Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 09.05.2014, Az. 1 BvR 1408/11, 1 BvR 1415/11

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2014, 5699

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung


Tenor

1. Der Beschluss des [X.] vom 28. Februar 2011 - 2 S 46/10 - verletzt die Beschwerdeführerin zu 1.) und der Beschluss des [X.] vom 21. April 2011 - 26 S 4/11 - verletzt den Beschwerdeführer zu 2.) jeweils in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sachen an das jeweilige [X.] zurückverwiesen.

Damit wird der die Beschwerdeführerin zu 1.) betreffende Beschluss des [X.] vom 26. April 2011 - 2 S 46/10 - gegenstandslos.

2. Das [X.] hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerdeverfahren wird jeweils auf 16.000 € (in Worten: sechzehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die [X.] betreffen zivilgerichtliche Verfahren über die Rückzahlung von Versicherungsprämien wegen angeblicher Unwirksamkeit von Versicherungsverträgen. Sie beanstanden das Unterlassen einer Vorlage an den [X.] durch das jeweilige Berufungsgericht.

2

1. Die Beschwerdeführer schlossen im Wege des sogenannten "[X.]" Versicherungsverträge ab. Dieses in § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag im Geltungszeitraum vom 29. Juli 1994 bis 31. Dezember 2007 (im Folgenden: [X.]) geregelte Verfahren war dadurch gekennzeichnet, dass der potenzielle Versicherungsnehmer (im Folgenden: Versicherungsnehmer) zunächst das von ihm unterzeichnete Antragsformular auf Abschluss des Versicherungsvertrages an den Versicherer übermittelte und dieser dem Versicherungsnehmer die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes in seiner vor dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung (im Folgenden: [X.]) erst zusammen mit der Versicherungspolice zukommen ließ. [X.] der Versicherungsnehmer nicht binnen 14 Tagen (bei Lebensversicherungen zuletzt binnen 30 Tagen) nach Überlassung der Unterlagen schriftlich, so galt der [X.] und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen (§ 5a Abs. 1 Satz 1 [X.]). In dem Antrag des Versicherungsnehmers war das Vertragsangebot, in der nachfolgenden Übersendung der Vertragsunterlagen die Annahme durch den Versicherer zu sehen. Außerdem setzte der wirksame Vertragsschluss das Unterbleiben des Wi[X.]pruchs innerhalb der 14-tägigen (bzw. 30-tägigen) Wi[X.]pruchsfrist voraus; bis zu diesem Zeitpunkt war der Versicherungsvertrag nach herrschender Meinung schwebend unwirksam (vgl. [X.], Urteil vom 24. November 2010 - [X.]/08 -, [X.], S. 337 [X.]8> Rn. 22 m.w.N.). Die Wi[X.]pruchsfrist begann nach dieser Regelung erst dann zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer mit Aushändigung der Versicherungspolice über sein Wi[X.]pruchsrecht belehrt worden war; abweichend hiervon erlosch das Wi[X.]pruchsrecht - auch bei fehlender Belehrung - nach § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.

3

2. Die Beschwerdeführer, die ihre Lebensversicherungsverträge nach dem "[X.]" abgeschlossen und später den Wi[X.]pruch erklärt hatten, nahmen im jeweiligen Ausgangsverfahren den Versicherer auf Rückzahlung der Prämien, soweit diese über den zuvor erstatteten Rückkaufswert hinausgingen, in Anspruch. Sie machten unter anderem geltend, der Versicherungsvertrag sei auch durch den jeweils deutlich nach Ablauf der Wi[X.]pruchsfrist gemäß § 5a [X.] erklärten Wi[X.]pruch unwirksam geworden. Das durch § 5a [X.] eröffnete "[X.]" sei unvereinbar mit den Vorgaben der [X.]/[X.] vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der [X.]/[X.] und 90/619/[X.] (Dritte Richtlinie Lebensversicherung; [X.]. [X.] Nr. L 360, [X.]-27 vom 9. Dezember 1992) beziehungsweise mit den Vorgaben der Richtlinie 2002/83/[X.] und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen ([X.]. [X.] Nr. L 345, [X.]-51 vom 19. Dezember 2002). Entgegen den dortigen Vorgaben seien die Verbraucherinformationen nicht "vor" Vertragsschluss erteilt worden, so dass ihnen, den Beschwerdeführern, ein unbefristetes Wi[X.]pruchsrecht zustehe. Die Befristung des Wi[X.]pruchsrechts gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] verstoße ebenfalls gegen die Vorgaben der Richtlinien.

4

Die Amtsgerichte wiesen die Klagen ab. Die hiergegen gerichteten Berufungen der Beschwerdeführer wiesen die Landgerichte nach entsprechendem Hinweis im [X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO in der vor dem 27. Oktober 2011 geltenden Fassung (im Folgenden: ZPO a.F.) zurück. Den Beschwerdeführern stehe ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Prämienrückzahlung nicht zu, weil der jeweilige Versicherungsvertrag bis zu seiner Kündigung die Rechtsgrundlage für die geleisteten Prämien dargestellt habe. Die Beschwerdeführer hätten dem jeweils zustande gekommenen Versicherungsvertrag nach Ablauf der Jahresfrist der auf den Ausgangsfall anzuwendenden Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] nicht mehr wi[X.]prechen können, weil das Wi[X.]pruchsrecht bereits erloschen gewesen sei. Es entspreche ständiger oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung, dass die Vorschrift des § 5a [X.] - und damit auch die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] - nicht gegen [X.] verstoße. In Anbetracht der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bestehe keine Veranlassung, die Frage dem [X.] zur Entscheidung vorzulegen. Eine durch die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 1408/11 erhobene Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg.

II.

5

Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren [X.] gegen die Zurückweisung ihrer Berufungen. Sie rügen eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

6

Indem die Berufungsgerichte davon abgesehen hätten, sich zur unionsrechtlichen Rechtslage hinreichend kundig zu machen und sie ihre Vorlagepflicht an den [X.] nach Art. 267 Abs. 3 AEUV mit einer offenkundig nicht tragfähigen Begründung verneint hätten, hätten sie im Zusammenhang mit § 522 Abs. 2 ZPO a.F. den allgemeinen Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 [X.]. Art. 20 Abs. 3 GG) und damit auch das Recht auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt. Als letztinstanzlich entscheidende Gerichte seien die Berufungsgerichte verpflichtet gewesen, die Frage, ob die Regelung des § 5a [X.] den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche, gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem [X.] zur Vorabentscheidung vorzulegen.

7

Die Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen, nach denen dem Versicherungsnehmer die Informationen "vor Abschluss des Versicherungsvertrages" mitzuteilen seien, sei keinesfalls zweifelsfrei. Nach dem Ziel der Richtlinie müssten dem Versicherungsnehmer die Informationen bereits vorliegen, bevor er eine Auswahlentscheidung treffe und er seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung abgebe. Dem damit verfolgten Zweck, dem Versicherungsnehmer die Auswahl eines seinen Bedürfnissen am besten entsprechenden Angebots zu ermöglichen, werde § 5a [X.] nicht gerecht, weil hiernach Versicherer ihre vorvertraglichen Informationspflichten erst nach der Auswahlentscheidung des Versicherungsnehmers erfüllen müssten. Daran ändere auch die Einräumung eines Wi[X.]pruchsrechts nichts, weil dem Versicherungsnehmer die [X.] aufgebürdet werde, was einer effektiven Durchsetzung der vorvertraglichen Informationspflichten wi[X.]preche. § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] stehe mit [X.] nicht im Einklang, weil er im Ergebnis dazu führe, dass Versicherer auf Verbraucherinformationen gänzlich verzichten könnten, ohne negative Rechtsfolgen fürchten zu müssen. Dies wi[X.]preche den Vorgaben der [X.]/[X.] beziehungsweise der Richtlinie 2002/83/[X.]. Zu diesem Ergebnis sei auch die [X.] in einer Stellungnahme gekommen, die sie in einem von ihr im [X.] gegen die [X.] eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/5046) abgegeben habe.

8

Die Berufungsgerichte seien in den angegriffenen Entscheidungen ihrer Vorlagepflicht willkürlich nicht nachgekommen. Sie hätten sich weder mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] noch mit dem gegen die [X.] geführten Vertragsverletzungsverfahren befasst, sondern als Beleg für eine einhellige Rechtsprechung lediglich auf Entscheidungen mehrerer Oberlandesgerichte pauschal Bezug genommen. Außerdem hätten sie eine Terminsnachricht des [X.] in einem anderen Verfahren und die darin in Erwägung gezogene Vorlage zur Frage der [X.]skonformität der Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] vollständig ignoriert.

III.

9

Die [X.] sind dem [X.] des [X.] sowie dem in dem jeweiligen Ausgangsverfahren beklagten Versicherer zugestellt worden.

Der [X.], der [X.] ([X.]), der [X.] versicherter Unternehmer e.V. ([X.]), der [X.] ([X.]), die [X.] ([X.]) und der [X.] der Versicherten e.V. ([X.]) wurden in einem Parallelverfahren (1 BvR 2771/11) um die Abgabe einer Stellungnahme gebeten. Diese Äußerungen sind den Beteiligten der Ausgangsverfahren zur Kenntnis gegeben worden. Die Akten der Ausgangsverfahren liegen der Kammer vor.

1. Das [X.] des [X.], der [X.] ([X.]), der [X.] versicherter Unternehmer e.V. ([X.]) und die [X.] ([X.]) haben von einer Äußerung abgesehen.

2. Der von der jeweiligen Ausgangsentscheidung begünstigte Versicherer hat zu der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde Stellung genommen und die angegriffene Entscheidung verteidigt.

a) In dem Verfahren 1 BvR 1408/11 vertritt der Versicherer die Auffassung, das Berufungsgericht habe mit sachlich zutreffender Begründung die [X.]swidrigkeit und eine Verpflichtung zur Vorlage an den [X.] verneint. Willkür habe hierbei nicht vorgelegen, weil das Berufungsgericht sich nach eigenständiger Prüfung der herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung angeschlossen habe.

b) In dem Verfahren 1 BvR 1415/11 ist der Versicherer der Ansicht, die Verfassungsbeschwerde sei bereits unzulässig. Ihr fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die von der Verfassungsbeschwerde aufgeworfene Frage nach der [X.] des § 5a [X.] nicht entscheidungserheblich sei. Der Beschwerdeführer könne selbst aus einer unterstellten [X.]swidrigkeit von § 5a [X.] im vorliegenden Fall keine über den Rückkaufswert hinausgehenden Ansprüche herleiten. Die Jahresfrist für den Wi[X.]pruch bleibe auch im Falle ihrer [X.]swidrigkeit maßgeblich, weil die daran geknüpfte Annahme eines unbefristeten Widerrufsrechts die [X.] des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] überschreite und gegen das vom [X.] statuierte Verbot einer richtlinienkonformen Auslegung contra legem verstoße.

Die Verfassungsbeschwerde sei außerdem unbegründet, weil die Vorlage der Frage nach der Vereinbarkeit des § 5a [X.] mit dem [X.] nicht willkürlich unterblieben sei. Das Berufungsgericht habe insbesondere den Beurteilungsrahmen, der ihm im Fall einer unvollständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] bei Beurteilung der Notwendigkeit einer Vorlage einer entscheidungserheblichen Frage des [X.]s zukomme, nicht in unvertretbarer Weise überschritten. Eine Vorlagepflicht des Berufungsgerichts habe auch bei unterstellter Entscheidungserheblichkeit der von der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Frage nach der [X.]skonformität des § 5a [X.] nicht bestanden, weil ersichtlich ein Fall der durch den [X.] geprägten "acte [X.] gegeben sei; an der Antwort auf die Frage bestehe kein vernünftiger Zweifel. Das Unterbleiben einer Vorlage könne überdies deshalb nicht willkürlich sein, weil die [X.] das von ihr eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die [X.] im Jahr 2008 eingestellt und von einer Anrufung des Gerichtshofs der [X.] abgesehen habe.

3. Der Präsident des [X.] hat in dem Parallelverfahren (1 BvR 2771/11) eine Stellungnahme des stellvertretenden Vorsitzenden des [X.] übermittelt. Dieser hat mitgeteilt, der IV. Zivilsenat sei mit den im Verfassungsbeschwerdeverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen bereits mehrmals befasst gewesen sei. Eine Vorlage in Bezug auf die [X.] des "[X.]" sei bislang nicht vorgesehen gewesen, sondern nur eine Vorlage zur [X.] der Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] (Erlöschen des Wi[X.]pruchsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie).

4. Der [X.] ([X.]) hat ausgeführt, die [X.]skonformität der Regelung des § 5a [X.] entspreche dem von der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen und zutreffenden Standpunkt. Es sei daher verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn ein Gericht, das mit der herrschenden Meinung keine Zweifel an der [X.]skonformität des § 5a [X.] habe, von einer Vorlage der Rechtsfrage an den [X.] absehe.

5. Der [X.] der Versicherten e.V. ([X.]) hat zu der Verfassungsbeschwerde in dem genannten Parallelverfahren Stellung genommen und teilt deren Standpunkt. Die dort angegriffene Entscheidung, die exemplarisch für die Entscheidungen vieler Berufungsgerichte sei, lasse eine unhaltbare Handhabung des Art. 267 AEUV durch das Berufungsgericht erkennen.

IV.

[X.] nimmt die zulässigen [X.] gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung an und gibt ihnen statt, weil sie unter Berücksichtigung der bereits hinreichend geklärten Maßstäbe zu Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG offensichtlich begründet sind.

1. Die Beschlüsse der Berufungsgerichte über die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO a.F. verletzen die Beschwerdeführer jeweils in ihrem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 [X.]. Art. 20 Abs. 3 GG).

a) Die Begründung der Berufungsgerichte für ihre Annahme, eine Entscheidung durch Urteil sei nicht erforderlich, weil der Sache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO a.F.) zukomme, ist nicht haltbar. Die den Beschlüssen zugrunde liegende Annahme, die Rechtsfrage nach der [X.] des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] sei offenkundig im Sinne eines "acte clair" zu beantworten und daher nicht klärungsbedürftig, entbehrt einer nachvollziehbaren und verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung (eingehend zum verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab und zur fachgerichtlichen Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV im Zusammenhang mit der Frage der [X.] des "[X.]": [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2534/10 -, juris Rn. 19 ff. und Rn. 29 ff.; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2083/11 -, juris Rn. 31 ff.). Denn eine vertretbare andere Ansicht zu dieser Frage des [X.]s, deren Klärungsbedürftigkeit das Außerkrafttreten der Regelung des § 5a [X.] zum 1. Januar 2008 nicht entgegen stand ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2534/10 -, juris Rn. 32), erschien auf Grundlage der hier maßgebenden Richtlinien keinesfalls als ausgeschlossen oder auch nur fernliegend.

aa) Der durch die Berufungsgerichte zur Begründung ihres Standpunktes angeführte Hinweis auf eine einhellige Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte und die damit von ihnen unmittelbar und mittelbar in Bezug genommenen Entscheidungen ([X.], Urteil vom 5. Dezember 2000 - 4 U 32/00 -, [X.], S. 837; [X.], Urteil vom 10. Dezember 2003 - 7 U 15/03 -, [X.], S. 631; [X.], Urteil vom 7. Mai 2009 - 12 U 241/08 -; [X.], Urteil vom 17. September 2009 - 7 U 75/09 -; [X.], Beschluss vom 5. Februar 2010 - 20 U 150/09 -, [X.], S. 245; [X.], Beschluss vom 9. Juli 2010 - 20 U 51/10 -, juris; [X.], Beschluss vom 29. Oktober 2010 - 20 U 100/10 -, [X.], [X.]) sind vorliegend nicht geeignet, die richtige Anwendung des [X.]s als derart offenkundig erscheinen zu lassen, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Die Begründungen der in Bezug genommenen Entscheidungen greifen zu kurz.

(1) Die zitierten Oberlandesgerichte haben sich, soweit es ihnen nach der zeitlichen Abfolge möglich war, schon nicht mit den beachtlichen Argumenten der [X.] in dem von ihr im [X.] gegen die [X.] eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/5046) auseinandergesetzt. Dazu gehörte nicht nur die Erwägung, dass der Versicherungsnehmer nach der Zielsetzung der maßgeblichen Richtlinien bereits im Zeitpunkt seiner Auswahlentscheidung und damit vor Abgabe seiner zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung umfassend informiert sein müsse, um einen seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auswählen zu können (dazu näher: [X.], Beschlüsse der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2534/10 -, juris Rn. 41 f. sowie 1 BvR 2083/11 -, juris Rn. 42 f.). Die [X.] hat außerdem angemerkt, dass die in § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] vorgesehene Befristung des Wi[X.]pruchsrechts (Erlöschen ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie) unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer über den Vertragsschluss unterrichtet und er über sein Recht zum Rücktritt belehrt worden sei, zur Anwendung gelange und damit dem Versicherungsnehmer faktisch nicht die Möglichkeit eingeräumt werde, sein Rücktrittsrecht auszuüben. Dies verstoße gegen die Vorgaben in Art. 35 Abs. 1, Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/[X.] (entspricht Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 90/916/[X.] vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung [Lebensversicherung] und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/[X.] [[X.]. [X.] Nr. L 330, [X.]-61 vom 29. November 1990] in der Fassung der [X.]/[X.] und [X.]. deren Art. 31 Abs. 1).

(2) Auch die Erwägung der Berufungsgerichte, die [X.]/[X.] und 2002/83/[X.] machten ausschließlich Vorgaben für das Versicherungsaufsichtsrecht und strebten eine Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts gerade nicht an, vermag nicht zu überzeugen. Denn sie lässt unberücksichtigt, dass der Inhalt der in § 10a [X.] aufsichtsrechtlich normierten Informationspflicht des Versicherers durch die versicherungsvertragsrechtliche Regelung des § 5a [X.] geprägt war. Dementsprechend hätte die [X.], sollte die auf § 5a [X.] gestützte Praxis des Vertragsschlusses nach dem "[X.]" einschließlich der in § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] geregelten Befristung des Wi[X.]pruchsrechts nicht den [X.] entsprochen haben, im Ergebnis den genannten Richtlinien aufsichtsrechtlich keine praktische Wirksamkeit verschafft (vgl. [X.], Beschlüsse der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2534/10 -, juris Rn. 35 ff. und 1 BvR 2083/11, juris Rn. 36 ff.).

bb) Darüber hinaus haben die Berufungsgerichte nicht berücksichtigt, dass selbst die Gesetzesbegründung zu der am 1. Januar 2008 in [X.] getretenen Reform des [X.]es die Vereinbarkeit des - abzuschaffenden - "[X.]", in dessen Rahmen die Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] die Lösung von Störungsfällen bezweckte (vgl. [X.], [X.], S. 773 <780>), aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben als "nicht zweifelsfrei" bezeichnet (vgl. BTDrucks 16/3945, S. 60).

cc) Dass die [X.] der Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] nicht eindeutig war, kam nicht erst in der mit einer Terminsnachricht vom 1. Oktober 2010 verknüpften und den Berufungsgerichten bekannten Verfügung des Vorsitzenden des unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über [X.] zuständigen [X.] des [X.] zum Ausdruck, in der in einem anderen Verfahren darauf hingewiesen wurde, dass der Senat in Erwägung ziehe, das Verfahren auszusetzen und die Frage der [X.] des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] dem [X.] vorzulegen.

Die diesem Hinweis zugrunde liegenden Zweifel an der [X.] des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] fanden in dem von Anfang an gespaltenen Meinungsbild im Schrifttum ihre Bestätigung (die [X.] bezweifelten: [X.], [X.] 1999, S. 335 <342>; [X.], zfs 1997, [X.] <282 f.>; [X.], in: Micklitz, Verbraucherrecht in [X.] - Stand und Perspektiven, 2005, S. 253 <260 ff., 264 f., 267 ff.>; [X.]., in: [X.]/[X.], Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 1. Aufl. 2008, § 8 Rn. 9 f.; [X.], in: [X.]/Fock, [X.], [X.], 2002, [X.]39 <165>; Micklitz/[X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.] durch und im [X.] bei Abschluss von privaten Versicherungsverträgen - Altersvorsorgeverträge - [X.]-Reform, 2003, S. 43 <82 f.>; [X.], [X.] als Informationsproblem, 2003, [X.]09 ff. <112 ff.>; die Übereinstimmung mit den [X.] bejahten: [X.], [X.], S. 773 <782>; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 27. Aufl. 2004, [X.] § 5a Rn. 8; Wandt, Verbraucherinformation und Vertragsschluss nach neuem Recht - Dogmatische Einordnung und praktische Handhabung -, 1995, S. 31 ff. [X.]>, allerdings "nicht bedenkenfrei").

Es fügt sich in das Gesamtbild, dass der [X.] - nach den hier angegriffenen Entscheidungen der Berufungsgerichte - in einem anderen Verfahren den [X.] mit der Frage nach der Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Inhalt des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] mit Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 90/619/[X.] vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/[X.] ([X.]. [X.] Nr. L 330, [X.]-61 vom 29. November 1990) in Verbindung mit Art. 31 der [X.]/[X.] befasst hat (vgl. [X.], Beschluss vom 28. März 2012 - [X.]/11 -, [X.], [X.]) und der [X.] die Vereinbarkeit einer solchen nationalen Regelung mit den [X.] verneint hat (vgl. [X.], Urteil vom 19. Dezember 2013, [X.], [X.]/12, NJW 2014, S. 452 <452 f.> Rn. 19 ff., 32).

b) Unter diesen Umständen haben die Berufungsgerichte das Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. mit einer verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Begründung angenommen. Eine Entscheidung über die Berufungen durch Beschluss kam daher schlechterdings nicht in Betracht. Die Berufungsgerichte hätten vielmehr durch Urteil unter Zulassung der Revision (gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) entscheiden müssen, wenn sie nicht selbst zur Klärung der für entscheidungserheblich befundenen Frage der [X.] der Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einholen und das Verfahren aussetzen wollten.

c) Die angegriffenen Beschlüsse der Berufungsgerichte über die Zurückweisung der Berufung beruhen jeweils auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil die Gerichte ihre Entscheidungen in der Sache allein auf ihre oben dargestellte Rechtsauffassung gestützt haben. Beim derzeitigen Verfahrensstand kann auch nicht angenommen werden, dass bei Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen und Zurückverweisung der Sache an das jeweilige Berufungsgericht kein anderes, für die Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis in Betracht kommt (vgl. dazu [X.]E 90, 22 <25 f.>). Die im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 1415/11 durch den Versicherer thematisierte fachrechtliche Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beschwerdeführer im Falle einer unterstellten [X.]swidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] einen über den Rückkaufswert hinausgehenden Anspruch auf Prämienrückerstattung hat, bleibt hiernach einer fachgerichtlichen Überprüfung vorbehalten und ist nicht geeignet, der Verfassungsbeschwerde das Rechtsschutzbedürfnis zu entziehen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2083/11 -, juris Rn. 47 ff.).

2. Danach liegen die Voraussetzungen für die Annahme der [X.] zur Entscheidung vor; die Annahme ist zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b, § 93b Satz 1, § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Die angegriffenen Beschlüsse über die Zurückweisung der Berufungen sind hiernach aufzuheben und die Sachen an die Berufungsgerichte zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 und 2 [X.]). Damit wird im Verfahren 1 BvR 1408/11 der zugehörige Beschluss des Berufungsgerichts über die Anhörungsrüge gegenstandslos.

Ob zugleich eine Verletzung weiterer, als verletzt gerügter verfassungsmäßiger Rechte der Beschwerdeführer im Sinne von § 90 Abs. 1 [X.] gegeben ist, bedarf danach keiner Entscheidung mehr.

V.

1. Die Anordnung der Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].

2. Die Festsetzung des [X.] beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG in der gemäß § 60 Abs. 1 RVG vor dem 1. August 2013 geltenden Fassung und den durch das [X.]esverfassungsgericht für die Festsetzung des [X.] im Verfahren der Verfassungsbeschwerde entwickelten und fortgeltenden Maßstäbe (vgl. [X.]E 79, 365 <366 ff.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Juni 2013 - 1 BvR 2952/08 -, NJW 2013, [X.] Rn. 6).

Meta

1 BvR 1408/11, 1 BvR 1415/11

09.05.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Dortmund, 26. April 2011, Az: 2 S 46/10, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 09.05.2014, Az. 1 BvR 1408/11, 1 BvR 1415/11 (REWIS RS 2014, 5699)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5699

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 2083/11 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 …


1 BvR 2534/10 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Vereinbarkeit des Abschlusses von Versicherungsverträgen nach dem sog. "Policenmodell" (§ 5a Abs 1 …


2 BvR 723/12, 2 BvR 724/12, 2 BvR 725/12 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung


1 BvR 543/12, 1 BvR 544/12, 1 BvR 545/12, 1 BvR 892/12, 1 BvR 894/12, 1 BvR 2476/12 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung


2 BvR 892/12, 2 BvR 893/12, 2 BvR 1969/12, 2 BvR 1990/12 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvR 2083/11

1 BvR 2534/10

IV ZR 252/08

IV ZR 76/11

1 BvR 2952/08

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.