Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.03.2017, Az. VI ZR 125/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 14588

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Haftung bei Kfz-Unfall: Zurechnung der Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten Kfz beim Schadensersatzanspruch des nichthaltenden Sicherungseigentümers; gewillkürte Prozessstandschaft des Fahrzeughalters


Leitsatz

Dem Schadensersatzanspruch des nichthaltenden Sicherungseigentümers aus § 7 Abs. 1 StVG kann die Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten Kraftfahrzeugs nicht entgegengehalten werden, wenn ein Verschulden desjenigen, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, nicht feststeht. (Festhalten an den Senatsurteilen vom 30. März 1965, VI ZR 257/63, NJW 1965, 1273 f.; vom 10. Juli 2007, VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 ff. und vom 7. Dezember 2010, VI ZR 288/09, BGHZ 187, 379 ff.).

Dies gilt auch, wenn der nichthaltende Sicherungseigentümer den Halter ermächtigt hat, diesen Anspruch im Wege gewillkürter Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des [X.] vom 24. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Revisionsverfahrens als Gesamtschuldner.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt nach einem Verkehrsunfall die Beklagten auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Anspruch. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt Halter des an eine Bank sicherungsübereigneten Fahrzeugs. Der Beklagte zu 1 war Halter des gegnerischen Fahrzeugs, die Beklagte zu 2 dessen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer. Die Beklagte zu 2 legte ihrer Regulierung eine Haftungsquote von 50/50 zugrunde.

2

Die den [X.] finanzierende Bank und Sicherungseigentümerin des beschädigten Fahrzeugs (hiernach "Sicherungseigentümerin") ermächtigte den Kläger, ihre Schadensersatzansprüche aus dem Unfallgeschehen gegen die Beklagten im eigenen Namen geltend zu machen. Der Kläger begehrte in gewillkürter Prozessstandschaft Ersatz restlicher Reparaturkosten, der Wertminderung des Fahrzeugs und vorgerichtlicher Sachverständigenkosten sowie aus eigenem Recht Ersatz des Nutzungsausfalls und einer allgemeinen Kostenpauschale.

3

Der Hergang des Unfalls ließ sich nicht aufklären, ein Verschulden der jeweiligen Fahrzeugführer ebenso wenig feststellen. Das Amtsgericht hat die Beklagten zur Zahlung auf Grundlage einer Haftungsverteilung von 50/50 verurteilt. Auf die Berufung des [X.], der die Feststellung des Amtsgerichts, der Unfallhergang sei unaufklärbar, nicht angegriffen hat, hat das Berufungsgericht die Beklagten zur vollständigen Zahlung fahrzeugbezogener Schadenspositionen (Sachschaden, Minderwert, Sachverständigenkosten) verurteilt und im Übrigen die vom Amtsgericht angenommene Haftungsquote bestätigt. Die Beklagten begehren mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne aufgrund der Ermächtigung der [X.]in deren Schadensersatzansprüche im eigenen Namen geltend machen. Als Sicherungsgeber habe er ein wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung der Ansprüche. Eine Benachteiligung der Beklagten sei nicht ersichtlich.

5

In der Sache müsse sich die [X.]in die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs mangels [X.] nicht entgegenhalten lassen; weder § 17 Abs. 2 StVG noch § 9 StVG oder § 254 BGB seien anwendbar. Daher seien die Beklagten verpflichtet, fahrzeugbezogene Schadensersatzansprüche der [X.]in vollständig zu tragen. Nur auf eigene Schadensersatzansprüche müsse sich der Kläger die mitwirkende Betriebsgefahr des von ihm gehaltenen Fahrzeugs anrechnen lassen.

II.

6

Das angegriffene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Kläger befugt, die Ansprüche der [X.]in, die im Revisionsverfahren allein noch von Interesse sind, in gewillkürter Prozessstandschaft geltend zu machen. Diese Ansprüche bestehen in der vom Berufungsgericht festgestellten Höhe.

7

1. Der erkennende Senat kann die Erklärung der [X.]in zum Inhalt und Umfang der Prozessermächtigung selbst würdigen. Bei der Prozessführungsbefugnis handelt es sich um eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen ist. Das Revisionsgericht ist dabei weder an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden, noch beschränkt sich seine Prüfung auf die Tatsachen und Beweismittel, die dem Berufungsgericht vorgelegen haben. Das Revisionsgericht hat vielmehr gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung neuen Vorbringens in der Revisionsinstanz selbständig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Prozessführungsbefugnis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben (vgl. [X.], Urteil vom 19. März 1987 - [X.], [X.]Z 100, 217, 219 mwN).

8

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine gewillkürte Prozessstandschaft zulässig ist, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat ([X.], Urteile vom 12. Juli 1985 - [X.], NJW-RR 1986, 158; vom 19. März 1987 - [X.], [X.]Z 100, 217, 218; vom 7. Dezember 2001 - [X.], [X.], 1038). [X.] ist ein Interesse des [X.] nur, wenn der Beklagte durch die gewählte Art der Prozessführung nicht unbillig benachteiligt wird ([X.], Urteile vom 2. Oktober 1987 - [X.], NJW-RR 1988, 126, 127; vom 24. Oktober 1985 - [X.], [X.]Z 96, 151, 155/156). Darüber hinaus muss sich der Prozessführende im Rechtsstreit grundsätzlich auf die ihm erteilte Ermächtigung berufen und zum Ausdruck bringen, wessen Recht er geltend macht (vgl. [X.], Urteil vom 21. März 1985 - [X.], [X.]Z 94, 117, 122). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

9

a) Eine von der [X.]in erteilte Ermächtigung zur Prozessführung im eigenen Namen liegt in ihrer Erklärung vom 15. September 2014. Der Kläger hat sich durch den Klageantrag, die Darstellung des Sachverhalts und die Erklärung, Schadensersatzansprüche der [X.]in aus dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen geltend zu machen, ausdrücklich auf diese Ermächtigung gestützt.

b) Auch von einem schutzwürdigen Interesse des [X.] an der Prozessführung im eigenen Namen geht das Berufungsgericht zutreffend aus. Ein schutzwürdiges Interesse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat ([X.], Urteil vom 5. Februar 2009 - [X.], [X.], 1213, 1215 mwN). Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden ([X.], Urteil vom 24. August 2016 - [X.], NJW 2017, 487, 488; Senatsurteil vom 19. September 1995 - [X.], NJW 1995, 3186; [X.], Urteil vom 23. September 1992 - I ZR 251/90, [X.]Z 119, 237, 242). Für die Klage des Sicherungsgebers wird ein solches in der Rechtsprechung bejaht (vgl. [X.], Urteil vom 30. Oktober 1985 - [X.], [X.]Z 96, 182, 185; vgl. zum Vorbehaltskäufer [X.], Urteil vom 5. Februar 1964 - [X.], [X.] zu § 985 BGB; vgl. für den Leasingnehmer [X.], [X.], 577, 578).

Es kann für die Prozessführungsbefugnis dahinstehen, ob dem in Prozessstandschaft klagenden Fahrzeughalter, wie von der Revision geltend gemacht, daneben eigene - etwa auf das Anwartschaftsrecht gestützte -, infolge der Zurechnung der Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten Fahrzeugs geringere Ansprüche gegen die Beklagten zustehen. Dem Kläger steht es aufgrund der zivilprozessualen Dispositionsmaxime sowie der [X.] über das Verfahren (§ 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO) frei, hinsichtlich des [X.] allein die Ansprüche der [X.]in einzuklagen.

Durch das Einrücken des Fahrzeughalters in die Klägerposition entsteht den Beklagten kein Nachteil. Sie stehen wirtschaftlich und prozessual nicht schlechter. Denn machte die [X.]in ihre Ansprüche selbst geltend, könnten die Beklagten ihr in der Konstellation des Streitfalls die Betriebsgefahr ebenfalls nicht entgegenhalten (vgl. dazu die Ausführungen unter II 2).

2. Ohne Erfolg greift die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts an, dass den Ansprüchen der das Fahrzeug nicht haltenden [X.]in die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs nicht entgegengehalten werden kann. Eine Norm, aufgrund derer sich der nicht haltende [X.] die Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten, vom Sicherungsgeber gehaltenen Fahrzeugs zurechnen lassen müsste, besteht nicht.

a) Eine Zurechnung der Betriebsgefahr nach § 17 StVG scheidet aus. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 10. Juli 2007 ([X.], [X.]Z 173, 182 Rn. 8) seine Auffassung bekräftigt, dass § 17 StVG nur anzuwenden ist, wenn auch der Geschädigte nach den Bestimmungen des [X.] haftet (vgl. Senatsurteil vom 30. März 1965 - [X.], NJW 1965, 1273, 1274). Eine Erstreckung des Normanwendungsbereichs auf den nicht haltenden [X.] ist abzulehnen, insbesondere nachdem der Gesetzgeber durch die Änderung des § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG mit dem 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 ([X.], [X.]) zum Ausdruck gebracht hat, dass er sich der Möglichkeit des Auseinanderfallens von Halter- und Eigentümerstellung bewusst war (BT-Drucks 14/8780, S. 22 f.), und eine über § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG hinausgehende Änderung nicht vorgenommen hat. Eine durchgehende Gleichstellung von Eigentümer und Halter im Rahmen des § 17 StVG ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Auch ist der Wortlaut der Vorschrift insoweit eindeutig.

b) Als [X.] scheidet auch § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB aus. Ohne festgestelltes Verschulden des Führers des klägerischen Fahrzeugs sind die Anwendungsvoraussetzungen des § 9 StVG nicht gegeben, denn § 9 StVG setzt ein Verschulden voraus ([X.], in: [X.]/[X.]/Jahnke, [X.] Verkehrsrecht, 2. Aufl., Teil 2, Rz. 215 f.; [X.]., [X.], 579; [X.], in: [X.][X.]/[X.]/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 9 StVG Rn. 9b; [X.], in: [X.]/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 9 StVG Rn. 17; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2 Rn. 303; [X.]/[X.], in[X.]/[X.], [X.] Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 9 StVG Rn. 1).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Senats vom 7. Dezember 2010 ([X.], [X.]Z 187, 379 Rn. 12). Nur im Fall des - hier nicht festgestellten - (Mit-)Verschuldens des Führers des sicherungsübereigneten Fahrzeugs wäre die Betriebsgefahr im Rahmen der [X.] gemäß § 9 StVG, § 254 BGB mit zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 30. März 1965 - [X.], NJW 1965, 1273, 1274). Ein nur vermutetes Verschulden genügt nicht.

c) Entgegen der Auffassung der Revision kommt eine Zurechnung gemäß § 278 BGB schon mangels Bestehens einer Sonderverbindung zwischen der [X.]in und den Beklagten nicht in Betracht (vgl. Senatsurteile vom 30. März 1965 - [X.], NJW 1965, 1273, 1274; vom 10. Juli 2007 - [X.], [X.]Z 173, 182 Rn. 15).

d) Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht, wenn man mit den Vorinstanzen und den Parteien von einem dinglichen Anwartschaftsrecht des [X.] bezogen auf das Eigentum an dem unfallbeteiligten Kraftfahrzeug ausgeht. Etwaige eigene Schadensersatzansprüche des [X.] wegen der Verletzung seines Anwartschaftsrechtes oder der Beschädigung des Sicherungsgutes stehen im Streitfall seiner Geltendmachung der Rechte der [X.]in nicht entgegen. Auf solche eigenen Rechte stützt der Kläger seine Klage nämlich nicht, sondern lediglich auf die der [X.]in.

Das Sicherungseigentum ist echtes Eigentum im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 1992 - [X.], [X.]Z 118, 201, 205), also Volleigentum (vgl. BeckOGK BGB/Klinck BGB, Stand 1. Dezember 2016, § 930 Rn. 194; [X.]/[X.], 7. Aufl., [X.]. §§ 929-936 Rn. 40). Der [X.] hat bei Beschädigung des Sicherungsgutes grundsätzlich Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB und aus § 7 StVG. Mit der Ermächtigung des Sicherungsgebers durch die [X.]in ist im Streitfall gewährleistet, dass der Substanzschaden in einer Hand geltend gemacht wird. Damit wird zugleich einer doppelten Geltendmachung der Ansprüche vorgebeugt. Der Schädiger könnte einer weiteren Klage der [X.]in den Einwand der Rechtskraft ([X.], Urteile vom 7. Juli 1993 - [X.], [X.]Z 123, 132, 135 f.; vom 12. Juli 1985 - [X.], [X.], 1324 unter I 3; vom 2. Oktober 1987 - [X.], NJW-RR 1988, 126, 127) und einer Klage des anwartschaftsberechtigten Sicherungsgebers aus eigenem Recht jedenfalls den Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenhalten.

Galke      

        

von [X.]      

        

Oehler

        

Klein      

        

[X.]      

        

Meta

VI ZR 125/16

07.03.2017

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Stuttgart, 24. Februar 2016, Az: 13 S 46/15, Urteil

§ 7 Abs 1 StVG, § 9 StVG, § 51 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.03.2017, Az. VI ZR 125/16 (REWIS RS 2017, 14588)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 2352 WM2017,1002 REWIS RS 2017, 14588

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 125/16 (Bundesgerichtshof)


XI ZR 429/19 (Bundesgerichtshof)

Gesamtschuldnerausgleich zwischen der Kfz-Haftpflichtversicherung des Verkehrsunfallgegners und dem Halter bei 100%iger Haftung des Haftpflichtversicherers gegenüber …


VI ZR 203/22 (Bundesgerichtshof)

Verkehrsunfallbedingter Schadensersatz bei Verletzung des Sicherungseigentums an Fahrzeug; Zulässigkeit einer alternativen Klagehäufung


15 U 201/20 (Oberlandesgericht Köln)


10 U 8722/21 e (OLG München)

Betriebsgefahr, Revision, Zulassung, Kostenentscheidung, Voraussetzungen, Prozessstandschaft, Widerklage, Leasingnehmer, Anlage, Voraussetzung, Rechnung, Reparatur, Bedeutung, Regelung, Fortbildung …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.