Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.07.2015, Az. B 13 R 170/15 B

13. Senat | REWIS RS 2015, 8355

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensrüge - rechtliches Gehör - Mitteilung der Schlussfolgerungen des Gerichtes aus den Tatsachen bzw Beweisergebnissen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 25. Februar 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Das [X.] hat mit Urteil vom 25.2.2015 einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf Verfahrensmängel.

3

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung vom [X.] genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil sie den geltend gemachten Zulassungsgrund des [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 [X.] und auf eine Verletzung des § 103 [X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5

a) Die Klägerin rügt zunächst eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die mündliche Verhandlung vor dem [X.] habe mit Verkündung und Begründung nur "ganze 30 Minuten" gedauert. In der mündlichen Verhandlung sei ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten ein Schriftsatz der Beklagten vom 18.2.2015 überreicht worden, der "die nicht unwesentliche Mitteilung zum Ende des Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab Mai 2011" enthalten habe. Es sei ausweislich der Sitzungsniederschrift nur Gelegenheit zur Lektüre, nicht aber zur Stellungnahme gegeben worden. Der vorgenannte Schriftsatz der Beklagten sei auch maßgeblich in den Entscheidungsgründen des [X.]-Urteils berücksichtigt worden. Dies sei aber "nicht richtig", weil die [X.] als Sachverständige gehörte Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie [X.] in ihrem Gutachten vom 25.11.2014 nicht vom Vorliegen eines "[X.]" nach Mai 2011 ausgehe, sondern bereits ab Rentenantragstellung (Juni 2006). Es sei ihrer damaligen Prozessvertreterin insofern nicht erkennbar gewesen, dass das Gericht aus dem vorgenannten Schriftsatz der Beklagten zu der Schlussfolgerung komme, dass die Einschätzung der Gutachterin [X.] nicht zur Anspruchsbegründung führe. Es sei aus dem angegriffenen Urteil und der Sitzungsniederschrift auch nicht ersichtlich, dass das [X.] den Vortrag aus ihrem letzten Schriftsatz vom 5.2.2015, der erst am 23.2.2015 beim Gericht eingegangen sei, zur Kenntnis genommen habe.

6

Mit diesem Vortrag hat die Klägerin einen Gehörsverstoß (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]) nicht hinreichend bezeichnet. Soweit sie vorträgt, die mündliche Verhandlung habe lediglich 30 Minuten gedauert, hat die Klägerin nicht aufgezeigt, dass ihr vom [X.] im Termin nicht ausreichend [X.] gewährt worden sei, ihren Rechtsstandpunkt mündlich vorzutragen (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 112 Rd[X.] 7a).

7

Auch mit der Rüge, das Berufungsgericht habe ihr erst in der mündlichen Verhandlung den Schriftsatz der Beklagten vom 18.2.2015 überreicht, in dem mitgeteilt worden sei, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung bei der Klägerin nur bei einem Eintritt des Versicherungsfalls bis (spätestens) Mai 2011 noch vorlägen, und ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten lediglich Gelegenheit zur Lektüre dieses Schriftsatzes gegeben worden sei, hat sie keinen Verfahrensmangel in Gestalt eines Verstoßes gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör bezeichnet. Denn aus ihrem Vorbringen ergibt sich nicht, dass ihre damalige Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vom [X.] gehindert worden oder nicht in der Lage gewesen wäre, nach der Lektüre dieses Schriftsatzes bei der anschließenden Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses sich zu den Ausführungen der Beklagten zu äußern und diesbezügliche Einwände vorzutragen. Überdies hätte sich ihre damalige Prozessbevollmächtigte durch das Stellen eines [X.] (§ 202 S 1 [X.] iVm § 227 Abs 1 ZPO) die nach ihrem Dafürhalten notwendige Frist für eine entsprechende Stellungnahme verschaffen können (vgl [X.]-1500 § 128 [X.]; Senatsbeschluss vom [X.] - B 13 R 535/08 B - Juris Rd[X.] 9). Die Klägerin hat aber weder vorgetragen, einen solchen Antrag gestellt zu haben, noch dass das [X.] sie bzw ihre damalige Prozessbevollmächtigte an der Wahrnehmung ihrer prozess[X.]len Rechte gehindert hätte. Sofern die Klägerin meint, dass für die damalige Prozessbevollmächtigte ohne einen entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts im Hinblick auf das Gutachten der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie [X.] keine Veranlassung für weitere Maßnahmen bestanden habe, verkennt sie, dass es keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz gibt, der das Gericht verpflichtet, vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr, BSG Beschluss vom 9.2.2011 - B 11 [X.] 71/10 B - Juris Rd[X.] 6 mwN; [X.], [X.], 2. Aufl 2010, Rd[X.] 590). Die Pflicht zur Gehörsgewährung bedeutet nur, dass den Beteiligten die vom Gericht eingeholten Tatsachen und Beweisergebnisse bekannt sein müssen; nicht aber muss das Gericht ihnen auch mitteilen, welche Schlussfolgerungen es aus den Tatsachen oder Beweisergebnissen zieht bzw ziehen wird (BSG Beschluss vom 17.7.2007 - [X.] [X.]/07 B - BeckRS 2007, 46399 Rd[X.] 7 mwN). Im Übrigen trägt die Klägerin selbst vor, dass die weiteren im Verfahren gehörten Gutachter (Nervenarzt [X.], Arzt für Orthopädie Dr. H., Arzt für Innere Medizin Dr. L. und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. U.) der Klägerin - im Gegensatz zu [X.] noch ein Leistungsvermögen für zumindest leichte körperliche Arbeiten für arbeitstäglich sechs Stunden und mehr mit weiteren q[X.]litativen Leistungseinschränkungen bescheinigt hätten. Auf dieser Grundlage ist aber nicht nachvollziehbar, weshalb ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf mit einer vom Gutachten der [X.] abweichenden Beweiswürdigung durch das [X.] nicht habe rechnen müssen (vgl [X.] Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - [X.]K 19, 377, 381).

8

Soweit die Klägerin schließlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin sieht, dass nicht ersichtlich sei, dass das [X.] ihren Vortrag im Schriftsatz vom 5.2.2015 zur Kenntnis genommen habe, liegt auch hier keine schlüssige Verfahrensrüge vor. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Die Klägerin hat auch keine besonderen Umstände dargelegt, die deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen von ihr entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl nur [X.]E 47, 182, 187 f; 54, 86, 91 f). Sie hat noch nicht einmal den Inhalt des vorgenannten Schriftsatzes mitgeteilt.

9

b) Des Weiteren rügt die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 [X.]) durch das [X.]. Eine Gesamteinschätzung ihres positiven wie negativen Leistungsvermögens durch einen Sachverständigen, der hierfür die alleinige fachliche Verantwortung zu übernehmen habe, unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aller vier gehörten Fachdisziplinen sei nicht erfolgt. Indem das [X.] diese Gesamtbeurteilung selbst vorgenommen habe, habe es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Zudem beruhe die Entscheidung des [X.] auf einer Fehlvorstellung von dem Inhalt des Gutachtens von Dr. G

Eine eventuelle Verpflichtung zur weiteren Beweiserhebung kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nur dann erheblich sein, wenn das [X.] im Berufungsverfahren einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 [X.] Teils 3 [X.]). Die Anforderungen an eine solche Sachaufklärungsrüge (vgl hierzu allgemein [X.]-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 5 mwN) erfüllt der Vortrag der Klägerin nicht. Insbesondere hat sie nicht aufgezeigt, dass sie einen entsprechenden prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gemäß § 160 Abs 2 [X.] Teils 3 [X.] auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens auf Gesamteinschätzung ihres positiven und negativen Leistungsprofils unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aller vier gehörten Fachdisziplinen gestellt und bis zuletzt vor dem Berufungsgericht aufrechterhalten habe. Ein im Berufungsverfahren anwaltlich vertretener Beteiligter - wie die Klägerin - kann aber nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl zB [X.]-1500 § 160 [X.] 13 Rd[X.] 11 mwN). Dass dies geschehen sei, behauptet die Klägerin aber nicht.

Sofern die Klägern mit der Auswertung und Würdigung der vorliegenden Sachverständigengutachten durch das Berufungsgericht nicht einverstanden ist und zudem meint, die Entscheidung des [X.] beruhe auf einer Fehlvorstellung vom Inhalt des Gutachtens von [X.], greift sie die Beweiswürdigung der Vorinstanz an. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs 2 [X.] Teils 2 [X.] kann aber ein Verfahrensmangel im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht auf § 128 Abs 1 S 1 [X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden. Die Würdigung von [X.] oder ärztlichen Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die Beurteilung anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst.

Wenn die Klägerin zudem geltend macht, das [X.] habe die Grenzen der Beweiswürdigung überschritten, kann dahingestellt bleiben, ob sie einen solchen Verfahrensmangel überhaupt schlüssig dargetan hat. Denn auch damit rügt sie lediglich einen im [X.] unbeachtlichen Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 [X.] (vgl stRspr, zB BSG SozR 1500 § 160 [X.] 26 S 21; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2014, § 160 Rd[X.] 58 mit zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]).

3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 [X.] durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.].

Meta

B 13 R 170/15 B

10.07.2015

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Altenburg, 11. Juni 2010, Az: S 10 R 2546/07, Urteil

§ 62 SGG, § 103 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 S 1 SGG, § 227 Abs 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.07.2015, Az. B 13 R 170/15 B (REWIS RS 2015, 8355)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8355

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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