Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2024, Az. VI ZB 45/23

6. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1042

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Gegenstand

Wert des Beschwerdegegenstands bei Grundurteil über Schmerzensgeldanspruch


Leitsatz

Zum Wert des Beschwerdegegenstands bei einem Grundurteil über einen Schmerzensgeldanspruch.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 24. Mai 2023 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf bis 1.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt den [X.]n wegen Körperverletzung durch Einsatz eines Pfeffersprays auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin war mit ihrem vorschriftswidrig nicht angeleinten Hund in [X.] unterwegs, als ihr der [X.] entgegen kam. Der [X.] wehrte den sich ihm nähernden Hund mit einem Pfefferspray ab. Streitig ist zwischen den Parteien, ob der [X.] das Pfefferspray auch gegen die Klägerin einsetzte. Das Amtsgericht hat über die auf Zahlung von 1.245 € (Schmerzensgeld 1.200 €, Kostenpauschale 25 €, Kosten für ein ärztliches Attest 20 €) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage zunächst durch Grundurteil entschieden. Es hat das begehrte Schmerzensgeld dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines [X.] der Klägerin von 25 % für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung des [X.]n hat das [X.] durch Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der [X.] mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Wert des [X.] überschreite in Anbetracht des Vortrags der Klägerin in erster Instanz die Grenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht. Der [X.] begehre mit der Berufung die Abänderung des Grundurteils des Amtsgerichts, mit dem es den Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines [X.] der Klägerin von 25 % für gerechtfertigt erklärt habe. Selbst wenn man unterstelle, dass sich die Klägerin durch den Angriff des [X.]n mit Pfefferspray - wie in der Klageschrift geltend gemacht - sehr stark erschreckt habe, starke Schmerzen und eine Reizung der Schleimhäute erlitten habe sowie beim Verlassen des Hauses nun von der Angst begleitet werde, erneut eine entsprechende Situation zu erleben, komme eine Verurteilung zu einem den Betrag von 550 € übersteigenden Schmerzensgeld nicht in Betracht. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die körperlichen Beschwerden der Klägerin letztlich ohne eingehende ärztliche Behandlungsmaßnahmen in überschaubarer Zeit abgeklungen seien und ausweislich der von der Klägerin eingereichten ärztlichen Atteste die reaktive Anpassungsstörung, die sie im Hinblick auf das Ereignis entwickelt haben solle, auf der Grundlage einer vorbestehenden depressiven Störung und Angst entstanden sei. Der ausgeurteilte Mitverschuldensanteil führe bei der Bemessung des einheitlichen Schmerzensgeldanspruchs nicht - wie der [X.] meine - zu einem prozentual gekürzten Schmerzensgeld. Vielmehr sei der Mitverschuldensanteil im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung des einheitlich zu bemessenden Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Dem [X.]n stünde im Übrigen im Betragsverfahren - sollte das Amtsgericht Schmerzensgeld von über 600 € ausurteilen - das Rechtsmittel der Berufung zu. Gründe, die Berufung zuzulassen, lägen nicht vor.

5

2. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des [X.] ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

6

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Denn die angefochtene Entscheidung verletzt den [X.]n in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. [X.] NJW 1991, 3140; Senatsbeschlüsse vom 7. März 2023 - [X.]/22, NJW 2023, 2280 Rn. 6; vom 19. März 2019 - [X.]/17, NJW-RR 2019, 640 Rn. 7 mwN). Das ist vorliegend erfolgt. Mit dem angefochtenen Verwerfungsbeschluss hat das Berufungsgericht den Wert des [X.] der Berufung des [X.]n rechtsfehlerhaft mit 550 € festgesetzt und damit angenommen, dieser übersteige 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht.

7

a) Fehlt es - wie im Streitfall - an einer Zulassung der Berufung (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), so ist die Berufung gemäß § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO gegen ein im ersten Rechtszug erlassenes Endurteil nur zulässig, wenn der Wert des [X.] 600 € übersteigt. Ein Zwischenurteil über den Grund ist in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen, § 304 Abs. 2 Halbs. 1 ZPO.

8

Die Festsetzung des Werts des [X.] bei Rechtsmitteln richtet sich - wie sich aus § 2 ZPO ergibt - nach den Vorschriften der §§ 3 ff. ZPO (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2020 - [X.]/19, NJW 2020, 3174 Rn. 6). Die [X.] kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht die Grenzen des ihm von § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder rechtsfehlerhaft von ihm Gebrauch gemacht hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. September 2023 - [X.], juris Rn. 4; vom 19. Januar 2021 - [X.]/20, [X.], 1128 Rn. 4 mwN).

9

b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft den Wert des [X.] der Berufung des [X.]n mit 550 € bemessen.

aa) Der für die Zulässigkeit der Berufung maßgebliche Wert des [X.] beurteilt sich nach dem Betrag, um den der Berufungskläger durch das Urteil erster Instanz in seinem Recht verkürzt zu sein behauptet und in dessen Höhe er mit seinem Berufungsantrag Abänderung des Urteils beantragt. Bei einer unbeschränkt eingelegten Berufung des [X.]n ist der Wert des [X.] nach dem Umfang der erstinstanzlichen Verurteilung zu bemessen (Senatsbeschluss vom 5. April 2011 - [X.]/10, NJW-RR 2011, 1430 Rn. 4 mwN). Bei einem Grundurteil gemäß § 304 ZPO bemisst sich der Wert des [X.] im Fall der unbeschränkt eingelegten Berufung des [X.]n nach der Höhe der Klageforderung bzw. dem Bruchteil derselben, zu dem der Klage dem Grunde nach stattgegeben worden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 26. November 2009 - [X.], NJW 2010, 681 Rn. 6; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 20. Aufl., § 511 Rn. 26; [X.]/[X.], ZPO, 10. Aufl., § 511 Rn. 24).

bb) Das Amtsgericht hat durch Grundurteil ausgesprochen, dass der Klägerin gegen den [X.]n wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB das mit der Klage geltend gemachte Schmerzensgeld - laut Klageantrag 1.200 € - dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines [X.] der Klägerin von 25 % zusteht. Der Wert des [X.] der gegen das Grundurteil unbeschränkt eingelegten Berufung des [X.]n übersteigt damit den Wert von 600 €.

(1) Wäre der Klägerin das Schmerzensgeld dem Grunde nach ohne die Einschränkung, einen [X.] der Klägerin von 25 % zu berücksichtigen, zugesprochen worden, wäre die Beschwer des [X.]n identisch mit der Höhe der Klageforderung von 1.200 € (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2020 - [X.], juris Rn. 2).

(2) Durch die für das Betragsverfahren bindende Vorgabe im Grundurteil, wonach ein [X.] der Klägerin von 25 % zu berücksichtigen sei, ist, wie im Ausgangspunkt zutreffend vom Berufungsgericht angenommen, der [X.] nicht zu dem seiner Beteiligungsquote entsprechenden Teil des beantragten Schmerzensgeldes verurteilt worden, sondern zu einem Schmerzensgeld, das unter Berücksichtigung der Beteiligungsquote der Klägerin angemessen ist (vgl. auch Senatsurteile vom 15. Mai 1984 - VI ZR 155/82, [X.], 739, juris Rn. 9; vom 21. April 1970 - [X.], [X.], 624, juris Rn. 37). Der vom Amtsgericht mit 25 % bemessene [X.] der Klägerin ist im Betragsverfahren nur als einer der Umstände zu berücksichtigen, die bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu beachten sind und in ihrer Gesamtheit zur Ermittlung des angemessenen Schmerzensgeldbetrags führen (vgl. Senatsurteile vom 12. März 1991 - [X.], [X.], 305, juris Rn. 8; vom 21. April 1970 - [X.], [X.], 624, juris Rn. 37).

Auch wenn also erst im Betragsverfahren entschieden wird, wie sich die Mithaftung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auswirkt, kann die für das Betragsverfahren bindende Vorgabe der Berücksichtigung des [X.] bei der Bemessung der Beschwer des [X.]n aus dem Grundurteil nicht unberücksichtigt bleiben. Das bedeutet, dass grundsätzlich von der Beschwer, die sich für den [X.]n aus einem uneingeschränkt stattgebenden Grundurteil ergeben würde, ein Abzug vorzunehmen ist. Da bei lebensnaher Betrachtung nicht vorstellbar ist, dass eine Beschwer, die sich ohne [X.] auf 1.200 € belaufen würde, allein wegen der Mithaftung der Klägerin von 25 % auf 600 € oder weniger zurückfällt, liegt die Beschwer jedenfalls bei über 600 €.

(3) Demgegenüber hat das Berufungsgericht zur Begründung, weshalb seiner Ansicht nach der Wert des [X.] unter 600 € liege, rechtsfehlerhaft Umstände herangezogen, die ausschließlich die - seiner Meinung nach in Betracht kommende - Höhe des geltend gemachten Anspruchs betreffen. Diese können zur Bemessung des Werts des [X.] bei einer Berufung gegen ein Grundurteil nicht berücksichtigt werden.

Das Berufungsgericht hat angeführt, aus dem Vortrag der Klägerin in erster Instanz ergebe sich, dass die körperlichen Beschwerden der Klägerin ohne eingehende ärztliche Behandlungsmaßnahmen in überschaubarer Zeit abgeklungen seien und sie bereits vor dem Ereignis unter einer depressiven Störung und Angst gelitten habe. Deshalb stehe der Klägerin von vornherein ein geringeres Schmerzensgeld als der von ihr mit der Klage geltend gemachte Betrag von 1.200 € zu. Das Amtsgericht hat zu diesen Umständen in seinem Grundurteil keine Feststellungen getroffen, sondern ausgeführt, dass Ausmaß, Dauer und Folgen der Verletzung der Klägerin umstritten seien, weshalb die Höhe des Schmerzensgeldes - auch ein Mindestmaß - noch nicht bemessen werden könne. Hätte das Amtsgericht in seinem Grundurteil zu den die Höhe des Anspruchs betreffenden Umständen Ausführungen gemacht, wären sie unzulässig und würden für das Betragsverfahren nicht binden (vgl. [X.], Urteil vom 20. Dezember 2005 - [X.], NJW-RR 2007, 138 Rn. 18; Beschluss vom 18. August 2016 - [X.]/15, NJW-RR 2016, 1150 Rn. 11). Dies bedeutet aber, dass diese Umstände auch nicht vom Berufungsgericht zur Bemessung des Werts des [X.] der Berufung gegen das Grundurteil herangezogen werden können. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, dass der [X.] immer noch Berufung einlegen könne, sollte das Amtsgericht im [X.] von mehr als 600 € ausurteilen, hat es nicht berücksichtigt, dass Gegenstand des [X.] allein die Höhe des Anspruchs ist und Einwendungen, die den Grund des Anspruchs betreffen, dort ausgeschlossen sind (vgl. [X.]/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 304 Rn. 38).

3. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

[X.]     

      

Müller     

      

[X.] 

      

[X.]     

      

Linder     

      

Meta

VI ZB 45/23

16.01.2024

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Göttingen, 24. Mai 2023, Az: 1 S 28/21

§ 3 ZPO, § 304 ZPO, § 511 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 253 Abs 2 BGB, § 823 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2024, Az. VI ZB 45/23 (REWIS RS 2024, 1042)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1042


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZB 45/23

Bundesgerichtshof, VI ZB 45/23, 16.01.2024.


Az. 1 S 28/21

Landgericht Dortmund, 1 S 28/21, 18.05.2021.


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