BT-Drucksache 18/4348

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. März 2015 in Brüssel hier: Stellungnahme nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes

Vom 18. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4348
18. Wahlperiode 18.03.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Sven-Christian Kindler, Katharina Dröge,
Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Kai Gehring, Annalena Baerbock,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Franziska Brantner, Anja Hajduk,
Marieluise Beck (Bremen), Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs,
Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg),
Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner, Katja Dörner, Dr. Thomas
Gambke, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Corinna Rüffer,
Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 19./20. März 2015 in Brüssel

hier: Stellungnahme nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Europa ist wirtschaftlich in einer schwierigen Lage: Die Arbeitslosigkeit ist be-
sorgniserregend hoch, besonders unter Jugendlichen. Die Schuldenquoten sind seit
Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise in fast allen EU-Mitgliedstaaten kontinu-
ierlich und teilweise dramatisch gestiegen. Die Wirtschaftsleistung stagniert oder
ist eingebrochen. Einige Länder wie Spanien und Griechenland verzeichnen schon
länger negative Inflationsraten und seit der Jahreswende zeichnet sich ab, dass die
gesamte Eurozone in die Deflation rutscht. Die wirtschaftliche Entwicklung in der
EU driftet immer weiter auseinander, anstatt mehr gemeinsame Wohlfahrt zu
schaffen. Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, dass Europa dringend neue
Impulse für eine besser koordinierte Wirtschaftspolitik mit mehr privaten und öf-
fentlichen Investitionen braucht. Gleichzeitig müssen die Glaubwürdigkeit der
Haushaltskonsolidierung in der Eurozone gestärkt und wachstumsfördernde Struk-
turreformen mit sozialer und ökologischer Ausrichtung angegangen werden.
Im Rahmen der Investitionsoffensive von EU-Kommissionspräsident Juncker liegt
ein erster konkreter Vorschlag zur Errichtung eines Europäischen Fonds für strate-
gische Investitionen (COM(2015) 10 final) auf dem Tisch. Der geplante EU-
Investitionsfonds (EFSI) eröffnet einen weiteren europäischen Investitionspfad. Er
bietet die Chance, mehr Zukunftsinvestitionen europäisch zu generieren, zu koor-
dinieren und finanziell zu unterstützen und somit zur weiteren wirtschaftspoliti-
schen Integration in der EU beizutragen. Ob der neue EU-Investitionsfonds zum
Erfolg wird und zu signifikant mehr nachhaltigen und innovativen Investitionen
und mehr Beschäftigung führt, hängt von seiner konkreten Ausgestaltung ab. Das

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EU-Parlament und vor allem die nationalen Regierungen der EU müssen daher in
den derzeit laufenden Verhandlungen beweisen, dass sie Verantwortung überneh-
men und realwirtschaftliche Investitionen möglich machen wollen. Denn das Billi-
onenprogramm der EZB zum Ankauf von Staatsanleihen ist kein Ruhekissen. Es
ist ein dringlicher Appell, endlich Investitionen und Nachfrage anzukurbeln.
Mit ihrer bisherigen Haltung wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung als
wirtschaftlich stärkster EU-Mitgliedstaat schlichtweg nicht gerecht. Anstatt für
Zukunftsinvestitionen im Sinne eines Green New Deal einzutreten, setzt die Bun-
desregierung auf nationale Betonprojekte. Die eingereichte Liste mit Projekten, die
sie aus dem neuen EU-Investitionsfonds finanzieren möchte, ist ein Armutszeug-
nis: Der Klimaschutz kommt viel zu kurz, Elbe- und Weservertiefung oder das
Terminal 3 am Frankfurter Flughafen sind ökologisch und ökonomisch fragwürdi-
ge Projekte und die A 20 ist ein unsinniges Milliardengrab. Zudem stehen viele
extrem teure öffentlich-privat finanzierte Projekte (ÖPP) im Straßenbau auf der
deutschen Wunschliste. Vor diesem Hintergrund ist zu begrüßen, dass keines der in
der Liste aufgeführten Projekte automatisch durch den EU-Investitionsfonds finan-
ziert wird und zudem fortlaufend neue Projekte vorgeschlagen werden können.
Zudem ist klar, dass der überwiegende Teil der bisher durch die EU-
Mitgliedstaaten eingereichten Projekte nicht den EIB-Förderkriterien entspricht
und somit eine Finanzierung durch den EFSI ausgeschlossen werden kann.
Die konkrete Ausgestaltung des EFSI muss tatsächlich so ausgerichtet sein, dass
sie die europäische Investitionsschwäche überwinden kann. Investitionen müssen
dort durch den EFSI gefördert werden, wo das Kreditangebot auf Grund der Wirt-
schaftskrise in der EU hinter der Nachfrage zurück bleibt. Hierbei ist – auch quan-
titativ – ein besonderer Schwerpunkt auf die Förderung von KMUs zu legen. Zu-
dem müssen die Kriterien des EFSI auch so ausgestaltet sein, dass sie geeignet
sind, Investitionen zu fördern, die makroökonomische Wirkungen entfalten und der
Nachfrageschwäche in vielen europäischen Ländern begegnen. Hierbei spielen
öffentliche Investitionen auf kommunaler, regionaler und auch gesamtstaatlicher
Ebene eine wichtige Rolle. Zudem muss der EFSI so ausgestaltet sein, dass er nicht
in der Grundanlage ein Programm zur Förderung von europäischen ÖPP-Projekten
darstellt.
Anstatt mit einem finanziellen Beitrag Deutschlands aktiv dazu beizutragen, dass
der geplante EU-Investitionsfonds zum Erfolg wird, verlassen sich die Bundesmi-
nister Schäuble und Gabriel auf die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die
KfW wird sich allerdings nicht direkt am EU-Investitionsfonds beteiligen, sondern
nur in der zweiten Stufe an der Projektfinanzierung. Hierfür benötigt die KfW circa
2 Milliarden Euro aus dem EFSI für ihre geplanten europäischen Finanzierungsin-
strumente. Das schmälert den geplanten deutschen Beitrag nochmals. Die Beteili-
gung der KfW kann daher nur ein erster Schritt sein. Deutschland bleibt weit hinter
seinen Möglichkeiten und seiner Verantwortung zurück. Europäische Solidarität
sieht anders aus. Der EU-Investitionsfonds wird daher voraussichtlich nur aus EU-
Mitteln finanziert.
Besonders bitter ist, dass diese Gelder teilweise ausgerechnet aus Zukunftssparten
abgezogen werden sollen. Anstatt Gelder für den Atomforschungsreaktor ITER
oder die unsinnige Förderung der Agrarindustrie in den EU-Investitionsfonds um-
zuleiten, steht die Bundesregierung an der Speerspitze derer, die für den EU-
Investitionsfonds das Forschungsförderprogramm „Horizont 2020“ anzapfen wol-
len.
Anstatt den geplanten EU-Investitionsfonds dauerhaft einzurichten, um notwendige
europäische Investitionen dauerhaft generieren, koordinieren und fördern zu kön-
nen, setzt sich die Bundesregierung vehement für eine zeitliche Befristung bis 2017
ein. Der Fonds hätte damit eine Laufzeit von weniger als zwei Jahren und könnte
allenfalls ein Strohfeuer entfachen. Allein die Zeitspanne zwischen Planung und
Umsetzungsreife sinnvoller und sorgfältig geplanter Projekte dauert heute schon

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oft mehr als zwei Jahre. Allerdings sollte bei einer dauerhaften Einrichtung, Bedarf
und Wirkung des Fonds nach einer angemessenen Zeit evaluiert und gegebenen-
falls Korrekturen vorgenommen werden können.
Anstatt endlich Signalgeber für einen Aufbruch und mehr Solidarität in Europa zu
sein, riskiert die Bundesregierung mit ihrer Haltung mal wieder, das Land der
Kanzlerin „No“ zu bleiben und die derzeit einzige europäische Initiative zur Inves-
titionsförderung im Keim zu ersticken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen seiner
Rechte gemäß Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. m. § 8 EUZBBG auf,

sich beim Europäischen Rat und in den weiteren Verhandlungen dafür einzusetzen,
dass der geplante EU-Investitionsfonds zum Erfolg wird. Folgende Punkte sind
maßgeblich:
Deutschland muss sich beteiligen – 12 Mrd. Euro für Zukunftsinvestitionen

Deutschland soll sich mit 12 Mrd. Euro am geplanten EU-Investitionsfonds be-
teiligen, um europäische Zukunftsinvestitionen im Sinne eines Green New
Deal sowie kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. Neben Anreizen
für private Investitionen müssen auch öffentliche Projekte im Rahmen des
EFSI finanziert werden, um wichtige Probleme wie die Nachfrageschwäche
oder die mancherorts massiv eingebrochenen Investitionen der öffentlichen
Hand zu lösen. Eine Aufgabe des EFSI sollte es auch sein, Kredite für rein öf-
fentliche Vorhaben bereitzustellen, die ebenso direkt durch Kommunen, Regi-
onen und Nationalstaaten beantragt werden können. Trotzdem wird der EU-
Investitionsfonds nur ein Baustein einer europäischen Antwort auf die Krise
sein.

Europäische Zukunftsinvestitionen im Sinne eines Green New Deal
Der EU-Investitionsfonds sollte europäische Projekte im Sinne eines Green
New Deal fördern und somit zur Überwindung wichtiger Zukunftsprobleme
beitragen. Europa braucht mehr Investitionen in Energienetze, Energieeffizi-
enz, erneuerbare Energien, Schieneninfrastruktur, schnelles Internet sowie Bil-
dung und Forschung. Investitionsziele und Zweckbestimmung der EU-
Investitionsfondsmittel müssen daher von Rat und EU-Parlament in der Ver-
ordnung klar definiert werden, damit sich der EFSI auf europäische Zukunfts-
investitionen konzentriert, Projekte einen europäischen Mehrwert haben, d.h.
gemeinsam mit europäischen Partnern organisiert und im Sinne der EU-2020-
Ziele ausgerichtet sind und dadurch wirksame gesamtwirtschaftliche und
-europäische Impulse ausgelöst werden.

Projekteverzeichnis muss allen offen stehen
Das Vorschlagsrecht für Investitionsprojekte darf nicht allein bei den nationa-
len Regierungen liegen. Auch Länder und Kommunen, nationale Förderban-
ken, öffentliche Stellen und der Privatsektor sollen konkrete Investitionspro-
jekte vorschlagen und Finanzierung aus dem EU-Investitionsfonds beantragen
dürfen. Das Kriterium eines obligatorischen höheren Risikos sollte dabei keine
diskriminierende Rolle bei der Auswahl von Projekten spielen.

Transparente und europäische Entscheidungsstrukturen
Der EU-Investitionsfonds darf nicht zum nationalen Selbstbedienungsladen
verkommen. Vielmehr müssen Investitionen dorthin fließen, wo sie am drin-
gendsten gebraucht und nicht anderweitig finanziert werden können. Die Pro-
jektentscheidung darf daher nicht ausschließlich den nationalen Regierungen
überlassen werden. Vielmehr müssen auch unabhängige Experten und europäi-
sche Akteure wie die EU-Kommission und das EU-Parlament eine Schlüssel-
rolle spielen. Die parlamentarische Beteiligung des Europäischen Parlaments
ist ein zentraler Punkt, um die Kontrolle der europäischen Haushaltsgelder zu
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gewährleisten. Beispielsweise sollten alle Mitglieder des geplanten Lenkungs-

rates und des Investitionsausschusses sowie der geschäftsführende Direktor
durch das EU-Parlament bestätigt werden müssen und gegenüber den EU-
Abgeordneten rechenschaftspflichtig sein.

Keine risikolosen Gewinne für Privatunternehmen
Der EU-Investitionsfonds soll Investitionsrisiken mindern und so die Investiti-
onsdynamik wieder ankurbeln, er darf privaten Investoren aber keine risikolo-
sen Gewinne zuschanzen, wie das in Deutschland bei teuren und gescheiterten
ÖPP-Projekten der Fall war und ist. Vielmehr müssen privaten Gewinnen auch
entsprechende private Risiken gegenüberstehen und Mitnahmeeffekte ausge-
schlossen werden. Den vom EFSI übernommenen Risiken muss eine angemes-
sene Verzinsung bzw. Gewinnbeteiligung gegenüberstehen. Öffentlich bereit-
zustellende Infrastrukturmaßnahmen müssen über die für den Steuerzahler bes-
te Finanzierungsform finanziert werden. Zudem muss der EFSI so ausgestaltet
sein, dass er nicht in der Grundanlage ein Programm zur Förderung von euro-
päischen ÖPP-Projekten darstellt.

Keine europäischen Forschungsgelder für EU-Investitionsfonds
Der EU-Investitionsfonds muss aus den Rubriken des EU-Haushalts gespeist
werden, die entbehrlich sind. Dazu gehören die Gelder für den Atomfor-
schungsreaktor ITER genauso wie die unsinnige Förderung der Agrarindustrie.
Die Verwendung von Mitteln aus der europäischen Forschungsförderung Hori-
zont 2020 ist abzulehnen.

Finanzielle Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten erleichtern
Möglichst viele Mitgliedstaaten sollen sich direkt am EU-Investitionsfonds be-
teiligen, damit der Fonds mehr Investitionen unterstützen kann. Nur wenn er
ausreichend finanziert ist, kann er entscheidend dazu beitragen, die europäi-
sche Wirtschaft zu stabilisieren und den Druck von der Europäischen Zentral-
bank zu nehmen, die sich bislang mit immer problematischeren Maßnahmen
allein gegen die wirtschaftliche Krise in Europa stemmt. Damit sich auch die
am stärksten von der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffenen Mitgliedstaaten
am Fonds beteiligen können, sollte der jeweils nationale Beitrag bei der Defi-
zitberechnung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes berücksich-
tigt werden.

Ein starker EU-Haushalt für zusätzliche öffentliche Investitionen
Die Gelder aus dem EU-Haushalt fließen schon heute zu etwa 70 Prozent in
Investitionen in den Mitgliedstaaten und spielen somit gerade in den Staaten
Südeuropas eine wichtige Rolle. Auch die Bundesrepublik Deutschland profi-
tiert von den Fördergeldern der EU. Deutschland erhält in der Förderperiode
2014 bis 2020 insgesamt 19,3 Mrd. Euro. Der Mehrjährige Finanzrahmen
bräuchte dennoch mehr Spielräume, um die in der Strategie „Europa 2020“ ge-
setzten Ziele zu erreichen. Die Bundesregierung muss daher ihre strukturkon-
servative Verweigerungspolitik aufgeben. Sie hat maßgeblich dazu beigetra-
gen, dass die EU mitten in einer schweren Krise erstmals überhaupt sparen
muss und damit die wirtschaftlichen und sozialen Härten weiter verschärft.
Damit muss Schluss sein und der anstehende Review-Prozess genutzt werden,
um den EU-Haushalt zu stärken, endlich neue Eigenmittelquellen zu erschlie-
ßen und über die bisherigen Strukturfonds hinaus, bessere Möglichkeiten für
die Förderung von öffentlichen Investitionen gerade auf regionaler und kom-
munaler Ebene zu eröffnen, die sich an der Qualität und Notwendigkeit vor Ort
orientieren und im Sinne eines Green New Deal sind.

Berlin, den 17. März 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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