Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 01.10.2020, Az. 2 BvQ 63/20

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 3015

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung eines Eilantrags, gerichtet auf die unverzügliche Verbescheidung einer Anhörungsrüge im Wiederaufnahmeverfahren sowie auf die Vorlage von Unterlagen - Eingriff in Gewährleistung zeitgerechten Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) nicht hinreichend dargelegt


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antragsteller betreibt im fachgerichtlichen Verfahren die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens.

2

Das [X.] hat den Antragsteller am 5. April 2017 wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegenstand der Verurteilung sind unrichtige Angaben in sechs Umsatzsteuervoranmeldungen der [X.], die in der [X.] von Oktober 2006 bis März 2007 von der Zweigniederlassung der [X.] in …, beim Finanzamt [X.] monatlich abgegeben wurden. Seit [X.] 2018 verbüßt der Antragsteller die gegen ihn verhängte Strafhaft.

3

Der Antragsteller hat die Wiederaufnahme des Strafverfahrens sowie die Bestellung eines Verteidigers für die Vorbereitung des [X.] (§ 364b StPO) und für das Wiederaufnahmeverfahren selbst (§ 364a StPO) beantragt. Seinen auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gerichteten Antrag hat er insbesondere auf die Behauptung gestützt, dass im Verfahren vor dem [X.] keine Umsatzsteuervoranmeldungen der [X.] in … eingeführt worden seien. Die Meldungen der [X.] Zweigniederlassung in … seien nicht der [X.] in … und damit nicht ihm zuzurechnen. Dies stelle eine neue Tatsache im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO dar. Das [X.] hat den Wiederaufnahmeantrag sowie die Anträge auf Bestellung eines Verteidigers mit Beschluss vom 29. April 2020 zurückgewiesen.

4

Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] mit Beschluss vom 23. Juli 2020 ebenfalls zurückgewiesen. Ein Wiederaufnahmegrund liege nicht vor. Die Umsatzsteuervoranmeldungen der [X.] Zweigniederlassung in … aus dem [X.]raum von Oktober 2006 bis März 2007 seien im angegriffenen Strafurteil der [X.] in … zugerechnet worden und daher in das Verfahren vor dem [X.] eingeführt worden. Die Behauptung des Antragstellers resultiere alleine daraus, dass er - entgegen der Rechtsansicht des [X.] - die in das dortige Verfahren eingeführten Umsatzsteuervoranmeldungen nicht als solche der [X.] ansehe.

5

Ein Verteidiger sei dem Antragsteller insbesondere deswegen nicht zu bestellen, weil dem Vorbringen des Antragstellers eine hinreichende Erfolgsaussicht des Wiederaufnahmebegehrens nicht zu entnehmen sei. Soweit der Antragsteller geltend gemacht habe, er benötige zur Erreichung seiner Antragsziele Einsicht in die steuerlichen Unterlagen der [X.], die dem [X.] vorgelegen hätten, habe es einer Gewährung von Akteneinsicht vor der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag nicht bedurft. Diese steuerlichen Unterlagen der [X.] hät-ten dem Antragsteller bereits vorgelegen, denn ihm seien die Ermittlungsakten einschließlich der Umsatzsteuerakten der [X.] bereits im Ausgangsverfahren vor dem [X.] überlassen worden. Der Antragsteller wende zwar ein, die maßgeblichen Umsatzsteuervoranmeldungen befänden sich nicht bei den Akten und seien ihm daher auch nicht zur Verfügung gestellt worden. Diese Annahme beruhe aber wiederum alleine auf der Rechtsansicht des Antragstellers, der die bei den Akten befindlichen Umsatzsteuervoranmeldungen nicht als solche der [X.] ansehe. Das [X.] habe sein Urteil indessen alleine auf diese Unterlagen gestützt.

6

Hinsichtlich der Entscheidung des [X.] hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 3. August 2020 Anhörungsrüge erhoben, die er - bis zur Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - mit Schriftsätzen vom 10. August 2020 sowie vom 15. August 2020 weiter begründet hat. Eine Entscheidung ist nach dem Vortrag des Antragstellers bislang nicht ergangen.

7

Mit seinen mit Schriftsatz vom 22. August 2020, eingegangen am 26. August 2020, gestellten Anträgen verfolgt der Antragsteller das Ziel, das [X.] möge das [X.] anweisen, die Anhörungsrüge unverzüglich zu bescheiden. Außerdem ersucht er das [X.] darum, das [X.] zur Vorbereitung einer Individualbeschwerde zu verpflichten, dem Antragsteller die steuerlichen Unterlagen der [X.] in … für die Monate Oktober 2006 bis März 2007 vorzulegen, auf die sich das Urteil des [X.] beziehe.

8

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 [X.] liegen nicht vor.

9

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 7, 367 <371>; 103, 41 <42>; 121, 1 <15>; 134, 138 <140 Rn. 6 m.w.N.>; stRspr).

Dabei ist ein Antrag nach § 32 Abs. 1 [X.] nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung substantiiert dargelegt werden. [X.] ist dabei auch, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Das Verfahren über eine einstweilige Anordnung ist immer nur ein Nebenverfahren in einem Verfassungsrechtsstreit, für den das [X.] nach Art. 93 [X.], § 13 [X.] zuständig ist ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 9. Mai 2019 - 2 BvQ 46/19 -, juris, Rn. 2). Wird isoliert eine einstweilige Anordnung beantragt, muss der Antrag die Angaben enthalten, die zur Begründung der noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde erforderlich sind (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. August 2015 - 1 BvQ 28/15 -, juris, Rn. 2; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. November 2015 - 2 BvQ 40/15 -, juris, Rn. 2; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 9. Mai 2019 - 2 BvQ 46/19 -, juris, Rn. 2).

2. Danach kann eine einstweilige Anordnung hier nicht ergehen. Der Antragsteller hat nicht ausreichend zur Zulässigkeit einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde vorgetragen. Ausgehend von dem hiesigen Vorbringen wäre eine Verfassungsbeschwerde unzulässig.

a) Soweit der Antragsteller mit seinem Antrag das Ziel verfolgt, eine unverzügliche Entscheidung des [X.] über die Anhörungsrüge herbeizuführen, zeigt er einen Verfassungsverstoß nicht auf. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 [X.] beinhaltet zwar auch einen Anspruch auf einen zeitgerechten Rechtsschutz (vgl. [X.] 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>; [X.]K 5, 155 <158>). Allgemein gültige [X.]vorgaben lassen sich aus der Verfassung aber nicht ableiten. Wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist, ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. [X.] 55, 349 <369>; [X.]K 5, 155 <158>). Dass das [X.] durch die bislang nicht erfolgte Entscheidung über die Anhörungsrüge den Anspruch auf einen zeitgerechten Rechtsschutz verletzt haben könnte, legt der Antragsteller nicht dar. Konkrete Ausführungen hierzu waren insbesondere deswegen geboten, weil zwischen Erhebung der Anhörungsrüge und Erhebung der Verfassungsbeschwerde nur knapp drei Wochen vergangen sind. Hinzu kommt, dass der Antragsteller innerhalb dieses [X.]raums weitere Eingaben an das [X.] gerichtet hat, um seine Anhörungsrüge weiter zu begründen.

Darüber hinaus muss ein Antragsteller nach den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 [X.] eine Verfassungsbeschwerde in formaler Hinsicht dadurch substantiieren, dass er die angegriffenen Entscheidungen sowie die zugrundeliegenden Rechtsschutzanträge vorlegt oder wenigstens durch umfassende und detaillierte inhaltliche Wiedergabe zur Kenntnis bringt (vgl. [X.] 88, 40 <45>; 93, 266 <288>; 112, 304 <314 f.>; 129, 269 <278>; [X.]K 20, 249 <254>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2017 - 2 BvR 2019/17 -, juris, Rn. 10, und vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, juris, Rn. 15). Hier hat der Antragsteller seine an das [X.] gerichtete Anhörungsrügeschrift jedoch nicht vorgelegt. Es fehlt damit an der Vorlage des Rechtsmittelschriftsatzes, hinsichtlich dessen der Antragsteller hier eine unverzügliche Entscheidung begehrt. Ohne die Kenntnis des genauen Inhalts dieses Schriftsatzes lässt sich nicht verlässlich beurteilen, binnen welcher [X.] eine Entscheidung mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes ergehen muss oder hätte ergehen müssen.

b) Soweit der Antragsteller die Vorlage von Unterlagen begehrt, wendet er sich mit seinem hiesigen Antrag nicht gegen die Entscheidungen der Fachgerichte über seinen Wiederaufnahmeantrag. Zwar hatte der Antragsteller auch den Wiederaufnahmeantrag darauf gestützt, dass dem [X.] im Ausgangsverfahren Umsatzsteuervoranmeldungen der [X.] in … nicht vorgelegen hätten. Mit seinem hiesigen Antrag begehrt er aber allein und soweit erkennbar erstmals, dass ihm für eine Individualbeschwerde die von ihm als fehlend angesehenen Umsatzsteuervoranmeldungen - etwa im Wege der Akteneinsicht - zur Kenntnis gebracht werden.

Der Antragsteller nimmt in seinem Antrag Bezug darauf, dass ihm in der Justizvollzugsanstalt ein Datenstick des [X.] zur Einsicht gebracht wurde. Es lässt sich mangels differenzierten Vortrags oder Beifügung diesbezüglicher weiterer Unterlagen nicht verlässlich nachvollziehen, inwieweit dem Begehren des Antragstellers nicht abgeholfen wurde.

Soweit der Antragsteller auch mit diesem Antragsbegehren die Vorlage anderer Umsatzsteuervoranmeldungen der [X.] in … meinen sollte als jene, die dem Strafverfahren zugrunde lagen und von der Zweigniederlassung in [X.] abgegeben und vom Strafgericht der [X.] zugerechnet worden sind, ist nicht nachvollziehbar, warum sich diese bei den Verfahrensakten befinden sollten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvQ 63/20

01.10.2020

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

Art 19 Abs 4 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 01.10.2020, Az. 2 BvQ 63/20 (REWIS RS 2020, 3015)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3015

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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