Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 19.10.2016, Az. 8 AZB 23/16

8. Senat | REWIS RS 2016, 3750

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Gegenstand

Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung - unterlassene Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 12. Mai 2016 - 5 Ta 201/16 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Dem Kläger wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren gegen den Beschluss des [X.] vom 12. Mai 2016 - 5 Ta 201/16 - Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe bewilligt, dass kein eigener Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten ist.

Zur Wahrnehmung seiner Rechte wird ihm Rechtsanwältin [X.], [X.], beigeordnet.

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe.

2

Der Kläger war seit dem 18. Dezember 2013, zuletzt aufgrund eines bis zum 31. Dezember 2014 befristeten Arbeitsvertrages bei der [X.] beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit zwei Schreiben vom 20. August 2014 fristlos. Der Kläger hat sich mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28. August 2014, der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, gegen diese Kündigungen gewandt mit dem Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 20. August 2014 nicht zum 20. August 2014 beendet wurde, sondern zu unveränderten Bedingungen bis zum 31. Dezember 2014 fortbesteht. Gleichzeitig hat er beantragt, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Der beigefügte und vom Kläger unterschriebene Vordruck der „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe“ enthält ua. folgenden Hinweis:

        

[X.] ist auch bekannt, dass ich während des Gerichtsverfahrens und innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren seit der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens verpflichtet bin, dem Gericht wesentliche Verbesserungen meiner wirtschaftlichen Lage oder eine Änderung meiner Anschrift unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. Bei laufenden Einkünften ist jede nicht nur einmalige Verbesserung von mehr als 100 Euro (brutto) im Monat mitzuteilen. … Ich weiß, dass die Bewilligung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bei einem Verstoß gegen diese Pflicht aufgehoben werden kann, und ich dann die gesamten Kosten nachzahlen muss.

3

Im Termin zur Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht am 12. September 2014 schlossen die [X.]en einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15. September 2014 beendet wurde.

4

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2014 bewilligte das Arbeitsgericht dem Kläger, der zum damaligen Zeitpunkt Leistungen nach dem [X.] bezog, für den 1. Rechtszug mit Wirkung vom 28. August 2014 Prozesskostenhilfe ohne [X.] unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten.

5

Mit Schreiben vom 19. Februar 2016 wandte sich das Arbeitsgericht an die Prozessbevollmächtigte des [X.] und bat darum, die derzeitige Vermögenssituation des [X.] binnen einer Frist von drei Wochen unter Verwendung des Vordrucks „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ genau darzulegen. Mit Schreiben vom 25. Februar 2016 übersandte die Prozessbevollmächtigte des [X.] dem Arbeitsgericht die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger seit dem 19. Oktober 2015 keine Leistungen mehr nach dem [X.] bezog, sondern in einem neuen Arbeitsverhältnis stand.

6

Mit einem an die Prozessbevollmächtigte des [X.] gerichteten Schreiben vom 2. März 2016 wies das Arbeitsgericht den Kläger darauf hin, dass die Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufzuheben sei, da der Kläger eine wesentliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse trotz entsprechender Belehrung nicht mitgeteilt habe, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Die Prozessbevollmächtigte des [X.] führte daraufhin mit Schreiben vom 4. März 2016 aus, der Kläger sei auch nach Antritt der neuen Stelle weiterhin unverändert bedürftig. Er sei dringend darauf angewiesen, weiter Raten für die Staatsanwaltschaft zahlen zu können, da er anderenfalls die Haft antreten müsse und dann voraussichtlich seine Stelle verliere.

7

Mit Beschluss vom 14. März 2016, der der Prozessbevollmächtigten des [X.] am 18. März 2016 zugestellt wurde, hob das Arbeitsgericht die dem Kläger mit Beschluss vom 19. Dezember 2014 bewilligte Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO mit der Begründung auf, der Kläger habe dem Gericht entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO die wesentliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse nicht mitgeteilt.

8

Gegen diesen Beschluss legte der Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 29. März 2016, der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde ein.

9

Nachdem das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde des [X.] mit Beschluss vom 5. April 2016 nicht abgeholfen und die Sache dem [X.] zur Entscheidung vorgelegt hatte, hat das [X.] die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 12. Mai 2016, der der Prozessbevollmächtigten des [X.] am 13. Mai 2016 zugestellt wurde, zurückgewiesen. Zur Begründung hat das [X.] ausgeführt, die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO lägen vor, da der Kläger dem Gericht eine wesentliche Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage nicht unverzüglich mitgeteilt habe. Das subjektive Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit oder groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO beziehe sich allein auf die Unrichtigkeit einer Mitteilung. Das Merkmal „unverzüglich“ enthalte bereits ein subjektives Element. Im Übrigen handele eine [X.], die ihre Rechte aus der Prozesskostenhilfe in Anspruch nehme und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt habe, und die darüber hinaus auf ihre Meldepflichten hingewiesen worden sei, grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergesse oder ignoriere. Auch wenn grobe Nachlässigkeit zu verneinen sein sollte, sei das Unterlassen der [X.] doch immer noch als schuldhaft anzusehen ohne dass ein atypischer Fall angenommen werden könne.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner - vom [X.] zugelassenen - Rechtsbeschwerde, mit der er geltend macht, die subjektiven Merkmale der Absicht bzw. der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezögen sich sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die nicht unverzügliche Mitteilung einer Änderung der Einkommensverhältnisse. Entgegen der Ansicht des [X.]s liege nicht automatisch grobe Nachlässigkeit vor, wenn ein Antragsteller die Mitteilung schlicht vergesse. Zudem sei § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einschränkend dahin auszulegen, dass die Prozesskostenhilfebewilligung nur dann aufgehoben werden könne, wenn zumindest die Möglichkeit bestanden hätte, sich durch das Unterlassen der Mitteilung einen Vorteil zu verschaffen. Dies sei nicht der Fall, wenn - wie bei ihm - durchgängig die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorgelegen hätten. Jedenfalls liege ein atypischer Fall vor, da ihn die Folgen der Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ungewöhnlich hart träfen. In diesem Fall könne er die Raten für die Staatsanwaltschaft nicht mehr zahlen und müsse die Haft antreten mit der Folge, dass er seine Arbeitsstelle und seine Wohnung verliere.

II. Die Rechtsbeschwerde des [X.] ist zulässig und begründet. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 14. März 2016 nicht zurückgewiesen werden. Die Entscheidung des [X.]s stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Auf der Grundlage der bislang vom [X.] getroffenen Feststellungen ist der Senat allerdings an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

1. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 14. März 2016 nicht zurückgewiesen werden. Das [X.] hat zu Unrecht angenommen, dass eine Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bereits dann in Betracht kommt, wenn die [X.] wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat, ohne dass der [X.] der Vorwurf der groben Nachlässigkeit oder der Absicht zu machen wäre.

a) Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der seit dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung (im Folgenden nF), der gemäß § 40 Satz 1 EGZPO vorliegend zur Anwendung kommt, da der Kläger den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach dem 1. Januar 2014 gestellt hatte, soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die [X.] entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

b) § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass es für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht ausreicht, dass die [X.] dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Änderung der Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, sondern dass auch im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der [X.] in Form der Absicht oder der groben Nachlässigkeit erforderlich ist. Die [X.] muss demnach eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und auch den [X.] absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt haben ([X.] 18. August 2016 - 8 [X.] - Rn. 11; so auch [X.] 7. Aufl. § 11a ArbGG Rn. 16; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] ZPO 74. Aufl. § 124 Rn. 51; [X.] ZPO/[X.] Stand 1. September 2016 ZPO § 124 Rn. 23a; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe 7. Aufl. Rn. 847; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 11a ArbGG Rn. 10; Hk-ZPO/[X.] 6. Aufl. § 124 Rn. 8; [X.] ArbRB 2016, 60, 63; [X.] 38/2015 [X.]. 6; [X.] 2014, 290, 291; Nickel [X.] 2013, 890, 894; [X.]/[X.]/[X.] 37. Aufl. § 124 Rn. 4a; wohl auch [X.]/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe 13. Aufl. § 124 ZPO Rn. 20, 21; [X.]/Voit/[X.] ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 8a ohne Begründung).

aa) Zwar ist es aufgrund der Stellung der tatbestandlichen Voraussetzung „unverzüglich“ in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF und ihres möglichen Wortsinns nicht von vornherein ausgeschlossen, dass im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der [X.] nicht erforderlich ist, sondern dass bereits einfaches Verschulden der [X.] für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung regelmäßig ausreicht. Insoweit könnte der Begriff „unverzüglich“, der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF am Satzende im unmittelbaren Kontext mit der Nichtmitteilung steht, iSv. § 121 BGB und damit als „ohne schuldhaftes Zögern“ zu verstehen sein. Danach wären die geforderten Mitteilungen zwar nicht sofort, wohl aber innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist zu erstatten (vgl. etwa [X.] 28. Juni 2012 - [X.]/11 - Rn. 20; 15. März 2005 - VI ZB 74/04 - zu II 1 a der Gründe), ohne dass es auf eine Absicht oder eine grobe Nachlässigkeit ankäme.

bb) Die Systematik von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF, seine Entstehungsgeschichte und sein Sinn und Zweck sprechen indes dafür, dass die Bestimmung so auszulegen ist, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung auch im Fall einer nicht unverzüglichen Mitteilung eines [X.]s und einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der [X.] voraussetzt, dass die [X.] eine unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat.

(1) § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF setzt durch die Bezugnahme auf § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF voraus, dass die [X.] ihren Verpflichtungen nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF nicht nachgekommen ist. Bereits nach dieser Bestimmung hat die [X.] aber eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und einen [X.] „unverzüglich“ mitzuteilen. Soweit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF dann die unrichtige Mitteilung der Nichtmitteilung gleichstellt, bezieht sich dies sowohl auf die wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse als auch auf die Änderung der Anschrift. Bereits dies spricht dafür, dass mit dem Merkmal „unverzüglich“ im Zusammenhang mit der Nichtmitteilung in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF im Hinblick auf das Verschulden der [X.] keine Abgrenzung zur unrichtigen Mitteilung erfolgen sollte und dass sich demnach das Verschuldenserfordernis der „Absicht“ und der „groben Nachlässigkeit“ - vor [X.] gezogen - sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die Nichtmitteilung bezieht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sowohl eine unvollständige Mitteilung der Änderung der Anschrift als auch eine unvollständige Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtige Mitteilungen sind und dass die Grenze zwischen einer unrichtigen Mitteilung und einer Nichtmitteilung im Einzelfall fließend sein kann. So kann eine Mitteilung im Einzelfall so lückenhaft sein, dass sie bei wertender Betrachtung einer Nichtmitteilung gleichsteht. Auch dies spricht dafür, dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF für sämtliche dort aufgeführten Verstöße der [X.] gegen ihre Mitwirkungspflichten, sei es durch unrichtige oder unterlassene Mitteilungen, einen einheitlichen [X.] der Absicht oder groben Nachlässigkeit normiert.

(2) Dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben voraussetzt, dass die [X.] die unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat, wird durch die Entstehungsgeschichte der Bestimmung bestätigt.

Der ursprüngliche Entwurf eines „Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe“ ([X.]. 17/1216) sah in Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung) unter Nr. 11 Buchst. c vor, dass § 124 ZPO dahin geändert wird, dass nach Nr. 3 die Nr. 3a eingefügt wird. Danach sollte die Prozesskostenhilfebewilligung aufgehoben werden, wenn „die [X.] entgegen § 120 Absatz 4 Satz 4 Halbsatz 1 wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift dem Gericht nicht unverzüglich oder unrichtig mitgeteilt hat, es sei denn, dass sie ohne ihr Verschulden an der unverzüglichen oder richtigen Mitteilung gehindert war“. Bereits nach diesem Entwurf sollte für die Fälle der unrichtigen und die der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung erkennbar ein und derselbe [X.] gelten.

Mit der endgültigen Fassung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF hat der Gesetzgeber sodann die Möglichkeiten einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung sowohl für den Fall, dass die [X.] ihren Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF nicht unverzüglich nachkommt, als auch für den Fall, dass die [X.] eine Änderungsmitteilung erstattet, diese aber inhaltlich unrichtig ist, deutlich eingeschränkt. In beiden Fällen setzt die Aufhebung voraus, dass die [X.] ihre Pflichten absichtlich oder grob nachlässig verletzt hat. Insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung ([X.]. 17/11472 S. 35), dass nicht nur das Unterlassen einer Änderungsmitteilung, sondern auch eine zwar erstattete, inhaltlich aber unrichtige Änderungsmitteilung zu einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung führe. Die Einschränkung auf absichtliche und grob nachlässige Pflichtverletzungen entspreche den subjektiven Voraussetzungen für eine Aufhebung gemäß Absatz 1 Nr. 2. Diese Ausführungen belegen, dass der Gesetzgeber gerade im Hinblick auf den [X.] nicht zwischen der Nichtmitteilung und der unrichtigen Mitteilung differenzieren wollte.

(3) Sinn und Zweck der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF getroffenen Regelung sprechen ebenfalls für die einheitlich geltende Verschuldensanforderung der Absicht und der groben Nachlässigkeit.

Mit der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF vorgesehenen Sanktion (vgl. [X.]. 17/11472 S. 35) der Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung soll die [X.] nicht nur erkennbar dazu angehalten werden, ihren in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF bestimmten Mitwirkungspflichten nachzukommen. Hierdurch soll das Gericht in die Lage versetzt werden, jederzeit zu überprüfen, ob sich die für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Umfang verbessert haben, dass der Bewilligungsbeschluss zulasten der [X.] zu ändern ist. Dies gilt sowohl für die in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF vorgesehene Verpflichtung der [X.], dem Gericht von sich aus wesentliche Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Lage mitzuteilen, als auch für ihre Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung eines [X.]s.

Kommt die [X.] ihren Mitwirkungspflichten nicht nach, soll sie nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ihren Anspruch auf Prozesskostenhilfe regelmäßig verlieren. Ein solcher [X.] setzt nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB allerdings ein schuldhaft unredliches Verhalten der [X.], mithin eine grobe Pflichtverletzung, also grobes Verschulden (vgl. [X.] BGB/Fritzsche Stand 1. August 2016 BGB § 990 Rn. 6) voraus. Eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung kann demnach auch in den Fällen der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und eines [X.]s nur erfolgen, wenn die [X.] ihrer Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung der geforderten Angaben absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht nachgekommen ist.

(4) In dieser Auslegung trägt § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben hinreichend Rechnung.

Zwar folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) die Verpflichtung des Staates, die Situation Bemittelter und Unbemittelter im Bereich des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, insbesondere den Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen. Einer weniger bemittelten [X.] darf die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Vergleich zu einer bemittelten [X.] nicht unverhältnismäßig erschwert werden (vgl. [X.] 29. Dezember 2009 - 1 BvR 1781/09 - Rn. 12; 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 - Rn. 20 f.; [X.] 28. April 2016 - 8 [X.] - Rn. 21). Diesen Anforderungen trägt die Zivilprozessordnung mit der Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu erhalten, Rechnung. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben verbieten es allerdings weder, der [X.], die Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, aufzuerlegen, den Fortbestand der persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen in redlicher Weise darzulegen, noch an ein schuldhaftes unredliches Verhalten der [X.] die Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe zu knüpfen (vgl. [X.] 10. Oktober 2012 - IV ZB 16/12 - Rn. 30). Insoweit wird mit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF der Gefahr einer unverhältnismäßigen Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten dadurch ausreichend begegnet, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ein qualifiziertes Verschulden der [X.] (Absicht oder grobe Nachlässigkeit) voraussetzt und dass aufgrund der Ausgestaltung von § 124 Abs. 1 ZPO nF als „Soll-Vorschrift“ trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung in atypisch gelagerten Einzelfällen Ausnahmen von der „Regelaufhebung“ (vgl. hierzu [X.]. 17/11472 S. 33) möglich bleiben.

2. Die Entscheidung des [X.]s stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Entgegen den - allerdings vorliegend nicht tragenden - Ausführungen des [X.]s handelt eine [X.], die - wie der Kläger - Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt und damit auf Kosten der Allgemeinheit seinen Prozess geführt hat und die - wie der Kläger - darüber hinaus auf seine Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 ZPO nF hingewiesen wurde, nicht schon dann grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergisst oder ihnen schlicht nicht nachkommt. Die schlichte Verletzung der in § 120a Abs. 2 ZPO nF bestimmten Mitteilungspflichten indiziert noch keine grobe Nachlässigkeit.

a) [X.] der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF erfordert mehr als leichte Fahrlässigkeit, nämlich eine besondere Sorglosigkeit. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit. Danach handelt grob nachlässig nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (in diesem Sinne auch: [X.] ZPO/[X.] Stand 1. September 2016 ZPO § 124 Rn. 18; Musielak/Voit/[X.] ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 5; zum Begriff der groben Nachlässigkeit in § 296 Abs. 2 ZPO vgl. [X.] 30. März 2006 - [X.]/05 - Rn. 4). Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich demnach bei einem grob nachlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. etwa [X.] 11. Juli 2007 - [X.] 197/05 - Rn. 15).

b) Die Entscheidung, ob im Einzelfall von einfacher Fahrlässigkeit oder grober Nachlässigkeit auszugehen ist, erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Umstände. Geht es - wie hier - um die Frage, ob eine [X.] ihre Verpflichtung, dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse von sich aus unverzüglich mitzuteilen, grob nachlässig oder lediglich leicht fahrlässig verletzt hat, kann vor dem Hintergrund, dass diese Pflicht dazu dient, der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe entgegenzuwirken ([X.]. 17/11472 S. 1), im Rahmen der Abwägung auch von Bedeutung sein, wenn die [X.] anderweitige Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse bekannt werden. Hierzu hat die [X.], die diesen Umstand berücksichtigt wissen möchte, substantiiert vorzutragen. Ein solcher Vortrag kann auch noch in der Beschwerdeinstanz erfolgen (vgl. zur Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Nr. 2 ZPO aF [X.] 18. November 2003 - 5 [X.] - [X.]E 108, 329).

3. Auf der Grundlage der bislang vom [X.] getroffenen Feststellungen ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zu erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

a) Entgegen der Annahme des [X.] scheidet eine Anwendung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF nicht bereits dann aus, wenn sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der [X.] nicht in einem Umfang verbessert haben, der eine Änderung des Bewilligungsbeschlusses gebietet. Bei § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF handelt es sich um einen Verwirkungstatbestand, bei dem es auf die Kausalität nicht ankommt. § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF knüpft die Mitteilungspflicht nicht daran, dass die Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse tatsächlich zu einer abändernden Entscheidung führt oder geführt hätte, sondern nur daran, ob sie wesentlich ist, wobei der Begriff der Wesentlichkeit im Hinblick auf eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse bei Bezug eines laufenden monatlichen Einkommens in § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO nF näher bestimmt wird. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF stellt sich insoweit als Sanktion für das Unterlassen der nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF geforderten Mitteilungen dar ([X.]. 17/11472 S. 35).

b) Da das [X.] bislang keine Feststellungen getroffen hat, die die Annahme grober Nachlässigkeit oder Absicht des [X.] begründen könnten, ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. Die Sache ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Dabei wird das [X.] auch zu prüfen haben, ob insbesondere im Hinblick auf den Einwand des [X.], er könne im Fall der Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung die Raten an die Staatsanwaltschaft nicht mehr zahlen, sodass ihm Haft und damit auch der Verlust der Stelle und seiner Wohnung drohten und vor dem Hintergrund, dass der Kläger weiterhin hilfsbedürftig ist, ein atypischer Fall vorliegt, der eine Ausnahme von der Soll-Vorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF rechtfertigt oder zur Vermeidung unangemessener Ergebnisse gar gebietet.

        

    Winter    

        

    Vogelsang    

        

    Roloff    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

8 AZB 23/16

19.10.2016

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Düsseldorf, 14. März 2016, Az: 8 Ca 5214/14, Beschluss

§ 120a Abs 2 S 1 ZPO, § 120a Abs 2 S 2 ZPO, § 124 Abs 1 Nr 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 19.10.2016, Az. 8 AZB 23/16 (REWIS RS 2016, 3750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3750

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5 Ta 110/18

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