dass der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten hat. Mit Beschluss vom 15. September 2014 hat es gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs festgestellt.

3

Nachdem dem Kläger ein Schreiben der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts vom 12. Januar 2015, das Angaben zur Höhe der Prozesskosten sowie die Information enthielt, dass seine Heranziehung zur Erstattung der Kosten in voraussichtlich acht Monaten geprüft werde, unter der bislang angegebenen Anschrift „A“ nicht zugestellt werden konnte, wandte sich das Arbeitsgericht an das Einwohnermeldeamt der Stadt [X.] und bat um Mitteilung der neuen Anschrift des [X.]. [X.]ieses teilte dem Arbeitsgericht am 8. Juli 2015 die aktuelle Anschrift des [X.] mit „E“ mit.

4

Mit Schreiben vom 17. September 2015 wandte sich die Rechtspflegerin an den Prozessbevollmächtigten des [X.] und wies darauf hin, dass beabsichtigt sei, den Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 4. September 2014 nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufzuheben, da der Kläger seiner Verpflichtung, dem Gericht die Änderung der Wohnanschrift unverzüglich mitzuteilen, nicht nachgekommen sei. [X.]er Prozessbevollmächtigte des [X.] teilte daraufhin unter dem 22. September 2015 die neue Anschrift des [X.] mit und bat um Erläuterung, inwieweit eine eventuelle Adressänderung für die maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Endergebnis relevant sein solle, da Zustellungen im Überprüfungsverfahren an ihn als beigeordneten Rechtsanwalt erfolgen müssten.

5

[X.]urch Beschluss vom 2. [X.]ezember 2015, der dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 7. [X.]ezember 2015 zugestellt wurde, hat das Arbeitsgericht seinen Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 4. September 2014 nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben. Gegen diesen Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte des [X.] am 9. [X.]ezember 2015 sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, der Kläger sei stets - jedenfalls über ihn - erreichbar gewesen, weshalb die Aufhebung der Prozesskostenhilfe völlig überzogen sei.

6

Nachdem das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2016 der sofortigen Beschwerde des [X.] nicht abgeholfen und die Sache dem [X.] zur Entscheidung vorgelegt hatte, hat das [X.] die sofortige Beschwerde des [X.] mit Beschluss vom 1. März 2016 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO lägen vor, da der Kläger dem Gericht die Änderung seiner Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt habe. Ein Zeitraum von mehr als einem Monat liege nicht mehr im Rahmen der zuzubilligenden Toleranzgrenzen. Eine grobe Nachlässigkeit oder Absicht sei nicht erforderlich. [X.]as Merkmal „unverzüglich“ enthalte bereits ein subjektives Element. Es liege auch kein atypischer Fall vor, der ein Abweichen von der in § 124 Abs. 1 ZPO getroffenen Regelanordnung, wonach die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgehoben werden „soll“, gebieten könnte. [X.]ass der Kläger ggf. über seinen Prozessbevollmächtigten erreichbar blieb, sei bei der Prozesskostenhilfebewilligung der Regelfall und dem Gesetzgeber bekannt gewesen. Zwar könne das Ausmaß eines eventuellen Verschuldens der [X.] im Einzelfall Auswirkungen darauf haben, ob ein Regelfall oder ein atypischer Fall anzunehmen sei. Eine [X.], die ihre Rechte aus der Prozesskostenhilfe in Anspruch nehme und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt habe und die darüber hinaus auf ihre Meldepflichten hingewiesen wurde, handele aber auch grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergesse oder ignoriere.

7

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er geltend macht, die subjektiven Merkmale der Absicht bzw. der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezögen sich sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die Nichtmitteilung des [X.]s. Im Übrigen sei er über seinen Prozessbevollmächtigten auch im Überprüfungsverfahren stets erreichbar gewesen. Solange der Prozessbevollmächtigte erreichbar sei, gebe es keinen Anlass für Sanktionen nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.

8

II. [X.]ie Rechtsbeschwerde des [X.] ist zulässig und begründet. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 2. [X.]ezember 2015 nicht zurückgewiesen werden. [X.]ie Entscheidung des [X.]s stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Auf der Grundlage der bislang vom [X.] getroffenen Feststellungen ist der Senat allerdings an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO). [X.]ies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

9

1. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 2. [X.]ezember 2015 nicht zurückgewiesen werden. [X.]as [X.] hat zu Unrecht angenommen, dass eine Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bereits dann in Betracht kommt, wenn die [X.] die Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, ohne dass der [X.] der Vorwurf der groben Nachlässigkeit oder der Absicht zu machen wäre.

a) Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der seit dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung (im Folgenden nF), der gemäß § 40 Satz 1 EGZPO vorliegend zur Anwendung kommt, da der Kläger den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach dem 1. Januar 2014 gestellt hatte, soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die [X.] entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

b) § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass es für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht ausreicht, dass die [X.] dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Änderung der Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, sondern dass auch im Falle der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der [X.] in Form der Absicht oder der groben Nachlässigkeit erforderlich ist. [X.]ie [X.] muss demnach eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und auch den [X.] absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt haben (so auch [X.] 7. Aufl. § 11a ArbGG Rn. 16; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] ZPO 74. Aufl. § 124 Rn. 51; [X.] ZPO/[X.] Stand 1. Juli 2016 ZPO § 124 Rn. 23a; [X.]/[X.]/[X.]/[X.]ürbeck Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe 7. Aufl. Rn. 847; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 11a ArbGG Rn. 10; Hk-ZPO/[X.] 6. Aufl. § 124 Rn. 8; [X.] ArbRB 2016, 60, 63; [X.] 38/2015 [X.]. 6; [X.] 2014, 290, 291; Nickel M[X.]R 2013, 890, 894; [X.]/[X.]/[X.] 37. Aufl. § 124 Rn. 4a; wohl auch [X.]/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe 13. Aufl. § 124 ZPO Rn. 20, 21; [X.]/Voit/[X.] ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 8a ohne Begründung).

aa) Zwar ist es aufgrund der Stellung der tatbestandlichen Voraussetzung „unverzüglich“ in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF und ihres möglichen Wortsinns nicht von vornherein ausgeschlossen, dass im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der [X.] nicht erforderlich ist, sondern dass bereits einfaches Verschulden der [X.] für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung regelmäßig ausreicht. Insoweit könnte der Begriff „unverzüglich“, der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF am Satzende im unmittelbaren Kontext mit der Nichtmitteilung steht, iSv. § 121 BGB und damit als „ohne schuldhaftes Zögern“ zu verstehen sein. [X.]anach wären die geforderten Mitteilungen zwar nicht sofort, wohl aber innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist zu erstatten (vgl. etwa [X.] 28. Juni 2012 - [X.]/11 - Rn. 20; 15. März 2005 - VI ZB 74/04 - zu II 1 a der Gründe), ohne dass es auf eine Absicht oder eine grobe Nachlässigkeit ankäme.

bb) [X.]ie Systematik von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF, seine Entstehungsgeschichte und sein Sinn und Zweck sprechen indes dafür, dass die Bestimmung so auszulegen ist, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung auch im Fall einer nicht unverzüglichen Mitteilung eines [X.]s und einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der [X.] voraussetzt, dass die [X.] eine unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat.

(1) § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF setzt durch die Bezugnahme auf § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF voraus, dass die [X.] ihren Verpflichtungen nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF nicht nachgekommen ist. Bereits nach dieser Bestimmung hat die [X.] aber eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und einen [X.] „unverzüglich“ mitzuteilen. Soweit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF dann die unrichtige Mitteilung der Nichtmitteilung gleichstellt, bezieht sich dies sowohl auf die wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse als auch auf die Änderung der Anschrift. Bereits dies spricht dafür, dass mit dem Merkmal „unverzüglich“ im Zusammenhang mit der Nichtmitteilung in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF im Hinblick auf das Verschulden der [X.] keine Abgrenzung zur unrichtigen Mitteilung erfolgen sollte und dass sich demnach das Verschuldenserfordernis der „Absicht“ und der „groben Nachlässigkeit“ - vor [X.] gezogen - sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die Nichtmitteilung bezieht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sowohl eine unvollständige Mitteilung der Änderung der Anschrift als auch eine unvollständige Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtige Mitteilungen sind und dass die Grenze zwischen einer unrichtigen Mitteilung und einer Nichtmitteilung im Einzelfall fließend sein kann. So kann eine Mitteilung im Einzelfall so lückenhaft sein, dass sie bei wertender Betrachtung einer Nichtmitteilung gleichsteht. Auch dies spricht dafür, dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF für sämtliche dort aufgeführten Verstöße der [X.] gegen ihre Mitwirkungspflichten, sei es durch unrichtige oder unterlassene Mitteilungen, einen einheitlichen [X.] der Absicht oder groben Nachlässigkeit normiert.

(2) [X.]ass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben voraussetzt, dass die [X.] die unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat, wird durch die Entstehungsgeschichte der Bestimmung bestätigt.

[X.]er ursprüngliche Entwurf eines „Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe“ (BT-[X.]rs. 17/1216) sah in Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung) unter Nr. 11 Buchst. c vor, dass § 124 ZPO dahin geändert wird, dass nach Nr. 3 die Nr. 3a eingefügt wird. [X.]anach sollte die Prozesskostenhilfebewilligung aufgehoben werden, wenn „die [X.] entgegen § 120 Absatz 4 Satz 4 Halbsatz 1 wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift dem Gericht nicht unverzüglich oder unrichtig mitgeteilt hat, es sei denn, dass sie ohne ihr Verschulden an der unverzüglichen oder richtigen Mitteilung gehindert war“. Bereits nach diesem Entwurf sollte für die Fälle der unrichtigen und die der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung erkennbar ein und derselbe [X.] gelten.

Mit der endgültigen Fassung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF hat der Gesetzgeber sodann die Möglichkeiten einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung sowohl für den Fall, dass die [X.] ihren Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF nicht unverzüglich nachkommt, als auch für den Fall, dass die [X.] eine Änderungsmitteilung erstattet, diese aber inhaltlich unrichtig ist, deutlich eingeschränkt. In beiden Fällen setzt die Aufhebung voraus, dass die [X.] ihre Pflichten absichtlich oder grob nachlässig verletzt hat. Insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-[X.]rs. 17/11472 S. 35), dass nicht nur das Unterlassen einer Änderungsmitteilung, sondern auch eine zwar erstattete, inhaltlich aber unrichtige Änderungsmitteilung zu einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung führe. [X.]ie Einschränkung auf absichtliche und grob nachlässige Pflichtverletzungen entspreche den subjektiven Voraussetzungen für eine Aufhebung gemäß Absatz 1 Nr. 2. [X.]iese Ausführungen belegen, dass der Gesetzgeber gerade im Hinblick auf den [X.] nicht zwischen der Nichtmitteilung und der unrichtigen Mitteilung differenzieren wollte.

(3) Sinn und Zweck der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF getroffenen Regelung sprechen ebenfalls für die einheitlich geltende Verschuldensanforderung der Absicht und der groben Nachlässigkeit.

Mit der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF vorgesehenen Sanktion (vgl. BT-[X.]rs. 17/11472 S. 35) der Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung soll die [X.] nicht nur erkennbar dazu angehalten werden, ihren in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF bestimmten Mitwirkungspflichten nachzukommen. Hierdurch soll das Gericht in die Lage versetzt werden, jederzeit zu überprüfen, ob sich die für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Umfang verbessert haben, dass der Bewilligungsbeschluss zulasten der [X.] zu ändern ist. [X.]ies gilt sowohl für die in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF vorgesehene Verpflichtung der [X.], dem Gericht von sich aus wesentliche Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Lage mitzuteilen, als auch für ihre Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung eines [X.]s. Teilt die [X.] eine Änderung ihrer Anschrift nicht von sich aus mit oder macht sie insoweit unrichtige Angaben, ist das Gericht ebenfalls nicht oder nur nach aufwändigen Ermittlungen in der Lage, ein Verfahren zur Änderung oder Aufhebung der Bewilligung zu betreiben (vgl. BT-[X.]rs. 17/11472 S. 34).

Kommt die [X.] ihren Mitwirkungspflichten nicht nach, soll sie nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ihren Anspruch auf Prozesskostenhilfe regelmäßig verlieren. Ein solcher [X.] setzt nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB allerdings ein schuldhaft unredliches Verhalten der [X.], mithin eine grobe Pflichtverletzung, also grobes Verschulden (vgl. [X.] BGB/Fritzsche Stand 1. August 2016 BGB § 990 Rn. 6) voraus. Eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung kann demnach auch in den Fällen der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und eines [X.]s nur erfolgen, wenn die [X.] ihrer Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung der geforderten Angaben absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht nachgekommen ist.

(4) In dieser Auslegung trägt § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben hinreichend Rechnung.

Zwar folgt aus dem Sozialstaatsprinzip ( Art. 20 Abs. 1 GG ), dem Rechtsstaatsgrundsatz ( Art. 20 Abs. 3 GG ) und dem allgemeinen Gleichheitssatz ( Art. 3 Abs. 1 GG ) die Verpflichtung des Staates, die Situation Bemittelter und Unbemittelter im Bereich des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, insbesondere den Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen. Einer weniger bemittelten [X.] darf die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Vergleich zu einer bemittelten [X.] nicht unverhältnismäßig erschwert werden (vgl. [X.] 29. [X.]ezember 2009 - 1 BvR 1781/09 - Rn. 12; 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 - Rn. 20 f.; [X.] 28. April 2016 - 8 [X.] - Rn. 21). [X.]iesen Anforderungen trägt die Zivilprozessordnung mit der Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu erhalten, Rechnung. [X.]ie verfassungsrechtlichen Vorgaben verbieten es allerdings weder, der [X.], die Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, aufzuerlegen, den Fortbestand der persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen in redlicher Weise darzulegen, noch an ein schuldhaftes unredliches Verhalten der [X.] die Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe zu knüpfen (vgl. [X.] 10. Oktober 2012 - IV ZB 16/12 - Rn. 30). Insoweit wird mit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF der Gefahr einer unverhältnismäßigen Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten dadurch ausreichend begegnet, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ein qualifiziertes Verschulden der [X.] (Absicht oder grobe Nachlässigkeit) voraussetzt und dass aufgrund der Ausgestaltung von § 124 Abs. 1 ZPO nF als „Soll-Vorschrift“ trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung in atypisch gelagerten Einzelfällen Ausnahmen von der „Regelaufhebung“ (vgl. hierzu BT-[X.]rs. 17/11472 S. 33) möglich bleiben.

2. [X.]ie Entscheidung des [X.]s stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Entgegen den - allerdings vorliegend nicht tragenden - Ausführungen des [X.]s handelt eine [X.], die - wie der Kläger - Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt und damit auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt hat und die - wie der Kläger - darüber hinaus auf ihre Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 ZPO nF hingewiesen wurde, nicht schon dann grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergisst oder ihnen schlicht nicht nachkommt. [X.]ie schlichte Verletzung der in § 120a Abs. 2 ZPO nF bestimmten Mitteilungspflichten indiziert noch keine grobe Nachlässigkeit.

a) [X.]ie Verschuldensanforderung der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF erfordert mehr als leichte Fahrlässigkeit, nämlich eine besondere Sorglosigkeit. [X.]er Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit. [X.]anach handelt grob nachlässig nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (in diesem Sinne auch: [X.] ZPO/[X.] Stand 1. Juli 2016 ZPO § 124 Rn. 18; Musielak/Voit/[X.] ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 5; zum Begriff der groben Nachlässigkeit in § 296 Abs. 2 ZPO vgl. [X.] 30. März 2006 - [X.]/05 - Rn. 4). Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich demnach bei einem grob nachlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. etwa [X.] 11. Juli 2007 - [X.] - Rn. 15).

b) [X.]ie Entscheidung, ob im Einzelfall von einfacher Fahrlässigkeit oder grober Nachlässigkeit auszugehen ist, erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Umstände. Geht es - wie hier - um die Frage, ob eine [X.] ihre Verpflichtung, dem Gericht einen [X.] von sich aus unverzüglich mitzuteilen, grob nachlässig oder lediglich leicht fahrlässig verletzt hat, kann vor dem Hintergrund, dass diese Pflicht dazu dient, die jederzeitige Erreichbarkeit der [X.] durch das Gericht sicherzustellen, um dieses letztlich in die Lage zu versetzen, ohne weitergehende aufwändige Ermittlungen ein Verfahren zur Änderung oder Aufhebung der Bewilligung zu betreiben, im Rahmen der Abwägung auch von Bedeutung sein, wenn die [X.] anderweitige Maßnahmen getroffen hat, um ihre jederzeitige Erreichbarkeit durch das Gericht sicherzustellen. Hierzu hat die [X.], die diesen Umstand berücksichtigt wissen möchte, substantiiert vorzutragen. Ein solcher Vortrag kann auch noch in der Beschwerdeinstanz erfolgen (vgl. zur Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Nr. 2 ZPO aF [X.] 18. November 2003 - 5 [X.] - [X.]E 108, 329).

3. Auf der Grundlage der bislang vom [X.] getroffenen Feststellungen ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO). [X.]ies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zu erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

a) Entgegen der Annahme des [X.] scheidet eine Anwendung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF nicht bereits deshalb aus, weil der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten wurde.

Zwar haben auch nach Beendigung der Instanz bzw. des Hauptsacheverfahrens Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren jedenfalls dann gemäß § 172 ZPO an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, wenn dieser die [X.] im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hat ([X.] 8. [X.]ezember 2010 - XII ZB 38/09 - Rn. 15 f.; [X.] 19. Juli 2006 - 3 [X.]). [X.]ies führt aber nicht dazu, dass die [X.] von ihren in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF bestimmten Mitteilungspflichten befreit wäre. Nach § 120a Abs. 2 Satz 1 iVm. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF hat „die [X.]“ „dem Gericht“ einen [X.] mitzuteilen. Über die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung ist „die [X.]“ bei der Antragstellung im Antragsformular zu belehren, § 120a Abs. 2 Satz 4 ZPO. [X.]er Antragsteller muss - persönlich - im Antragsformular seine Kenntnis von der Mitteilungspflicht bestätigen. Zudem ist die Änderung der Anschrift mitzuteilen, ohne dass es einer gesonderten Fristsetzung durch das Gericht oder sogar Zustellung eines Aufforderungsschreibens bedürfte.

b) [X.]a das [X.] bislang keine Feststellungen getroffen hat, die die Annahme grober Nachlässigkeit des [X.] begründen könnten, ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. [X.]ie Sache ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

        

    Schlewing    

        

    Vogelsang    

        

    Roloff     

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

8 AZB 16/16

18.08.2016

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Wesel, 2. Dezember 2015, Az: 4 Ca 1429/14, Beschluss

§ 124 Abs 1 Nr 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.08.2016, Az. 8 AZB 16/16 (REWIS RS 2016, 6597)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6597


Verfahrensgang

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Az. 8 AZB 16/16

Bundesarbeitsgericht, 8 AZB 16/16, 18.08.2016.


Az. 4 Ca 1429/14

Arbeitsgericht Wesel, 4 Ca 1429/14, 02.12.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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6 Ta 196/17

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