Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.11.2020, Az. B 14 AS 49/19 B

14. Senat | REWIS RS 2020, 2509

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Wegfall der Klärungsbedürftigkeit durch zwischenzeitliche Entscheidung des BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregelungen im SGB 2


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2018 - L 13 [X.]/17 - wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist zurückzuweisen, weil sie zumindest unbegründet ist.

2

Im Streit stand ursprünglich die Feststellung des vollständigen Wegfalls des vom Kläger bezogenen [X.] für Oktober 2015 bis Dezember 2015 wegen Verstoßes gegen [X.] (Bescheid vom 15.9.2015, Widerspruchsbescheid vom 17.12.2015). Nach erfolglos gebliebener Klage (Urteil vom 20.2.2017) hat das [X.] die Berufung des [X.] zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 12.12.2018).

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] richtet sich die auf die Grundsatzrüge nach § 160 Abs 2 [X.] SGG gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des [X.].

4

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Nach den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG sich ergebenden Anforderungen muss ein Beschwerdeführer dazu anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt (vgl [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, [X.], RdNr 56 ff).

5

Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der zuvor aufgezeigten Voraussetzungen ist der Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] über die Nichtzulassungsbeschwerde. Dies bedeutet, dass die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, die zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde gegeben war, durch zwischenzeitliche Entscheidungen des [X.] oder des [X.] über diese Rechtsfrage bis zur Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde wegf[X.] kann (stRspr; vgl nur [X.] vom [X.] - [X.] 1500 § 160 [X.]; [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, [X.], RdNr 71 ff).

6

In seiner Beschwerdebegründung vom [X.] hat der Kläger als klärungsbedürftig bezeichnet, ob Pflichtverletzungen nach § 31a [X.] mit Verfassungsrecht und insbesondere mit dem sich aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar seien.

7

Diese Fragen sind durch das Urteil des [X.] vom 5.11.2019 (1 BvL 7/16 - [X.]E 152, 68) umfassend beantwortet worden. Danach ist § 31a Abs 1 Sätze 1, 2 und 3 [X.] mit Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG unvereinbar, soweit die Höhe der Leistungsminderung bei einer erneuten Verletzung einer Pflicht nach § 31 Abs 1 [X.] die Höhe von 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt, soweit eine Sanktion nach § 31a Abs 1 Sätze 1 bis 3 [X.] zwingend zu verhängen ist, auch wenn außergewöhnliche Härten vorliegen, und soweit § 31b Abs 1 Satz 3 [X.] für alle Leistungsminderungen ungeachtet der Erfüllung einer Mitwirkungspflicht oder der Bereitschaft dazu eine starre Dauer von drei Monaten vorgibt. Maßgebend hierfür waren nach den Leitsätzen des Urteils folgende tragenden Erwägungen: "1. Die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht [X.] zu und geht selbst durch vermeintlich 'unwürdiges' Verhalten nicht verloren. Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den [X.] zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt. 2. Der Gesetzgeber kann erwerbsfähigen Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Existenz selbst zu sichern und die deshalb staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, abverlangen, selbst zumutbar an der Vermeidung oder Überwindung der eigenen Bedürftigkeit aktiv mitzuwirken. Er darf sich auch dafür entscheiden, insoweit verhältnismäßige Pflichten mit wiederum verhältnismäßigen Sanktionen durchzusetzen."

8

Ausweislich der vom Beklagten zur Prüfung des [X.] der Prozessvoraussetzungen vorgelegten Auskünfte und Bescheide wurde dem Kläger für Dezember 2015 [X.] ohne Minderung des Regelbedarfs gezahlt. Für Oktober und November 2015 wurde die fortbestehende Minderung auf einen weiteren Bescheid vom 20.8.2015 gestützt, den der Kläger im vorliegenden Verfahren nicht angegriffen hat. Von Seiten des [X.] sind insofern trotz Nachfrage des [X.] keine Einwände vorgebracht worden. Er hat nur darauf hingewiesen, dass wegen des Bescheids vom 20.8.2015 noch ein Gerichtsverfahren anhängig sei.

9

Angesichts dessen sind die Voraussetzungen für eine fortbestehende entscheidungserhebliche Klärung der vom Kläger formulierten Fragen im vorliegenden Verfahren zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] nicht mehr gegeben. Soweit der Beklagte für Dezember 2015 [X.] ohne Minderung gezahlt hat, ist der Kläger nicht (mehr) beschwert. Hinsichtlich des vollständigen Wegfalls der Leistungen für Oktober und November 2015 ist im vorliegenden Verfahren keine für den Kläger durchgreifende günstige Entscheidung möglich, weil der Beklagte diese Minderung auf den weiteren Bescheid vom 20.8.2015 gestützt hat, der nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Meta

B 14 AS 49/19 B

26.11.2020

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Stade, 20. Februar 2017, Az: S 28 AS 44/16, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 31a SGB 2, § 31b SGB 2, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.11.2020, Az. B 14 AS 49/19 B (REWIS RS 2020, 2509)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2509

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 4 AS 417/13 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - unzureichende Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung - Arbeitslosengeld II - Sanktion nach Meldeversäumnissen - …


B 14 AS 72/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Gebot des gesetzlichen Richters - Vorlage an das …


B 14 KG 1/16 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - nicht ausreichende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit …


B 10 LW 1/16 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Alterssicherung der Landwirte - Hofabgabe (weiterhin) geeignet für Strukturwandel in der Landwirtschaft - …


B 10 LW 4/13 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache - Verfassungsmäßigkeit der sog Hofabgabeklausel als Anspruchsvoraussetzung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvL 7/16

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.