Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2010, Az. VIII ZB 91/09

8. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 7155

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Gegenstand

Unterschiedliche Bewertung der Beschwer durch erst- und zweitinstanzliches Gericht: Nachholung der Entscheidung über die Zulassung der Berufung durch das Berufungsgericht


Leitsatz

Hat das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO zuzulassen, weil es den Streitwert auf über 600 € festgesetzt hat, und hält das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht, muss das Berufungsgericht die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind (Bestätigung BGH, 14. November 2007, VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218) .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 19. Zivilsenats des [X.] vom 16. Oktober 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

[X.]: Wertstufe bis 900 €.

Gründe

I.

1

Die Beklagte versorgt den Kläger leitungsgebunden mit Erdgas. Seine auf die Feststellung gerichtete Klage, dass die von der [X.] in dem zwischen den [X.]en bestehenden Gaslieferungsvertrag zum 1. Januar 2005 und 1. Oktober 2005 vorgenommenen Erhöhungen der Gastarife unbillig und unwirksam seien, hat das [X.] abgewiesen und dabei den Streitwert auf bis zu 900 € bemessen. Die Berufung des [X.] hat das [X.] als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbeschwer des [X.] 600 € nicht übersteige und das [X.] die Berufung nicht zugelassen habe (§ 511 Abs. 2 ZPO). Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

2

1. Die nach Maßgabe des § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß den nachstehenden Ausführungen eine Entscheidung des [X.] erfordert.

3

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Es kann allerdings dahinstehen, ob der angefochtene Beschluss schon deshalb rechtsfehlerhaft ist, weil er - wie die Rechtsbeschwerde rügt - nicht ausreichend mit Gründen versehen ist und das Berufungsgericht bei zutreffender Bewertung des Klagebegehrens zu einer über 600 € liegenden Beschwer hätte gelangen müssen. Denn das Berufungsgericht hat die Berufung des [X.] schon deshalb zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil es auf der Grundlage seiner Wertbemessung nicht die Entscheidung des Amtsgerichts nachgeholt hat, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind. Dazu wäre es nach der Rechtsprechung des Senats aber gehalten gewesen. Hat nämlich das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO zuzulassen, weil es den Streitwert auf über 600 € festgesetzt hat, und hält das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht, muss das Berufungsgericht die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind. Denn die unterschiedliche Bewertung der Beschwer darf nicht zu Lasten der [X.] gehen (Senatsurteil vom 14. November 2007 - [X.], [X.], 218, [X.]. 12; Senatsbeschlüsse vom 3. Juni 2008, [X.], [X.], 614, [X.]. 4 f.; vom 16. Juni 2008 - [X.], [X.], 615, [X.]. 13). Ein solcher Fall ist hier gegeben.

4

Das [X.] hat den Streitwert auf bis zu 900 € bemessen und ist deshalb von einem entsprechenden Wert der Beschwer des [X.] durch das seine Klage abweisende Urteil ausgegangen. Bei dieser Sachlage hat das [X.] - nicht zuletzt auch angesichts der zuvor sogar noch auf 4.000 € lautenden vorläufigen Wertfestsetzung - keine Veranlassung gehabt, die Frage einer Zulassung der Berufung zu prüfen. Hierzu war vielmehr das Berufungsgericht verpflichtet, nachdem es abweichend von den vorherigen Wertfestsetzungen den Wert des [X.] auf Seiten des [X.] auf unter 600 € bemessen hat.

III.

5

Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Soweit sich das Berufungsgericht im Rahmen seiner erneuten Überprüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung auch mit dem Wert der Beschwer des [X.] noch einmal zu befassen hat, bestehen entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde allerdings keine Bedenken, dabei auf § 9 Satz 1 ZPO zurückzugreifen, wonach der Wert des Rechts auf wiederkehrende Leistungen nach dem dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Bezuges - hier des im Streit stehenden [X.] ([X.], ZPO, 22. Aufl., § 9 [X.]. 16 m.w.N.) - berechnet wird. Denn diese Vorschrift erfasst auch die Bewertung des hier in Rede stehenden Rechts, auf Dauer bestimmte Energielieferungen erbringen oder beziehen zu können ([X.], Urteil vom 22. August 2002 - 11 U 26/01, juris, [X.]. 47; [X.], 347, 348; [X.], [X.], 158; [X.], [X.], 371; [X.], Urteil vom 21. Mai 2007 - 1 U 201/06, juris, [X.]. 31; [X.], Urteil vom 25. April 2008 - 5 O 74/06, juris, [X.]. 36; vgl. ferner Senatsbeschluss vom 15. Januar 1997 - [X.], NJW 1997, 1241, unter 1, 2 a; [X.]/[X.], [X.] für den Zivilprozess, 12. Aufl., [X.]. 2069). Sollte das Berufungsgericht den Wert der Beschwer danach erneut auf nicht mehr als 600 € bemessen, wird es die ihm anstelle des Amtsgerichts obliegende Entscheidung nachzuholen haben, ob die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung erfüllt sind.

Ball                                    Dr. Frellesen                                    Dr. Milger

                 [X.]                                    Dr. [X.]

Meta

VIII ZB 91/09

27.04.2010

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Hamm, 16. Oktober 2009, Az: I-19 U 96/09, Beschluss

§ 9 ZPO, § 511 Abs 4 S 1 Nr 1 ZPO, § 522 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2010, Az. VIII ZB 91/09 (REWIS RS 2010, 7155)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7155


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VIII ZB 91/09

Bundesgerichtshof, VIII ZB 91/09, 27.04.2010.


Az. 19 U 96/09

Oberlandesgericht Hamm, 19 U 96/09, 16.10.2009.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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