Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.04.2017, Az. 1 B 73/17, 1 B 73/17, 1 PKH 30/17

1. Senat | REWIS RS 2017, 11701

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Gründe

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A. Der Antrag der Klägerin auf [X.]ewilligung von Prozesskostenhilfe und [X.]eiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren vor dem [X.] ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung - wie sich aus den nachstehenden Gründen ergibt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).

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[X.]. Die [X.]eschwerde, mit der eine grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird, ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

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1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen [X.]edeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. April 2014 - 1 [X.] 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 [X.] 7.15 - juris).

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Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der [X.]erufung wegen grundsätzlicher [X.]edeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO/§ 78 Abs. 3 Nr. 1 [X.] ([X.]VerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 - [X.]VerwGE 70, 24 <26>), eine Tatsachenfrage grundsätzlicher [X.]edeutung nicht aus. Die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in [X.]ezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen; auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des [X.] berufenen Instanzgerichte für eine Vielzahl von Verfahren von [X.]edeutung ist, lässt für sich allein nach geltendem Revisionszulassungsrecht eine Zulassung wegen grundsätzlicher [X.]edeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu. Der Gesetzgeber hat insoweit auch für das gerichtliche Asylverfahren an den allgemeinen Grundsätzen des [X.] festgehalten und für das [X.] keine [X.]efugnis eröffnet, Tatsachen(würdigungs)fragen grundsätzlicher [X.]edeutung in "[X.]", wie sie etwa das [X.] Prozessrecht kennt, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des [X.]s ([X.]VerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 - [X.]VerwGE 140, 319 Rn. 28 - zur Feststellung einer extremen Gefahrenlage) haben sich allerdings die [X.]erufungsgerichte nach § 108 VwGO (erkennbar) mit abweichenden Tatsachen- und Lagebeurteilungen anderer Oberverwaltungsgerichte/[X.] auseinanderzusetzen.

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Anderes folgt auch nicht aus dem Kammerbeschluss des [X.]undesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 [X.]vR 31/14 - [X.] 2017, 75). Das [X.]undesverfassungsgericht hat in diesem [X.]eschluss nicht entschieden, dass in Fällen, in denen Oberverwaltungsgerichte/[X.] auf der Grundlage (weitestgehend) identischer Tatsachenfeststellungen zu einer im Ergebnis abweichenden rechtlichen [X.]eurteilung kommen, stets und notwendig eine (klärungsbedürftige) Rechtsfrage des [X.]undesrechts vorliegt, welche eine Rechtsmittelzulassung gebietet, um den Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in einer durch [X.] nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren. Das [X.]undesverfassungsgericht hat vielmehr als Grund der bei als identisch angenommener Tatsachengrundlage im Ergebnis unterschiedlichen Entscheidungen des [X.] für das [X.] einerseits, des Verwaltungsgerichtshofs [X.]aden-Württemberg andererseits eine unterschiedliche Rechtsauffassung zur Rechtsfrage bezeichnet, ob der Asylbewerber tatsächlich politisch aktiv war oder ob es ausreicht, dass die [X.]ehörden des Heimatstaates von einer solchen [X.]etätigung ausgingen. Für [X.] - und damit auch für Unterschiede bei der tatsächlichen [X.]ewertung identischer Tatsachengrundlagen - hat es vorab ausdrücklich bestätigt, dass wegen der [X.]indung des [X.] an die tatsächlichen Feststellungen des [X.]erufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) eine weitergehende Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch das [X.] ausscheidet. Auch in Fällen (weitgehend) identischer Tatsachengrundlagen ist für die Revisionszulassung mithin eine Darlegung erforderlich, dass die im Ergebnis abweichende [X.]ewertung der Tatsachengrundlage eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, und diese Frage hinreichend klar zu bezeichnen.

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Im Ergebnis unterschiedliche [X.]ewertungen von Tatsachen bei (weitgehend) identischer Tatsachengrundlage weisen auch nicht auf rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung und Anwendung des § 108 VwGO hin; im Übrigen sind (mögliche) Fehler in der Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Ein - hier nicht geltend gemachter - Verfahrensfehler kann ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die [X.]eweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 25. Juni 2004 - 1 [X.] 249.03 - [X.]uchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 284 und vom 23. September 2011 - 1 [X.] 19.11 - juris, jeweils m.w.N.). Ein Verfahrensmangel bei der [X.]eweiswürdigung liegt aber nur dann vor, wenn sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier [X.]eweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat.

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2. Nach diesen Grundsätzen ist eine grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache schon nicht dargelegt.

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Die [X.]eschwerde hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"Ist eine Auslegung des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1a [X.] mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG, dem Rechtsstaatsprinzip gern. Art. 20 Abs. 3 GG und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG vereinbar, wonach bei der Prognose, ob die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung bei der Rückkehr in den Herkunftsstaat besteht, eine Abwägung der für und gegen eine Verfolgung sprechenden Umstände maßgebend ist, auch wenn das Risiko für den [X.] aufgrund der Verhältnisse im Herkunftsstaat unkalkulierbar ist?"

9

Damit zeigt die [X.]eschwerde aber keine einer grundsätzlichen Klärung bedürftige Maßstabsfrage auf, sondern wendet sich in der Sache lediglich gegen die den Tatsachengerichten vorbehaltene Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung und greift die [X.]ewertung des vorliegenden [X.] durch das [X.]erufungsgericht dahin an, dass insoweit keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer für den Flüchtlingsschutz relevanten Verfolgung bestehe. Mit dieser [X.]ewertung der Situation von [X.], die nach illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt nach [X.] zurückkehren, steht das [X.]erufungsgericht im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2017 - 14 A 2316/16.A - juris Rn. 47 ff.; [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 - juris Rn. 21 ff.; [X.], Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 [X.] 16.30364 - juris Rn. 62 ff.; [X.], Urteil vom 23. November 2016 - 3 L[X.] 17/16 - juris Rn. 37), die in Fällen, in denen eine Wehrdienstentziehung nicht im Raum steht, zu dem Ergebnis gekommen ist, es gebe keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse, dass die [X.] Sicherheitsbehörden letztlich jeden Rückkehrer, der [X.] verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten habe, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechneten.

Soweit mit der Nichtzulassungsbeschwerde auch eine nähere Klärung der Grundsätze für die richterliche Überzeugungsbildung im Rahmen der Gefahrenprognose bei unsicherer Tatsachengrundlage angestrebt werden sollte, ist in der Rechtsprechung des [X.]s geklärt, dass bei der Gefahrenprognose die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang zu berücksichtigen ist ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 - [X.]uchholz 451.902 Europ. [X.] u. Asylrecht Nr. 19). Das Gericht muss sich aber die volle richterliche Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) davon bilden, dass nach der Erkenntnislage bei verständiger Würdigung der (gesamten) Umstände des Einzelfalls flüchtlingsrechtlich beachtliche Verfolgung droht (stRspr, s. nur [X.]VerwG, Urteile vom 18. Oktober 1983 - 9 [X.] - [X.]VerwGE 68, 106 <108> und vom 8. Dezember 1998 - 9 C 17.98 - [X.]VerwGE 108, 84 <86 f.>). [X.] oder weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die [X.]eschwerde insoweit nicht auf.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Meta

1 B 73/17, 1 B 73/17, 1 PKH 30/17

28.04.2017

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: PKH

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 12. Dezember 2016, Az: 21 B 16.30338, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.04.2017, Az. 1 B 73/17, 1 B 73/17, 1 PKH 30/17 (REWIS RS 2017, 11701)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11701

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2 BvR 31/14

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