BT-Drucksache 18/96

Klimakonferenz in Warschau - Ohne deutsche Vorreiterrolle kein internationaler Klimaschutz

Vom 27. November 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/96

18. Wahlperiode 27.11.2013

Antrag

der Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Julia
Verlinden, Uwe Kekeritz, Marieluise Beck (Bremen), Katja Dörner, Katharina
Dröge, Harald Ebner, Dr. Thomas Gambke, Matthias Gastel, Kai Gehring,
Anja Hajduk, Dieter Janecek, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink,
Stephan Kühn (Dresden), Markus Kurth, Steffi Lemke, Dr. Tobias Lindner,
Peter Meiwald, Irene Mihalic, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz,
Cem Özdemir, Lisa Paus, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Corinna
Rüffer, Elisabeth Scharfenberg, Ulle Schauws, Dr. Harald Terpe, Markus Tressel,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimakonferenz in Warschau – Ohne deutsche Vorreiterrolle kein

internationaler Klimaschutz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die internationale Klimakonferenz COP 19 in Warschau wurde von den schrecklichen
Ereignissen auf den Philippinen überschattet. Den Menschen auf den Philippinen gilt
unsere Solidarität. Die Natur hat wieder einmal gezeigt, wie schutzlos Menschen ihr
ausgeliefert sind. Bei einem einzelnen Wirbelsturm lässt sich nicht sagen, ob ein Zu-
sammenhang mit dem Klimawandel besteht. Es spricht aber viel dafür, dass Wirbel-
stürme durch die Erderwärmung heftiger und zerstörerischer werden. Deswegen müssen
wir Katastrophen wie auf den Philippinen vorbeugen und Klimaschutz ernster nehmen.
Die philippinische Delegation in Warschau hat deutlich gemacht, dass sie internationale
Hilfe zum Aufbau neuer Energiestrukturen auf regenerativer Basis erwartet. Deutsch-
land sollte bei dieser Aufbauhilfe vorangehen. So kann zugleich ein wichtiger Beitrag
zum Ausgleich von „loss and damage“, zur Klimafolgenanpassung und zum Klima-
schutz geleistet werden.

Allen Solidaritätsbekundungen gegenüber den Philippinen auf der COP 19 zum Trotz
folgte jedoch kein politisches Handeln. Die Klimakonferenz war geprägt von einer Am-
bitionslosigkeit der Staaten. Das Ergebnis der COP 19 ist nicht mehr als ein windelwei-
cher Kompromiss. Als wirklicher Fahrplan für die Konferenz in Paris, wo 2015 ein
neuer internationaler Klimavertrag mit Zielen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes zur
Begrenzung der Erderwärmung um 2 Grad beschlossen werden soll, taugt das War-
schau-Ergebnis kaum. Die Festlegungen der CO2-Minderungen der einzelnen Staaten,
die Konkretisierung der bisherigen Finanzzusagen, die notwendigen, weiteren Vorarbei-
ten für eine Nachfolgeregelung des Kyoto-Abkommens – bei allen diesen Punkten wur-
den die substanziellen Fortschritte nicht erreicht. Da hilft es auch wenig, dass bei dem
Instrument zur Erhaltung der Wälder (REDD) einige Erfolge erreicht werden konnten.
Insbesondere Entwicklungsländer leiden schon heute unter den dramatischen Folgen des
Klimawandels. Der ansteigende Meeresspiegel, die Ausbreitung der Wüsten und der

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Verlust von Anbauflächen zur Ernährungssicherung bedrohen fast 200 Millionen Men-
schen. Gleichzeitig tragen die ärmsten Länder der Welt am wenigsten Schuld für den
von Menschen verursachten Klimawandel.

Die unzureichenden Ergebnisse der COP 19 haben einmal mehr deutlich gemacht, dass
der internationale Klimaschutz nur vorrankommen wird, wenn sich Vorreiter zusam-
menschließen und im Sinne einer Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten
vorangehen, ohne auf den Letzten zu warten. Gute Beispiele aus Kommunen und Regi-
onen, von Vorreiterstaaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren müssen mehr Gewicht
bei zukünftigen Klimakonferenzen erhalten.

Entscheidend ist außerdem, dass Vertrauen aufgebaut wird, insbesondere gegenüber den
Staaten, deren CO2-Ausstoß bisher am geringsten ist, die aber am meisten unter den
Klimaveränderungen leiden. Vertrauen und Zusammenarbeit können aber nur entstehen,
wenn die internationale Klimapolitik mehr ist, als die permanente Vertagung nötiger
Entscheidungen in die Zukunft. Hier müssen alle Staaten – gerade auch Europa und
Deutschland – in den nächsten Monaten liefern, u. a. durch einen klaren Aufwuchsplan
zur Klimafinanzierung bis 2020 sowie durch ambitionierte Klimaziele bis 2020 und
darüber hinaus.

Deutschland hat bei der Weltklimakonferenz in Warschau enttäuscht. Wer wie der am-
tierende Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter
Altmaier, die Staaten insgesamt zu mehr Ambition auffordert, selbst aber in dieser Hin-
sicht nichts liefert und keine neuen Impulse setzt, schafft kein Vertrauen. Seine Rede hat
vielmehr deutlich gemacht, dass Deutschland sich von seiner klimapolitischen Vorrei-
terolle verabschiedet hat. Gefehlt hat die Ankündigung von konkreten Maßnahmen zur
Klimapolitik einer nächsten deutschen Bundesregierung, wie zum Beispiel die Verab-
schiedung eines nationalen ambitionierten Klimaschutzgesetzes, der Einsatz für ehrgei-
zige europäische Klimaziele oder eine Initiative für eine grundlegende Reform des eu-
ropäischen Emissionshandels.

Obwohl das deutsche Wort „Energiewende“ Eingang in andere Sprachen gefunden hat
und die Welt gebannt auf das deutsche Modell schaut, bremst die Große Koalition in spe
nun die Energiewende vollends aus. Gleichzeitig sind die CO2-Emissionen Deutsch-
lands durch einen Boom der Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle im Jahr 2012
und aktuell auch in 2013 gestiegen. Entsprechend wurde Deutschland auch im Klima-
schutzranking der Nichtregierungsorganisation Germanwatch auf einen beschämenden
Platz 19 herabgestuft. Das sind Signale von Deutschland, die jenseits aller Sonntagsre-
den in Warschau angekommen sind und ihren Beitrag dazu geleistet haben, Fortschritte
im internationalen Klimaschutz zu blockieren.

Die COP 19 verdeutlichte, dass es der Bundesregierung in spe an Gestaltungskraft und
politischem Willen fehlt, die Jahrhundertaufgabe des Klimaschutzes anzupacken und die
Umstellung des Energiesystems verlässlich und bezahlbar voranzubringen. Eine Reform
des europäischen Emissionshandels über eine nur vorübergehende Verknappung von
Zertifikaten (Backloading) hinaus wird von ihr abgelehnt. Wider jede ökonomische
Vernunft wird die Photovoltaik gedeckelt und die Windenergie an Land ausgebremst.
Gleichzeitig diskutieren CDU/CSU und SPD über neue Subventionen für Kohlekraft-
werke, statt sich um ein zukunftsfähiges Strommarktdesign zu kümmern, das den Aus-
bau der erneuerbaren Energien und den Betrieb der notwendigen flexiblen und klima-
freundlichen Back-up-Kapazitäten in Form von Lastmanagement, Speichern und mo-
dernen Gaskraftwerken ermöglicht. Der Energieeffizienz scheint auch in der neuen
Bundesregierung jenseits unverbindlicher Bekenntnisse weiter das Schicksal des Schat-
tendaseins beschieden zu sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

 in der Europäischen Union ein Reduktionsziel von mindestens 30 Prozent CO2-
Äquivalent bis 2020 und mindestens 55 Prozent CO2-Äquivalent (im Vergleich zu

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1990) sowie anspruchsvolle Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien und
die Energieeffizienz bis 2030 zu verankern;

 den Emissionshandel als Hauptinstrument des Klimaschutzes in Europa zu stärken
und hierzu insbesondere die Einführung einer Preisuntergrenze („floor price“) sowie
die dauerhafte Marktverknappung („set aside“) zu verfolgen;

 die nationale Minderungsverpflichtung in Form von Klimaschutzzwischenzielen bis
zum Jahr 2050 in einem Klimaschutzgesetz deutlich anzuheben, verbindlich festzu-
legen und Sanktionen bei Zielverfehlung vorzusehen, um den europäischen und
globalen Prozess glaubwürdig zu untermauern;

 sich mit angemessenen Zusagen für die internationale Klimafinanzierung zu ver-
pflichten und sich für einen verbindlichen Aufwuchspfad für die Klimafinanzierung
für die Jahre 2013 bis 2020 einzusetzen;

 umwelt- und klimaschädliche Subventionen abzubauen, um bestehende Fehlanreize
zu beseitigen und einen Beitrag zur Unterstützung und Finanzierung der Energie-
wende zu leisten;

 den Ausbau der erneuerbaren Energien – vor allem der kostengünstigen Photovolta-
ik und der Windenergie an Land – auf der Grundlage eines weiterentwickelten Er-
neuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) nicht einzuschränken;

 eine solide und verlässliche Finanzierung von Energiewende und Klimaschutz als
Klimaschutzhaushalt im regulären Haushalt zu schaffen, statt der Fehlkonstruktion
des massiv unterfinanzierten Energie- und Klimafonds;

 einen mit 3 Mrd. Euro ausgestatteten Energiesparfonds einzurichten, aus dem insbe-
sondere eine verstärkte Energieberatung, die Förderung besonders sparsamer Geräte
über Zuschüsse, die Einführung eines Klimawohngeldes und die energetische Sa-
nierung, insbesondere in Wohnquartieren mit hohem Anteil einkommens- und in-
vestitionsschwacher Haushalte, finanziert werden;

 ein Strommarktdesign zu entwickeln, das passend zum Ausbau der erneuerbaren
Energien durch Investitionsanreize für flexible Gaskraftwerke, Lastmanagement
und Speicher (Kapazitätsmechanismen) Versorgungssicherheit, Klimafreundlich-
keit, Kosteneffizienz und Flexibilität sicherstellt, statt Vorhalteprämien für sämtli-
che konventionelle Kraftwerke zu zahlen oder planwirtschaftliche Kraftwerksreser-
ven vorzuhalten;

 Verbesserungen im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz vorzunehmen, um die hocheffi-
ziente Kraft-Wärme-Kopplung auf 25 Prozent im Jahr 2020 zu steigern;

 Mindestwirkungsgrade für fossile Kraftwerke festzusetzen und den Aufschluss
neuer Braunkohletagebaue durch eine Novelle des Bergrechts auszuschließen;

 die Energieforschung neu auszurichten und 500 Mio. Euro zusätzlich in die Erfor-
schung von Speicher-, Netztechnologien und erneuerbaren Technologien zu ste-
cken.

Berlin, den 27. November 2013

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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