Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.03.2014, Az. VI ZB 45/13

6. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7217

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist: Überwachungspflichten des Berufungsanwalts bei Telefaxübermittlung des Berufungsschriftsatz durch eine berufserfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte in der Probezeit


Leitsatz

Zur Überwachungspflicht des Rechtsanwalts bei einer voll ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten mit mehrjähriger Berufserfahrung, die seit nahezu sechs Monaten in der Rechtsanwaltskanzlei tätig ist.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 16. Oktober 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

[X.]: 1.300,27 €

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt wegen eines Verkehrsunfalls von den Beklagten Schadensersatz. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des [X.] am 3. Juli 2013 zugestellt worden. Am 5. August 2013, einem Montag, ist beim [X.] per Telefax eine Berufungsschrift aus der Kanzlei der damaligen Prozessbevollmächtigten des [X.] eingegangen. Bei dem per Fax eingegangenen [X.] fehlte die zweite Seite mit der Unterschrift des Rechtsanwalts des [X.]. Zwei Tage später ging die unterschriebene Berufungsschrift vollständig beim [X.] ein. Der Vorsitzende der zuständigen Zivilkammer wies mit Verfügung vom 30. August 2013, dem Rechtsanwalt des [X.] zugegangen am 4. September 2013, auf die fehlende Unterschrift unter der fristwahrenden Berufungsschrift hin. Mit Schriftsatz vom 10. September 2013, per Telefax eingegangen am 13. September 2013, hat der Kläger (erneut) Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

2

Zur Begründung hat er vorgetragen, das Fehlen der Unterschrift auf der per Telefax übermittelten Rechtsmittelschrift beruhe auf einem Versehen der Angestellten [X.] seiner Prozessbevollmächtigten. Rechtsanwalt [X.] habe die Berufungsschrift am 5. August 2013 unterzeichnet und an die Rechtsanwaltsfachangestellte [X.] mit der Maßgabe übergeben, diese an das [X.] vorab per Telefax und danach im Postwege zu senden. Nach Rücksprache mit Frau [X.], wonach die durch Rechtsanwalt [X.] unterzeichnete Berufungseinlegungsschrift an das [X.] G. ordnungsgemäß und insbesondere vollständig vorab per Telefax übermittelt worden sei, sei die Berufungseinlegungsfrist im Kalender gelöscht worden. Entgegen der ausdrücklichen Anweisung und trotz hinreichender regelmäßiger Überprüfungen habe Frau [X.] allerdings die mit der Unterschrift des Unterzeichners versehene Seite 2 nicht per Telefax, sondern nur auf dem Postwege an das [X.] G. übermittelt.

3

Dazu hat der damalige Prozessbevollmächtigte des [X.] eidesstattlich versichert, dass Frau [X.], die seit dem 15. Februar 2013 in seiner Kanzlei beschäftigt sei, sich in dieser [X.] als kompetente und stets zuverlässige Fachkraft erwiesen habe, der auch die Übermittlung fristenbezogener Schriftstücke anvertraut werden könne. Durch ihr Handeln sei stets sichergestellt, dass die jeweils eingetragenen und überprüften Fristen gewahrt würden und dass die vollständige und ordnungsgemäße Übermittlung per Telefax an das jeweils zuständige Gericht mit einem Sendebericht auf die Vollständigkeit der Übermittlung überprüft werde und eine Streichung der Frist erst danach erfolge. Durch monatliche regelmäßige Kontrollen und Vorlagen werde die Arbeitsweise von Frau [X.] überprüft. Frau [X.] versicherte unter Bestätigung der Angaben des Prozessbevollmächtigten dazu an Eides statt, dass sie seit dem 30. Juni 2005 ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte sei.

4

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und die Berufung des [X.] als unzulässig verworfen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass Rechtsanwalt [X.] die Rechtsanwaltsfachangestellte [X.] nicht mit der Übermittlung der Berufungsschrift habe betrauen dürfen, ohne persönlich die Anzahl der übermittelten Seiten nochmals zu überprüfen. Zwar könne ein Rechtsanwalt die Ausgangskontrolle und Übermittlung von Schriftsätzen an zuverlässiges Personal delegieren, wenn er - wie dies in der Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten üblich sei - anordne, dass der Sendebericht ausgedruckt, auf die Zahl der übermittelten Seiten überprüft und erst dann im [X.] die Frist gelöscht werde. Beim Einsatz von Personal, das noch keine sechs Monate in dem Büro des Bevollmächtigten angestellt sei, sei aber in der Rechtsprechung anerkannt, dass jedenfalls bis zum Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit eine eigenständige Kontrolle durch den Prozessbevollmächtigten durchzuführen sei; danach nur, wenn besondere Umstände eine solche Kontrolle notwendig machten. Da Frau [X.] seit dem 15. Februar 2013 zum [X.]punkt des Endes der Berufungseinlegungsfrist am 5. August 2013 noch keine sechs Monate beim Prozessbevollmächtigten des [X.] beschäftigt gewesen sei, habe der Prozessbevollmächtigte eigenständig den Faxsendebericht auf die Vollständigkeit der Seitenanzahl überprüfen müssen. Dass er dies getan hätte, sei nicht vorgetragen. Einer eigenständigen Überprüfung durch den Prozessbevollmächtigten stehe auch nicht entgegen, dass Frau [X.] bereits seit dem Jahre 2005 Rechtsanwaltsfachangestellte sei, da jede Kanzlei eine - wenngleich in Nuancen - abweichende Organisation unterhalte, die einer Eingewöhnungszeit unabhängig von der bestehenden Berufserfahrung bedürfe. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten seines Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen er auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. [X.] 79, 372, 376 f.; [X.], NJW-RR 2002, 1004).

6

2. Mit den Erwägungen des Berufungsgerichts lässt sich ein dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht begründen.

7

a) Zwar trägt der Rechtsanwalt die Verantwortung dafür, dass eine einwandfreie Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Februar 1982 - [X.], [X.], 471). Zur Erfüllung dieser Pflicht darf der Anwalt aber einfache Aufgaben einer zuverlässigen Angestellten übertragen, ohne dass er die ordnungsgemäße Erledigung im Einzelnen überwachen muss (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Februar 2003 - [X.], [X.], 1462; [X.], Beschlüsse vom 10. Februar 1982 - [X.], aaO sowie vom 4. November 1981 - [X.] und [X.], [X.], 190). Das gilt nicht nur für allgemeine Weisungen, sondern auch und erst recht für eine konkrete mündliche Weisung im Einzelfall (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 1994 - [X.], [X.], 1494; Beschluss vom 3. September 1998 - [X.], [X.], 1170, 1171).

8

Bei Zugrundelegung des [X.] zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist sein Prozessbevollmächtigter den ihm obliegenden Sorgfaltsanforderungen gerecht geworden. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, der Prozessbevollmächtigte des [X.] habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass seine Büroangestellte [X.], die sich bisher als zuverlässig erwiesen hatte, die konkrete Einzelanweisung befolgen würde, den von ihm unterzeichneten [X.] per Telefax vollständig an das Berufungsgericht zu senden. Hätte Frau [X.] die Anweisung befolgt, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Das für die Fristversäumung ursächliche Versehen der Rechtsanwaltsfachangestellten [X.] steht dem Wiedereinsetzungsbegehren des [X.] nicht entgegen.

9

Unter Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen des Rechtsanwalts [X.] und der Rechtsanwaltsfachangestellten [X.] hat der Kläger vorgetragen, dass die Angestellte bisher zuverlässig und sorgfältig die ihr übertragenen Aufgaben erfüllt hat. Die Versendung der Rechtsmittelschrift per Telefax ist eine einfache Bürotätigkeit, mit der eine Rechtsanwaltsfachangestellte mit achtjähriger Berufserfahrung, die seit nahezu sechs Monaten bei dem Prozessbevollmächtigten des [X.] tätig war, ohne dass ein Anlass bestanden hätte, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln, beauftragt werden durfte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. Februar 2002 - [X.], NJW-RR 2002, 1070, 1071; vom 6. Dezember 1995 - [X.], [X.], 910, 911 und vom 14. Juli 1994 - [X.], [X.], 238, 239). Besondere Umstände, die eine besondere Kontrolle von Frau [X.] hätten notwendig machen können, etwa dass sie sich noch in der Phase der Einarbeitung befunden hätte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

Da es sich bei der Angestellten [X.] um eine ausgebildete Fachkraft handelt, lässt sich eine Kontrollpflicht des Rechtsanwalts des [X.] dem Beschluss des [X.] vom 11. September 2007 ([X.] 109/04, NJW 2007, 3497, 3498) nicht entnehmen. Dem Fall lag zugrunde, dass einer Auszubildenden zur Rechtsanwaltsfachangestellten die Notierung und Überwachung von Fristen übertragen worden ist. Grundsätzlich darf nur voll ausgebildetes und sorgfältig überwachtes Personal hiermit betraut werden, nicht dagegen [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 11. September 2007 - [X.] 109/04, aaO).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts muss der Rechtsanwalt eine eigene Kontrolle beim Einsatz von geschultem und zuverlässigem Personal auch nicht jedenfalls bis zum Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit durchführen. Ein solches Erfordernis ergibt sich nicht aus dem Beschluss des [X.]. Zivilsenats des [X.] vom 13. Januar 2011 ([X.]/08, [X.], 1080). Der [X.]. Zivilsenat hat dort vielmehr für nicht erforderlich erachtet, dass der Rechtsanwalt nach Ablauf einer beanstandungsfreien sechsmonatigen Probezeit einer ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten bei der Delegierung der Fristberechnung und -notierung eine eigenständige Kontrolle durchführt. Zu Erforderlichkeit und Umfang einer anwaltlichen Kontrolle vor Ablauf einer Beschäftigungszeit von sechs Monaten sagt der Beschluss nichts. Besondere Anforderungen an die notwendige Überwachung von Fristen sind zwar beim Einsatz von nur kurzfristig geschultem und noch nicht während eines längeren [X.]raums erprobtem Büropersonal zu stellen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Februar 2009 - [X.]/08, [X.] 2010, 30; [X.], Urteil vom 23. September 1977 - [X.], [X.], 139). Doch traf dies für die Angestellte [X.] nach den Angaben in den eidesstattlichen Versicherungen nicht zu.

b) Dem Rechtsanwalt des [X.] ist auch kein Organisationsverschulden vorzuwerfen, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste. Nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des [X.] und der Rechtsanwaltsfachangestellten [X.] hat der Anwalt hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen, dass Fristen im [X.] erst dann gestrichen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt oder jedenfalls soweit gediehen ist, dass von einer fristgerechten Vornahme auszugehen ist. Er hat die Ausgangskontrolle bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax organisatorisch durch die Anweisung präzisiert, dass der damit befasste Mitarbeiter, bevor die entsprechende Frist gestrichen wird, einen Einzelnachweis über den [X.] ausdruckt und prüft, ob dieser eine ordnungsgemäße Übermittlung anzeigt (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 10. September 2013 - [X.]/12, [X.], 1303; [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2003 - [X.], [X.], 367, 368; vom 9. Februar 1995 - [X.], [X.], 1073, 1074). Auch hat der Rechtsanwalt des [X.] die Zuverlässigkeit seines Personals in der Behandlung von [X.] gemäß seiner eidesstattlichen Versicherung stichprobenartig überwacht. Eine darüber hinausgehende Überwachung ist nicht gefordert, wenn der Anwalt von der Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin ausgehen durfte.

c) Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. An einer Entscheidung in der Sache gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO ist der Senat auch hinsichtlich des [X.] gehindert. Es fehlt an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Beschluss. Ihm lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, ob das Berufungsgericht den auf den Wiedereinsetzungsantrag bezogenen Sachvortrag des [X.] für glaubhaft gemacht hält oder ob es ihn lediglich als wahr unterstellt, was von seinem - allerdings unzutreffenden - Rechtsstandpunkt aus gesehen ausreichend wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2013 - [X.], NJW 2014, 700).

Galke                            Wellner                            Diederichsen

                 [X.]                            von [X.]

Meta

VI ZB 45/13

11.03.2014

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Gera, 16. Oktober 2013, Az: 1 S 315/13

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 511 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.03.2014, Az. VI ZB 45/13 (REWIS RS 2014, 7217)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7217

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