BT-Drucksache 18/8855

Sozialer Wohnungsbau in Deutschland - Entwicklung, Bestand, Perspektive

Vom 9. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8855
18. Wahlperiode 09.06.2016

Große Anfrage
der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Birgit Menz, Thomas Nord, Richard Pitterle,
Michael Schlecht, Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank,
Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert,
Hubertus Zdebel, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau) und
der Fraktion DIE LINKE.

Sozialer Wohnungsbau in Deutschland – Entwicklung, Bestand, Perspektive

Der soziale Wohnungsbau hat die Aufgabe, Menschen, die ihren Wohnungsbe-
darf nicht am freien Wohnungsmarkt decken können, mit angemessenen Woh-
nungen zu versorgen. Es ist die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland als So-
zialstaat, die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen,
dass am tatsächlichen Bedarf gemessen ausreichend Sozialwohnungen zur Ver-
fügung gestellt werden.
Seit Jahren beobachten die Fragesteller eine höchst widersprüchliche Entwick-
lung in dem Sinne, dass der Bedarf an Sozialwohnungen stetig steigt, während im
gleichen Moment die Anzahl der zur Verfügung stehenden Sozialwohnungen
ebenso stetig abnimmt. Belegt wird diese Wahrnehmung durch diverse Studien
renommierter Institute.
Die Fraktion DIE LINKE. möchte mit dieser Großen Anfrage die Entwicklung
im sozialen Wohnungsbau nachzeichnen und Fehler aufdecken sowie eine Per-
spektive für die Bedarfsdeckung entwickeln.

Wir fragen die Bundesregierung:

Zur Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus seit der Abschaffung der Gemeinnützigkeit in der
Wohnungswirtschaft

1. Wie verlief nach Kenntnis der Bundesregierung die Entwicklung des sozia-
len Wohnungsbaus seit der Abschaffung der Gemeinnützigkeit in der Woh-
nungswirtschaft im Jahr 1990?

2. Wie viele Sozialwohnungen gab es nach Kenntnis der Bundesregierung im
Jahr 1988 (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

3. Wie viele Sozialwohnungen kamen nach Kenntnis der Bundesregierung seit
dem Jahr 1988 bis heute jährlich hinzu (bitte nach Bundesländern und Jahren
aufschlüsseln)?

Drucksache 18/8855 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
4. Wie viele Sozialwohnungen fielen nach Kenntnis der Bundesregierung im
gleichen Zeitraum jährlich aus der Sozialbindung (bitte nach Bundesländern
und Jahren aufschlüsseln)?

5. Wie viele Wohnungen fallen nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jah-
ren 2017 bis 2020 jeweils vermutlich aus der Sozialbindung?
Wie viele davon sind barrierefrei?

6. Wie hat sich der Bestand an Sozialwohnungen nach Kenntnis der Bundesre-
gierung jährlich entwickelt?
Wie ist der aktuelle Bestand?
Wie viele davon waren/sind altersgerecht und barrierefrei?

7. Wie groß ist aus der Sicht der Bundesregierung der Bedarf an Sozialwoh-
nungen gegenwärtig?
Wie viele davon müssten aus Sicht der Bundesregierung altersgerecht und
wie viele barrierefrei sein?

8. Welche waren die hauptsächlichen Gründe, die zur Abschaffung der Finanz-
hilfen des Bundes zur sozialen Wohnraumförderung (Entflechtungsgesetz –
EntflechtG) im Jahr 2006 führten?

9. Teilt die Bundesregierung die auf wissenschaftlichen Erhebungen beruhende
Einschätzung des Eduard Pestel Instituts für Systemforschung e. V. vom August
2012, dass derzeit in Deutschland vier Millionen Sozialwohnungen fehlen?

10. Welche demografischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Indikatoren
werden herangezogen, um den Bedarf an Sozialwohnungen zu ermitteln?

11. Wie definiert die Bundesregierung im Verhältnis von Einkommens- und
Wohnkostenentwicklung die Begriffe „bezahlbarer Wohnungsbau“ und „be-
zahlbare Mieten“?

12. Mit welchen Maßnahmen und Programmen in welchem Umfang will die
Bundesregierung dem besonderen Bedarf an einkommens- und altersgerech-
ten, barrierefreien Wohnungen sowie dem wachsenden Bedarf an Wohnun-
gen für Studierende entsprechen?

Die gegenwärtige Situation und Mittelverwendung
13. Von welchem Bedarf an Sozialwohnungen geht die Bundesregierung aus,

und welche Angebote stehen diesen Bedarfen gegenüber?
Wie viele davon müssen barrierefrei sein?

14. In welchem Umfang wurden im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus Pro-
jekte nach dem Prinzip „Design for all“ umgesetzt?

15. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung gegenwärtig der Anteil von
gemeinschaftlichen, alternativen Wohnformen für Menschen mit Pflegebe-
darf und Menschen mit Behinderungen im Rahmen des sozialen Wohnungs-
baus, und wie hoch ist das Fördervolumen?

16. Von welchem Bedarf an Sozialwohnungen geht die Bundesregierung derzeit
besonders in ländlichen Regionen aus (bitte nach Regionen auflisten)?

17. Welche Rolle spielt der demographische Wandel bei der Bedarfsentwicklung
im sozialen Wohnungsbau?

18. Wer ist überwiegend Träger des sozialen Wohnungsbaus?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8855

19. Nach welchen Kennzahlen und Kriterien und mit welchen Quoten wurden

und werden die Zuschüsse und sonstigen Fördermittel des Bundes für den
sozialen Wohnungsbau bzw. die soziale Wohnraumförderung auf die Träger
des sozialen Wohnungsbaus verteilt?

20. Wie hoch waren die jeweiligen Anteile für
 kommunale oder andere öffentliche Träger,
 genossenschaftliche Träger,
 kirchliche Träger,
 private Träger (bitte nach jährlichen Veränderungen aufschlüsseln)?

21. Welche Ziele verfolgt bzw. verfolgte die jeweilige Bundesregierung bei der
bundesseitigen Förderung des sozialen Wohnungsbaus hinsichtlich der Ziel-
gruppe, der Belegung, der Belegungszeiträume, und der Mietbegrenzung?

22. Welche Einkommensgrenzen gelten nach Kenntnis der Bundesregierung in
den einzelnen Bundesländern zum Erhalt eines Wohnberechtigungsscheines?

23. Auf welche Weise koordinieren sich Bund, Länder und Kommunen, um eine
zielgenaue Mittelverwendung und Kontrolle der Mittelvergabe zu gewähr-
leisten?

24. Welche Mechanismen werden in Bund, Ländern und Kommunen für Moni-
toring und/oder die Evaluation der sozialen Wohnraumförderung angewendet?

25. Wie viele Liegenschaften sind in der Folge der Richtlinie der Bundesanstalt
für Immobilienaufgaben (BImA) zur verbilligten Abgabe von Grundstücken
(VerbR) von der BImA mit Kaufpreisabschlag für den sozialen Wohnungs-
bau abgegeben worden, und wie viele Sozialwohnungen werden dadurch ge-
mäß den verpflichtenden Darlegungen der Käuferinnen und Käufer (Gebiets-
körperschaften etc.) gegenüber der BImA entstehen (bitte nach Kommunen
aufschlüsseln und nach Baugrundstück und Bestandsbauten unterscheiden)?

26. Wie viele Immobilien und Liegenschaften in welcher Größe und Lage um-
fasst die von der Bundesregierung angekündigte schnelle und verbilligte Be-
reitstellung für den sozialen Wohnungsbau?
Wie viele davon mit welchen Preisnachlässen sind bereits an Kommunen und
kommunale Gesellschaften veräußert worden?

Wirkungen und Nebenwirkungen des sozialen Wohnungsbaus
27. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung der „Ghettoisierung“ durch den

sozialen Wohnungsbau?
28. Welchen Kenntnisstand hat die Bundesregierung über Fehlbelegungen der

Sozialwohnungen?
29. Sieht die Bundesregierung Notwendigkeiten und Möglichkeiten für eine ziel-

gerichtete stadträumliche Verteilung des sozialen Wohnungsbaus?
30. Gab es in den Jahren des sozialen Wohnungsbaus bzw. der sozialen Wohn-

raumförderung eine Evaluation der Wohnraumförderung in Bezug auf stadt-
räumliche, soziale Konsequenzen?
Wenn ja, welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hieraus vor, und
welche Schlussfolgerungen zieht diese daraus?

31. Stellten Bund und Länder eine besondere soziale Entwicklung dort fest, wo
sich sozialer Wohnungsbau konzentrierte?

32. Wie reagierten Bund und Länder auf besondere soziale Entwicklungen in
Gebieten mit konzentriertem sozialem Wohnungsbau?

Drucksache 18/8855 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

33. Welche stadträumlichen Konzepte bzw. Ideen gibt es in der Bunderegierung,

um zukünftig der Entwicklung von sogenannten sozialen Brennpunkten zu
begegnen?

34. Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung, dass bei größeren Bauvor-
haben mindestens 20 Prozent für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt
werden müssen?
Welche Gesetze müssten dafür wie geändert werden?

35. Hält die Bundesregierung den vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR) ermittelten Neubaubedarf von 272 000 Wohnungen
jährlich bis zum Jahr 2020 für realistisch?
Wenn ja, wie groß müsste nach Einschätzung der Bundesregierung der An-
teil von Sozialwohnungen daran sein, um zumindest deren Bestandsverlust
auszugleichen?

Perspektiven
36. In welchem Zeitraum beabsichtigt die Bundesregierung, die quantitativen

Defizite beim sozialen Wohnungsbau abzubauen?
37. Wie viele Sozialwohnungen müssten dazu jährlich errichtet werden, um den

Bedarf zu decken?
38. Wie viele Bundesmittel müssten dafür jährlich investiert werden?

Welche Kofinanzierung erwartet die Bundesregierung von den Ländern?
39. Wie viele Sozialwohnungen können unter den gegenwärtigen Förderbedin-

gungen jährlich errichtet werden?
40. Wie hoch wäre der tatsächliche Fördermittelbedarf, um das u. a. vom Eduard

Pestel Institut für Systemforschung e. V. errechnete Defizit von vier Millionen
Sozialwohnungen in Deutschland in den nächsten zehn Jahren zu beseitigen?

41. Verfügt die Bundesregierung über eigene Prognosen bzw. hat die Bundesre-
gierung Kenntnis über Prognosen der Bundesländer über die quantitative
Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus?
Welchen Bestand an Sozialwohnungen wird es im Jahr 2030 in Deutschland
geben?

42. Wird die Bundesregierung Kriterien für eine zweckgebundene Verwendung
der Mittel für den sozialen Wohnungsbau definieren?
Wenn ja, welchen Inhalts?

43. Wird nach Einschätzung der Bundesregierung die Einführung der sogenann-
ten Mietpreisbremse zusammen mit dem angekündigten zweiten Mietrechts-
paket den Bestand an Sozialwohnungen schützen oder erweitern?
Wenn ja, mit welcher Größenordnung rechnet die Bundesregierung?

44. Wie bewertet die Bundesregierung die Einführung eines gemeinnützigen
oder gemeinwohlorientierten Sektors in der Wohnungswirtschaft zur Unter-
stützung der Schaffung bezahlbaren Wohnraums mit dauerhaften Belegungs-
und Mietpreisbindungen?

45. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für die Schaffung von
mietpreis- und belegungsgebundenem Wohnraum bei der Beseitigung von
Wohnungsleerstand, der bisher als dauerhaft leerstehend und nicht vermiet-
bar galt, z. B. in strukturschwachen und schrumpfenden Regionen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8855

46. Mit welchen konkret messbaren Ergebnissen für den sozialen Wohnungsbau

in welchem Zeitraum rechnet die Bundesregierung aus der Arbeit des Bünd-
nisses bezahlbares Wohnen und Bauen als dem „zentralen Instrument für die
Intensivierung des Wohnungsbaus“ (Bündnis bezahlbares Wohnen und
Bauen, Kernempfehlungen und Maßnahmen, S. 6)?

47. Wie will die Bundesregierung die vom Bündnis bezahlbares Wohnen und
Bauen empfohlene quartiersbezogene energetische Sanierung stärken und
zugleich die Verdrängung von Mieterhaushalten mit geringen oder durch-
schnittlichen Einkommen wegen sanierungsbedingter Mietsteigerungen ver-
hindern?

48. Sieht die Bundesregierung in den vermehrten Aktivitäten börsennotierter, in-
stitutioneller Investoren auf dem deutschen Wohnungsmarkt eine Gefahr für
den Bestand und den Erhalt von Sozialwohnungen sowie gewachsener sozial
gemischter Wohnquartiere?

49. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Profitabilität des Handels mit großen
Wohnungsbeständen durch nationale und internationale Aktiengesellschaf-
ten zum Beispiel mit einem Verbot von share deals zur Umgehung der
Grunderwerbsteuer einzuschränken?

50. Wie steht die Bundesregierung zum sogenannten Wiener Modell im sozialen
Wohnungsbau?

Sozialer Wohnungsbau und Föderalismusreform
51. Welche Perspektive gibt die Bundesregierung dem sozialen Wohnungsbau

für die Zeit nach dem Jahr 2019?
52. Wie steht die Bundesregierung dazu, die Verantwortung für die soziale

Wohnraumförderung wieder dem Bund zu überlassen, also den Stand vor der
letzten Föderalismusreform wiederherzustellen?

53. Wie steht die Bundesregierung zu einer Wiedereinführung der im Jahr 2007
weggefallenen Zweckbindung für die Länder über die Mittel des sozialen
Wohnungsbaus?

54. Welche Art der Wohnungsbauförderung (beispielsweise Neubau, Bestands-
sanierung oder Eigentumsförderung) wurde nach Kenntnis der Bundesregie-
rung mit den Bundesmitteln für den sozialen Wohnungsbau seit dem Jahr
2007 gefördert (bitte nach Art und Bundesländern aufschlüsseln)?

55. Wie bewertet die Bundesregierung die Übergabe der Verantwortung der so-
zialen Wohnraumförderung an die Länder?

56. Welche Haltung hat die Bundesregierung zum Vorschlag, den sozialen Woh-
nungsbau zur Gemeinschaftsaufgabe des Bundes und der Länder zu machen?

57. Welche Perspektiven sieht die Bundesregierung für die soziale Wohnraum-
förderung ab dem Jahr 2020, wenn die Kompensationsmittel von der Bun-
desebene ausfallen?

58. Welche Änderungen bezüglich der Konditionen (z. B. Belegungsbindung,
Mietpreisbindung) für den sozialen Wohnungsbau müsste es nach Einschät-
zung der Bundesregierung bei der nächsten Föderalismusreform geben?

Berlin, den 8. Juni 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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