Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2016, Az. II ZB 9/15

2. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 15772

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die Ausgangskontrolle bei Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax


Leitsatz

Besteht die allgemeine Kanzleianweisung, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, und die Frist im Fristenkalender erst anschließend zu streichen, muss das Sendeprotokoll bei der allabendlichen Erledigungskontrolle nicht - erneut - inhaltlich überprüft werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1 wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des [X.] vom 9. Juni 2015 aufgehoben.

Dem Beklagten zu 1 wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Teilurteil der 10. Zivilkammer des [X.] vom 3. März 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 200.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Beklagte zu 1 begehrt Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist. Er wollte gegen das ihm am 5. März 2015 zugestellte Urteil am Gründonnerstag, dem 2. April 2015, Berufung einlegen. Die zweite Seite des Schriftsatzes, auf dem sich die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 und die Erklärung, dass Berufung eingelegt werden soll, befanden, wurde durch das [X.] nicht übertragen. Am 8. April 2015, einen Tag nach Ablauf der Berufungsfrist, ging der [X.] vollständig beim Berufungsgericht ein.

2

Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung hat der Beklagte zu 1 im Wesentlichen geltend gemacht: Bei der Faxübertragung am 2. April 2015 sei die zweite Seite des Schriftsatzes nicht eingezogen worden. Die [X.] in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten sehe für fristgebundene Rechtsmittel vor, dass bei einer Übertragung per Telefax anhand des [X.] kontrolliert werde, ob die [X.] richtig sei, alle Seiten des Schriftstücks übertragen worden seien und ein [X.] vorhanden sei. Die [X.]habe verabsäumt, die Seitenzahl der übertragenen Seiten zu kontrollieren. Frau [X.]sei ausgebildete Rechtsfachwirtin, die neben der Mitarbeiterin [X.]seit vielen Jahren beanstandungslos den Fax- und Postversand fristgebundener Schriftstücke abwickle.

3

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1.

4

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu 1 zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist verwehrt. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Beklagten zu 1 in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip.

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

7

Der Beklagte zu 1 hat zwar die Berufungsfrist versäumt. Ihm war jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist für die Berufungseinlegung gehindert war (§ 233 ZPO).

8

a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Wiedereinsetzungsgesuch lasse sich bereits nicht entnehmen, welche konkrete Bürokraft für die Fristenkontrolle Verantwortung getragen habe. Eine solche Darlegung sei für die Ausräumung eines Organisationsverschuldens jedoch geboten. Es müsse eindeutig feststehen, welche Fachkraft zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils ausschließlich für die Fristenkontrolle zuständig sei. Darüber hinaus sei eine Anordnung in der Kanzlei des Rechtsanwalts des Beklagten zu 1, durch die gewährleistet sei, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden [X.] anhand des [X.]s von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals und abschließend selbstständig überprüft werde, nicht dargetan. Bei einer entsprechenden Überprüfung wäre aufgefallen, dass der Rechtsfachwirtin H.     die Kontrolle der [X.] durchgegangen sei.

9

b) Mit diesen Erwägungen kann dem Beklagten zu 1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagt werden. Den Beklagten zu 1 trifft kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist. Die Fristversäumung beruht nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1, sondern auf einem dem Beklagten zu 1 nicht zurechenbaren Versäumnis der Büroangestellten seines Prozessbevollmächtigten bei der Versendung des Berufungsschriftsatzes per Telefax.

aa) Die Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax stellt eine einfache Bürotätigkeit dar, mit der jedenfalls eine voll ausgebildete und erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte beauftragt werden darf ([X.], Beschluss vom 13. Januar 2016 - [X.] 653/14, juris Rn. 9). Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zu einer wirksamen Ausgangskontrolle - soweit hier von Bedeutung - dann nach, wenn er seinen Büroangestellten die Weisung erteilt, sich einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die [X.] erst nach Kontrolle des [X.] zu löschen ([X.], Beschluss vom 27. August 2014 - [X.] 255/14, [X.], 1286 Rn. 7; Beschluss vom 28. Februar 2013 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 1008 Rn. 6; Beschluss vom 22. September 2010 - [X.] 117/10, [X.], 1416 Rn. 11).

Der Beklagte zu 1 hat glaubhaft gemacht, dass diese Anforderung im Büro seines Prozessbevollmächtigten beachtet wird. Die Bürokräfte des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 haben eidesstattlich versichert, dass sie im Rahmen der Büroorganisation angehalten seien, die im Sendebericht angegebene [X.] mit der [X.] des Schriftstücks zu vergleichen. Sie dürften Fristen erst streichen, nachdem die [X.], die [X.] und der [X.] überprüft worden seien. Die [X.]        habe verabsäumt, die Seitenzahl der übertragenen Seiten zu kontrollieren. Deren Verschulden ist dem Beklagten zu 1 nicht zuzurechnen.

bb) Es liegt auch kein sonstiges für die Fristversäumung [X.] Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 vor.

(1) Auf die vom Berufungsgericht vermisste Glaubhaftmachung einer ordnungsgemäßen Kompetenzabgrenzung bei der Fristenkontrolle kommt es schon deshalb nicht an, weil sich bei der Versäumung der Berufungsfrist keine Gefahr verwirklicht hat, der durch diese Sorgfaltsanforderung vorgebeugt werden soll.

Zwar ist es richtig, dass für die Ausräumung eines Organisationsverschuldens des Rechtsanwalts eindeutig feststehen muss, welche Bürokraft zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils ausschließlich für die Fristenkontrolle, das heißt die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung, zuständig ist ([X.], Beschluss vom 26. Februar 2015 - [X.]/14, [X.], 782 Rn. 10; Beschluss vom 3. November 2010 - [X.] 177/10, NJW 2011, 385 Rn. 9). Denn bei einer Überschneidung von Kompetenzen werden Fehlerquellen eröffnet, weil die Gefahr besteht, dass sich im Einzelfall einer auf den anderen verlässt ([X.], Beschluss vom 17. Januar 2007 - [X.] 166/05, NJW 2007, 1453 Rn. 12; Beschluss vom 6. Mai 1999 - [X.], [X.], 515 f.). Diese Gefahr hat sich vorliegend nicht verwirklicht. Ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist war allein eine Nachlässigkeit bei der [X.] und die hierauf beruhende fehlerhafte Streichung der Frist im [X.] durch eine von zwei zuständigen Bürokräften.

Unabhängig davon liegt bereits kein Organisationsverschulden vor. Die Zuständigkeit für die Fristnotierung im Kalender und die Fristüberwachung darf innerhalb eines [X.] wechseln. Zu fordern ist nur, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eindeutig feststeht, welche Fachkraft jeweils ausschließlich für die Fristenkontrolle zuständig ist ([X.], Beschluss vom 17. Januar 2007 - [X.] 166/05, NJW 2007, 1453 Rn. 13). Einen solchen zulässigen Zuständigkeitswechsel hat der Beklagte zu 1 glaubhaft gemacht. Die beiden Büroangestellten seines Prozessbevollmächtigten haben eidesstattlich versichert, dass beide für die Fristüberwachung zuständig und angehalten seien, Fristen erst zu streichen, nachdem sie das Sendeprotokoll kontrolliert haben. Am 2. April 2015 habe die [X.]        die Büroangestellte [X.]  am Nachmittag bei der Faxübermittlung abgelöst. Die nach der Ablösung ausschließlich zuständige [X.]habe dann das Sendeprotokoll - unzureichend - kontrolliert und die Berufungsfrist gestrichen.

(2) Die von einem Rechtsanwalt im Rahmen der Fristenkontrolle geforderte allabendliche Ausgangskontrolle umfasst entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht die erneute inhaltliche Überprüfung des [X.].

Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden [X.] durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des [X.]s nochmals selbständig überprüft wird. Diese Überprüfung dient auch dazu, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten [X.] die fristwahrende Handlung noch aussteht. Deshalb ist dabei, gegebenenfalls anhand der Akten, auch zu prüfen, ob die im [X.] als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind ([X.], Beschluss vom 15. Dezember 2015 - [X.], juris Rn. 8; Beschluss vom 26. Februar 2015 - [X.]/14, [X.], 782 Rn. 17 f.).

Dies bedeutet aber nicht, dass das [X.] abends erneut inhaltlich zur prüfen ist, wenn wie vorliegend die allgemeine Anweisung besteht, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax anhand des [X.] zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, und die Frist im [X.] erst anschließend zu streichen. Nur dann, wenn diese allgemeine Kanzleianweisung fehlt, kann nicht von einer insoweit bereits durchgeführten wirksamen Ausgangskontrolle durch die Büroangestellten ausgegangen werden und nur dann muss die Prüfung der Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend auch eine inhaltliche Prüfung des [X.] umfassen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2012 - [X.], juris Rn. 13).

Bergmann                      Strohn                    Reichart

                  Drescher                     Born

Meta

II ZB 9/15

23.02.2016

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Köln, 9. Juni 2015, Az: 3 U 48/15

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 517 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2016, Az. II ZB 9/15 (REWIS RS 2016, 15772)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 1664 WM 2016, 2083 REWIS RS 2016, 15772


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. II ZB 9/15

Bundesgerichtshof, II ZB 9/15, 23.02.2016.


Az. 3 U 48/15

Oberlandesgericht Köln, 3 U 48/15, 09.06.2015.


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