Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.08.2014, Az. B 9 SB 36/14 B

9. Senat | REWIS RS 2014, 3607

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes - Übergehen eines Beweisantrags - schriftsätzlicher Beweisantrag - Wiederholung in der mündlichen Verhandlung - rechtskundige Vertretung - Nichterscheinen des mandatierten Bevollmächtigten im Termin - Entscheidungserheblichkeit - rechtliches Gehör - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 26. März 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines [X.]rades der Behinderung ([X.]dB) von 100 ab November 2008 (anstelle des mit 30 anerkannten Wertes) sowie die Zuerkennung der Merkzeichen "[X.]", "B" und "[X.]" verneint. [X.]egen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BS[X.] Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen eines [X.] begründet.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil keiner der in § 160 Abs 2 S[X.][X.] abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 S[X.][X.]).

3

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] S[X.][X.]), so müssen zur Bezeichnung des [X.] die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.], 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LS[X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.], 36). [X.]emäß § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 S[X.][X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 S[X.][X.] (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 S[X.][X.] (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LS[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

4

Die Klägerin behauptet einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 S[X.][X.]), weil das LS[X.] ohne hinreichende Begründung einem Beweisantrag nicht gefolgt sei. Im Hinblick auf § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 S[X.][X.] muss die Beschwerdebegründung insoweit folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen [X.], dem das LS[X.] nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LS[X.], aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweiserhebung, (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LS[X.] auf der angeblich unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne, das LS[X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160 [X.], 35, 45 und § 160a [X.], 34). Diesen Erfordernissen ist die Klägerin nicht gerecht geworden. Es fehlt bereits an der hinreichenden Bezeichnung eines vor dem LS[X.] gestellten und bis zuletzt aufrechterhaltenen [X.].

5

Nach dem Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 [X.] S[X.][X.] kann das Übergehen eines [X.] nur dann ein Verfahrensmangel sein, wenn das LS[X.] vor seiner Entscheidung darauf hingewiesen wurde, dass der Beteiligte die Amtsermittlungspflicht des [X.]erichts (§ 103 S[X.][X.]) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl ua BS[X.] [X.] 1500 § 160 [X.]; [X.] 3-1500 § 160 [X.], 20, 31 sowie BVerf[X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.] 6; [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX Rd[X.] 130). Dem Beweisantrag soll eine Warnfunktion zukommen, die er nicht erfüllt, wenn er zwar in einem früheren Verfahrensstadium schriftlich gestellt wurde, im Entscheidungszeitpunkt selbst aber nicht mehr erkennbar weiter verfolgt wird. Das Übergehen eines Beweisantrags iS des § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 S[X.][X.] liegt daher zumindest bei [X.] vertretenen Beteiligten nur dann vor, wenn der Beweisantrag in der abschließenden mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung schriftsätzlich zu einem Zeitpunkt gestellt bzw wiederholt wurde, in dem feststand, dass das LS[X.] von sich aus keine Ermittlungen mehr durchführen würde. Wird ein zuvor schriftsätzlich gestellter Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt, so gilt er bei einem [X.] vertretenen Beteiligten als erledigt (vgl [X.], Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BS[X.] [Teil II], S[X.]b 2007, 328, 331 mwN zu Fußnote 177 und 178).

6

Diesen Vorgaben wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Zwar verweist die Klägerin darauf, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem LS[X.] am [X.] nur deren Ehemann als Bevollmächtigter erschienen sei und behauptet, das LS[X.] habe ihr Schreiben vom 14.1.2014 dahingehend gewertet, "dass die Klägerin nunmehr ohne anwaltlichen Prozessbevollmächtigten ist". Denn mit diesem Schreiben habe sie ihren Ehemann bevollmächtigt, ihre Interessen zu vertreten und mitgeteilt, "dass der Prozessbevollmächtigte nicht mehr Mitglied der Sozietät sei und für sie nicht mehr erreichbar". Damit behauptet die Klägerin aber nicht, ihrem Prozessbevollmächtigten das Mandat entzogen zu haben. Entsprechend wird auch im Rubrum des LS[X.] der Prozessbevollmächtigte der Klägerin weiterhin aufgeführt. Auch teilt die Klägerin im Rahmen ihrer Nichtzulassungsbeschwerde selbst mit, dass der ehemalige Sozius ihres Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 20.12.2013 dessen neue Adresse mitgeteilt hat. Damit war die Klägerin im Berufungsverfahren weiterhin anwaltlich vertreten und hat ausweislich der Sitzungsniederschrift vom [X.] keinen Beweisantrag gestellt. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht zum Termin der mündlichen Verhandlung erschienen ist, kann die Klägerin nicht so behandelt werden wie ein Beteiligter, der nicht von einem berufsmäßigen Rechtsvertreter vertreten wird (vgl hierzu zB BS[X.] [X.] 4-1500 § 160 [X.] 1). Es hätte insbesondere keine nennenswerte Schwierigkeit dargestellt, die von der Klägerin behaupteten anwaltlichen Beweisanträge mit Schriftsatz vom [X.] und [X.] neben einem Sachantrag auch noch hilfsweise zu wiederholen. Eine nicht ordnungsgemäße Ladung ihres Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin selbst nicht behauptet.

7

Selbst wenn man - entsprechend dem Vortrag der Klägerin - in dem in der Sitzung vom [X.] überreichten Schreiben "Aufstellung von Dingen/Tätigkeiten, die der Klägerin nicht mehr möglich sind" einen Beweisantrag im Sinne des § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 S[X.][X.] sehen wollte, so fehlt es aber auch an der Darlegung konkreter Punkte des [X.] und der Benennung eines konkreten Sachverständigen, dessen Anhörung das LS[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sein soll und welches Ergebnis im Falle einer konkreten Befragung zu erwarten gewesen wäre (sog Entscheidungserheblichkeit). Denn das LS[X.] ist als letztinstanzliche Tatsacheninstanz nur dann einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, wenn es sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BS[X.] [X.] 1500 § 160 [X.]). Insoweit hätte es des klägerseitigen Vortrages bedurft, weshalb nach den dem LS[X.] vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LS[X.] erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll (vgl [X.] aaO, S[X.]b 2007, 328, 332 zu Fußnote 188 unter Hinweis auf BS[X.] Beschluss vom 14.12.1999 - [X.] U 311/99 B - Juris mwN). Dies hat die Klägerin ebenfalls versäumt. Die bloße Darlegung, weshalb aus ihrer Sicht weitere Ermittlungen zur [X.] erforderlich gewesen wären, entspricht diesem Erfordernis nicht (vgl BS[X.] Beschluss vom 4.12.2006 - [X.] U 227/06 B - Rd[X.]). Eine Auseinandersetzung mit der rechtlichen Sicht des LS[X.] zur erforderlichen Ermittlung der funktionellen Auswirkungen der bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen erfolgt nicht. So hat sich das LS[X.] in seiner Entscheidung auf Seite 7 und 8 mit den möglichen Folgen einer [X.] als nicht psychische Erkrankung auseinander gesetzt und mangels Anhaltspunkten für hieraus resultierende funktionelle Auswirkungen der Erkrankung an den Haltungs- und Bewegungsorganen weitere - von der Klägerin abgelehnte - Ermittlungen auf psychischem Fachgebiet für erforderlich gehalten. Tatsächlich kritisiert die Klägerin damit nur die Beweiswürdigung des LS[X.] (vgl § 128 Abs 1 S 1 S[X.][X.]), womit sie nach § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 S[X.][X.] von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine unzureichende Rechtsanwendung des LS[X.] rügen wollte (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 7 S 10).

8

Im Übrigen ist das LS[X.] auch in Anbetracht der Regelungen der §§ 106 Abs 1 und 112 S[X.][X.] nicht verpflichtet, auf die Stellung eines Beweisantrags hinzuwirken (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160 [X.] 13).

9

Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres rechtlichen [X.]ehörs (§ 62 S[X.][X.]) durch das LS[X.] darin sehen wollte, dass dieses ihre Beweisanträge vor dem LS[X.] übergangen habe, genügt ihr Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen. Mit dieser Rüge könnte die Klägerin nur dann durchdringen, wenn sie vor dem LS[X.] alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich [X.]ehör zu verschaffen (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.][X.], 10. Aufl 2012, § 62 Rd[X.] 11d mwN). Die Klägerin hat es aber versäumt - wie oben ausgeführt - darzulegen, dass sie in der mündlichen Verhandlung vom [X.] vor dem LS[X.] einen ordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt sowie bis zum Schluss aufrecht erhalten hat, aufgrund dessen ein konkreter Sachverständiger befragt werden sollte und dass die an diesen zu stellenden konkreten Fragen objektiv sachdienlich sind.

Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung [X.] als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S[X.][X.]).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 S[X.][X.].

Meta

B 9 SB 36/14 B

05.08.2014

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Lüneburg, 18. September 2012, Az: S 35 SB 100/10, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 103 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.08.2014, Az. B 9 SB 36/14 B (REWIS RS 2014, 3607)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3607

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